L 4 KR 3786/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 82/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3786/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten, die ihm für den Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten entstanden sind, sowie die zukünftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten.

Der am 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied gesetzlich krankenversichert. Er leidet an spastischer Tetraparese, akuter intermittierender Porphyrie mit hieraus resultierenden Schmerzzuständen und einer Grand-Mal-Epilepsie. Am 26. November 2008 erteilte ihm das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Cannabis (Medizinal-Cannabisblüten) der Sorten Betrocan, Betrobinol und Bediol mit einer jeweils für die Dauer von vier Wochen festgesetzten Höchstmenge an Tetrahydrokanabinol (THC). Die Erlaubnis ist an den betreuenden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Ha. und die abgebende Post-Apotheke in T. gebunden.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage der genannten Erlaubnis die Übernahme der Kosten für Medizinal-Cannabis, was die Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 2009, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, ablehnte.

Der Kläger hielt an seinem Begehren fest. Zur Behandlung seiner akuten intermittierenden Porphyrie sei natürliches Cannabis das einzige medizinisch vertretbare Antiepileptikum, Analgetikum und Antikonvulsivum. Er begehre naturbelassene Cannabisblüten, da die hieraus extrahierte Droge THC für ihn keinen Nutzen habe. Er habe im August 2003 nach der Einnahme von THC seinen bislang letzten epileptischen Anfall gehabt. Seither verwende er ausschließlich natürliche Hanfblüten in Verbindung mit vitaminreicher Nahrung. Auf Experimente mit anderen Präparaten lasse er sich nicht mehr ein, da ihm Nachweise für deren Verträglichkeit fehlten. Unmittelbar nach der operativen Ausräumung einer Hirnblutung im Oktober 1993 sei ihm Phenhydan verabreicht worden. Aufgrund des Anstiegs der Leberwerte sei er dann auf Tegetral eingestellt worden, welches erst nach der Diagnose der akuten intermittierenden Porphyrie abgesetzt worden sei. Zwischen 2000 und 2008 habe er eine niedrig dosierte Opiumtinktur gegen abdominale Koliken erhalten. Cannabis werde seit vielen Jahrhunderten als einziges medizinisch und ethisch vertretbares Mittel gegen Epilepsie angewandt.

Der Kläger reichte der Beklagten ärztliche Unterlagen ein. Arzt für Naturheilverfahren Dr. Sc. führte in einem Attest vom 12. Juli 1995 aus, beim Kläger bestehe nach einer Hirnblutung im Oktober 1993 eine Tetraparese mit Spastik und ein Anfallsleiden. Seither sei es zu zwei Grand-Mal-Anfällen gekommen. Das Antiepileptikum Tegretal (Karbamazepin) habe zu massiven Nebenwirkungen geführt, so dass es habe abgesetzt werden müssen. Es sei eine Porphyrie diagnostiziert worden, bei der Arzneieinnahmen mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden seien. Der Kläger habe seit drei Monaten THC in Form von Marihuana-Zigaretten zu sich genommen, ohne dass seither ein epileptischer Anfall aufgetreten sei. Er habe unter der Wirkung von THC ein deutliches Nachlassen seiner spastischen Erscheinungen empfunden. Die muskelrelaxierende und antikonvulsible Wirkung von THC sei in der Literatur beschrieben. Solange noch keine pharmazeutischen Zubereitungen von THC verfügbar seien, halte er die inhalative Einnahme für ärztlich geboten. Neurologe Privatdozent Dr. Sch. gab in einem Arztbrief vom 8. Oktober 1997 an, der Kläger leide an einer symptomatischen Epilepsie mit fokalen Anfällen der rechtsseitigen Extremitäten und sekundär-generalisierten Grand-Mal-Anfällen nach spontaner intracerebraler Massenblutung rechts-fronto-parietal mit Ventrikeleinbruch am 27. Oktober 1993 und operativer Ausräumung der Blutung nach osteoplastischer Trepanalation am 27. Oktober 1993 sowie einer akuten intermittierenden Porphyrie mit akuter peripherer Polyneuropathie im Dezember 1993. In der weltweiten Literatur seit 1983 hätten sich immer wieder Hinweise für eine gewisse neuroprotektive Wirkung durch Cannabis in Tiermodellen gefunden, allerdings sei keine Arbeit über die antikonvulsive Wirkung bei Menschen gefunden worden, so dass der Einsatz von THC aus medizinischer Indikation in den USA nicht nachvollziehbar sei. Bei einer Porphyrie seien alle klassischen Antiepileptika kontraindiziert. Über neue Antiepileptika lägen noch keine ausreichenden Beobachtungen vor. Wegen der Seltenheit der Anfälle des Klägers (zwei pro Jahr) habe er (Privatdozent Dr. Sch.) sich gegen einen medikamentösen Behandlungsversuch ausgesprochen. Fachärztin für Allgemeinmedizin Holler führte in einem Attest vom 16. Juli 2009 aus, aufgrund der Vielzahl der erheblichen Beschwerden und des komplexen Krankheitsbildes des Klägers hätten sich als einziges wirksames und ärztlich vertretbares Mittel naturbelassene Cannabisblüten bewährt. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. führte in ärztlichen Attesten vom 13. September 2005, 26. Juni 2006 und 18. Juli 2006 aus, der Kläger müsse wegen seiner epileptischen Anfälle und der schweren akut intermittierenden Porphyrie ständig antiepileptische und schmerzstillende Medikamente einnehmen, weshalb er ständig eine ärztlich verordnete Opiumtinktur und von ihm selbst angepflanztes Cannabis bei sich führe. Zur Behandlung der Erkrankungen des Klägers stünden kaum zugelassene Arzneimittel zur Verfügung. In der Fachliteratur würden keine sicheren Antikonvulsiva und Epilepsie-Medikamente genannt, die Porphyrie-Patienten verabreicht werden könnten. Zur Schmerztherapie komme lediglich Opium in Frage. In Kombination mit Cannabis lasse sich dieses riskante Analgetikum in der notwendigen geringen Dosis sicher wirksam anwenden. Zur Prophylaxe epileptischer Grand-Mal-Anfälle nehme der Kläger täglich fünf Kekse mit jeweils 250 mg Cannabisblüten ein. In den sechs Vorjahren sei nur ein einziger epileptischer Anfall aufgetreten. Wenn die Wirkung der Hanfkekse nicht ausreiche, z.B. bei Spasmen und starken Schmerzen, inhaliere der Kläger zusätzlich bis zu 750 mg Cannabisblüten. Die einzige antiepileptische und schmerzstillende Behandlung sei eine solche mit Cannabis. Der Kläger sei bei Einnahme von Cannabis praktisch beschwerdefrei.

