L 8 AL 192/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 1307/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 192/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 14/15 B - Rücknahme
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2014 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beklagte hatte durch bestandskräftig gewordene Bescheide vom 26. Mai und 11. November 2003 Erstattungsforderungen betreffend Arbeitslosenhilfe in Höhe von insgesamt 1.098,70 EUR festgesetzt (durch den erstgenannten Bescheid in Höhe von 802,50 EUR betreffend den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. April 2003, durch den zweitgenannten in Höhe von 296,20 EUR betreffend den Zeitraum 1. Mai bis 30. Oktober 2003). Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens räumte die Beklagte der Klägerin im August 2006 eine Stundung der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Gesamtforderung (einschließlich Mahngebühren) von 964,45 EUR in Gestalt der Zahlung monatlicher Raten von 10,- EUR ein. Mit Schreiben vom 16. August 2010 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung der Restforderung aus dem Bescheid vom 26. Mai 2003 von 534,45 EUR auf, nachdem keine Zahlungen mehr von der Klägerin geleistet worden waren. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2011 mahnte sie die Zahlung der Forderung nochmals an und setzte zugleich Mahngebühren in Höhe von 2,95 EUR fest (Gesamtforderung 537,40 EUR).

Nachdem die Klägerin auch darauf keine Zahlungen geleistet hatte, verfügte die Beklagte die Vollstreckung durch das Hauptzollamt Berlin (im folgenden: Vollstreckungsbehörde). Dieses kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 7. Januar 2014 die Vollstreckung an. Gegenüber der Vollstreckungsbehörde machte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Januar 2014 geltend, dass sie zu der geforderten Zahlung nicht verpflichtet sei, weil sie die Überzahlung von Leistungen nicht verschuldet habe. Die Vollstreckungsbehörde teilte der Klägerin darauf hin mit, dass die Vollstreckungsankündigung keinen Verwaltungsakt darstelle und deshalb nicht isoliert anfechtbar sei. Sie beende die Vollstreckung vorerst und leite das Schreiben vom 11. Januar 2014 an die Beklagte weiter.

Durch Widerspruchsbescheid vom 8. April 2014 verwarf die Beklagte den Widerspruch gegen die Vollstreckungsankündigung als unzulässig.

Mit ihrer gegen den Widerspruchsbescheid erhobenen Klage vor dem Sozialgericht hat die Klägerin weiter die Auffassung vertreten, dass die Forderung der Beklagten rechtswidrig sei.

Durch Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, soweit die Klägerin den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu Fall bringen wolle. Dies könne nur im Weg des Überprüfungsverfahrens geschehen, für das die Beklagte zuständig sei. Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 8. April 2014 sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte habe die Rechtslage zutreffend dargestellt. Eine Vollstreckungsankündigung stelle keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Der letzte Satz der Entscheidungsgründe lautete: "Gründe für die Zulassung der nach dem Streitwert von unter 750 EUR ausgeschlossenen Berufung liegen nicht vor", die Rechtsmittelbelehrung ging hingegen dahin, dass eine Berufung zulässig sei.

Mit ihrer Berufung gegen den Gerichtsbescheid vertritt die Klägerin weiter die Auffassung, dass die von der Beklagten geltend gemachte Forderung rechtswidrig sei. An der Berufung hat die Klägerin auch festgehalten, nachdem sie durch den Senat darauf hingewiesen worden war, dass das Rechtsmittel entgegen der Rechtsmittelbelehrung unzulässig ist.

Die Klägerin beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2014 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 8. April 2014 aufzuheben und der Beklagten die weitere Vollstreckung aus dem Bescheid vom 26. Mai 2003 zu untersagen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgang der Beklagten betreffend die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 26. Mai und 11. November 2003 lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor.

II.

Die Berufung ist nicht statthaft und war deshalb zu verwerfen (§ 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Das gilt gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Die Berufung war danach ohne Zulassung durch das Sozialgericht nicht statthaft. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG liegen nicht vor, weil der angefochtene Verwaltungsakt vom 8. April 2014 nur eine Forderung der Beklagten in Höhe von 537,40 EUR betrifft. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegen unabhängig davon nicht vor, auf welchen Zeitraum sich die noch offene Forderung der Beklagten bezieht. Denn eine Erstattungsforderung stellt keine wiederkehrende oder laufende "Leistung" im Sinne des Gesetzes dar (s. zu dem Begriff Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 4 RA 39/02 R - in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 3-1500 § 144 Nr. 18, unter 1b der Entscheidungsgründe).

