Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 2808/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 2838/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für einen Anspruch nach dem OEG müssen die konkreten Taten benannt und zeitlich eingeordnet werden.
Für die Beurteilung der Rechtwidrigkeit körperlicher Züchtigungen von Kindern kommt es auf das zum Tatzeitpunkt geltende Recht an. Wiederholte Bestrafungen durch Ohrfeigen oder Festes am Arm Packen um ein Kind zum Essen oder zur ärztlich verordneten Ruhe anzuhalten, erfüllten bis zur Abschaffung des körperlichen Züchtigungsrechts nicht den Tatbestand.Gleiches gilt für eine Fixierung mittels Gurt im Bett, da es dabei nicht um Freiheitsberaubung, sondern medizinisch indizierte Ruhebehandlung bei Tuberkulose ging.
Für die Beurteilung der Rechtwidrigkeit körperlicher Züchtigungen von Kindern kommt es auf das zum Tatzeitpunkt geltende Recht an. Wiederholte Bestrafungen durch Ohrfeigen oder Festes am Arm Packen um ein Kind zum Essen oder zur ärztlich verordneten Ruhe anzuhalten, erfüllten bis zur Abschaffung des körperlichen Züchtigungsrechts nicht den Tatbestand.Gleiches gilt für eine Fixierung mittels Gurt im Bett, da es dabei nicht um Freiheitsberaubung, sondern medizinisch indizierte Ruhebehandlung bei Tuberkulose ging.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Mai 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung von (Ent-) Schädigungstatbeständen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1959 geborene Klägerin war wegen einer Tuberkuloseerkrankung vom 7. Oktober 1965 bis 7. Oktober 1966 stationär in der Kinderheilstätte in W., einer von der katholischen Diözese R. gegründeten und zu diesem Zeitpunkt unter der Leitung der Gemeinschaft der Franziskanerinnen S. stehenden Lungenfachklinik auf Veranlassung des Hausarztes Dr. K. untergebracht. Bereits am 12.05.1964 war bei positiver Tuberkulinprobe Tbc bei der Klägerin diagnostiziert worden, die zu diesem Zeitpunkt bei einer Größe von 105 cm 16,7 kg wog (Bl. 65 Beiakten). Ausweislich des Entlassungsberichts wog die bei Aufnahme 110 cm große und 17,3 kg schwere Klägerin bei Entlassung 21,5 kg bei einer Größe von 114 cm. Der Hausbesuch am 11. November 1966 ergab, dass die Mutter mit dem Gesundheitszustand der Klägerin zufrieden sei, sie weiterhin regelmäßig die ihr verordneten Medikamente einnehme und jeden Mittag ihre Liegekur einhalte. Vom 5. Juli bis 9. September 1967 befand sich die Klägerin zum Wiederholungsheilverfahren erneut in der Kinderheilstätte W. Bei Aufnahme wurde festgestellt, dass die 6 ¾ Jahre alte Klägerin mit einer Größe von 118 cm und einem Gewicht von 21,1 kg zwar immer noch eine erhebliche Unterlänge habe, der Ernährungszustand aber ausreichend sei (vgl. Entlassungsbericht, Bl. 86 Beiakten). In den Folgejahren wurde die Klägerin regelmäßig bis 1985 dem Staatlichen Gesundheitsamt, Tuberkulose-Fürsorge, des Landkreises R. vorgestellt und festgestellt, dass sich die Klägerin sehr wohl fühle und keinerlei Beschwerden bestünden. (vgl. Untersuchungsbogen, Bl. 88 ff. Beiakten).
Im Rahmen eines Schwerbehindertenverfahrens wies die Klägerin mit Schreiben vom 4. Juni 2010 auf seelische Schäden hin, die im Zusammenhang mit einer Lungenkrankheit stünden. Im Antragsformular auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gab die Klägerin am 13. Juni 2010 an, sie leide an Schlafstörungen, Albträumen, Atemnot, Herzrasen, Angst vor kleinen oder geschlossenen Räumen, Panik bei Gedränge und Menschenansammlungen sowie Berührungsängsten nach der Behandlung in der Kinderheilstätte. Dort sei sie geschlagen und geohrfeigt worden, habe mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen und im Flur schlafen, ein bis zwei Stunden unter Aufsicht auf einer Ruheliege stramm liegen und Speisen, die sie nicht gemocht habe, mit einer Extra-Portion essen müssen. Die essbaren Besuchsgeschenke ihrer Eltern seien an andere Patienten verteilt worden. Der einjährige Krankenhausaufenthalt verfolge sie noch heute.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Beklagte zunächst das über die Klägerin geführte Leistungsverzeichnis bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse - die Gesundheitskasse N. - beigezogen und die Beauftragte der Kongregation der Franziskanerinnen S. e. V. für sexuellen Missbrauch und Misshandlung befragt. Die Beauftragte Frau M. hat mitgeteilt, dass sie die Schilderungen der Klägerin als glaubhaft erlebt habe. Weitere Fälle von der Lungenheilstätte W. seien bislang nicht bekannt, auch lägen Schilderungen von Ordensschwestern aus der damaligen Zeit nicht vor.
