S 23 AS 172/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 172/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Die Verrichtung der Notdurft ist grundsätzlich dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnen, wohingegen Unfälle auf Wegen zur Verrichtung der Notdurft im Betrieb als Arbeitsunfälle anzuerkennen sind.
2. Der Versicherungsschutz auf dem Weg zur Toilette endet mit dem Betreten der zur Toilette zählenden Räumlichkeiten und lebt mit deren Verlassen wieder auf, wobei als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung der Risikobereiche innerhalb und außerhalb der Toilettenräume nur das Durchschreiten der Toilettenaußentür als geeignet herangezogen werden kann.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten hat.

Die am geborene und in einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigte Klägerin erlitt am 7. Dezember 2010 nach dem Beginn ihrer Arbeitszeit um 8:00 Uhr in den Räumlichkeiten ihres Arbeitgebers eine distale Radiusfraktur rechts. Der Unfallzeitpunkt wurde im H-Arzt-Bericht von DM mit 9:40 Uhr und der Unfallhergang mit: "Patientin ist gestürzt Fliesen waren nass in der Toilette" angegeben. Im Durchgangsarztbericht von Dr. vom 7. Dezember 2010 wurde der Unfallzeitpunkt ebenfalls mit 9:40 Uhr und zum Unfallhergang folgendes angegeben: "Kanzlei: sie ist "gestrauchelt" und dann auf die rechte Hand gefallen". In der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 7. Dezember 2010 wurde der Unfallhergang wie folgt geschildert: "Geschädigte ist in den Räumlichkeiten (Bad) auf den Fliesen ausgerutscht und gestürzt".

Mit Schreiben vom 8. Februar 2011 teilte die Klägerin der Beklagten mit, der Unfall habe sich während der Arbeitszeit beim Verlassen der Toilette ereignet. Sie können nicht näher erklären, warum es zum Sturz gekommen sei. Sie sei aus nicht nachvollziehbaren Gründen ausgerutscht und auf das rechte Handgelenk gefallen.

Mit Bescheid vom 7. April 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Ereignisses vom 7. Dezember 2010 ab, da der Aufenthalt im Sanitärbereich nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass Wege zur Verrichtung der Notdurft sehr wohl versichert seien. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nur der Weg zur Toilette versichert sei, nicht jedoch die Verrichtung der Notdurft bzw. der Aufenthalt im Sanitärbereich nach Durchschreiten der Toilettenaußentüren.

Mit der hiergegen am 20. Oktober 2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zum Hergang selbst trägt sie präzisierend vor, nach Verrichtung der Notdurft sei sie noch innerhalb der Toilette plötzlich aus unerklärlichen Gründen ausgerutscht und auf das rechte Handgelenk gefallen. Da der Weg zur Toilette versichert sei, handele es sich mithin um einen Unfall während einer versicherten Tätigkeit. Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2012 legte die Klägerin einen Grundriss des Büros vor und markierte den Unfallort, der sich hinter der Toilettenaußentür zwischen dem WC-Spülbecken und dem Waschbecken befand. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 14 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2011 zu verurteilen, ihr aufgrund des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2010 Leistungen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Parteien sind zuvor angehört worden.

Die auf Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall gerichtete Klage ist bei sinnentsprechender Auslegung nicht als Leistungsklage, sondern als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG aufzufassen, mit der die gerichtliche Feststellung erreicht werden soll, dass der streitige Unfall ein Arbeitsunfall ist. Eine Verurteilung eines Versicherungsträgers darüber hinaus, "den Unfall zu entschädigen" oder "die gesetzlichen Leistungen zu erbringen", kommt nicht in Betracht; hierbei handelt es sich um ein unzulässiges Grundurteil ohne vollstreckungsfähigen Inhalt, dem neben dem Feststellungsausspruch keine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 07. September 2004 - B 2 U 35/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 6 Rn. 6; Urteil vom 30. Januar 2007 –B 2 U 6/06 R - zitiert nach Juris Rn. 11 jeweils m.w.N.).