Der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts, dass die Berufung zulässig sei, stellt keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung dar (BSG wie eben, unter 2 der Entscheidungsgründe).

Die von der Klägerin eingelegte Berufung kann auch nicht in das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) umgedeutet werden. Sie hatte sich trotz des Hinweises der Senatsvorsitzenden auf die Unzulässigkeit dieses Rechtsmittels auf die Berufung festgelegt, weshalb kein Raum für eine Umdeutung bleibt (s. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr. 3).

Der Senat hat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die unzulässige Berufung ohne mündliche Verhandlung mittels Beschluss zu verwerfen (§ 158 Satz 2 SGG). Die entscheidungserhebliche Sachlage ist nicht weiter aufklärungsbedürftig und die anzuwendenden Rechtsvorschriften weisen keine Fragen auf, die eine mündliche Erörterung erforderten. Eine Entscheidung nach mündlicher Verhandlung ist auch nicht zur Wahrung des Gebots des fairen und effektiven Rechtsschutzes und des Rechts auf rechtliches Gehör geboten, nachdem das Sozialgericht bereits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden hatte (s. in diesem Zusammenhang BSG, Beschluss vom 8. April 2014 - B 8 SO 22/14 B - SozR 4-1500 § 158 Nr. 7). Das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) begründet keinen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, vielmehr ist es die Entscheidung des Gesetzgebers, auf welche Weise rechtliches Gehör zu gewähren ist (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 - Neue Juristische Wochenschrift 2014, 2563). Wenn § 158 Satz 2 SGG es unabhängig davon, auf welche Weise erstinstanzlich über das Klagebegehren entschieden worden ist (Urteil oder Gerichtsbescheid), in das Ermessen des Landessozialgerichts stellt, über eine Berufung im Beschlussweg zu entscheiden, dann folgt daraus, dass allein der Umstand, dass erstinstanzlich ohne mündliche Verhandlung entschieden worden ist, noch nicht zwangsläufig zur Folge hat, dass über das eingelegte Rechtsmittel nur nach mündlicher Verhandlung entschieden werden darf. Eine mündliche Verhandlung war im vorliegenden Fall deshalb verzichtbar, weil die Klägerin ausreichend Gelegenheit hatte, sich schriftlich dazu zu äußern, dass die Berufung unzulässig ist und das Landessozialgericht sich deshalb nicht mit ihrem Anliegen in der Sache befassen kann. Sie hat diese Gelegenheit auch genutzt. Es gab deshalb keinen Anlass, ihr nochmals im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Gelegenheit zu geben, sich zu diesem Punkt zu äußern, der dazu führt, dass die Berufung offensichtlich aussichtslos ist. Dies gilt noch umso mehr, als die Klägerin angesichts der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts derzeit noch nicht das Recht verloren hat, die von Gesetzes wegen zulässigen Rechtsbehelfe (Antrag auf mündliche Verhandlung, § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG, Nichtzulassungsbeschwerde, § 145 SGG) zu erheben.

Der Senat war auch nicht wegen der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verpflichtet, sein Ermessen dahingehend auszuüben, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Verzichtbar ist eine mündliche Verhandlung auch nach der EMRK etwa dann, wenn sich die aufgeworfenen Fragen allein nach den Verfahrensakten angemessen entscheiden lassen, das Rechtsmittel offensichtlich aussichtslos ist oder die Notwendigkeit besteht, den Geschäftsanfall zu bewältigen und innerhalb angemessener Zeit zu entscheiden (s. auch dazu Bundesverfassungsgericht wie eben). All diese Punkte führen vielmehr im vorliegenden Fall dazu, dass eine mündliche Verhandlung vor einer Entscheidung über die unzulässige Berufung entbehrlich ist.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 158 Satz 3 i.V. mit § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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