In einem Sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 20. Mai 2010 führte Dr. Bi. aus, Porphyrie-Attacken könnten durch Arzneimittel sehr leicht ausgelöst werden. Bei epileptischen Anfällen würden Gabepentin und Vigabatrin als sichere Möglichkeiten zur Behandlung einer Epilepsie gelten. Das alte Neurontin, das gleichzeitig gegen neuropathische Schmerzen wirksam sei, sei 1998 zugelassen worden. Die älteren Formen des Vigabatrin (Sabril) seien bereits 1993 zugelassen worden. Beide Substanzen hätten in ihrer Fachinformation keine entsprechenden Warnhinweise. Angaben über entsprechende Einstellungen würden in den vom Kläger vorgelegten Unterlagen fehlen. Aktuelle klinische Studien zur Applikation von Cannabinoiden bei Epilepsie würden nicht vorliegen. Bei der Applikation von Cannabisblüten handle es sich nicht um ein zugelassenes Fertigarzneimittel, sondern um eine neue Behandlungsmethode, die nicht positiv zu bewerten sei, da keine hinreichenden Daten vorliegen würden, so dass auch nicht an ein Systemversagen zu denken sei. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege beim Kläger nicht vor. Es sei auch nicht dargelegt, dass der Kläger andere Behandlungsmöglichkeiten erprobt habe.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2010 lehnte die Beklagte (erneut) den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, der Kläger habe bislang keine anderen Behandlungsmöglichkeiten mit konventionellen Antiepileptika erprobt.

Der Kläger erhob Widerspruch mit der Begründung, es sei bekannt, dass die schulmedizinischen pharmazeutischen Cannabis-Alternativen bei ihm schwerste Gesundheitsschäden verursachen würden und bereits verursacht hätten. Wegen der Verabreichung des Antiepileptikums Tegretal sei er 16 Jahre nach der erlittenen Gehirnblutung trotz intensiver Therapien immer noch an allen Gliedmaßen gelähmt. Er habe den Eindruck, die Beklagte wolle ihn gesundheitlich und wirtschaftlich schädigen, was strafrechtliche Relevanz habe. Das Antiepileptikum Keppra, welches ihm von der Neurologischen Klinik T. empfohlen worden sei, habe zahlreiche Nebenwirkungen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Bei der Behandlung der Epilepsie mit Cannabis handle es sich nicht um die Anwendung eines Fertigarzneimittels und damit um eine nicht vertragsärztlich zugelassene Behandlungsmethode. Nachprüfbare Behandlungsergebnisse aus wissenschaftlichen Studien fehlten. Zum in den USA zugelassenen Fertigarzneimittel Dronabinol liege das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. März 2007 (B 1 KR 30/06 R - in juris) vor. Mangels Einleitung eines Verfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) fehle es an einem Systemversagen. Es liege auch kein Seltenheitsfall vor, da die Erkrankung Epilepsie systematisch wissenschaftlich erforschbar sei. Mangels zugelassener cannabinoidhaltiger Fertigarzneimittel und wegen fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Cannabis seien auch die Voraussetzungen eines sogenannten "Off-Label-Use" nicht erfüllt. Darüber hinaus habe der Kläger nach den Feststellungen des MDK nicht alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Behandlung der Epilepsie ausgeschöpft. Der Kläger habe daher auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Kosten für die Anwendung von Cannabisblüten.

Am 11. Januar 2011 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Er benötige die beantragten Cannabisblüten als Schmerzmittel und als Medikament gegen seine spastischen und ataktischen Störungen. Die Behandlung der Epilepsie sei aufgrund seiner akuten intermittierenden Porphyrie, einer seltenen Stoffwechselkrankheit, die bei Fehlbehandlungen tödlich verlaufe, schwierig. Im Verlauf der Jahre habe sich gezeigt, dass die Behandlung mit Wirkstoffen der Cannabisblütenpflanze die einzige mögliche Alternative zur sonstigen Epilepsiebehandlung sei. Nur deshalb sei ihm als erster Privatperson in Deutschland auch vom Bundesinstitut für Arzneimittel die Erlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten erteilt worden. Auch der MDK habe festgestellt, dass Porphyrie-Attacken durch Arzneimittel leicht verursacht werden könnten. Der MDK habe dabei nicht angeben können, dass die Wirkung der von ihm genannten Antiepileptika bei einer intermittierenden Porphyrie bekannt und erprobt seien. Die Feststellung des MDK, er (der Kläger) leide nicht an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, sei nicht nachvollziehbar, da Epileptiker eine zwei- bis dreifach erhöhte Sterblichkeit gegenüber gesunden Menschen hätten. Auch die Porphyrie stelle eine sehr schwerwiegende Erkrankung dar. Aufgrund seines Zustands nach erlittener Hirnblutung mit hieraus folgender weitgehender Lähmung liege bei ihm eine zumindest mit einer lebensbedrohlicher Erkrankung vergleichbare Erkrankung vor. Die akute intermittierende Porphyrie sei auch eine sehr seltene Erkrankung. Gerade dies sei der Grund, weshalb bei ihm eine Behandlung mit Cannabisblüten als Arzneimittel durchzuführen sei. Die von der Beklagten eingeholten Gutachten würden sich mit seinen Erkrankungen nicht auseinandersetzen. Es sei zwar richtig, dass keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Cannabisblüten zur Behandlung seines Krankheitsbildes vorliegen würden, jedoch sei in seinem Fall die Wirksamkeit durch die jahrelange erfolgreiche Behandlung nachgewiesen. Es bestehe für ihn kein Anlass, andere Therapieoptionen unter Gefährdung seines Lebens oder seiner Gesundheit auszuprobieren, da die Therapie mit Cannabisblüten erfolgreich sei. Demgegenüber hätten Behandlungen mit Antiepileptika bei ihm in der Vergangenheit katastrophale Auswirkungen gehabt. Die Neurologen des Universitätsklinikums T. hätten ihm im Jahr 1993 mit Zuversicht in die Seltenheit von Nebenwirkungen und der guten Verträglichkeit von Medikamenten ein Antiepileptikum verabreicht und dabei seinen Gesundheitszustand so ruiniert, dass die Besorgnis bestanden habe, dass er sein Leben lang nicht mehr aus dem Pflegebett herauskomme. Es sei ihm nicht zuzumuten, durch das Ausprobieren anderer Antiepileptika eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu riskieren, da er eine für ihn und für andere Patienten wirksame Behandlungsmethode gefunden habe. Er reichte Rechnungen zu für die Zeit von Dezember 2009 bis 6. September 2012 und für Februar 2013 betreffend den Erwerb von Cannabis flos Betrobinol ein und bezifferte den Erstattungsbetrag zuletzt auf mindestens EUR 4.524,27, den tatsächlichen Bedarf und Erwerb auf EUR 8.000,00.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Zwar bestehe beim Kläger durch die Epilepsie ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, jedoch handle es sich nicht um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung. Für die Behauptung des Klägers, wegen der akuten intermittierenden Porphyrie sei ausschließlich eine Behandlung mit Cannabisblüten möglich, fehle es an einem medizinischen Beweis, da der Kläger seit Jahren keine anderen Therapieoptionen in Betracht gezogen habe. Auf den vom Kläger behaupteten Erfolg der Behandlung mit Cannabisblüten komme es bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach der Rechtsprechung des BSG nicht an.