Mit Bescheid vom 17. August 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, der Nachweis, dass die Klägerin in der Kinderheilstätte W. gequält oder grob misshandelt bzw. böswillig vernachlässigt worden sei, könne nicht als erbracht angesehen werden. Fest umrissene aktive und passive Misshandlungen durch die Ordensschwestern seien nach Aktenlage nicht nachweisbar.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre damalige Krankenakte sei bereits vernichtet worden. Es sei eine Frechheit an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Es sei noch kein Fall bekannt geworden, in dem der Täter in einer Krankenakte über die Misshandlungen Protokoll führe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21 Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch Ordensschwestern während des einjährigen Aufenthaltes in der Lungenheilstätte W. sei nicht nachweisbar. Es ergäben sich keine Hinweise auf körperliche oder seelische Misshandlungen. Eine böswillige Vernachlässigung lasse sich nicht belegen. Auch reichten die Angaben der Klägerin nicht aus, um sie glaubhaft im Rahmen der Beweiserleichterung der Entscheidung zu Grunde legen zu können.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. November 2010 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, zu deren Begründung sie vorgetragen hat, sie habe in der Kinderheilstätte W. durch die quälerische und rohe Behandlung der pflegenden Nonnen eine sehr traumatische Zeit erlebt. In den ersten Monaten sei der Kontakt zu ihren Eltern auf einmal monatlich reduziert gewesen. Zum Schluss sei ein sonntäglicher Besuch zugelassen worden. Ihre Mutter habe sie nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus als sehr verändert empfunden. Seit 2009 findet die Aufarbeitung des Traumas im Rahmen einer Traumatherapie statt. Ihr behandelnder Arzt habe sie zur Antragstellung aufgefordert. Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, Schläge und Ohrfeigen bekommen zu haben, wenn es etwas an ihrem Verhalten auszusetzten gegeben habe. Sie sei auch am Arm gepackt und dabei extrem fest gezwickt worden. Sei sie verspätet zum Mittagschlaf gekommen, sei das "Strammliegen" angeordnet worden. Wenn sie zu unruhig gewesen sei, sei sie mit einem Geschirr bei frei beweglichen Armen ins Bett gebunden worden.
Sie hat eine ärztliche Stellungnahme der Ärztin und Psychotherapeutin Dr. M. vorgelegt, wonach die Klägerin aufgrund der erlittenen seelischen und körperlichen Grausamkeiten an einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung wie einer Anpassungsstörung leide, die auf der totalen Auslieferung an quälende, terrorisierende und lieblose Nonnen nebst einem wenig einfühlsamen Kinderarzt beruhten. Die Ausführungen des Beklagten seien unethisch und hätten die Klägerin erneut traumatisiert.
Der Beklagte hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es an Brückensymptomen fehle, nachdem die Klägerin erstmalig 2009 eine Traumatherapie durchgeführt habe, also 45 Jahre nach den Vorfällen in der Kinderheilstätte. Gegen eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung spreche auch die Tatsache, dass es der Klägerin möglich gewesen sei, Schule und Ausbildung zu absolvieren, zu heiraten und zwei Kinder großzuziehen. Außerdem habe sie seit 1994 als Sachbearbeiterin gearbeitet.
Die Rückfrage des SG bei den W.-Z.-Kliniken hat ergeben, dass die Krankenakten trotz intensiver Nachforschungen über die Klägerin nicht mehr aufgefunden werden konnten.
Mit Urteil vom 9. Mai 2012 hat das SG den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin "die während des Heimaufenthaltes in der Kinderheilstätte erlittenen Schläge, festes am Arm Packen und die Fixierungen" als tätliche Angriffe anzuerkennen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass es sich nach den glaubhaften Angaben der Klägerin sowohl bei den Schlägen wie dem harten Festhalten und Packen am Arm um Körperverletzungen gehandelt habe, während die Fixierungen mittels eines Brustgeschirrs an das Bett den Tatbestand einer Freiheitsberaubung erfüllten. Diese rechtswidrigen Angriffe seien nicht durch ein Züchtigungsrecht gerechtfertigt. Der Unruhe eines Kindes im Alter von 6 Jahren, welches wegen einer schweren Erkrankung von der Familie isoliert worden sei, könne angemessen nicht durch eine erzwungene Ruhe mittels Fixierung begegnet werden. Es sei auch nicht richtig, ein Kind mit Schlägen zur Nahrungsaufnahme anzuhalten. Nicht unter den Schutzbereich des OEG fielen die fehlende Liebe und Zuwendung oder das Abschneiden der Haare, zumal letzteres durch die Einwilligung der Erziehungsberechtigten getragen sei.
