L 3 AS 359/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AS 3296/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 359/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wenn für den Empfänger einer Willenserklärung unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (Anschluss an BAG, Urteil vom 22. März 2012 - 2 AZR 224/11).
2. Der Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Verwaltungsaktes ist ohne Bedeutung, weil die hier maßgebenden Fristenregelungen (§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG i. V. m. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X) allein auf den Zugangszeitpunkt abstellen.
3. Ein Rechtsirrtum im Sinne von § 67 Abs. 1 SGG kann nur dann unverschuldet sein, wenn der Beteiligte ihn auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte. Auf Grund dessen ist der Adressat eines Verwaltungsaktes oder einer Gerichtsentscheidung gehalten, die Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung
zu beachten (Anschluss an BSG, Beschluss vom 9. September 1988 – 1 BA 115/88).
I. Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 22. März 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte den Klägern nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Klage.

Die Kläger bezogen seit Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) von der Arbeitsgemeinschaft L L (im Folgenden: ARGE), der Vorgängerin des Beklagten.

Auf Antrag der Kläger bewilligte die ARGE ihnen mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis zum 28. Februar 2007 in Höhe von monatlich 723,90 EUR und für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis zum 31. Mai 2007 in Höhe von monatlich 554,90 EUR. Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 2007 Widerspruch ein, der mit dem Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusatz W 1870/07) als unzulässig verworfen wurde.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2007 bewilligte die ARGE den Klägern Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 30. November 2007. Mit Bescheid vom 26. Juli 2007 hob die ARGE die Leistungsbewilligung mit Wirkung zum 1. September 2007 wegen Wegfalls der Bedürftigkeit auf. Gegen den Bewilligungsbescheid vom 19. Juni 2007 erhoben die Kläger am 27. Juni 2007 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusatz W 2254/07) als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 8. Oktober 2007 bewilligte die ARGE den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. November 2007 in Höhe von monatlich 198,25 EUR sowie mit Bescheid vom 9. Oktober 2007 Leistungen vom 1. Dezember 2007 bis zum 29. Februar 2008 in Höhe von monatlich 198,25 EUR und für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis zum 31. Mai 2008 in Höhe von monatlich 28,25 EUR. Gegen die Bescheide vom 8. und 9. Oktober 2007 legten die Kläger mit Schreiben vom 17. Oktober 2007 Widerspruch ein. Diese Widersprüche wies die ARGE mit Widerspruchsbescheiden vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusätze W 3874/07 und W 3875/07) als unbegründet zurück.

Die Klägerin zu 1 hat gegen die Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusätze W 1870/07, W 3874/07, W 3875/07, W 2254/07) Klage erhoben. Der Klageschriftsatz ist datiert vom 20. August 2008 und ist per Telefax am 29. August 2008 beim Sozialgericht Leipzig eingegangen. Er ist überschrieben mit: "Klageerhebung zu den Widersprüchen der Arbeitsgemeinschaft L L vom 3. Juli 2008 (Eingang 22.07.2008) Geschäftszeichen: 970-BG-Nr.: 07506BG0021196-W 1870/07, W 3874/07, W 3875/07, W 2254/07) [ ]" Die Klägerin zu 1 hat darin mitgeteilt, dass sie "vom 16.07.2008 – 05.08.2008 im Urlaub war (Usedom) – Beleg kann Ihnen nachgereicht werden, und somit erst am 06.08.2008 Kenntnis der o.g. Widersprüche erlangt [ ]" habe.

Das Sozialgericht hat zunächst vier Klagen angelegt (Az. S 9 AS 3294/08, S 9 AS 3594/08, S 9 AS 3595/08 und S 25 AS 3596/08), diese dann aber nach einem Kammerwechsel mit Beschluss vom 1. Juni 2010 verbunden und unter dem Az. S 26 AS 3294/08 fortgeführt.

Mit Schriftsätzen vom 10. Mai 2010, 1. Juni 2010 und 21. Februar 2011 hat das Sozialgericht die Klägerin zu 1 darauf hingewiesen, dass die Klagefrist nicht eingehalten sein dürfte. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich beziehungsweise nicht glaubhaft gemacht. Es werde auf die Möglichkeit eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) hingewiesen.

Die Klägerin zu 1 hat hierzu mitgeteilt, dass sie sich im Juli/August 2008 im Urlaub befunden habe, und hat im Übrigen in der Sache vorgetragen. Des Weiteren hat sie nach Hinweis des Gerichts eine Vollmacht ihres Ehemannes zur Klageerhebung eingereicht.

