L 6 SB 3495/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1893/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3495/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich H (Hilflosigkeit).

Der am 17 09.1940 geborene Kläger ist bei der Debeka pflegepflichtversichert. Der Beklagte stellte mit dem letzten bindenden Bescheid vom 21.06.2004 (Bl 289f VV-II) einen Gesamt-GdB von 100 seit dem 01.03.2004 fest. Der Nachteilsausgleich B wurde, der Nachteilsausgleich G blieb festgestellt. Die Nachteilsausgleiche H und aG wurden abgelehnt. Nach der versorgungs-ärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 03.06.2004 lagen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde (Bl 282f VV-II): - Chronische Bronchitis GdB 50 - Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, entzündlich-rheumatische Erkrankung, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Polyarthrose, Polyneuro¬pathie GdB 50 - Adipositas per magna, Bluthochdruck GdB 10 - Leberschaden GdB 10 - Sehminderung GdB 20 - Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar) GdB 40. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13.10.2004, Bl 337f VV-II); ebenso eine Eingabe an das Sozialministerium B. (Schreiben vom 06.10.2004, Bl 329ff) und die Klage (Sozialgericht Karlsruhe - SG - S 6 SB 4273/04). Die Beiziehung eines Pflegegutachtens hatte der Kläger verweigert.

Am 15.06.2005 beantragte der Kläger die Erhöhung der Einzel-GdB und weitere Nachteilsausgleiche, erstmals RF (VV-III, nicht nummeriert). Der Beklagte erteilte eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde bezüglich Parkerleichterungen für besondere Gruppen Schwerbehinderter in Baden-Württemberg (28.09.2005, Bl 387 VV-III). Der Antrag auf Feststellung der Nachteilsausgleiche H, aG sowie RF wurde abgelehnt (Bescheid vom 28.09.2005, Bl 389f VV-III). Der Kläger erhob - beschränkt auf die Ablehnung des Nachteilsausgleichs H - Widerspruch (Bl 393ff VV-III) und widerrief die erteilte Schweigepflichtsentbindung (Schreiben vom 20.10.2005, Bl 405 VV-III). Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12.12.2005, Bl 407f VV-III).

Am 01.12.2006 beantragte der Kläger wegen Innenohrschwerhörigkeit erneut die Feststellung des Nachteilsausgleichs RF. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 21.12.2007, Bl 434 VV-III; Widerspruchsbescheid vom 31.01.2008, Bl 451ff VV-III): Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. B. vom 18.01.2008 (Bl 448f VV-III) und Dr. C. vom 19.12.2007 (Bl 432f VV- III) begründete die Schwerhörigkeit nach den vorgelegten Audiogrammen einen GdB von 30. Klage (S 3 SB 526/08) und Berufung blieben zunächst erfolglos (Vermerk Bl 470, 473 VV-III). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verwies das Bundessozialgericht den Rechtsstreit zurück an das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 8 1752/11, Bl 566 VV-III). Die Beteiligten schlossen sodann am 05.08.2011 einen Vergleich. Der Beklagte erkannte den Nachteilsausgleich RF rückwirkend ab 01.08.2008 zu (Bl 568 VV-III; Ausführungsbescheid vom 16.11.2011, Bl 583f VV-IV). Der Kläger erhielt eine Bescheinigung über Parkerleichterungen für besondere Gruppen Schwerbehinderter.