Gegen das am 18. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 4. Juli 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, Züchtigungen seien bis zur Abschaffung des sogenannten Züchtigungsrechts nicht per se rechtswidrig gewesen. Vielmehr habe der Bundesgerichtshof (BGH) bis in die siebziger Jahre Erziehern, Volksschullehrern, Schul-und Anstaltsärzten sowie Kindergärtnerinnen ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht zugestanden. Die körperliche Züchtigung sei nicht nur Ultima Ratio gewesen, sondern habe als tradierte und angemessene Reaktion auf ungebührliches Verhalten gegolten. Die von der Klägerin geltend gemachten Erziehungsmaßnahmen hätten dem Geist der Nachkriegszeit entsprochen und den Zweck verfolgt, Kinder wie kleine Erwachsene abzuhärten und die Anstaltsdisziplin aufrechtzuerhalten. Nach der Expertise zu Rechtsfragen der Heimerziehung der fünfziger und sechziger Jahre seien Züchtigungen erlaubt gewesen, soweit sie nicht unverhältnismäßig gewesen seien. Als verhältnismäßig hätten das Schlagen mit dem Stock auf die Hand, mit dem Federballschläger auf das Gesäß, mit der flachen Hand, mit doppelt zusammengelegter Bügeleisenschnur, mit dem Gummiknüppel, einem Metallklopfer, zusammengelegten Kabelenden und sogar mit einer Gardinenstange gegolten. Gegen Ende der sechziger Jahre sei die Praxis der körperlichen Züchtigungen in Erziehungsheimen zunehmend kritisiert worden. Aber erst 1977 habe erstmals ein Amtsgericht geurteilt, dass die öffentliche Meinung sich insoweit gewandelt habe, dass ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht von Erziehern und Lehrern nicht mehr angenommen werden könne. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Fixierungen der Klägerin am Bett der damaligen medizinischen Auffassung zur Behandlung der Tuberkulose mit "Ruhe" entsprochen hätten. Dann ermangele es aber bereits an der Rechtswidrigkeit der Maßnahme.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Mai 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Man hätte bei der Essenszubereitung auf eine kindgerechte Ernährung hinwirken müssen anstatt eine Nahrungsaufnahme zu erzwingen. Die bloße Unruhe eines Kindes sei kein hinreichender Züchtigungsanlass. Vielmehr sei nur eine gewisse Ruhephase erforderlich gewesen.
Die Vorsitzende hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 30. Oktober 2014 erörtert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Feststellung, ob die erlittenen Schläge, das feste am Arm Packen und die Fixierungen nach dem OEG anzuerkennen sind, nachdem das SG die Klage im Übrigen, d. h. hinsichtlich der weiteren von der Klägerin geschilderten Vorfälle, abgewiesen und die Klägerin hiergegen keine Berufung eingelegt hat.
Das Urteil des SG begegnet bereits aus formalen Gründen rechtlichen Bedenken. Denn eine pauschale Feststellung von Schlägen oder Fixierungen, wie es das SG ohne zeitliche Eingrenzung vorgenommen hat, ist für den Anspruch auf Opferentschädigung nicht ausreichend (so Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 - L 10 VE 39/10 - zit. nach Juris).
Die Klägerin hat auch materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010 ist rechtmäßig, soweit der Beklagte darin eine solche Feststellung abgelehnt hat.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht; vielmehr belegen die noch vorliegenden Krankenunterlagen über den stationären Aufenthalt vom 7. Oktober 1965 bis zum 7. Oktober 1966 in der Kinderheilstätte W. im Allgäu, dass es nicht nur zu einer Besserung der Tuberkuloseerkrankung der Klägerin gekommen ist, sondern sie auch an Gewicht zulegen konnte und keinerlei Beschwerden festgestellt wurden. Gleichgeartete Fälle von Misshandlungen in der Lungenheilstätte W. sind nicht bekannt, auch liegen Schilderungen von Ordensschwestern aus der damaligen Zeit nicht vor, was der Senat der Auskunft der Beauftragten der Kongregation der Franziskanerinnen S. e. V. für sexuellen Missbrauch und Misshandlung entnimmt.
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch im Falle der Klägerin zu beachten. Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlich-keit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die Klägerin in der Zeit vom 7. Oktober 1965 bis zum 7. Oktober 1966 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes durch die Nonnen der Kinderheilstätte W. geworden ist.
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung i. S. des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 S 1 OEG vor. Nach dem neuen § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht 2012, § 1 OEG RdNr. 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20).
Das Schlagen eines Kindes kann in seiner Gesamtheit - zumindest bis zum November 2000 - nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllen (vgl. zum folgenden Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 - L 10 VE 39/10 – zit. nach Juris). Ohne Zweifel stellt zwar die körperliche Züchtigung eines Kindes durch Schläge eine gewaltsame, auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung dar. Diese gewaltsame Einwirkung müsste dabei aber auch in feindseliger Willensrichtung geschehen und rechtswidrig gewesen sein. Sowohl für die Frage der feindseligen Willensrichtung als auch der Rechtswidrigkeit kommt vorliegend zum Tragen, dass körperliche Züchtigungen bis zur Abschaffung des sog. elterlichen Züchtigungs-rechts im Rahmen der Neufassung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB (Abschaffung durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000, BGBl. I, S. 1477) nicht per se rechtswidrig gewesen sind.
Maßgeblich für die vorliegende rechtliche Bewertung ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18), der erkennende Senat ist daher an diese, bis November 2000 bestehende Rechtslage gebunden und hat sie bei seiner Beurteilung eines bis zu diesem Zeitpunkt geschehenen Angriffs heranzuziehen.