Das SG hörte Neurologin Privatdozentin Dr. We., Universitätsklinikum T., und Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Ha. als sachverständige Zeugen. Privatdozentin Dr. We. führte unter dem 8. März 2012 aus, es sei richtig, dass Cannabis zur Behandlung von Spastik bei schweren Fällen und zur Behandlung von Schmerzsyndromen "off-label" eingesetzt werde. Dies setze aber den Versuch alternativer Präparate voraus. Sowohl für die Spastik als auch für die Schmerztherapie seien Alternativpräparate vorhanden. Es sei nicht notwendig, bezüglich der Porphyrie Cannabis zur Behandlung der Epilepsie einzusetzen. Es existierten andere Präparate wie z.B. Levetiracetam, das für die Behandlung der Epilepsie geeignet sei. In einem von ihr beigefügten Befundbericht vom 23. November 2010 führte sie außerdem aus, es gebe nur eine kleine Fallserie zur Behandlung von Epilepsiepatienten mit Cannabis, die zwar positiv verlaufen, aber bislang nicht bestätigt worden sei. Die Epilepsie des Klägers sei vor dem Hintergrund der Porphyrie auch gut mit Levetiracetam oder Lacosamid zu behandeln, da in den aktuellen Listen diese nicht als kontraindiziert gesehen würden. Phenytoin oder Carbamazepin seien zu vermeiden. Es bestehe keine zwingende Indikation für die Weiterbehandlung der Epilepsie mit Cannabis. In einem ebenfalls beigefügten an den Kläger gerichteten Schreiben vom 28. Dezember 2010 teilte sie ihm mit, Levetiracetam sei eines der bestverträglichsten Präparate, die in Deutschland zugelassen seien. Theoretische Nebenwirkungen seien nur in seltenen Fällen beschrieben worden. Die häufig auftretende Müdigkeit sei meist nur ein Phänomen in der Eindosierungsphase. Dr. Ha. gab mit Schreiben vom 4. April 2012 an, unter der Cannabismedikation hätten sich die Schmerzzustände und die Spastik des Klägers verbessert. In den sechs Vorjahren sei es unter der Behandlung zu keinem erneuten Schub der Porphyrie gekommen. In der Literatur bestehe keine völlige Klarheit, welche Medikamente ohne Risiken bei einer Porphyrie als Antiepileptikum angewandt werden könnten. Die wesentliche und schwieriger zu behandelnde Komplikation stelle die schwere Spastik dar. Hierfür würden klinische Erfahrungen und Daten mit Cannabinoiden vorliegen. Die beim Kläger vorliegende schwere Spastik sei mit einer Multiplen Sklerose vergleichbar. Auch die erforderliche Schmerzbehandlung werde durch die Porphyrie limitiert. Cannabinoide würden hierfür ebenfalls eine mögliche Alternative darstellen. Die inzwischen sechsjährige Behandlung habe zu einer wesentlichen Stabilisierung des Klägers geführt. Inzwischen könne er in seiner eigenen Wohnung selbstständig leben. Zutreffend sei indes, dass noch keine ausreichenden Studiendaten vorliegen würden, jedoch dürften die Erfolge im vorliegenden komplizierten Einzelfall nicht ignoriert werden. Er fügte seiner Auskunft neben ihm zugegangenen Arztbriefen auch den Internetausdruck des Prof. Dr. X. vom 29. Juni 2010 (Akute hepatische Porphyrien; www.doss-porphyrie.de/akut.html) bei.

Das SG holte außerdem eine Auskunft des GBA vom 17. Juli 2013 ein, in dem dieser ausführte, Medizinal-Cannabisblüten seien ein verkehrsfähiges, jedoch nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Zur Behandlung der Epilepsie stehe eine Vielzahl zugelassener Fertigarzneimittel zur Verfügung. Ob keines dieser Arzneimittel für die Behandlung des Klägers in Frage komme, könne er nicht beurteilen. Das Fehlen einer Behandlungsalternative führe aber noch nicht zu einem Leistungsanspruch außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Antrag auf Überprüfung einer Behandlung mit Medizinal-Cannabisblüten sei nicht gestellt worden. Ihm seien auch keine Studien bekannt, aus denen sich wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zum Nutzen und Risiko des Einsatzes von Medizinal-Cannabisblüten ableiten ließe.