Mit hier streitgegenständlichem Neufeststellungsantrag vom 02.09.2010 beantragte der Kläger erneut die Feststellung der Nachteilsausgleiche aG, H und RF. Er legte ein Pflegegutachten des Priv.-Doz. Dr. I. vom 18.11.2010 (Bl 503ff VVV-III) vor. In diesem wurde nach Aktenlage aufgrund der Auswertung von Befundberichten der behandelnden Ärzte ein Pflegebedarf für Grundpflege von 50 Minuten und Pflegestufe I festgestellt. Priv.-Doz. Dr. I. stellte in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität bei geminderter Beweglichkeit und Belastbarkeit Unterstützungsbedarf fest. Im Einzelnen bestehe ein Hilfebedarf für Waschen 1 x täglich (tgl.) bei teilweiser Übernahme von 10 Minuten und einer Teilwäsche tgl. bei teilweiser Übernahme von 5 Minuten, 2 x tgl. Zahnpflege bei teilweiser Übernahme von insgesamt 4 Minuten, 2 x tgl. Kämmen bei teilweiser Übernahme von 2 Minuten, 1x tgl. Rasieren bei teilweiser Übernahme von 5 Minuten, insgesamt 26 Minuten tgl. für Körperpflege. Für Ernährung betrage der Hilfebedarf 5 Minuten tgl. für mundgerechte Zubereitung. Für Mobilität bestehe ein Hilfebedarf von 4 Minuten für 4x tgl. Aufstehen und Zubettgehen bei teilweiser Übernahme, 10 Minuten für An- und Auskleiden 2 x tgl. bei teilweiser Übernahme, Gehen von 5 Minuten bei Unterstützung und Beaufsichtigung 10 x tgl., insgesamt 19 Minuten für Mobilität und für die Grundpflege damit 50 Minuten tgl. Der Kläger hat dieses mit Randbemerkungen zu dem seines Erachtens anfallenden Hilfebedarf versehen (Bl 625 VV-IV). Danach betrage sein Hilfebedarf 30 Minuten tgl. für die Wäsche, 15 Minuten für Zahnpflege, 10 Minuten für Richten der Bekleidung, 10 Minuten für den Wechsel von Vorlagen, 25 Minuten für die Ernährung, 10 Minuten für Aufstehen und Zubettgehen, 20 Minuten für Gehen, 30 Minuten für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung; insgesamt 180 Minuten Grundpflege. Außerdem listete er (Bl 624 VV-IV; besser lesbar Bl 657 VV-IV ) "weitere zusätzliche dauerhafte Dienstleistungen, Betreuungen, Versorgungen" auf, nämlich tgl. 2 x Inhalieren, Therapiegerät richten, tgl. ½ Stunde Vibrax-Therapie, An- und Ablegen der Handgelenksorthese, An- und Ausziehen der Patellabandage; Strümpfe, Socken, Schuhe mit Einlagenorthese mehrmals tgl. An- und Ausziehen, den Gehörgang mehrmals tgl. mit Tropfen versorgen und ausspülen, alle drei Wochen medizinische Fußpflege wegen Diabetes, ca. ¾ Stunde Hausbesuch, Fußbäder tgl. ½ Stunde, Halskrause und Rückenbinde für Hals- und Lendenwirbelsäule an-und ablegen, Hand- und Nagelpflege tgl. und alle drei Wochen Hausbesuch, 2 x tgl. Blutdruck und Blutzucker messen, ggf. Insulin spritzen, Richten der Medikamente in Dosierbehälter, Rivanolbad für Schleimbeutel linker Ellenbogen tgl. ½ Stunde, Disprosonebehandlung mit Einreiben des rechten Oberschenkels, rechten Handrückens, Hals, Kehlkopf, beide Oberarme Innenseite, Eisbehandlung an Hand- und Fingergelenken, Knie-, rechtes Sprunggelenk, Physiotherapie wöchentlich 2 x ¾ Stunde Gymnastik und Massage, ½ Stunde tgl. Rollstuhlausfahrt mit Begleitung, tgl. 3 - 5 Stunden hauswirtschaftliche Versorgung. Er könne seine Tätigkeit als Hausmann nicht mehr ausführen.