Zum Zeitpunkt der vorliegend angeschuldigten Taten verblieb Eltern wie Erziehungsberechtigten bei der Erziehung von Kindern nach der damaligen Rechtslage (und Gesellschaftsauffassung) eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung. Sogar die Verwendung von Schlaggegenständen erfüllte nach den damaligen Maßstäben nicht zwingend das Merkmal einer verbotenen und damit ggfs. als Körperverletzung strafbaren Erziehungsmaßnahme. Zu Erziehungszwecken erlaubte Schläge von strafbaren Körperverletzungen abzugrenzen, erforderte vielmehr eine Würdigung der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigte. So urteilte der BGH im Jahr 1952, dass Eltern, die ihre 16jährige "sittlich verdorbene" Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestraften, nicht das elterliche Züchtigungsrecht überschritten (BGH, Urteil vom 25. September 1952 - 3 StR 742/51 - NJW 1953, 1440). 1957 führte der BGH aus, dass Ohrfeigen und Rohrstockschläge eines Lehrers nicht strafbar seien, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt sei und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis halte (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957 - 2 StR 458/56 - BGHSt 11, 241). Und noch im Jahr 1986 sah der BGH nicht per se das elterliche Züchtigungsrecht als überschritten an, als Eltern ihr Kind mit einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel geschlagen hatten, wobei jeweils rote Striemen entstanden waren. Vielmehr forderte der BGH auch in diesem Fall eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und erkannte ausdrücklich, dass allein die Verwendung eines Schlaggegenstandes noch nicht das Merkmal der "entwürdigenden Erziehungsmaßnahme" erfülle (BGH, Beschluss vom 25. November 1986 - 4 StR 605/86 - NStZ 1987, 173). Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge deshalb nicht grundsätzlich als "rechtswidrig" eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigen.
Ausgehend hiervon können die von der Klägerin geschilderten Vorgänge nicht den Tatbestand einer rechtswidrigen Körperverletzung erfüllen. Sie hat zwar für den Senat glaubwürdig dargelegt, dass es sich um wiederholte Bestrafungen gehandelt hat, um sie zum Essen und der erforderlichen, ärztlich verordneten Ruhe anzuhalten. Auch das SG ist davon ausgegangen, dass die Klägerin im Zusammenhang mit verweigerter Nahrungsaufnahme oder Unruhe beim Zubettgehen geschlagen worden ist, welches sich zwei- bis dreimal wöchentlich zugetragen hat. Insofern fehlt es aber bereits an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung der Nonnen, wobei ohne Belang ist, dass diese es möglicherweise an der emotionalen Zuwendung an die damals 6-jährige Klägerin haben fehlen lassen. Die Klägerin hat selber vorgetragen, dass sie, wenn an ihrem Verhalten etwas auszusetzen gewesen sei, also allein aus erzieherischen Gründen geohrfeigt worden ist, was damals eine sozial übliche Erziehungsmaßnahme darstellte, die zum damaligen Zeitpunkt rechtlich erlaubt war. Das Ohrfeigen war auch in seiner Intensität und Frequenz nach damaligen Maßstäben eine noch maßvolle Züchtigung, zumal es den Nonnen auch nach den Darlegungen der Klägerin offenbar um die Einhaltung einer Anstaltsdisziplin ging. Die festgestellten Züchtigungen haben auch nicht die vom BSG geschilderte Erheblichkeitsschwelle überschritten, insbesondere ist bloßes Ohrfeigen oder ein festes am Arm Packen in seiner Intensität nicht mit den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, bei denen dennoch kein Überschreiten des Züchtigungsrechts festgestellt werden konnte.
Gleiches gilt für die vom SG festgestellten Fixierungen der Klägerin, auch wenn dadurch ein mehr oder minder strammes Liegen im Bett aufgezwungen wurde. Auch nach heutigem Rechtsverständnis liegt in der Fixierung eines (hier: in einer offenen Einrichtung lebenden) Kindes (hier: mittels Bauch- bzw. Fußgurtes oder eines Schlafsackes) keine Unterbringung (vgl. zum folgenden BGH, Beschluss vom 7. August 2013 - XII ZB 559/11 - NJW 2013, 2969). Eine freiheitsentziehende Unterbringung in diesem Sinn ist nämlich nur dann gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297). Es geht dabei - anders als bei § 1906 BGB - aber nicht primär um einen Schutz der körperlichen Bewegungsfreiheit und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit, sondern vielmehr um die Gewährleistung einer sinnvollen Ausübung des Sorgerechts. Vorliegend ist die Klägerin mit einem an dem Rücken verschließbaren Gestell bei freier Armbeweglichkeit an das Bett fixiert worden, wenn sie zu unruhig war, also nicht vorrangig mit der Absicht, sie ihrer Freiheit zu berauben, sondern zur Durchführung der nach damaligem Verständnis medizinisch indizierten Ruhebehandlung bei Tuberkulose. Deswegen fehlt es auch an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung.
Gegen die gute Möglichkeit, dass die Klägerin in der Zeit zwischen dem 7. Oktober 1965 und dem 7. Oktober 1966 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe durch die Ordensschwestern wurde, spricht außerdem der Umstand, dass die Klägerin vom 5. Juli bis 9. September 1967 erneut in derselben Klinik stationär behandelt worden ist. Das Verhalten der Klägerin nach dem ersten Klinikaufenthalt war demnach nicht derart auffällig, dass die Eltern der Klägerin ein sozial inadäquates Verhalten des Klinikpersonals unterstellen mussten. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus den Untersuchungsberichten des Staatlichen Gesundheitsamtes aus der Zeit von 1967 bis 1985. Zu den anamnestischen Angaben wird darin vielmehr mitgeteilt, dass sich die Klägerin erholt hat (14. Dezember 1967), munter, etwas blass ist (13. November 1968), sich recht wohl fühlt (4. Mai 1971), keinerlei Beschwerden hat (28. Oktober 1971), sich sehr wohl fühlt (2. Juli 1974), Wohlbefinden (18. Oktober 1979 und 5. August 1981). Keinerlei Hinweise finden sich dagegen auf Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin, die Folge der von ihr geschilderten Vorfälle in der Kinderheilstätte gewesen sein könnten.
Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Berufung des Beklagten ist daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolgreich.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung von (Ent-) Schädigungstatbeständen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1959 geborene Klägerin war wegen einer Tuberkuloseerkrankung vom 7. Oktober 1965 bis 7. Oktober 1966 stationär in der Kinderheilstätte in W., einer von der katholischen Diözese R. gegründeten und zu diesem Zeitpunkt unter der Leitung der Gemeinschaft der Franziskanerinnen S. stehenden Lungenfachklinik auf Veranlassung des Hausarztes Dr. K. untergebracht. Bereits am 12.05.1964 war bei positiver Tuberkulinprobe Tbc bei der Klägerin diagnostiziert worden, die zu diesem Zeitpunkt bei einer Größe von 105 cm 16,7 kg wog (Bl. 65 Beiakten). Ausweislich des Entlassungsberichts wog die bei Aufnahme 110 cm große und 17,3 kg schwere Klägerin bei Entlassung 21,5 kg bei einer Größe von 114 cm. Der Hausbesuch am 11. November 1966 ergab, dass die Mutter mit dem Gesundheitszustand der Klägerin zufrieden sei, sie weiterhin regelmäßig die ihr verordneten Medikamente einnehme und jeden Mittag ihre Liegekur einhalte. Vom 5. Juli bis 9. September 1967 befand sich die Klägerin zum Wiederholungsheilverfahren erneut in der Kinderheilstätte W. Bei Aufnahme wurde festgestellt, dass die 6 ¾ Jahre alte Klägerin mit einer Größe von 118 cm und einem Gewicht von 21,1 kg zwar immer noch eine erhebliche Unterlänge habe, der Ernährungszustand aber ausreichend sei (vgl. Entlassungsbericht, Bl. 86 Beiakten). In den Folgejahren wurde die Klägerin regelmäßig bis 1985 dem Staatlichen Gesundheitsamt, Tuberkulose-Fürsorge, des Landkreises R. vorgestellt und festgestellt, dass sich die Klägerin sehr wohl fühle und keinerlei Beschwerden bestünden. (vgl. Untersuchungsbogen, Bl. 88 ff. Beiakten).
Im Rahmen eines Schwerbehindertenverfahrens wies die Klägerin mit Schreiben vom 4. Juni 2010 auf seelische Schäden hin, die im Zusammenhang mit einer Lungenkrankheit stünden. Im Antragsformular auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gab die Klägerin am 13. Juni 2010 an, sie leide an Schlafstörungen, Albträumen, Atemnot, Herzrasen, Angst vor kleinen oder geschlossenen Räumen, Panik bei Gedränge und Menschenansammlungen sowie Berührungsängsten nach der Behandlung in der Kinderheilstätte. Dort sei sie geschlagen und geohrfeigt worden, habe mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen und im Flur schlafen, ein bis zwei Stunden unter Aufsicht auf einer Ruheliege stramm liegen und Speisen, die sie nicht gemocht habe, mit einer Extra-Portion essen müssen. Die essbaren Besuchsgeschenke ihrer Eltern seien an andere Patienten verteilt worden. Der einjährige Krankenhausaufenthalt verfolge sie noch heute.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Beklagte zunächst das über die Klägerin geführte Leistungsverzeichnis bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse - die Gesundheitskasse N. - beigezogen und die Beauftragte der Kongregation der Franziskanerinnen S. e. V. für sexuellen Missbrauch und Misshandlung befragt. Die Beauftragte Frau M. hat mitgeteilt, dass sie die Schilderungen der Klägerin als glaubhaft erlebt habe. Weitere Fälle von der Lungenheilstätte W. seien bislang nicht bekannt, auch lägen Schilderungen von Ordensschwestern aus der damaligen Zeit nicht vor.
