L 7 AS 266/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AS 5252/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 266/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 07.01.2015 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 22.12.2014 und dem Antragsteller ab dem 01.02.2015, jeweils bis zum 30.06.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen sowie Erstausstattungen nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am 00.00.1986 geborene Antragstellerin ist griechische Staatsangehörige. In Griechenland arbeitete sie ca. 4 Jahre als Krankenpflegerin in einer Klinik (10/08 bis 06/13). Sie lebt seit September 2013 in Deutschland. Sie reiste mit einem Anstellungsvertrag in die Bundesrepublik Deutschland ein und arbeitete 12 Tage als Packerin bei der Firma J. Dann erfolgte die Kündigung.

Vom 16.09.2013 bis zum 15.09.2014 bezog die Antragstellerin ALG I (28,76 EUR täglich).

Am 29.07.2014 stellte sie einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.09.2014 ab.

Am 24.09.2014 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf ihre Schwangerschaft und den errechneten Entbindungstermin am 31.01.2015 Bedarfe für Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.09.2014 blieb erfolglos (Bescheid vom 10.10.2014). Die Antragstellerin halte sich nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf. Sie sei daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Klage ist beim Sozialgericht Duisburg anhängig (S 17 AS 4162/14).

Am 22.12.2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Duisburg beantragt, den Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, Grundsicherung und Bedarfe für Erstausstattung zu gewähren. Sie habe keinen Krankenversicherungsschutz, die Schwangerschaft sei mit Komplikationen verbunden und ihr fehlten die Mittel, um den Lebensunterhalt sowie die Ausstattung sicherzustellen.

Mit Beschluss vom 07.01.2015 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragstellerin sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies folge aus der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 (Rs. Dano - C-333/13). Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Sozialgerichts vom 07.01.2015 verwiesen.

Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 10.02.2015. Die Antragstellerin weist darauf hin, dass sie am 21.01.2015 den Antragsteller geboren hat. Sie hat am 26.02.2015 beantragt, auch dem Antragsteller einstweilen Grundsicherung zu gewähren. Sie sei mittellos und es bedürfe dringend eines Krankenversicherungsschutzes.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht (vgl. Beschluss des Senats vom 10.09.2014 - L 7 AS 1385/14 B ER). Ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange der Antragsteller einzustellen sind (BVerfG Beschlüsse vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12; Beschluss des Senats vom 11.07.2014 - L 7 AS 1035/14 B ER).

Ob ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht ist, muss offen bleiben. Zwar erfüllt die Antragstellerin die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig, hat ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Antragsteller bildet seit 21.01.2015 mit der Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft.

Umstritten und fraglich ist, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eingreift, weil sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Senat lässt hierbei offen, ob sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin auch aus der im Zeitpunkt der Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes bevorstehenden Geburt eines Kindes von einem in Deutschland lebenden Vater ergeben kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R). Insoweit bedarf es ggf. im Hauptsacheverfahren weiterer Ermittlungen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 11.11.2014 (Rs. Dano - C-333/13) die europarechtliche Konformität des in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschlusses nicht ausdrücklich bestätigt. Die Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau E sich nicht um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht noch aus (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R; Rs. Alimanovic - C-67/14).

Die Antragstellerin hat sich um Arbeit bemüht. Sie ist in die Bundesrepublik Deutschland mit einem Arbeitsvertrag eingereist und hat die Arbeit als Packerin - wenn auch kurzzeitig - ausgeübt. Der Arbeitgeber hat in der Probezeit gekündigt. Da bei der Antragstellerin die Arbeitsuche zu bejahen ist, unterfällt sie nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung jedenfalls nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014.

Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R geführten Verfahren, in dem Ansprüche von schwedischen Staatsangehörigen streitig sind, entnehmen. Das BSG hat das vorgenannte Verfahren ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu den verschiedenen Fragen einzuholen, u.a., ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R, a.a.O.).

Auf Grund der Komplexität der Rechtsfragen kann die Rechtslage in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist. Diese fällt zu Gunsten der Antragsteller aus. Hierbei sind die besondere Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragsteller gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Falle des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten, abzuwägen. Vorliegend tritt das Interesse des Antragsgegners hinter das Interesse der Antragsteller zurück. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ohne die beantragten Leistungen drohten bzw. drohen den Antragstellern für den tenorierten Zeitraum und im tenorierten Umfang existentielle Nachteile, welche sie aus eigener Kraft nicht abwenden können, da der Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des erzielten Einkommens nicht gesichert ist. Der Antragsgegner hingegen hat allein finanzielle Nachteile durch die vorläufige Auszahlung der Leistungen. Daher kann den Antragstellern im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. zu dem vorstehenden Beschluss des Senats vom 22.01.2015 - L 7 AS 2162/14 B ER, vom 08.09.2014 - L 7 AS 1231/14 B mit Verweis auf Beschluss vom 03.04.2013 - L 7 AS 2403/12 B).

Der Anordnungsgrund liegt vor. Ohne die einstweilige Regelung drohen schwere Nachteile. Beispielhaft sei nur auf den fehlenden Krankenversicherungsschutz und die Notwendigkeit der Erstausstattung des Antragstellers hinzuweisen.

Die Antragstellerin hat ab 22.12.2014 und der Antragsteller ab 01.02.2015 (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II) Anspruch auf den Regelbedarf sowie auf die einstweilige Gewährung der Erstausstattungen bei Geburt nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II. Die Antragstellerin hat im Anschluss an die Geburt des Antragstellers Anspruch auf Erstausstattung für Schwangere, sofern sie noch einen aktuellen Bedarf nachweist (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 24 Rn. 108). Ansonsten ist der Anordnungsgrund für die erstmalige Ausstattung mit Kleidung während der Schwangerschaft nach summarischer Prüfung nicht mehr glaubhaft gemacht.

Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung fehlt ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin hat zu keinem Zeitpunkt geltend macht, dass akut ein Verlust der Mietwohnung droht.

Die Begrenzung des Bewilligungszeitraums orientiert sich an § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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