Mit Urteil vom 25. Juli 2013 wies das SG die Klage, mit dem der Kläger zuletzt beantragte, die Beklagte zur Erstattung der ihm in der Zeit von Mai 2009 bis Juli 2013 für den Erwerb von Medizinal-Cannabis entstandenen Kosten in Höhe von EUR 4.524,27 und zu seiner zukünftigen Versorgung mit Medizinal-Cannabis zu verurteilen, ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Behandlung mit Medizinal-Cannabisblüten auf Kosten der Beklagten. Ohne befürwortende Entscheidung des GBA dürften Krankenkassen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht gewähren. Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels, da beim GBA noch kein Prüfantrag gestellt worden sei und es bislang noch keine wissenschaftlich begründeten Aussagen zur Wirksamkeit einer Therapie und deren Risiken gebe. Es liege auch nicht der Sonderfall einer wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbaren Krankheit vor. Medizinal-Cannabisblüten würden beim Kläger zur Behandlung eines Schmerzsyndroms sowie von spastischen und ataktischen Störungen eingesetzt. Diese Symptome würden häufig genug auftreten, um eine wissenschaftlich begründete Untersuchung der Wirksamkeit einer Therapie zu ermöglichen. Außerdem müssten auch bei seltenen Erkrankungen Mindestanforderungen an die Behandlungsqualität eingehalten werden. Hierfür seien zuverlässige wissenschaftliche Daten und aussagekräftige Studien über die Unbedenklichkeit und die therapeutische Wirksamkeit der Behandlungsmethode zumindest für andere Krankheiten erforderlich, die nicht ersichtlich seien. Die vom Kläger eingesetzten Medizinal-Cannabisblüten seien im Übrigen zwar Fertigarzneimittel, weil sie im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in Verkehr gebracht würden, es fehle aber an einer arzneimittelrechtlichen Zulassung. Schließlich habe der Kläger auch nicht einen Anspruch nach § 2 Abs. 1a Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), denn er leide nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder einer solchen, die hiermit wertungsmäßig gleichzustellen sei. Auch wenn er an einer schwerwiegenden Erkrankung mit erheblicher Beeinträchtigung seiner Lebensqualität leide, fehle es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums. Außerdem habe er die zur Verfügung stehenden Therapiealternativen nicht ausgeschöpft.