Die so verstandene Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Anerkennung des Ereignisses vom 07. Dezember 2010 als Arbeitsunfall abgelehnt.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. etwa BSG, Urteil vom 09. April 2006 – B 2 U 1/05 R).

Vorliegend fehlt es an einem inneren oder sachlichen Zusammenhang der unfallbringenden Verrichtung zur versicherten Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist nämlich erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen; d.h., es muss ein innerer bzw. sachlicher Zusammenhang gegeben sein, der es rechtfertigt, dass betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002 -B 2 U 6/02 R m.w.N.). Der innere Zusammenhang ist im Wege einer wertenden Betrachtungsweise zu ermitteln, bei der untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns im Vordergrund (BSG, a.a.O.).

Die Verrichtung der Notdurft ist nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnen, wohingegen Unfälle auf Wegen zur Verrichtung der Notdurft im Betrieb als Arbeitsunfälle anzuerkennen sind (vgl. etwa BSG, Urteil vom 26. Juli 1977, 8 RU 8/77; zusammenfassend Schwerdtfeger, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 8 Rn. 218, 218a m.w.N.). Die Rechtfertigung für diese Rechtsprechung ist darin zu sehen, dass die Ausübung der versicherten Tätigkeit den Beschäftigten in die Zwangslage gebracht hat, einem persönlichen Bedürfnis an der Arbeitsstätte oder in ihrer Nähe – anstatt in seinem häuslichen Bereich – nachgehen zu müssen, und ihn somit einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat; diese Notwendigkeit, eine – wenn auch persönliche – Verrichtung wegen des Gebundenseins an die Arbeitsstätte in deren Gefahrenbereich zu erledigen, begründet den zur Annahme eines Arbeitsunfalls erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (BSG, Urteil vom 30. August 1963 - 2 RU 112/62). Die Grenze, bei deren Erreichen ein Risikobereich verlassen und in den neuen (privaten) Risikobereich eingetreten wird, ist mit der Tür zum Zugang der Toilettenräumlichkeit zu ziehen (Schwerdtfeger, a.a.O., Rn. 218b m.w.N.). Entsprechende Abgrenzungskriterien hat die Rechtsprechung auch für die Bestimmung des Versicherungsschutzes bei der Einnahme von Mahlzeiten bzw. dem Weg dorthin entwickelt, wobei hier nicht nur die Einnahme der Mahlzeiten dem eigenwirtschaftlichen Bereich zugeordnet wird, sondern auch der Aufenthalt in der Kantine (vgl. etwa BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 - 2 RU 5/89). Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich, ob es sich lediglich um eine einzelne Toilettenkabine oder aber um eine gegebenenfalls aus mehreren Räumen bestehende Toilettenanlage handelt, die zusätzlich zu den eigentlichen Toilettenbecken auch Waschbecken und andere Sanitäreinrichtungen aufweist (Bayerisches LSG, Urteil vom 6. Mai 2003 – L 3 U 323/01 – m.w.N.). Da das Aufsuchen der Toilette einen einheitlichen Vorgang bildet, endet der Versicherungsschutz auf dem Weg zur Toilette mit dem Betreten der zur Toilette zählenden Räumlichkeiten und lebt mit deren Verlassen wieder auf (Bayerisches LSG, a.a.O.). Als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung der Risikobereiche innerhalb der Toilettenräume und außerhalb der Toilettenräume kann dabei nur das Durchschreiten der Toilettenaußentür als geeignet herangezogen werden (Bayerisches LSG, a.a.O.). Der unversicherte Bereich umfasst dabei nicht nur das Verrichten der Notdurft selbst, sondern auch das nachfolgend regelmäßig erfolgende Händewaschen (Schwerdtfeger, a.a.O., Rn. 218b). Da sich der Unfall nach dem im Klageverfahren vorgelegten Grundriss innerhalb der Toilettenanlage, also nach Durchschreiten der Toilettenaußentür, zugetragen hat, bestand vorliegend kein Versicherungsschutz.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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