S 17 KR 412/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 412/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Kostenübernahme für Liposuktionen bei der Klägerin.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist in einem Textilunternehmen beschäftigt und leidet – beginnend bereits in der Pubertät – an einer stetigen Zunahme des Fettgewebes an beiden Beinen und Armen, seit dem Jahre 2000 als Lipödem, mittlerweile in Stadium II, diagnostiziert. Nachdem regelmäßiger Sport und eine diätetische Ernährung den Zustand der Fettverteilungsstörung nicht beeinflussten beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 23.08.2013 die Kostenübernahme für die streitige Behandlung. Sie machte geltend, die Lebensqualität und auch die Bewegungsfreiheit werde immer mehr eingeschränkt. Zur weiteren Begründung der Notwendigkeit legte sie eine ärztliche Bescheinigung vor, wonach die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Zum Erhalt der Berufsfähigkeit und zur Vermeidung von Folgeerkrankungen sei die Liposuktion medizinisch indiziert.

Mit Bescheid vom 09.09.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab und wies die Klägerin darauf hin, dass die Liposuktion eine neue Behandlungsmethode sei, die bisher durch den Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht bewertet wurde und daher keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sei. Mit ihrem Widerspruch vom 01.10.2013 macht die Klägerin geltend, es gebe keine vergleichbar wirkungsvolle Alternative. Das Lipödem stelle für sie eine lebensbedrohliche Krankheit dar. Zudem reichte sie eine weitere ärztliche Stellungnahme ein, wonach sich die Beschwerden und der Befund unbeeinflusst weiter entwickelten.

Nachdem auch der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bestätigte, dass die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Kriterien für die Anwendung einer nicht anerkannten Behandlungsmethode nicht vorlägen, hat der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 02.07.2014 zurück gewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wie auch des LSG Nordrhein-Westfalen bestehe kein Anspruch auf Durchführung der beantragten Liposuktionen. Dies gelte sowohl für eine ambulante wie auch stationäre Durchführung der Behandlung.

Mit der am 31.07.2014 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Der Anspruch auf Durchführung der Liposuktionen folge aus § 13 Abs. 3 SGB V. Allein die Liposuktion könne der Klägerin nachhaltig helfen, nachdem sämtliche weiteren konventionellen Methoden zu keiner dauerhaften Besserung geführt hätten. Für die stationäre Behandlung ergebe sich die Notwendigkeit aus § 39 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 5 SGB V. Es lägen auch entsprechende Forschungsergebnisse vor, die die hohe Erfolgsquote der Liposuktion belegten. Die Liposuktion sei als sichere und effektive Therapiealternative anzusehen, so dass die fehlende Beurteilung und Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss als Systemversagen anzusehen sei. Hiernach ergebe sich der Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V.

Die Klägerin sei aufgrund ihrer Erkrankung in der Erwerbsfähigkeit bedroht. Die Beklagte sei u. a. neben der Deutschen Rentenversicherung auch Träger von Rehabilitationsmaßnahmen, so dass im Rahmen von § 14 SGB IX unter dem Aspekt der Gefährdung der Erwerbstätigkeit eine Weiterleitung des Antrags der Klägerin an die Rentenversicherung in Betracht gekommen wäre. Da die Beklagte den Antrag nicht fristgemäß weitergeleitet habe, sei sie nunmehr auch für Leistungen anderer Rehabilitationsträger zuständig. Der Klägerin sei daher auch unter dem Aspekt der medizinischen Rehabilitation die begehrte Liposuktion zu gewähren. Die vorgelegten Urteile des LSG bezögen sich sämtlich auf Leistungen nach dem SGB V, so dass diese für den Aspekt der medizinischen Rehabilitation nicht durchgreifen könnten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2014 zu verurteilen, die Kosten ambulanter Liposuktionen zur Behandlung der Lipödeme an den Oberschenkeln der Klägerin beidseits, den Unterschenkeln beidseits, den Armen beidseits und dem Gesäß zu übernehmen,

