L 4 R 819/12 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 6364/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 R 819/12 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Verstoß des Rentenversicherungsträgers gegen seine Obliegenheit aus § 2 Abs. 1 VAErstV, die zu erstattenden Aufwendungen innerhalb von vier Kalendermonaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Aufwendungen entstanden sind, festzustellen und von dem zuständigen Träger der Versorgungslast anzufordern, hat nicht zur Folge, dass die Erstattungsanforderung mit Ablauf dieser Frist als erfolgt gilt.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2012 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert beträgt 3.260,91 EUR.

Gründe:

Die am 28. September 2012 eingelegte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2012 ist zulässig, aber unbegründet.

Die fehlende Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wonach die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts bedarf, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Erstattungs-streitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts 10.000,- EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG), es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Im vorliegenden Verfahren wird aber weder der Berufungsstreitwert von 10.000,- EUR überschritten, noch geht es um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Mit ihrer Klage hat die Klägerin als zuständige Rentenversicherungsträgerin gegen die Beklagte als zuständige Trägerin der Versorgungslast eine Erstattungsforderung hinsichtlich des Jahres 2001 in Höhe von 3.260,91 EUR geltend gemacht, welche ihr durch das angefochtene Urteil auch zu-gesprochen worden ist.

Die Berufung ist nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Nach dieser Vorschrift muss eine Zulassung nur dann erfolgen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Während für eine Abweichung und einen Verfahrensmangel keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, dringt die Beklagte auch mit der von ihr geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht durch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist von einer grundsätzlichen Bedeutung nur dann auszugehen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entschei-denden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht auch zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Eine Rechtsfrage ist nicht klä-rungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist (Bundessozialgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2011, B 9 V 3/11 B; Beschluss vom 30. März 2005, B 4 RA 257/04 B; Beschluss vom 14. August 1981, 12 BK 15/81).

In diesem Sinne ist eine Klärungsbedürftigkeit im vorliegenden Fall abzulehnen. Streitig ist hier die Rechtsfrage, ob ein Verstoß des Rentenversicherungsträgers gegen seine Obliegenheit, die zu erstattenden Aufwendungen innerhalb von vier Kalendermonaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Aufwendungen entstanden sind, festzustellen und von dem zuständigen Träger der Versorgungslast anzufordern (§ 2 Abs. 1 der Verordnung über die Erstattung von Aufwendungen der Träger der Rentenversicherung im Rahmen des Versorgungsausgleichs – Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung – [VAErstV] vom 4. Oktober 2001 [BGBl. I S. 2628]), zur Folge hat, dass die Erstattungsanforderung mit Ablauf dieser Frist als erfolgt gilt, so dass der Erstattungsanspruch nach weiteren sechs Monaten fällig wird (§ 2 Abs. 3 VAErstV) und vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit verjährt (§ 2 Abs. 4 Satz 1 VAErstV).

Diese Frage ist nach der maßgeblichen Regelung des § 2 Abs. 3 VAErstV zu verneinen. Danach wird der Erstattungsanspruch sechs Monate nach Eingang der Erstattungsanforderung beim zuständigen Träger der Versorgungslast fällig. Der Wortlaut dieser Vorschrift stellt also entscheidend auf den Eingang der Erstattungsanforderung ab, so dass es in Ermangelung abweichender Regelungen nicht auf einen Obliegenheitsverstoß des Rentenversicherungsträgers ankommen kann. Da der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung bildet und die Regelung eindeutig ist, kommt eine abweichende Auslegung nicht in Betracht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. März 2014, 2 C 2/13, Rn. 15; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 163 f.).

Die Vorschrift ist auch einer über die Auslegung im engeren Sinne hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung – hier in der Form einer teleologischen Extension –nicht in der von der Beklagten gewünschten Weise zugänglich. Jede Art der richterlichen Rechtsfortbildung setzt eine normative Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der Regelung voraus (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. April 2013, 5 C 18/12; Urteil vom 15. November 2012, 3 C 12.12; Urteil vom 20. Mai 1999, 3 C 3.98). Hat der Normgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 2004, 6 C 30.03). Ob eine Regelungslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm erfassten Fälle in den Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2012, 2 C 71.10; Urteil vom 18. Mai 2006, 3 C 29.05).

Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Nach der Verordnungsbegründung soll § 2 VAErstV zwar insgesamt der Verfahrensbeschleunigung dienen (BR-Drucksache 646/01, S. 9). Dieser Zielsetzung steht auch nicht entgegen, dass es sich bei § 2 Abs. 1 VAErtstV nur um eine Sollvorschrift handelt. Sollvorschriften räumen der Behörde im Regelfall kein Ermessen ein, sondern ermöglichen über den Regelungsinhalt hinausgehende Rechtsfolgen und Abweichungen nur ausnahmsweise in atypischen, besonders gelagerten Fällen, wobei dann Ermessen auszuüben ist (in dieser Allgemeinheit: Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Mai 2014, B 8 SO 1/13 R, Rn. 18). Die Erstattungsanforderungsfrist aus § 2 Abs. 1 VAErstV ist also im Regelfall einzuhalten. Aus dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass die Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 3 VAErtstV auch die Fälle einer verspäteten Erstattungsanforderung erfassen sollte. Die Rentenversicherungsträger sind als vollziehende Gewalt gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an Gesetz und Recht gebunden. Der Verordnungsgeber durfte also ohnehin davon ausgehen, dass die Erstattungsanforderungsfrist im Regelfall eingehalten wird. Aus-weislich der Verordnungsbegründung wurde die Einführung einer Sanktionsregelung lediglich für die Fälle der Erfüllung des Erstattungsanspruches nach Fälligkeit geprüft, jedoch mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage abgelehnt (BR-Drucksache 646/01, S. 9). Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass eine Sankti-onsregelung für die Nichteinhaltung der Erstattungsanforderungsfrist von vornherein nicht beabsichtigt war.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 sowie § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird die Entscheidung des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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