Gegen das seiner damaligen Prozessbevollmächtigten am 14. August 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. August 2013 Berufung eingelegt. Das Urteil des SG stelle eine drastische Verletzung seiner Grundrechte dar und verstoße gegen eine Reihe weiterer Gesetze. Es liege auch eine Verletzung der UN-Konvention für Behinderte vor. Die im Deckblatt des Urteils erwähnte Urkundsbeamtin sei während der Verhandlung nicht anwesend gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe das SG die Legitimation des Beklagtenvertreters nicht geprüft und im Urteilsrubrum sei der Name des Geschäftsführers der Beklagten nicht genannt worden. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung des SG entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Darüber hinaus sei es auch in der mündlichen Verhandlung zu Rechtsverletzungen und schwerwiegenden Verfahrensmängeln gekommen. Elementarste Tatbestände seien in der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen worden und sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung sei im Urteil weggelassen worden. Das SG habe faktisch eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen, ohne den Vortrag aus der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Das Schreiben des GBA sei seiner damaligen Prozessbevollmächtigten erst in der mündlichen Verhandlung übergeben worden und er habe es erst nach Ablauf des Verfahrens per Post übersandt bekommen, so dass er sich hierzu nicht habe äußern können. Im Übrigen habe er gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Er leide an mehreren verschiedenen Erkrankungen wie Epilepsie, Zustand nach einer Hirnblutung mit Tetraparese und der seltenen Stoffwechselerkrankung Porphyrie. Wegen der Spastiken könne er nur drei bis vier Schritte gehen, müsse Spezialschuhe tragen und sei ansonsten überwiegend auf einen Rollstuhl angewiesen. Darüber hinaus sei die Bewegung seiner Arme und Hände durch die Spastiken beeinträchtigt. Er behandle sowohl die heftigsten Bauchbeschwerden im Rahmen der Porphyrie als auch die Spastik der Tetraparese, die Epilepsie und seine depressiven Stimmungszustände im Rahmen seiner Erkrankungen erfolgreich mit Cannabis. Bei einer akuten Porphyrie-Attacke würden folgende Symptome auftreten: schwere, kolikartige Bauchschmerzen, die oft tagelang anhalten würden, Erbrechen und Übelkeit, Schmerzen in den Extremitäten und im Rücken, Rotfärbung des Urins, neurologische Ausfälle, die bei falscher Behandlung zum Teil irreversibel seien, Krampfanfälle, psychiatrische Symptome (Psychosen) sowie Leberschädigungen. Eine solche akute Porphyrie-Attacke erfordere initial oftmals eine intensivmedizinische Überwachung. Es bestehe außerdem die Gefahr, dass es bei der Anwendung von Opiaten zur Behandlung seiner starken Darmkrämpfe im Rahmen der Porphyrie zu einem akut lebensbedrohlichen Zustand im Sinne eines Darmverschlusses komme, wie das BfArM in dem von ihm vorgelegten Schreiben vom 15. April 2014 bestätigt habe. Es handle sich daher um eine lebensbedrohliche Erkrankung, so dass er bei einer grundrechtsorientierten Auslegung des Krankenversicherungsrechts einen Anspruch auf Versorgung mit cannabinoidhaltigen Arzneimitteln habe. Außerdem sei die verheerende Wirkung von Antiepileptika auf die Gehirnfunktion durch eine neue Studie belegt, was sich aus einem vorgelegten Bericht aus dem Internet ergebe. Darüber hinaus handle es sich bei der erblichen Porphyrie um einen sogenannten Seltenheitsfall, der sich einer systematischen Forschung entziehe. Erst recht gelte dies aufgrund der Kombination der Porphyrie mit seiner Epilepsie und der durch eine Gehirnblutung verursachten Tetraparese, wobei die Ursache der Hirnblutung einzubeziehen sei. Personen, die gleichzeitig an Epilepsie und Porphyrie litten, seien so selten, dass weltweit keine systematische Erforschung erfolgt sei und auch nicht erfolgen werde. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft der Privatdozentin Dr. We. vom 8. März 2012, wonach das Medikament Levetiracetam eines der bestverträglichsten in Deutschland zugelassenen Präparate sei, das nur in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen auslöse und die häufig auftretende Müdigkeit in der Regel nur ein Phänomen in der Eingewöhnungsphase sei, könne nicht abgeleitet werden, dass bereits wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einsatz von Antiepileptika bei bestehender Porphyrie bestünden. Zudem sei Levetiracetam am 19. Dezember 2014 vom BfArM aus dem Verkehr gezogen worden. Die von Dr. We. vorgeschlagenen Medikamente seien mit Nebenwirkungen verbunden, die es ihm unzumutbar machten, bei der Kombination der bei ihm vorliegenden Erkrankungen diese einzunehmen. Er werde genötigt, Medikamente einzunehmen, die letztendlich zum Selbstmord führten. Im Übrigen würden Studien zur positiven Wirkungsweise von Cannabis zur Behandlung von Epilepsie, Übelkeit, Erbrechen und Spastiken vorliegen. In Erfahrungsberichten habe sich gezeigt, dass Cannabisprodukte vor allem bei multisymptomatischen Erkrankungen gute Erfolge zeigten, z.B. bei Schmerzerkrankungen mit einem entzündlichen Anteil oder einem erhöhten Muskeltonus oder bei Krankheitszuständen mit Übelkeit und Appetitlosigkeit. Anerkannt sei beispielsweise die Behandlung von Spastiken bei Multipler Sklerose und bei Querschnittslähmung mit Cannabis. Hierüber würden jeweils zahlreiche Studien vorliegen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Kosten einer Behandlung des identischen Symptoms der Spastik einmal von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet würden und einmal nicht. Hierin liege ein Systemversagen. Unter diesem Aspekt habe er einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabispräparaten im Rahmen einer zulassungsüberschreitenden Anwendung ("Off-Label-Use"). Es sei ihm nicht zumutbar, zunächst alle möglichen Medikamente auszuprobieren, obwohl sich bei der Einnahme von Antiepileptika in den Jahren 1993 bis 1995 erhebliche Nebenwirkungen gezeigt hätten. Dies berge das Risiko, dass er zu einem Pflegefall werde. Die Beklagte habe bislang keine Alternativen aufgezeigt. Dass in seinem Fall die medizinische Versorgung mit Cannabis erforderlich sei, ergebe sich im Übrigen schon aus der ihm erteilten Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis, da er diese Genehmigung ansonsten nicht erhalten hätte. Die ihm vorgeschlagenen Medikamente der Schulmedizin seien größtenteils tödlich bzw. suizidfördernd, was sich aus den Warnhinweisen ergebe. Eine Tante und ein Onkel seien aufgrund einer Porphyrieerkrankung vorzeitig gestorben. Das ihm über eine Dauer von einem Jahr verabreichte Tegretal sei bereits zum Zeitpunkt seiner Behandlung als gefährlich und Porphyrie auslösend bekannt gewesen, wie schon aus dem Beipackzettel ersichtlich gewesen sei. Seine ihn damals behandelnde Ärztin habe eine falsche Diagnose gestellt. Hierauf sei das SG im Urteil nicht eingegangen. Es sei ihm nicht zumutbar, sämtliche zur Verfügung stehenden Antiepileptika unter Inkaufnahme stärkster Nebenwirkungen und notstandsähnlicher Situationen nochmals auszuprobieren. Klarzustellen sei, dass für ihn Extrakte aus der Cannabis-Pflanze völlig ungeeignet seien, da es sich hierbei um in Alkohol gelöste Wirkstoffe handle, die bei ihm aufgrund seiner Porphyrie erhebliche Nebenwirkungen auslösten. Es könne nicht zutreffen, dass es zu Cannabis als Medizin keine ausreichenden Studien gebe, da synthetisierte Cannabis-Arzneimittel auf dem deutschen Arzneimittelmarkt zugelassen seien und Zulassungen ohne entsprechende Nachweise nicht erteilt worden wären. Im Übrigen sei die Diskussion über das Vorliegen von allgemeingültigen Studien aufgrund seiner Erlaubnis, Cannabis für die bei ihm vorliegenden Symptome als Therapie einzusetzen, überflüssig. Soweit das SG ausgeführt habe, es fehlten jegliche nachgeprüften bzw. nachprüfbaren Behandlungsergebnisse, sei diese Aussage unlogisch und widersprüchlich, da gleichzeitig Fragen der Existenz, der inhaltlichen Aussage und des Wahrheitsgehaltes aufgeworfen würden. Entgegen den Ausführungen des SG gehe es auch nicht darum, ob die Epilepsie eine seltene Erkrankung sei, sondern um die seltene und besondere Behandlungsproblematik aufgrund seiner Porphyrie. Die Problematik werde besonders dadurch deutlich, dass diese Erkrankung bei ihm erst nach 30 Jahren schwerster Leidenserfahrungen diagnostiziert worden sei. Dass ein Systemversagen der gesetzlichen Krankenversicherung vorliege, ergebe sich schon daraus, dass ein Cannabis-Präparat namens Sativex, ein synthetisches THC-Fertigarzneimittel, das hochprozentige Alkohole enthalte, für Patienten, die an Multipler Sklerose leiden, zugelassen und auf Betäubungsmittelrezept verordnungsfähig sei. Für die Behandlung anderer Erkrankungen außerhalb der zugelassenen Indikation sei eine Verordnung im Rahmen des "Off-Label-Use" möglich. Darüber hinaus seien ihm in der Vergangenheit trotz fehlender Studien die Fertigarzneimittel Dronabinol und Marinol finanziert worden. Eine Diskriminierung von gesetzlich Krankenversicherten gegenüber privat Krankenversicherten sei aufgrund fehlender Arzneimittelstudien zu vermuten. Er verwahre sich strikt dagegen, als abhängig oder süchtig dargestellt zu werden. Der Kläger hat ein Schreiben des GBA vom 10. Oktober 2013 vorgelegt, in dem dieser u.a. ausführt, es bestehe in Deutschland ein Cannabis-haltiges Fertigarzneimittel namens Sativex, das für die Zusatzbehandlung bei mittelschwerer bis schwerer Spastik, hervorgerufen durch eine Erkrankung des Nervensystems (Multiple Sklerose) zugelassen sei. Für andere Anwendungsgebiete sei es nicht zugelassen. Der Kläger hat ferner ein Schreiben des BfArM vom 6. November 2013 vorgelegt, wonach durch die erteilte Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG bestätigt werde, dass in seinem Einzelfall die medizinische Versorgung mit Cannabis erforderlich sei, wobei es nicht befugt sei, Anträge auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungsträger zu bescheiden oder diesbezügliche Empfehlungen auszusprechen. Durch den Kauf der Medizinal-Cannabisblüten entstünden ihm durchschnittlich Kosten von EUR 18,00 pro Tag; abhängig von seinem Gesundheitszustand könnten in einzelnen Monaten auch Kosten bis zu EUR 730,00 anfallen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juli 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2010 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm die seit Mai 2009 entstandenen Kosten für die Behandlung mit Medizinal-Cannabisblüten in Höhe von EUR 4.524,27 zu erstatten und ihn zukünftig mit Medizinal-Cannabisblüten zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Anspruch des Klägers scheitere schon an einer arzneimittelrechtlichen Zulassung. Lediglich in den USA sei der Hauptwirkstoff von Cannabis unter dem Handelsnamen Dronabinol als Fertigarzneimittel zur Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Therapie der Kachexie und Appetitstimulation von Aidspatienten zugelassen. Weder in Deutschland noch europaweit gebe es hingegen eine Zulassung für ein cannabinoidhaltiges Fertigarzneimittel. Arzneimittelzulassungen im Ausland entfalteten keine Rechtswirkung in Deutschland. Der Kläger könne auch keine cannabinoidhaltigen Rezepturarzneimittel beanspruchen. Denn insoweit handle es sich um eine neuartige Therapie, für die es an einer Empfehlung des GBA fehle. Es handle sich um ein Behandlungsverfahren, das nicht ausreichend erprobt sei. Es liege auch weder ein Seltenheitsfall noch ein Systemversagen vor, noch würden die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - in juris) vorliegen, wie das SG zutreffend ausgeführt habe. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass das Universitätsklinikum T. dem Kläger zwei Medikamente genannt habe, die geeignet seien. Die fortgesetzte Weigerung des Klägers, seit 1993 alternative Medikamente zu versuchen, könne ihr (der Beklagten) nicht angelastet werden. Außerdem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass beim Kläger bereits im Jahr 2005 ein Abhängigkeitssyndrom durch Opiate diagnostiziert worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, denn der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von EUR 750,00 ist überschritten. Der Kläger begehrt Kostenerstattung in Höhe von EUR 4.524,27. Außerdem begehrt er Leistungen seit Mai 2009 und damit für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2010. Zwar hat es die Beklagte bereits zuvor mit Bescheid vom 20. Mai 2009 abgelehnt, den Kläger mit Medizinal-Cannabisblüten zu versorgen. Der Bescheid vom 20. Mai 2009 ist aber nicht mehr wirksam, weil er auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Denn mit dem Bescheid vom 15. Juni 2010 hat die Beklagte eine neue sachliche Entscheidung im Sinne eines sogenannten Zweitbescheides erteilt, der den Klageweg (neu) eröffnet (vgl. BSG, Urteile vom 23. März 1999 - B 2 U 8/98 R - und vom 12. Dezember 1991 - 7 RAr 26/90 -, beide in juris; Beschluss des Senats vom 5. März 2010 - L 4 KR 2339/09 -, nicht veröffentlicht).