hilfsweise

die Kosten der entsprechenden Maßnahmen im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts zu übernehmen. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und führt darüber hinaus aus, ein Systemmangel liege nicht vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe zwischenzeitlich das Beratungsverfahren zur operativen Behandlung des Lipödems mittels Fettabsaugung (Liposuktion) eingeleitet. Hinsichtlich des Klageantrags zu 2) werde darauf hingewiesen, dass eine Liposuktion im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes zuvor nicht beantragt wurde und damit auch nicht Gegenstand des Vorverfahrens gewesen sei. Eine Verordnung von Krankenhausbehandlung liege nicht vor, so dass auch der behandelnde Arzt die Voraussetzungen für eine stationäre Behandlung nicht gesehen habe. Im Übrigen werde auf die aktuelle Rechtsprechung verwiesen, die bestätige, dass die Methode eine noch nicht Evidenz basierte Therapieoption darstelle. Dies sei durch mehrere Landessozialgerichte bestätigt worden.

Auch nach den Vorschriften des SGB IX bzw. SGB VI bestehe der geltend gemachte Anspruch nicht. Insbesondere könnten die Vorschriften des SGB IX nicht isoliert anspruchsbegründende Wirkung entfalten, sondern nur mit der Maßgabe des SGB V. Nach dem SGB V stehe der Klägerin jedoch kein Anspruch auf Sachleistung zu, so dass der Aspekt der medizinischen Rehabilitation hier nicht zum Tragen komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht in ihren Rechten verletzt. Die Bescheide sind rechtsfehlerfrei ergangen. Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin auch nach Auffassung der Kammer nicht zu. Die Kammer bezieht sich insoweit zunächst voll inhaltlich auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 02.07.2014 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz-SGG) und den ergänzenden Vortrag der Beklagten im Klageverfahren, der die Rechtsprechung, der auch die Kammer folgt, zutreffend wiedergibt.

Dass mangels Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Sachleistungsanspruch für eine ambulant durchgeführte Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems ausgeschlossen ist, ist bereits durch das BSG in der Vergangenheit festgestellt und auch nachfolgend mehrfach bestätigt worden (vgl. BSG, 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R; BSG, 10.05.2012, B 1 KR 78/11 B; BSG, 27.11.2013, B 1 KR 135/12 B).

Unabhängig von den formalen Bedenken der Beklagten ergibt sich für die Klägerin auch kein Anspruch auf Behandlung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung. Insoweit hat die Beklagte zutreffend auf die obergerichtliche Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg, des LSG Nordrhein-Westfalen wie auch des LSG Sachsen verwiesen, wonach unter Bezugnahme auf das "Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 06.10.2011 die Effektivität dieser neuen Behandlungsmethode nicht wissenschaftlich belegt ist und in den einschlägigen Fachkreisen über ihre Zweckmäßigkeit kein Konsens erzielt ist. Das o. g. Gutachten ist zwischenzeitlich auf den Stand vom 15.01.2015 aktualisiert worden. Hiernach ergibt sich weiterhin, dass bei den in diesem Gutachten untersuchten Hauptindikationen unabhängig vom Versorgungssektor, keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, da die in den §§ 2 und 12 SGB V definierten Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt sind.

Die bisherige Nichtbefassung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit dieser Behandlungsmethode stellt im Übrigen kein Systemversagen dar (LSG Hessen, 24.05.2012, L 1 KR 23/12; LSG Rheinland-Pfalz, 31.10.2012, L 5 KR 335/11 sowie bestätigend BSG, 27.11.2013, B 1 KR 135/12 B). Darüber hinaus hat der Gemeinsame Bundesausschuss – wie von der Beklagten zutreffend vorgetragen – das Beratungsverfahren zwischenzeitlich eingeleitet.

Auch hinsichtlich der vermeintlichen Herleitbarkeit des Anspruchs der Klägerin aus den Vorschriften des SGB IX bzw. VI folgt die Kammer den zutreffenden Ausführungen der Beklagten. Zudem stellt die beantragte Liposuktion keine Maßnahme der Rehabilitation sondern der Krankenbehandlung im engeren Sinne dar, deren Gewährung originär der Krankenkasse nach dem SGB V obliegt. Soweit ein solcher Anspruch nach den oben dargestellten Gründen durch den Krankenversicherungsträger nicht erfüllt werden darf, könnte dem Rentenversicherungsträger eine weitergehende Leistungspflicht unter Missachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots und des fehlenden wissenschaftlichen Nachweises ebenfalls nicht obliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved