L 11 KA 15/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 136/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 15/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 20/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.12.2012 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Dr. B C ist, begehrt die Bescheidung eines von ihm eingelegten Widerspruchs.

Dr. C ist Facharzt für Neurologie und war zumindest im vorliegend relevanten Zeitpunkt zur vertragsärztlichen Versorgung in H zugelassen. Am 16.11.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 01.03.2011 - 20 IN 128/10 - wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Bescheid vom 26.04.2011 rechnete die Beklagte das Honorar des Dr. C für seine vertragsärztliche Tätigkeit im Quartal IV/2010 ab. In dem Abrechnungsbescheid wird ein Saldovortrag i.H.v. 113.149,56 EUR aufgeführt, der faktisch mit den Honoraransprüchen des Dr. C i.H.v. 28.673,68 EUR verrechnet wurde.

Mit Schreiben vom 09.05.2011 gab die Beklagte den nach ihren Angaben bereits zuvor Dr. C zugesandten Abrechnungsbescheid vom 26.04.2011 dem Kläger bekannt. Dabei führte sie aus, der Honoraranspruch sei als vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet anzusehen; deshalb sei auch die sich aus dem Bescheid ergebende Verrechnung erfolgt. Da es sich bei dem Abrechnungsbescheid um einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid handele, sei der Erlass eines gesonderten Aufrechnungsbescheids entbehrlich.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 18.05.2011 gegen den Abrechnungsbescheid vom 26.04.2011 "vollumfänglich Widerspruch" ein. Zur Begründung führte er mit Schreiben vom 03.08.2011 u.a. aus, die in dem Abrechnungsbescheid vorgenommene Aufrechnung werde dem Grunde und der Höhe nach bestritten, im Übrigen sei die Aufrechnung unwirksam (wird weiter ausgeführt).

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie ihm und Dr. C mit Schreiben vom 26.07.2011 den Abrechnungsbescheid über das für das Folgequartal I/2011 abgerechnete Honorar des Dr. C bekannt gegeben habe. Dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden, da keiner der Beteiligten Widerspruch eingelegt habe. Die Entscheidung über den Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 werde zu gegebener Zeit erfolgen (Schreiben vom 15.11.2011).

In der Folgezeit, letztmalig mit Schreiben vom 10.02.2012 mahnte der Kläger bei der Beklagten den Erlass des Widerspruchsbescheids hinsichtlich des Quartals IV/2010 an.

Am 29.03.2012 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und vorgetragen, die Beklagte habe auf Nachfragen und Fristsetzung nicht reagiert. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 sei rechtswidrig. Insbesondere bestreite er die Gegenforderung in Höhe von 113.149,56 EUR; im Übrigen sei die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unwirksam. Die Aufrechnungslage sei erst mit Einreichung der Abrechnungsunterlagen für das Quartal IV/2010 im Monat Januar 2011 und damit nach dem Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 16.11.2010 entstanden.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.04.2011 zu bescheiden.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, das Verfahren sei auszusetzen, weil zureichende Gründe bestünden, über den Widerspruch des Klägers gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 nicht zu entscheiden. Der Kläger könne nämlich kein Bescheidungsinteresse mehr geltend machen. Der begehrten Widerspruchsentscheidung stehe entgegen, dass der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 bestandskräftig geworden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012 habe sie den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers abgelehnt und dessen Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 zurückgewiesen. Aus dem Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 folge ein Saldobetrag i.H.v. 84.651,07 EUR. Dieser sei in den bestandskräftigen Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 übernommen worden; damit sei die Richtigkeit des Abrechnungsbescheids bestätigt.

Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen, der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 sei nicht bestandskräftig geworden und inzwischen Gegenstand des Klageverfahrens S 14 KA 586/12 Sozialgericht (SG) Düsseldorf.