Mit Bescheid vom 17. August 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, der Nachweis, dass die Klägerin in der Kinderheilstätte W. gequält oder grob misshandelt bzw. böswillig vernachlässigt worden sei, könne nicht als erbracht angesehen werden. Fest umrissene aktive und passive Misshandlungen durch die Ordensschwestern seien nach Aktenlage nicht nachweisbar.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre damalige Krankenakte sei bereits vernichtet worden. Es sei eine Frechheit an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Es sei noch kein Fall bekannt geworden, in dem der Täter in einer Krankenakte über die Misshandlungen Protokoll führe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21 Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch Ordensschwestern während des einjährigen Aufenthaltes in der Lungenheilstätte W. sei nicht nachweisbar. Es ergäben sich keine Hinweise auf körperliche oder seelische Misshandlungen. Eine böswillige Vernachlässigung lasse sich nicht belegen. Auch reichten die Angaben der Klägerin nicht aus, um sie glaubhaft im Rahmen der Beweiserleichterung der Entscheidung zu Grunde legen zu können.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. November 2010 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, zu deren Begründung sie vorgetragen hat, sie habe in der Kinderheilstätte W. durch die quälerische und rohe Behandlung der pflegenden Nonnen eine sehr traumatische Zeit erlebt. In den ersten Monaten sei der Kontakt zu ihren Eltern auf einmal monatlich reduziert gewesen. Zum Schluss sei ein sonntäglicher Besuch zugelassen worden. Ihre Mutter habe sie nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus als sehr verändert empfunden. Seit 2009 findet die Aufarbeitung des Traumas im Rahmen einer Traumatherapie statt. Ihr behandelnder Arzt habe sie zur Antragstellung aufgefordert. Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, Schläge und Ohrfeigen bekommen zu haben, wenn es etwas an ihrem Verhalten auszusetzten gegeben habe. Sie sei auch am Arm gepackt und dabei extrem fest gezwickt worden. Sei sie verspätet zum Mittagschlaf gekommen, sei das "Strammliegen" angeordnet worden. Wenn sie zu unruhig gewesen sei, sei sie mit einem Geschirr bei frei beweglichen Armen ins Bett gebunden worden.
Sie hat eine ärztliche Stellungnahme der Ärztin und Psychotherapeutin Dr. M. vorgelegt, wonach die Klägerin aufgrund der erlittenen seelischen und körperlichen Grausamkeiten an einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung wie einer Anpassungsstörung leide, die auf der totalen Auslieferung an quälende, terrorisierende und lieblose Nonnen nebst einem wenig einfühlsamen Kinderarzt beruhten. Die Ausführungen des Beklagten seien unethisch und hätten die Klägerin erneut traumatisiert.
Der Beklagte hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es an Brückensymptomen fehle, nachdem die Klägerin erstmalig 2009 eine Traumatherapie durchgeführt habe, also 45 Jahre nach den Vorfällen in der Kinderheilstätte. Gegen eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung spreche auch die Tatsache, dass es der Klägerin möglich gewesen sei, Schule und Ausbildung zu absolvieren, zu heiraten und zwei Kinder großzuziehen. Außerdem habe sie seit 1994 als Sachbearbeiterin gearbeitet.
Die Rückfrage des SG bei den W.-Z.-Kliniken hat ergeben, dass die Krankenakten trotz intensiver Nachforschungen über die Klägerin nicht mehr aufgefunden werden konnten.
Mit Urteil vom 9. Mai 2012 hat das SG den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin "die während des Heimaufenthaltes in der Kinderheilstätte erlittenen Schläge, festes am Arm Packen und die Fixierungen" als tätliche Angriffe anzuerkennen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass es sich nach den glaubhaften Angaben der Klägerin sowohl bei den Schlägen wie dem harten Festhalten und Packen am Arm um Körperverletzungen gehandelt habe, während die Fixierungen mittels eines Brustgeschirrs an das Bett den Tatbestand einer Freiheitsberaubung erfüllten. Diese rechtswidrigen Angriffe seien nicht durch ein Züchtigungsrecht gerechtfertigt. Der Unruhe eines Kindes im Alter von 6 Jahren, welches wegen einer schweren Erkrankung von der Familie isoliert worden sei, könne angemessen nicht durch eine erzwungene Ruhe mittels Fixierung begegnet werden. Es sei auch nicht richtig, ein Kind mit Schlägen zur Nahrungsaufnahme anzuhalten. Nicht unter den Schutzbereich des OEG fielen die fehlende Liebe und Zuwendung oder das Abschneiden der Haare, zumal letzteres durch die Einwilligung der Erziehungsberechtigten getragen sei.
Gegen das am 18. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 4. Juli 2012 Berufung mit der Begründung eingelegt, Züchtigungen seien bis zur Abschaffung des sogenannten Züchtigungsrechts nicht per se rechtswidrig gewesen. Vielmehr habe der Bundesgerichtshof (BGH) bis in die siebziger Jahre Erziehern, Volksschullehrern, Schul-und Anstaltsärzten sowie Kindergärtnerinnen ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht zugestanden. Die körperliche Züchtigung sei nicht nur Ultima Ratio gewesen, sondern habe als tradierte und angemessene Reaktion auf ungebührliches Verhalten gegolten. Die von der Klägerin geltend gemachten Erziehungsmaßnahmen hätten dem Geist der Nachkriegszeit entsprochen und den Zweck verfolgt, Kinder wie kleine Erwachsene abzuhärten und die Anstaltsdisziplin aufrechtzuerhalten. Nach der Expertise zu Rechtsfragen der Heimerziehung der fünfziger und sechziger Jahre seien Züchtigungen erlaubt gewesen, soweit sie nicht unverhältnismäßig gewesen seien. Als verhältnismäßig hätten das Schlagen mit dem Stock auf die Hand, mit dem Federballschläger auf das Gesäß, mit der flachen Hand, mit doppelt zusammengelegter Bügeleisenschnur, mit dem Gummiknüppel, einem Metallklopfer, zusammengelegten Kabelenden und sogar mit einer Gardinenstange gegolten. Gegen Ende der sechziger Jahre sei die Praxis der körperlichen Züchtigungen in Erziehungsheimen zunehmend kritisiert worden. Aber erst 1977 habe erstmals ein Amtsgericht geurteilt, dass die öffentliche Meinung sich insoweit gewandelt habe, dass ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht von Erziehern und Lehrern nicht mehr angenommen werden könne. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Fixierungen der Klägerin am Bett der damaligen medizinischen Auffassung zur Behandlung der Tuberkulose mit "Ruhe" entsprochen hätten. Dann ermangele es aber bereits an der Rechtswidrigkeit der Maßnahme.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Mai 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Man hätte bei der Essenszubereitung auf eine kindgerechte Ernährung hinwirken müssen anstatt eine Nahrungsaufnahme zu erzwingen. Die bloße Unruhe eines Kindes sei kein hinreichender Züchtigungsanlass. Vielmehr sei nur eine gewisse Ruhephase erforderlich gewesen.