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

a) Verfahrensmängel, die zur Aufhebung des Urteils des SG führen könnten, liegen nicht vor.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel ist nur dann wesentlich, wenn das Urteil des SG auf ihm beruhen kann. Nicht wesentlich ist ein Verfahrensfehler, wenn dieser geheilt werden kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 159 Rn. 3a).

aa) Entgegen der Ansicht des Klägers, ist die in der SG-Akte befindliche Urschrift des Urteils des SG entsprechend § 134 Abs. 1 SGG vom Vorsitzenden unterschrieben. Die Ausfertigungen des Urteils sind nicht vom Vorsitzenden, sondern nach § 137 Satz 1 SGG vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben. Die Ausfertigung muss dabei den Namen des unterzeichnenden Richters ausweisen (Keller, a.a.O, § 137 Rn. 4). Sollte letzteres nicht geschehen sein, wäre dieser Mangel durch Zustellung einer fehlerfreien (vom Urkundsbeamten unterschriebenen und mit dem Namens des unterzeichnenden Richters versehenen) Ausfertigung heilbar. Das Urteil des SG kann hierauf nicht beruhen.

bb) Die im Rubrum des Urteils unterbliebene namentliche Benennung des gesetzlichen Vertreters der Beklagten stellt jedenfalls keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar, da das Urteil nicht darauf beruhen kann (Keller, a.a.O., § 136 Rn. 2).

cc) Dass das SG zur mündlichen Verhandlung keinen Urkundsbeamten hinzugezogen hat, stellt entgegen der Ansicht des Klägers keinen Verfahrensmangel dar, da § 122 SGG i.V.m. § 159 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten grundsätzlich nicht vorsieht, sondern diese in das Ermessen des Gerichts stellt. Die Urteilsausfertigungen sind jedoch, wie vorstehend dargelegt, vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben.

dd) Auch die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ist nicht verfahrensfehlerhaft. Der Zusatz "vorgelesen und genehmigt" bezieht sich ausschließlich auf die von den Beteiligten gestellten Anträge. Nach § 122 SGG i.V.m. 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers den in der Niederschrift aufgenommenen Antrag tatsächlich gestellt und nach Vorlesen durch den Vorsitzenden genehmigt hat, zumal sie denselben Antrag bereits zuvor mit Schriftsatz vom 24. Juli 2013 gestellt hatte. Dass der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bevollmächtigt war, für die Beklagte aufzutreten, ist ebenfalls durch den Inhalt des Protokolls nachgewiesen, wonach Generalterminsvollmacht vorlag.

ee) Ob das SG das Recht des Klägers nach § 62 SGG auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat, weil es das Schreiben des GBA vom 17. Juli 2013 seiner damaligen Prozessbevollmächtigen erst in der mündlichen Verhandlung überreicht hat, oder weil es auf den Vortrag des Klägers möglicherweise nicht in ausreichendem Maß eingegangen ist, kann der Senat dahinstehen lassen. Denn eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wird dadurch geheilt, dass der Kläger im Berufungsverfahren die Möglichkeit hat, sich ausreichend zu äußern (Keller, a.a.O., § 62 Rn. 11e), wovon der Kläger auch umfassend Gebrauch gemacht hat.

b) Auch in der Sache ist die Berufung nicht begründet. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2010 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen (Sachleistungs-)Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten und damit auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beschaffung von Medizinal-Cannabisblüten in der Vergangenheit (zum Folgenden vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 15. April 2011 - L 4 KR 4903/10 - in juris, betreffend Dronabinol).

aa) Da mangels entsprechender Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Kläger nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, ist, soweit er die Erstattung von ihm aufgewendeter Kosten für die Beschaffung von Medizinal-Cannabisblüten begehrt, Anspruchsgrundlage § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Die Regelung bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 8/12 R - in juris).