Das SG hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 14.12.2012 verpflichtet, den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26.04.2011 zu bescheiden. Der Kläger, der sein Recht nicht missbräuchlich verfolge, habe Anspruch auf Bescheidung seines Widerspruchs. Die Beklagte habe ohne zureichenden Grund über den Widerspruch des Klägers vom 18.05.2011 in einer Frist von drei Monaten nicht entschieden. Sie könne sich nicht darauf berufen, der Kläger habe kein Bescheidungsinteresse mehr, weil die Regelungen des Abrechnungsbescheids für das Quartal IV/2010 Gegenstand des bestandskräftigen Abrechnungsbescheids für das Quartal I/2011 geworden seien. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 sei Gegenstand des Rechtsstreits S 14 KA 586/12 SG Düsseldorf; ein Erfolg des Klägers in diesem Verfahren könne nicht ausgeschlossen werden.

Mit ihrer gegen den am 19.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegten Berufung vom 17.01.2013 hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Bescheidung. Denn es bestehe ein hinreichender Grund für eine Nichtbescheidung; es fehle das Bescheidungsinteresse. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 sei rechtskräftig geworden. In dem Abrechnungsbescheid sei der nach Verrechnung verbliebene Saldovortag aus dem Bescheid für das Quartal IV/2010 übernommen worden. Damit sei mit der Bestandskraft des Bescheides für das Quartal I/2011 die für das Quartal IV/2010 vorgenommene Verrechnung bestätigt worden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.12.2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 Gegenstand des vor dem SG Düsseldorf geführten Rechtsstreits S 14 KA 586/12 sei. Der Bescheid sei nicht bestandskräftig, er sei nämlich lediglich Dr. C, nicht aber ihm als Insolvenzverwalter zugeleitet worden. Eine wirksame Bekanntgabe des Bescheides sei aber auch - aus in einzelnem dargelegten Gründen - noch nicht einmal gegenüber Dr. C erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des SG Düsseldorf S 14 KA 586/12 sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Bescheidung des von dem Kläger gegen den Abrechnungsbescheid vom 26.04.2011 eingelegten Widerspruchs verurteilt. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und führt ergänzend aus:

§ 88 Abs. 1 und 2 SGG setzen für eine sog. Untätigkeitsklage voraus, dass über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in einer Frist von drei Monaten nicht entschieden worden ist.

Die zeitlichen Voraussetzungen dieser Regelung sind erfüllt. Der Widerspruch des Klägers vom 18.05.2011 ist am 23.05.2011 bei der Beklagten eingegangen und war bei Klageerhebung am 29.03.2012 von der Beklagten nicht beschieden; er ist auch jetzt nach über drei Jahren nicht bescheiden.

Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte sich mit ihrem weitestgehend pauschalem Vorbringen, der Kläger habe kein Bescheidungsinteresse, gegen die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage wendet (dazu 1.) oder damit vortragen will, es bestehe ein i.S.d. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG zureichender Grund dafür, dass der Widerspruch des Klägers nicht beschieden werde bzw. dass das Verfahren auszusetzen sei (dazu 2.). Denn das Vorbringen ist im Ergebnis in jedem Fall unerheblich (dazu 3.).

1. Für die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat. Auch wenn das nicht der Fall sein sollte, kann grundsätzlich der Anspruch auf Bescheidung geltend gemacht werden. Anders kann dies unter Umständen in Fällen rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung beurteilt werden, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch offensichtlich unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausscheidet und die Erhebung der Untätigkeitsklage sich lediglich als Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ohne eigenen Nutzen und zum Schaden für den anderen Beteiligten darstellt. Unzulässigkeit unter diesem Gesichtspunkt soll wegen der grundsätzlichen Verpflichtung der Behörde zur Verbescheidung nur in Ausnahmefällen angenommen werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage, § 88, Rdn. 4a m.w.N.).

2. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG).

3. Keine dieser beiden Fallkonstellationen liegt vor. Mithin sind auch die weiteren Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage erfüllt.