Der Beklagte stellte aufgrund eines Befundberichts der Rheumatologin Dr. M. (Bl 599f VV-IV) nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. C. (vom 16.02.2012, Bl 602f VV-IV) den Nachteilsausgleich aG ab 02.09.2010 fest (Bescheid vom 17.02.2012, Bl 604f VV-IV). Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs H lehnte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. C. (vom 14.03 2012, Bl 636f VV-IV) den Antrag mit Bescheid vom 04.04.2012 ab (Bl 639f VV-IV) ab. Dr. C. legte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde: - Chronische Bronchitis, Lungenfunktionseinschränkung, erweiterte Bronchien (Bronchiektasen GdB 50 - Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Gicht mit Gelenkbeteiligung, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Polyarthrose, Funktionsbehinderung des linken Handgelenks GdB 50 - Adipositas per magna, Bluthochdruck GdB 10 - Leberschaden GdB 10 - Sehminderung GdB 10 - Diabetes mellitus GdB 30 - Polyneuropathie, chronisches Schmerzsyndrom GdB 40 - Schwerhörigkeit beidseitig GdB 30 - Entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke GdB 40 Gesamt-GdB 100. Merkzeichen H könne nicht vorgeschlagen werden, da Pflegestufe II nicht vorliege und die hauswirtschaftliche Versorgung außer Betracht bleibe. Der Kläger erhob Widerspruch und legte Laborwerte, einen Medikamentenplan und Fotos seines oberen Rückens, seiner Beine, Hände und einer stuhlverschmierten Windel vor. Der Hilfebedarf für Körperpflege habe sich wegen der Inkontinenz erhöht. Bei schlagartigem, ununterdrückbarem Stuhl- und Harndrang sei er gezwungen sofort eine Toilette aufzusuchen, ansonsten "gehe alles in die Hose". Eine leichte Form von unkontrolliertem Abgang von Winden mit sehr dünnflüssigem Stuhl und eine mittlere Form von unkontrolliertem Abgang von sehr dünnflüssigem Stuhl seien ein Dauerzustand. Die schwere Form von unkontrolliertem Abgang von geformtem Stuhl sei erst zweimal vorgekommen. Er legte erneut das Pflegegutachten mit handschriftlichen Anmerkungen vor, wonach zusätzlich Hilfebedarf bestehe für Hilfen beim Stuhlgang, Richten der Bekleidung, Wechseln kleiner Vorlagen 2-3 x tgl. und Entleeren eines Brecheimers, häufigeres Waschen und Duschen, für Körperpflege insgesamt 90 Minuten; ein Hilfebedarf von 55 Minuten für Ernährung, nämlich mundgerechte Zubereitung und Aufnahme sowie Diätkost. Für Mobilität bestehe höherer Hilfebedarf, nämlich zusätzlich für Transfers und Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung. Vorgelegte ärztliche Atteste aus dem Jahr 2004 bescheinigten erheblichen Hilfebedarf (Dr. R., Dr. K., Dr. R., Bl 676ff VV-IV).

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme (Dr. B. vom 18.04.2012; Bl 666 VV-IV) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2012 zurück (Bl 668f VV-IV). Ein Attest des Arztes für Innere Medizin Dr. R. vom 22.03.2010 bescheinigte, dass aufgrund der Polychondritis, Gicht und Bronchiektasen und der hierdurch eingeschränkten Belastbarkeit/ Beweglichkeit alle Fahrten zu den behandelnden Ärzten mit Begleitperson und Pkw möglich seien, Hand-/Fußpflege sowie Bart- und Haarpflege nicht vom Kläger selbst durchgeführt werden könnten, die Tätigkeit als Hausmann nicht mehr durchgeführt werden könne, stundenweise Haushaltshilfe krankheitsbedingt notwendig sei.