Die Vorsitzende hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 30. Oktober 2014 erörtert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Feststellung, ob die erlittenen Schläge, das feste am Arm Packen und die Fixierungen nach dem OEG anzuerkennen sind, nachdem das SG die Klage im Übrigen, d. h. hinsichtlich der weiteren von der Klägerin geschilderten Vorfälle, abgewiesen und die Klägerin hiergegen keine Berufung eingelegt hat.
Das Urteil des SG begegnet bereits aus formalen Gründen rechtlichen Bedenken. Denn eine pauschale Feststellung von Schlägen oder Fixierungen, wie es das SG ohne zeitliche Eingrenzung vorgenommen hat, ist für den Anspruch auf Opferentschädigung nicht ausreichend (so Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 - L 10 VE 39/10 - zit. nach Juris).
Die Klägerin hat auch materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010 ist rechtmäßig, soweit der Beklagte darin eine solche Feststellung abgelehnt hat.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht; vielmehr belegen die noch vorliegenden Krankenunterlagen über den stationären Aufenthalt vom 7. Oktober 1965 bis zum 7. Oktober 1966 in der Kinderheilstätte W. im Allgäu, dass es nicht nur zu einer Besserung der Tuberkuloseerkrankung der Klägerin gekommen ist, sondern sie auch an Gewicht zulegen konnte und keinerlei Beschwerden festgestellt wurden. Gleichgeartete Fälle von Misshandlungen in der Lungenheilstätte W. sind nicht bekannt, auch liegen Schilderungen von Ordensschwestern aus der damaligen Zeit nicht vor, was der Senat der Auskunft der Beauftragten der Kongregation der Franziskanerinnen S. e. V. für sexuellen Missbrauch und Misshandlung entnimmt.
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch im Falle der Klägerin zu beachten. Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlich-keit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die Klägerin in der Zeit vom 7. Oktober 1965 bis zum 7. Oktober 1966 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes durch die Nonnen der Kinderheilstätte W. geworden ist.
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5/84 - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung i. S. des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 S 1 OEG vor. Nach dem neuen § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht 2012, § 1 OEG RdNr. 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20).
Das Schlagen eines Kindes kann in seiner Gesamtheit - zumindest bis zum November 2000 - nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllen (vgl. zum folgenden Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Februar 2013 - L 10 VE 39/10 – zit. nach Juris). Ohne Zweifel stellt zwar die körperliche Züchtigung eines Kindes durch Schläge eine gewaltsame, auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung dar. Diese gewaltsame Einwirkung müsste dabei aber auch in feindseliger Willensrichtung geschehen und rechtswidrig gewesen sein. Sowohl für die Frage der feindseligen Willensrichtung als auch der Rechtswidrigkeit kommt vorliegend zum Tragen, dass körperliche Züchtigungen bis zur Abschaffung des sog. elterlichen Züchtigungs-rechts im Rahmen der Neufassung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB (Abschaffung durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000, BGBl. I, S. 1477) nicht per se rechtswidrig gewesen sind.
Maßgeblich für die vorliegende rechtliche Bewertung ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18), der erkennende Senat ist daher an diese, bis November 2000 bestehende Rechtslage gebunden und hat sie bei seiner Beurteilung eines bis zu diesem Zeitpunkt geschehenen Angriffs heranzuziehen.
Zum Zeitpunkt der vorliegend angeschuldigten Taten verblieb Eltern wie Erziehungsberechtigten bei der Erziehung von Kindern nach der damaligen Rechtslage (und Gesellschaftsauffassung) eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung. Sogar die Verwendung von Schlaggegenständen erfüllte nach den damaligen Maßstäben nicht zwingend das Merkmal einer verbotenen und damit ggfs. als Körperverletzung strafbaren Erziehungsmaßnahme. Zu Erziehungszwecken erlaubte Schläge von strafbaren Körperverletzungen abzugrenzen, erforderte vielmehr eine Würdigung der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigte. So urteilte der BGH im Jahr 1952, dass Eltern, die ihre 16jährige "sittlich verdorbene" Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestraften, nicht das elterliche Züchtigungsrecht überschritten (BGH, Urteil vom 25. September 1952 - 3 StR 742/51 - NJW 1953, 1440). 1957 führte der BGH aus, dass Ohrfeigen und Rohrstockschläge eines Lehrers nicht strafbar seien, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt sei und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis halte (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957 - 2 StR 458/56 - BGHSt 11, 241). Und noch im Jahr 1986 sah der BGH nicht per se das elterliche Züchtigungsrecht als überschritten an, als Eltern ihr Kind mit einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel geschlagen hatten, wobei jeweils rote Striemen entstanden waren. Vielmehr forderte der BGH auch in diesem Fall eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und erkannte ausdrücklich, dass allein die Verwendung eines Schlaggegenstandes noch nicht das Merkmal der "entwürdigenden Erziehungsmaßnahme" erfülle (BGH, Beschluss vom 25. November 1986 - 4 StR 605/86 - NStZ 1987, 173). Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge deshalb nicht grundsätzlich als "rechtswidrig" eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigen.