Am 21. Februar 2011 hat das Sozialgericht den Ehemann der Klägerin zu 1 sowie die beiden minderjährigen Kinder als weitere Kläger aufgenommen.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2011 die Klage abgewiesen. Diese sei unzulässig, weil die einmonatige Klagefrist nicht gewahrt sei. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich.

Gegen den ihnen am 25. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 26. April 2011 Berufung eingelegt. Der Beklagte sei in keinster Weise auf die ihm vorgehaltene Falschberechnung eingegangen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 22. März 2011 aufzuheben und unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 6. Dezember 2006, des Bescheides vom 19. Juni 2007 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. Juli 2007 und vom 8. Oktober 2007 sowie des Bescheides vom 9. Oktober 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. November 2007, alle in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusätze W 1870/07, W 2254/07, W 3874/07 und W 3875/07), höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, weil sie hierauf in der Ladung hingewiesen worden sind (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II. Die Berufung ist statthaft, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Ein Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (vgl. § 105 Abs. 3 Halbsatz 1 SGG).

Ausweislich der Postzustellurkunde wurde der Gerichtsbescheid vom 22. März 2011 durch Einlegen in dem zur Wohnung gehörenden Briefkasten der Kläger am 25. März 2011 zugestellt. Gemäß § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Somit begann vorliegend die Frist am 26. März 2011. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG endet eine nach Tagen bestimmte Frist mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Dies war hier der 25. April 2011. Da der 25. April 2011 jedoch ein Ostermontag, das heißt ein gesetzlicher Feiertag (vgl. 1 Abs. 1 des Gesetzes über Sonn- und Feiertage im Freistaat Sachsen [SächsSFG] vom 10. November 1992 [SächsGVBl. 536]) war, endete die Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 3 SGG mit Ablauf des nächsten Werktags, das heißt am 26. April 2011. Da der Berufungsschriftsatz vom 18. April 2011 am 26. April 2011 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen ist, ist die Berufungsfrist gewahrt.

III. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2011 die Klage abgewiesen, weil die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG nicht eingehalten gewesen ist.

Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen und von einer weiteren, ausführlichen Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend wird angemerkt:

1. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass mit den am 29. August 2008 erhobenen Klagen gegen die Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2008 (Az.-Zusätze W 187/07, W 3874/07, W 3875/07 und W 2254/07) die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht gewahrt ist.

a) Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Frist beginnt, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (vgl. § 87 Abs. 2 SGG). Die in Streit stehenden Widerspruchsbescheide wurden sämtlichst, wie jeweils auf der Vorderseite der in der Akte des Beklagten befindlichen Exemplare vermerkt, am 4. Juli 2008 zur Post gegeben. Nach der gesetzlichen Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dritter Tag im Sinne dieser Regelung ist hier, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, der 7. Juli 2008. Nach Maßgabe von § 64 SGG begann damit die einmonatige Klagefrist am 8. Juli 2008 und endete am 7. August 2008, einem Donnerstag.

b) Die einmonatige Klagefrist war vorliegend auch nicht ausnahmsweise unbeachtlich. Zwar beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist, ist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Die zuletzt genannte Ausnahmeregelung ist vorliegend jedoch nicht anzuwenden, weil die den Widerspruchsbescheiden beigegebenen Rechtsbehelfsbelehrungen den Vorgaben aus § 66 Abs. 1 SGG entsprachen.

2. Soweit die Kläger in der Klageschrift vorgetragen haben, die Widerspruchsbescheide seien ihnen, entgegen der oben berechneten gesetzlichen Zugangsfiktion, erst am 22. Juli 2008 zugegangen, und sie hätten erst am 6. August 2008 von den Widerspruchsschreiben Kenntnis erlangt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.

a) In Bezug auf die Regelung über die Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X enthält zwar § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X eine Ausnahmeregelung. Danach gilt die Zugangsfiktion nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Ob Zweifel in diesem Sinne bereits bestehen, wenn der Adressat des Verwaltungsaktes, dessen späteren Zugang er behauptet, den früheren, fingierten Zugang schlicht bestreitet, oder ob der Adressat für solche Zweifel den früheren Zugang substantiiert bestreiten muss, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten (vgl. zum Meinungsstand z. B. Mutschler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 84. Erg.-Lfg., Dezember 2014], § 37 SGB X Rdnr. 17; Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 37 Rdnr. 13b). Dieser Meinungsstreit kann vorliegend aber dahingestellt bleiben, weil die Klagen auch bei dem von den Klägern behaupteten Zugang der Widerspruchsbescheide am 22. Juli 2008 verfristet wären. Denn nach Maßgabe von § 64 SGG hätte in diesem Fall die einmonatige Klagefrist am 23. Juli 2008 begonnen und am 22. August 2008, einem Freitag, geendet. Der Eingang der Klagen am 29. August 2008 wäre auch in diesem Fall außerhalb der Klagefrist erfolgt.

b) Für den Beginn der Klagefrist kann nicht auf den 6. August 2008 abgestellt werden. Denn für den Fristbeginn ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen Widerspruchsbescheide und nicht, wie die Kläger offenbar meinen, auf den Zeitpunkt der persönlichen Kenntnisnahme abzustellen.