Am 23.05.2012 hat der Kläger Klage beim SG erhoben und einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt (ablehnender Beschluss vom 15.08.2012). Zur Begründung hat er vorgetragen, aus den Laborwerten ergäben sich erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen, auch seien die Medikationen, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen zu bewerten. Er fülle seine Freizeit mit Fernsehen, Computer, Lesen. Ganz grobe Sachen, wie einen Wasserschlauch halten zum Gießen, gingen gerade noch. Wegen der Harn- und Stuhlinkontinenz seien je nach Bedarf Extrawaschungen und Kleiderwechsel erforderlich.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt. Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S. hat den Kläger zuletzt am 26.10.2010 untersucht und ihm am 09.02.2011 einen Elektrorollstuhl (Bl 63f SG-Akte) wegen massiver Einschränkung der Mobilität aufgrund der schweren pneumologischen Grunderkrankung verordnet. An einzelnen Tagen sei der Kläger kaum in der Lage, sich in seiner Wohnung zu bewegen. Seine Erkrankungen im pneumologischen Fachgebiet seien dergestalt, dass sie üblicherweise nicht zu einem Zustand führten, dass im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang dauernd fremde Hilfe benötigt werde (Bl 53ff SG-Akte). Priv.-Doz. Dr. R., Chefarzt der V.-Kliniken K., hat angegeben, es bestünden Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks sowie der linken Hand, diesbezüglich werde fremde Hilfe benötigt. Arzt für Innere Medizin Dr. R. hat hinsichtlich einer Untersuchung am 29.03.2012 rheumatische Schmerzen in Hand-/Sprung-/Finger- und Ellenbogengelenken sowie Neigung zu Stuhlinkontinenz beschrieben. Der Kläger sei für die Verrichtungen des täglichen Lebens dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen (Bl 61ff SG-Akte). Die Rheumatologin Dr. M. hat angegeben, sie behandele die rheumatoide Arthritis und führe eine Schmerztherapie durch. Der Kläger benötige Unterstützung beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege sowie bei der körperlichen Bewegung und der Wahrnehmung kultureller Veranstaltungen (Bl 74f SG-Akte). Das Landesamt für Besoldung und Versorgung hat den Antrag des Klägers auf Pflegezulage Stufe II abgelehnt (Mitteilung durch Beklagten Bl 115 SG-Akte).

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 16.07.2013 abgewiesen. Hilflosigkeit setze einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang voraus, der typisierend vorliege, wenn der tägliche Hilfebedarf zwei Stunden erreiche, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II in der Pflegeversicherung entspreche. Der Grundpflegebedarf liege nach dem Pflegegutachten des Priv.-Doz. Dr. I. bei 50 Minuten, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht mehr gelte. Die abweichenden Angaben des Klägers zum Umfang des Hilfebedarfs seien nicht nachvollziehbar.

Der Kläger hat am 13.08 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er ein undatiertes anonymes Pflegegutachten - nach Angaben des Klägers - von einer Privatperson vom Medizinischen Dienst, die nicht aktenkundig erfasst werden wolle, vorgelegt (Bl 12/24 Senatsakte). Danach liege der Pflegebedarf für Körperpflege bei 111 Minuten, für Ernährung bei zehn Minuten, für Mobilität bei 74 Minuten, insgesamt bei 275 Minuten tgl. Er hat vorgetragen, es liege ein Härtefall bzw. eine besondere Bedarfskonstellation vor, und ein Attest des Arztes für Innere Medizin Dr. R. vom 09.07.2014 vorgelegt, in dem dieser ein komplexes internistisches Krankheitsbild, bestehend aus schwerer Polychondritis, ausgeprägte Bronchiektasen mit wiederholten antibiotikapflichtigen Infektexazerbationen, Diabetes mellitus II mit Polyneuropathie bescheinigt hat. Die für die genannten Krankheiten notwendigen therapeutischen Maßnahmen "u. a. An- und Ablegen von Orthesen/Bandagen an diversen Gelenken, Durchführung von mehrmals täglicher Inhalationstherapie mit Pariboy und diversen medikamentösen Zusätzen; Vibrax-Therapie, Blutzuckermessungen, " bedingten bei dem stark eingeschränkten Bewegungsradius des Patienten, der seit Mai diesen Jahres regelmäßig hausbesuchspflichtig sei, einen erheblich vermehrten pflegerischen Betreuungsbedarf, auch im hauswirtschaftlichen Bereich; aus internistisch-hausärztlicher Sicht halte er die Voraussetzungen für Pflegestufe II für gegeben und befürworte die Durchführung einer Begutachtung durch M.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Juli 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 4. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger den Nachteilsausgleich H ab 2. September 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für richtig; die Berufungsbegründung ergebe keine neuen Erkenntnisse.