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Bezüglich der Arzneimittel ist zu differenzieren zwischen zulassungspflichtigen Fertigarzneimitteln und zulassungsfreien Rezepturarzneimitteln.

Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an Endverbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]). Sie bedürfen nach § 21 AMG grundsätzlich der Zulassung durch die dafür zuständige Behörde. Verfügt ein Fertigarzneimittel nicht über die nach dem deutschen Arzneimittelrecht notwendige Zulassung bzw. in der seit 23. Juli 2009 geltenden Fassung des Gesetzes vom 17. Juli 2009 alternativ der europarechtlichen Genehmigung, fehlt es (schon deshalb) an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung im Sinne der §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V. Das nicht zugelassene Fertigarzneimittel gehört von vornherein nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSG, Urteile vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R -, 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R - und 2. September 2014 - B 1 KR 11/13 R -, alle in juris; Urteile des erkennenden Senats vom 15. April 2011 - L 4 KR 4903/10 - in juris und vom 19. Mai 2010 - L 4 KR 5085/08 - nicht veröffentlicht). Eine etwaige Zulassung oder Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels im Ausland ändert daran nichts. Unbeschadet der Möglichkeit, ausländische Zulassungsentscheidungen zu übernehmen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 AMG) und unbeschadet spezieller europarechtlicher Gemeinschaftsverfahren im Arzneimittelbereich führt dies nur dazu, dass das Arzneimittel importiert und ärztlich verordnet werden darf (§ 73 Abs. 3 AMG); die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen wird dadurch nicht begründet (vgl. hierzu Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. August 2006 - L 5 KR 281/06 - in juris, m.w.N.; nachgehend BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R - und 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R - a.a.O.).

Für zulassungsfreie Rezepturarzneimittel ist das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu beachten. Nach Nr. 1 dieser Vorschrift dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Die Verordnung als Rezepturarzneimittel ist - wie der Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG - unter Beachtung des BtMG zwar betäubungsmittelrechtlich zulässig. Neuartige Therapien mit einem Rezepturarzneimittel, die vom GBA nicht empfohlen sind, dürfen die Krankenkassen jedoch grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R - a.a.O.; Urteil des Senats vom 15. April 2011 - L 4 KR 4903/10 - a.a.O.).

bb) Von diesen rechtlichen Vorgaben ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten durch die Beklagte und damit auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm in der Vergangenheit für die Anschaffung von Medizinal-Cannabisblüten entstanden sind.

(1.) Ein ausschließlich Medizinal-Cannabisblüten enthaltendes Fertigarzneimittel kann der Kläger nicht beanspruchen, da kein solches Fertigarzneimittel existiert, das über die nach dem deutschen Arzneimittelrecht notwendige Zulassung verfügt und deshalb - wie ausgeführt - zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehört. Zwar führt der Kläger zutreffend aus, dass das Cannabis enthaltende Fertigarzneimittel Sativex zugelassen ist. Jedoch ist die Zulassung beschränkt auf die Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik, hervorgerufen durch eine Erkrankung des Nervensystems (Multiple Sklerose), die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies entnimmt der Senat dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des GBA vom 10. Oktober 2013 und der Fachinformation des Vertreibers (Stand: Mai 2011, einzusehen unter: www.cannabis-med.org/german/sativex.pdf). Für die Behandlung der beim Kläger vorliegenden Epilepsie ist es hingegen nicht zugelassen. Im Übrigen handelt es sich bei Sativex zwar um ein Fertigarzneimittel, das Cannabis enthält, jedoch nicht um die vom Kläger begehrten (naturbelassenen) Medizinal-Cannabisblüten. Sativex ist ein Extrakt, welches unter anderem Alkohol enthält, wie sich ebenfalls der Fachinformation des Vertreibers entnehmen lässt, so dass es für den Kläger nicht geeignet ist. Damit existiert kein in Deutschland zugelassenes Fertigarzneimittel, das lediglich die vom Kläger begehrten (naturbelassenen) Medizinal-Cannabisblüten enthält. Mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung scheidet auch ein sog. "Off-Label-Use", also die zulassungsüberschreitende Anwendung, von vornherein aus (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R - a.a.O.). Eine Versorgung mit Sativex begehrt der Kläger nicht.

(2.) Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, dem Kläger Medizinal-Cannabisblüten in Form eines Rezepturarzneimittels als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Denn insoweit fehlt es an der nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderlichen befürwortenden Entscheidung des GBA (Schreiben des GBA vom 17. Juli 2013), ohne die - wie ebenfalls bereits ausgeführt - neue Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht gewährt werden können.

Auf die Empfehlung des GBA kann auch nicht deshalb verzichtet werden, weil Dr. C. und Dr. Ha. die Behandlung befürworten und empfehlen. Dies allein vermag die Empfehlung des GBA nicht zu ersetzen. Auch aus dem Umstand, dass der Kläger über eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG verfügt, wodurch das BfArM bestätigt hat, dass die medizinische Versorgung mit Cannabis im Einzelfall erforderlich ist (Schreiben des BfArM vom 6. November 2013), folgt nichts anderes. Diese Ausnahmeerlaubnis ersetzt nicht die vom GBA nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu treffende Empfehlung, welche Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist. So hat auch das BfArM in seinem Schreiben vom 6. November 2013 zutreffend ausgeführt, dass es nicht befugt ist, über Leistungsansprüche gegenüber gesetzlichen Krankenkassen zu entscheiden oder hierzu Empfehlungen abzugeben.

(3.) Der Kläger hat auch nicht deshalb einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm Medizinal-Cannabisblüten als Sachleistung zur Verfügung stellt, weil ein Ausnahmefall des so genannten Seltenheitsfalls oder des sogenannten Systemversagens vorliegt. Der sogenannte Seltenheitsfall ist gegeben bei einer Krankheit, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 8. September 2009 - B 1 KR 1/09 R - und 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R - beide in juris). Ein Systemversagen ist zu bejahen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss dann die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 44/12 R - in juris und Urteil vom 27. März 2007- B 1 KR 30/06 R - a.a.O.). Hier liegen beide Ausnahmefälle nicht vor. Weder die Epilepsie noch die beim Kläger vorliegende (akute intermittierende) Porphyrie sind weltweit so selten, dass sie weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden können. Insbesondere zur Porphyrie bestehen hinsichtlich des klinischen Bildes, der charakteristischen Symptome, des diagnostischen Vorgehens und der Therapie in Fachkreisen ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie sich den Angaben aller behandelnden Ärzte entnehmen lässt (vgl. auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl. 2014, S. 1711 f., und die Ausführungen von Prof. Dr. X. in dem von Dr. Ha. im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Internetausdruck vom 29. Juni 2010 [www.doss-porphyrie.de/akut.html]). Man unterscheidet die erythrohepatische bzw. erythropoetische Porphyrie von der hepatischen Porphyrie, welche wiederum verschiedene Unterformen hat, zu denen die beim Kläger vorliegende akute intermittierende Porphyrie gehört. Typische Symptome der akuten intermittierenden Porphyrie, die in unregelmäßigen Abständen und mit unterschiedlicher Frequenz auftreten, sind Bauchschmerzen (häufig ohne abdominale Abwehrspannung), Polyneuropathie mit Lähmungen und Sensibilitätsstörungen, Bewusstseinsstörung bei Beteiligung des Zentralen Nervensystems, zerebrale Anfälle und eventuell Psychose. Akute Attacken, welche Tage bis Monate andauern können und meist vollständig reversibel sind, werden z.B. durch Barbiturate, orale Kontrazeptiva, bestimmte Antiepileptika, Sulfonamide, Alkohol, Infektionen, u.a. ausgelöst. Zu den Therapien gehören das Ausschalten exogener Noxen und die Infusion von Glukose bzw. Hämatin (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl. 2014, S. 1711). Zum Krankheitsbild der Porphyrie liegen demnach bereits umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Ein Seltenheitsfall ist auch nicht deshalb gegeben, weil beim Kläger eine Porphyrie und eine Epilepsie in Kombination vorliegen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die medikamentöse Behandlung der Epilepsie des Klägers gerade wegen der bei ihm gleichzeitig vorliegenden Porphyrie besondere Schwierigkeiten bereitet, weil nicht jedes wirksame Antiepileptikum eingesetzt werden kann. Dies führt jedoch nicht zur Annahme eines Seltenheitsfalles im vorstehend beschriebenen Sinn. Denn gerade diese Problematik ist einer systematischen Erforschung und Behandlung nicht entzogen. Dies stützt der Senat auf die Angaben von Privatdozentin Dr. We. in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 8. März 2012 und ihrem Schreiben an den Kläger vom 28. Dezember 2010, wonach u.a. das Medikament Levetiracetam eines der bestverträglichsten in Deutschland zugelassenen Präparate ist, das nur in seltenen Fällen Nebenwirkungen auslöst und die häufig auftretende Müdigkeit in der Regel nur ein Phänomen in der Eingewöhnungsphase ist. Hieraus ist abzuleiten, dass bereits wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einsatz von Antiepileptika bei bestehender Porphyrie bestehen. Der Umstand, dass das BfArM hinsichtlich des Arzneimittels Levetiracetam beta im Dezember 2014 das Ruhen der Zulassung angeordnet hat, stellt dies nicht in Frage. Betroffen ist hiervon nur dieses Generikum. Anhaltspunkte dafür, dass sich die antragsberechtigten Stellen (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Kassenärztliche Vereinigung oder Spitzenverband der Krankenkassen) oder der GBA aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen mit der Materie nicht oder zögerlich befasst haben, sind nicht ersichtlich. Es gibt keine aktuellen Studien zur Wirksamkeit und zu Risiken der Behandlung der Epilepsie mit Cannabinoiden, wie der Senat dem Gutachten des Dr. Bi. vom 20. Mai 2010, der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. Ha. vom 4. April 2012 und der Auskunft des GBA vom 17. Juli 2013 entnimmt. Der Behandlung fehlt damit (noch) die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung. Deshalb ist in Würdigung der gesetzlichen Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit der Leistungen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) kein Raum für die Annahme, es liege ein Systemversagen vor.

(4.) Ein Leistungsanspruch des Klägers lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - in juris) sowie seit 1. Januar 2012 aufgrund des zu diesem Zeitpunkt mit Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2011 (BGBl I, S. 2983) eingefügten § 2 Abs. 1a SGB V, mit dem der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - alle in juris) umgesetzt hat, begründen. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R -; BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13 -, beide in juris). Das BSG hat insoweit weiter ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des "Off-Label-Use" formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - siehe auch BSG, Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R - beide in juris).

Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung für einen "Off-Label-Use" sind hoch. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Auch ein "Off-Label-Use" bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenkassen an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (so zum Ganzen BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - in juris und ausführlich BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - a.a.O., mit zahlreichen Nachweisen; die Verfassungsbeschwerde gegen das letztere Urteil hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen: Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 30. Juni 2008 - 1 BvR 1665/07 -, in juris). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.) z. B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R - in juris), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006 - B 1 KR 16/06 B - nicht veröffentlicht) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - a.a.O.). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - a.a.O.).

Eine solche notstandsähnliche Situation ist im vorliegenden Fall des Klägers nicht gegeben. Weder die Epilepsie noch die Porphyrie des Klägers stellen akut lebensbedrohliche Erkrankungen dar. Die potentielle Gefahr, dass durch eine Porphyrie-Attacke möglicherweise ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten kann, genügt für die Annahme einer Notstandssituation im vorstehend beschriebenen Sinn nicht. Jedenfalls scheitert ein Anspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V aber daran, dass - wie vorstehend dargelegt - zur Behandlung der Epilepsie auch unter Berücksichtigung der beim Kläger zusätzlich vorliegenden Porphyrie u.a. in Form des Medikaments Levetiracetam eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Dem Kläger ist es trotz seiner negativen Erfahrungen in der Vergangenheit zuzumuten, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Leistungen auszuschöpfen, wobei insbesondere auch eine medikamentöse Eindosierung unter stationären Bedingungen in Betracht kommt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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