Das Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden ist in § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Diesbezüglich hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 22. März 2012 (Az. 2 AZR 224/11 – JURIS-Dokument Rdnr. 21, m. w. N.) ausgeführt: "Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen [ ]. Zum Bereich des Empfängers gehören auch von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen, wie z. B. ein Briefkasten [ ]. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs zu beurteilen [ ]. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist [ ]. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren [ ]. Bei Hausbriefkästen ist mit einer Leerung im Allgemeinen zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellungen zu rechnen, die allerdings stark variieren können [ ]." Weiter hat das Bundesarbeitsgericht (JURIS-Dokument Rdnr. 22, m. w. N.) ausgeführt: "Wenn danach für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war [ ]."

Ein Verwaltungsakt (vgl. § 31 SGB X) ist eine besondere Form einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist § 130 BGB bei einer Bekanntgabe eines Verwaltungsakts mittels Aufgabe zur Post nach § 37 Abs. 2 SGB X entsprechend anzuwenden (vgl. BSG, Beschluss vom 28. September 2012 – B 14 AS 34/11 BH – JURIS-Dokument Rdnr. 7, m. w. N.). Damit gelten auch die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes zu § 130 BGB entsprechend für die Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Dies hat zur Folge, dass der Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Verwaltungsaktes ohne Bedeutung ist, weil die hier maßgebenden Fristenregelungen allein auf den Zugangszeitpunkt abstellen (so auch zum Zustellungszeitpunkt: Bay. LSG, Beschluss vom 18. Dezember 2009 – L 10 AL 110/09 – JURIS-Dokument Rdnr. 21).

3. Zu Recht hat das Sozialgericht schließlich auch ausgeführt, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG wegen Versäumnis der Klagefrist nicht in Betracht kommt, da Gründe hierfür nicht gegeben sind.

a) Die Kläger waren auch bei der vorgetragenen Ortsabwesenheit vom 16. Juli 2008 bis zum 5. August 2008 nicht gehindert, die Klage fristgerecht zu erheben. Denn nach eigenen Angaben nahm die Klägerin zu 1 die Widerspruchsbescheide am 6. August 2008 zur Kenntnis. Die Klagefrist endete nach den obigen Ausführungen jedoch frühestens am 7. August 2008 und spätestens am 22. August 2008. Die Kläger hätten also selbst beim frühesten Ende der Klagefrist noch Gelegenheit gehabt, die Klagefrist einzuhalten. Hierfür wäre lediglich notwendig gewesen, in der Klageschrift den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Klage soll zwar auch unter anderem einen bestimmten Antrag enthalten (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG). Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 4 SGG). Diese Anforderungen an die Klage sind aber nicht zwingend.

b) Soweit die Kläger möglicherweise einem Rechtsirrtum unterlagen, indem sie davon ausgingen, die Klagefrist werde ab dem Zeitpunkt gerechnet, zu dem sie die Widerspruchsbescheide zur Kenntnis genommen hatten, lässt dies das Verschulden der Kläger in Bezug auf die Fristversäumnis nicht entfallen. Denn ein Rechtsirrtum im Sinne von § 67 Abs. 1 SGG kann nur dann unverschuldet sein, wenn der Beteiligte ihn auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte (vgl. BSG, Beschluss vom 28. Juli 1988 – 5/5b BJ 284/87 – JURIS-Dokument Rdnr. 1; BSG, Beschluss vom 9. September 1988 – 1 BA 115/88 – JURIS-Dokument Rdnr. 5; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 67 Rdnr. 8a). Dies ist hier nicht der Fall. Die Kläger waren nämlich gehalten, die Rechtsbehelfsbelehrung zu beachten (vgl. BSG, Beschluss vom 9. September 1988, a. a. O.). In den den Widerspruchsbescheiden beigegebenen Rechtsbehelfsbelehrungen war aber, der gesetzlichen Regelung in § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG entsprechend, die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes als Beginn der Klagefrist benannt.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

V. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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