Die private Pflegepflichtversicherung des Klägers hat beim Kläger die Pflegestufe I ab Januar 2014 festgestellt, Anträge des Klägers auf Feststellung von Pflegestufe II sind erfolglos geblieben. Sie hat auf Anfrage vier von ihr veranlasste Pflegegutachten der M. vom 04.03.2014 (keine Pflegestufe), 27.03.2014 (51 Minuten - Pflegestufe I), 30.07.2014 (84 Minuten - Pflegestufe I) und 16.08.2014 (91 Minuten - Pflegestufe I) übermittelt. Demnach ist zuletzt ein Hilfebedarf für Grundpflege von 91 Minuten/tgl. festgestellt worden, 44 Minuten für Körperpflege, 9 Minuten für Ernährung und 38 Minuten für Mobilität. Der Kläger bewege sich in der Wohnung mit Stock, Abstützen und Hilfe der Ehefrau fort, draußen benutze er einen Rollstuhl, auch weil er wegen der Belastungsdyspnoe bei Asthma bronchiale keine weiteren Strecken mehr bewältigen könne. Aufgrund der Morgensteifigkeit benötige er morgens mehr Hilfe. Treppensteigen sei sehr mühsam mit Hilfe und Abstützen möglich. Sitz- und Rumpfstabilität seien erhalten, Bücken aus dem Sitzen heraus sei möglich, das gelte auch weitgehend für Schürzen-, Nacken- und Pinzettengriff sowie Faustschluss beidseits. Er benötige Hilfe beim Knöpfen, Reißverschluss schließen und Flaschenverschluss öffnen, könne aber eine Computertastatur bedienen. Wegen der rheumatischen Erkrankung und der diabetischen Polyneuropathie müsse eine Teilübernahme bei der Körperpflege und bei der Darm- und Blasenentleerung in Form vom Wechseln der Inkontinenzartikel und Reinigung nach dem Stuhlgang erfolgen. Bei der Ernährung benötige er Hilfe in Form von mundgerechtem Zerkleinern der Nahrung und Öffnen von Flaschen. Hinsichtlich der Mobilität müsse Hilfe in Form von Teilübernahme beim morgendlichen Aufstehen aus dem Bett, beim An- und Auskleiden, auch beim An- und Ausziehen der verschiedenen Orthesen geleistet werden. Im Gutachten vom 27.03.2014 wird zusammenfassend ausgeführt, der Hilfebedarf allein aufgrund der Einschränkungen der Mobilität wäre geringer, wenn der Kläger diese Einschränkungen psychisch besser kompensieren könnte. Da seine psychischen Einschränkungen jedoch nicht seinem Willen unterstellt, sondern der Persönlichkeitsstörung geschuldet und somit krankheitsbedingt seien, sei der Hilfebedarf anrechenbar.

Der Kläger hat Prozesskostenhilfe beantragt, der Senat hat den Antrag mit Beschluss vom 10.09.2013 abgelehnt. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten (4 Bände), die SG-Akte und die Senatsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs H ablehnenden Bescheide des Beklagten ist rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H liegen bei ihm auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.

Nach § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) hat der Beklagte über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleiches H zu entscheiden. Gemäß § 33b Abs. 6 Sätze 3 und 4 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. der am 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage zu § 2 der Versorgungs-Medizin-Verordnung -Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) sind hilflos diejenigen, die "nicht nur vorübergehend" für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen (VG Teil A Ziffer 4 und 5). Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege und Verrichten der Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein.

Nach der Rechtsprechung des BSG kann die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI] wird der tägliche Zeitaufwand erst dann als hinreichend erheblich angesehen, wenn er mindestens zwei Stunden erreicht. Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit (vgl. §§ 14, 15 [SGB XI]) und der Hilflosigkeit (vgl. § 33b EStG) nicht völlig übereinstimmen, können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereiche decken sich insoweit, als es die sogenannte Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) betrifft. Im Rahmen des § 33b EStG sind zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, ist hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI). Dafür spricht auch die Höhe des dem steuerpflichtigen behinderten Menschen gemäß § 33b EStG gewährten Pauschbetrages, der sich außerordentlich von dem abhebt, der behinderten Menschen mit einem GdB von 100 gewährt wird. Dieser Begünstigungssprung ist nur bei Erforderlichkeit zeitaufwändiger und deshalb entsprechend teurer Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt (siehe zum Ganzen BSG, Urteil vom 12.02.2003, B 9 SB 1/02 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 1; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.02.2014, L 3 SB 238/11; in juris). Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 02.07.1997, SozR 3-3100 § 35 Nr. 6).

Ebenfalls für den Umfang des Hilfebedarfs nicht zu berücksichtigen sind Maßnahmen der Behandlungspflege (BSG, Urteile vom 29.08.1990, 9a/9 RVs 7/89, SozR 3-3870 § 4 Nr. 1 und 14/89 SozR 3-1300 § 32 Nr. 3; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.03.2013, L 7 SB 58/08; jeweils in juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.03.1994, L 10 V 73/90, Leitsätze in juris). Maßnahmen der Behandlungspflege sind medizinische Hilfeleistungen, z.B. Verabreichen von Medikamenten, Anlegen von Verbänden, Spülungen und Einreibungen, Unterstützung bei Inhalationen, Klopfdrainagen. Von Behandlungspflege ist auch dann auszugehen, wenn diese nicht durch medizinisches Personal, sondern von Haushaltsangehörigen nach entsprechender Einweisung geleistet werden kann (BSG, a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt a.a.O.). Auch gezielte Bewegungsübungen sind der Behandlungspflege zuzurechnen (BSG, Urteil vom 17.03.2004, B 3 KR 35/04 R, SozR 4-3500 § 37 Nr. 4). Anderes gilt bei Kindern und Jugendlichen, bei denen die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung, z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen zu berücksichtigen ist (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.02.2014, L 3 SB 238/11; in juris). Nach den VG bleibt ebenso die notwendige Begleitung bei Spaziergängen außer Betracht.

Dass diese Voraussetzungen beim Kläger nicht vorliegen, hat das SG in Auswertung der Sachverständigenzeugenauskünfte von Dr. R., Dr. R. und Dr. M. wie den Pflegegutachten von Dr. I. ausführlich begründet dargelegt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Würdigung an und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG ab. Auch die Ermittlungen zum aktuellen Gesundheits- und Pflegezustand des Klägers durch den Senat rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Für die Beurteilung des zeitlichen Aufwandes der für den Kläger notwendigen Hilfeleistungen stützt sich der Senat insbesondere auf die zuletzt beigezogenen Pflegegutachten, die noch 2014 einen Grundpflegebedarf von 91 Minuten festgestellt haben. Der Kläger ist nicht hilflos, denn sein gesundheitlicher Zustand ist nicht in dem Ausmaß eingeschränkt, wie es die Hilflosigkeit im Sinne des Merkzeichens H erfordert. Er benötigt zwar Hilfe bei häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen. Der Hilfebedarf ist aber nicht i. S. der dargestellten Rechtsprechung erheblich. Der Senat entnimmt den vorgelegten Pflegegutachten, dass der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege (Teilübernahme bei Wäsche, Zahnpflege u. Darm- sowie Blasenentleerung), der Ernährung (mundgerechte Zubereitung der Speisen) und der Mobilität (Teilübernahme beim Aufstehen, Transfer zum Bad sowie An- und Ausziehen) besteht. Somit ist er in allen Verrichtungsbereichen pflegebedürftig, die erforderlichen 3 Verrichtungen werden dabei erreicht, nicht hingegen die 2-Stunden-Grenze, denn der errechnete Pflegebedarf liegt damit nur bei 91 Minuten. Für den Senat waren die Erhebungen der M. auch in Anbetracht der pflegebedürftigen Diagnosen einer rheumatoiden Arthritis mit Gang- und Standunsicherheit wie einer diabetischen Polyneuropathie mit damit einhergehender Inkontinenz nachvollziehbar, da beim Kläger noch teilweise eine Selbständigkeit erhalten ist. So ist seine Mobilität zwar eingeschränkt, er kann sich jedoch im Haus überwiegend selbständig bewegen. Die Motorik der oberen Gliedmaßen ist soweit erhalten, dass Faustschluss, Nacken-, Schürzen- und Pinzettengriff möglich sind, so dass zwar bei einigen Verrichtungen Hilfe benötigt wird, aber nicht in erheblichem Umfang. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Kläger eine Computertastatur bedienen kann. Ein Hilfebedarf von mindestens zwei Stunden im Grundpflegebereich ist danach nicht erreicht.