In dem Abrechnungsbescheid über das Honorar für die vertragsärztliche Tätigkeit des Dr. C im Quartal IV/2010 hat die Beklagte faktisch dessen Honoraransprüche mit einer angeblichen Forderung, deren Grundlage die Beklagte weder im Abrechnungsbescheid noch im Verlauf des Rechtsstreits benannt hat, im Übrigen auch nicht ausdrücklich, sondern nur rechnerisch ermittelbar i.H.v. 28.673,68 EUR verrechnet. Auf welcher Grundlage der nachfolgende Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 in irgendeiner Weise, selbst wenn er, wie die Beklagte meint, bestandskräftig wäre oder auch wenn dessen Rechtsmäßigkeit letztlich gerichtlich bestätigt werden würde, den Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 rechtserheblich auch nur tangieren kann, erschließt sich nicht. Das sinngemäße Vorbringen der Beklagten, durch Übernahme eines Saldobetrags aus dem Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2010 in den nach ihrer Auffassung bestandskräftigen Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011, sei die Richtigkeit des Abrechnungsbescheids für das Quartal I/2010 bindend festgestellt, ist nicht einmal ansatzweise nachzuvollziehen.

Nach § 77 SGG wird ein Verwaltungsakt in der Sache bindend, wenn der gegen den Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Bindungswirkung bedeutet, wie sich schon aus dem Gesetzeswortlaut "in der Sache" ergibt, dass die in dem Verwaltungsakt getroffene Regelung verbindlich wird. Der Abrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 betrifft, wie bereits aus seinen Überschriften "Quartalskonto" und "Abrechnungsquartal: 1/2011" folgt, ausschließlich das Quartal I/2011 und eben nicht das Quartal IV/2010. Das Quartal IV/2010 wird in dem Quartalsabrechnungsbescheid für das Quartal I/2011 auch nur insoweit erwähnt, als dass ein "Saldovortrag 4/2010" i.H.v. 84.829,54 EUR, ein Betrag, der im Übrigen in dem Abrechnungsbescheid für das Quartal IV/2010 nicht aufgeführt ist, eingestellt wird. Nicht einmal Erwähnung findet, dass darüber hinaus im Quartal IV/2010 ein höhere Forderung, nämlich i.H.v. 113.149,56 EUR bestanden haben soll und dass im Quartal IV/2010 eine Verrechnung i.H.v. 28.673,68 EUR stattgefunden hat. Bereits angesichts dessen kann das Vorbringen der Beklagten, aus der faktischen Nichterwähnung ihres Vorgehens folge die bindende Bestätigung seiner Rechtmäßigkeit, nur als abwegig bewertet werden. Bei dieser Rechts- und Sachlage bedarf es keiner weiteren Ausführungen, sondern nur noch der Erwähnung, dass auch nicht die Begründung eines Verwaltungsakts in Bestandskraft erwächst, sondern nur der Verfügungssatz, der sich hinsichtlich des Quartals I/2011 auf die Höhe des auszuzahlenden Honorars beschränkt.

Auch das Vorbringen der Beklagten, der hinsichtlich des Abrechnungsquartals I/2011 zu beurteilende Sachverhalt entspreche dem Sachverhalt hinsichtlich des Abrechnungsquartals IV/2010, führt nicht weiter. Dies mag ggf., wenn beide Beteiligten es beantragen, das Ruhen eines Verfahrens (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung) rechtfertigen. Eine Aussetzung eines Verfahrens trägt das Vorbringen der Beklagten indes nicht einmal ansatzweise; auf die in § 114 SGG normierten Voraussetzungen, die allesamt nicht vorliegen, wird verwiesen. Im Übrigen ist das Vorbringen der Beklagten auch in der Sache unzutreffend; denn es liegen bereits aufgrund des Zeitablaufs keineswegs identische Sachverhalte vor. Das Quartal IV/2010 betrifft die Monate Oktober bis Dezember 2010, der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt in etwa in die Mitte dieser Zeit; er liegt aber vor Beginn des Quartals I/2011. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte hingegen innerhalb des Quartals I/2011.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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