Ausgehend hiervon können die von der Klägerin geschilderten Vorgänge nicht den Tatbestand einer rechtswidrigen Körperverletzung erfüllen. Sie hat zwar für den Senat glaubwürdig dargelegt, dass es sich um wiederholte Bestrafungen gehandelt hat, um sie zum Essen und der erforderlichen, ärztlich verordneten Ruhe anzuhalten. Auch das SG ist davon ausgegangen, dass die Klägerin im Zusammenhang mit verweigerter Nahrungsaufnahme oder Unruhe beim Zubettgehen geschlagen worden ist, welches sich zwei- bis dreimal wöchentlich zugetragen hat. Insofern fehlt es aber bereits an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung der Nonnen, wobei ohne Belang ist, dass diese es möglicherweise an der emotionalen Zuwendung an die damals 6-jährige Klägerin haben fehlen lassen. Die Klägerin hat selber vorgetragen, dass sie, wenn an ihrem Verhalten etwas auszusetzen gewesen sei, also allein aus erzieherischen Gründen geohrfeigt worden ist, was damals eine sozial übliche Erziehungsmaßnahme darstellte, die zum damaligen Zeitpunkt rechtlich erlaubt war. Das Ohrfeigen war auch in seiner Intensität und Frequenz nach damaligen Maßstäben eine noch maßvolle Züchtigung, zumal es den Nonnen auch nach den Darlegungen der Klägerin offenbar um die Einhaltung einer Anstaltsdisziplin ging. Die festgestellten Züchtigungen haben auch nicht die vom BSG geschilderte Erheblichkeitsschwelle überschritten, insbesondere ist bloßes Ohrfeigen oder ein festes am Arm Packen in seiner Intensität nicht mit den vom BGH entschiedenen Fällen vergleichbar, bei denen dennoch kein Überschreiten des Züchtigungsrechts festgestellt werden konnte.
Gleiches gilt für die vom SG festgestellten Fixierungen der Klägerin, auch wenn dadurch ein mehr oder minder strammes Liegen im Bett aufgezwungen wurde. Auch nach heutigem Rechtsverständnis liegt in der Fixierung eines (hier: in einer offenen Einrichtung lebenden) Kindes (hier: mittels Bauch- bzw. Fußgurtes oder eines Schlafsackes) keine Unterbringung (vgl. zum folgenden BGH, Beschluss vom 7. August 2013 - XII ZB 559/11 - NJW 2013, 2969). Eine freiheitsentziehende Unterbringung in diesem Sinn ist nämlich nur dann gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297). Es geht dabei - anders als bei § 1906 BGB - aber nicht primär um einen Schutz der körperlichen Bewegungsfreiheit und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit, sondern vielmehr um die Gewährleistung einer sinnvollen Ausübung des Sorgerechts. Vorliegend ist die Klägerin mit einem an dem Rücken verschließbaren Gestell bei freier Armbeweglichkeit an das Bett fixiert worden, wenn sie zu unruhig war, also nicht vorrangig mit der Absicht, sie ihrer Freiheit zu berauben, sondern zur Durchführung der nach damaligem Verständnis medizinisch indizierten Ruhebehandlung bei Tuberkulose. Deswegen fehlt es auch an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung.
Gegen die gute Möglichkeit, dass die Klägerin in der Zeit zwischen dem 7. Oktober 1965 und dem 7. Oktober 1966 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe durch die Ordensschwestern wurde, spricht außerdem der Umstand, dass die Klägerin vom 5. Juli bis 9. September 1967 erneut in derselben Klinik stationär behandelt worden ist. Das Verhalten der Klägerin nach dem ersten Klinikaufenthalt war demnach nicht derart auffällig, dass die Eltern der Klägerin ein sozial inadäquates Verhalten des Klinikpersonals unterstellen mussten. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus den Untersuchungsberichten des Staatlichen Gesundheitsamtes aus der Zeit von 1967 bis 1985. Zu den anamnestischen Angaben wird darin vielmehr mitgeteilt, dass sich die Klägerin erholt hat (14. Dezember 1967), munter, etwas blass ist (13. November 1968), sich recht wohl fühlt (4. Mai 1971), keinerlei Beschwerden hat (28. Oktober 1971), sich sehr wohl fühlt (2. Juli 1974), Wohlbefinden (18. Oktober 1979 und 5. August 1981). Keinerlei Hinweise finden sich dagegen auf Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin, die Folge der von ihr geschilderten Vorfälle in der Kinderheilstätte gewesen sein könnten.
Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Berufung des Beklagten ist daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolgreich.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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