Die vom Kläger angegebenen weit höheren Ansätze sind demgegenüber angesichts der erhaltenen Fähigkeiten nicht plausibel. Da er jeweils nur Teilübernahme benötigt, ist ein Hilfebedarf von 30 Minuten für das Waschen, 15 Minuten für die Zahnpflege, zehn Minuten für das Richten der Bekleidung, 10 Minuten für den Wechsel von Vorlagen, 25 Minuten für die Ernährung, 10 Minuten für Aufstehen und Zubettgehen, 20 Minuten für Gehen sowie 30 Minuten für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung weit überhöht. Die weiteren von ihm angegebenen dauerhaften Dienstleitungen betreffen Maßnahmen der Behandlungspflege und bleiben daher außer Betracht, so die Inhalation, das Therapiegerät richten, ½ Stunde Vibrax-Therapie, mehrmals tgl. den Gehörgang mit Tropfen versorgen und ausspülen, 2 x tgl. Blutdruck und Blutzucker messen, ggf. Insulin spritzen, Richten der Medikamente in Dosierbehälter, das Rivanolbad für Schleimbeutel am linken Ellenbogen tgl. ½ Stunde sowie die Disprosone-behandlung mit Einreiben des rechten Oberschenkels, rechten Handrückens, Hals, Kehlkopf, beider Oberarme Innenseite, Eisbehandlung an Hand- und Fingergelenken, Knie- und rechtes Sprunggelenk. Dies gilt ebenfalls für die medizinische Fußpflege, für die aufgrund des Hausbesuchs auch kein Aufwand für Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zu berücksichtigen ist. Das An- und Ausziehen seiner Orthesen ist bei der Errechnung des Grundpflegebedarfs für An- und Auskleiden bereits berücksichtigt worden (vgl. Gutachten vom 16.08.2014, Seite 5; Bl 107 Senatsakte). Die Bartpflege bei Hausbesuch alle drei Wochen (vgl. Pflegegutachten vom 16.08.2014, S. 4, Bl 106 Senatsakte) und die vom Kläger angegebene Hand- und Nagelpflege, für die er bereits nicht nachvollziehbar einmal wöchentlich 45 Minuten angesetzt hat, führen nicht zu einem relevanten täglichen Hilfebedarf. Die täglichen Rollstuhlausfahrten bleiben ebenfalls außer Betracht, da die Begleitung bei Spaziergängen keine berücksichtigungsfähige Verrichtung ist und auch nicht zur Beförderung zu Heilmitteln dient.

Hilflosigkeit liegt auch nicht aufgrund eines in den VG genannten Regelbeispiels vor. Danach kann bei einer Reihe von Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt stets bei Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig - auch innerhalb des Wohnraums - die Benutzung eines Rollstuhls erfordern. Der Kläger ist aber nicht querschnittsgelähmt und kann sich auch in der Wohnung noch ohne Rollstuhl fortbewegen, was der Senat ebenfalls den Pflegegutachten entnimmt.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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