L 12 AL 3810/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 2145/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3810/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.08.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den im Verfahren S 14 AL 3206/13 am 23.04.2014 geschlossenen Vergleich.

Der 1959 geborene Kläger meldete sich am 21.11.2011 mit Wirkung zum 01.01.2012 arbeitslos. Mit Bescheid vom 02.02.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 36,23 EUR für 450 Tage. Nachdem der Kläger mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hatte, bezog er vom 28.05.2012 bis 15.03.2013 Krankengeld. Mit Schreiben vom 15.11.2012 teilte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg der Beklagten mit, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht bewilligt werden könne, da keine teilweise oder volle Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit vorliege.

Am 21.02.2013 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 16.03.2013 erneut bei der Beklagten arbeitslos. Mit Bewilligungsbescheid vom 12.06.2013, geändert durch Bescheid vom 24.06.2013, bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 16.03.2013 für 303 Tage Leistungen in Höhe von 40,45 EUR täglich.

Nachdem der Kläger krankheitsbedingt eine Eingliederungsmaßnahme nicht fortsetzen konnte, hob die Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 14.08.2013 die Bewilligung ab 02.07.2013 auf. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 20.08.2013; entgegen der Behauptung der Beklagten habe er der Beklagten immer zur Verfügung gestanden. Sämtliche Krankheitstage seien immer rechtzeitig im Rahmen der vorgeschriebenen Frist an die Beklagte gemeldet worden. Es sei ihm unerklärlich, dass er am 04.07.2013 eine dritte Abmahnung vom Leistungsträger erhalten habe, die völlig haltlos und nicht gerechtfertigt gewesen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe den Vermittlungsbemühungen nicht zur Verfügung gestanden.

Mit Schreiben vom 07.09.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben (S 14 AL 3206/13). Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 19.09.2013 vom Kläger die Erstattung von Arbeitslosengeld in Höhe von 1.173,05 EUR sowie von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von Insgesamt 390,59 EUR gefordert hatte, schlossen der Kläger und die Beklagte in einem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 23.04.2014 folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte hebt die Bescheide vom 19.09.2013 (Erstattungsbescheid in Höhe von 1.173,05 EUR sowie Erstattungsbescheid hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 390,59 EUR) auf und gewährt dem Kläger beginnend ab dem 02.07.2013 Arbeitslosengeld für einen Zeitraum von sechs Wochen. 2. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Ausweislich der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des SG vom 23.04.2014 ist der Vergleich vorgespielt und genehmigt worden.

Mit Schreiben vom 18.06.2014 hat sich der Kläger an das SG gewandt. Der Vergleich sei seiner Meinung nach nicht korrekt vollzogen, da er genötigt worden sei, diesem zuzustimmen (Drohung, Geldstrafe bei Nichterscheinen vor Gericht ohne Rücksicht auf seinen gesundheitlichen Zustand). Außerdem sei er nicht einmal darauf hingewiesen worden, dass er dem Vergleich nicht habe zustimmen müssen. Es gehe immerhin um sechs Monate Arbeitslosengeld, auf die er nicht verzichten könne. Er bestehe weiterhin auf der Zahlung von Arbeitslosengeld bis zum 17.01.2014. Das SG hat daraufhin das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 14 AL 2145/14 weitergeführt.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2014 hat das SG festgestellt, dass das Verfahren S 14 AL 3206/13 durch gerichtlichen Vergleich vom 23.04.2014 beendet wurde. Zwar könne ein Vergleich grundsätzlich wegen Drohung eines Mitglieds des Gerichts angefochten werden, die bloße Verdeutlichung von Prozessrisiken könne jedoch regelmäßig nicht als Drohung gewertet werden. Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass der Kläger genötigt worden sei, dem Vergleich zuzustimmen. Dies ergebe sich weder aus der Niederschrift zum Termin vom 23.04.2013 noch aus dem eigenen Vortrag des Klägers. Insbesondere sei die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts keine Nötigung, dem Vergleich zuzustimmen. Nach § 106 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) könne das Gericht einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts anberaumen und hierzu das persönliche Erscheinen der Beteiligten anordnen. Das Gericht habe das persönliche Erscheinen des Klägers zum Termin angeordnet, um den Sachverhalt mit den Beteiligten zu besprechen. Der Kläger habe dem Gericht zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme am Termin gehindert sei, so dass das Gericht die Interessen des Klägers nicht mit denen des Gerichts habe abwägen können. Der Hinweis auf die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes bei Nichterscheinen trotz angeordnetem persönlichen Erscheinen entspreche dem Regelfall und gebe den Beteiligten die Gelegenheit, das Für und Wider eines unentschuldigten Nichterscheinens abzuwägen. Es hindere die Beteiligten jedoch gerade nicht daran, dem Gericht plausible Gründe mitzuteilen, weshalb der Anordnung des persönlichen Erscheinens keine Folge geleistet werden könne. Aus der Niederschrift zum Termin ergebe sich des Weiteren, dass der Kläger dem Vergleich zugestimmt habe. Eine solche Protokollierung impliziere, dass der Kläger darauf hingewiesen worden sei, dass seine Zustimmung zum Vergleich zu dessen Wirksamkeit notwendig sei, aber gerade nicht erfolgen müsse. Im Übrigen ergebe sich insbesondere aus der verhältnismäßig langen Dauer des Termins von einer Stunde und 25 Minuten, dass der Sachverhalt mit dem Kläger ausführlich besprochen worden sei.

Gegen den Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 05.09.2014. Der Vergleich vom 23.04.2014 sei für ihn insgesamt schon eine Nötigung, da er mit dem Gericht nichts zu tun hätte, wenn seitens der Beklagten alles korrekt abgewickelt worden wäre.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.08.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akte des Sozialgerichts Karlsruhe im Verfahren S 14 AL 3206/13 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit insgesamt zulässig. Sie ist jedoch in der Sache unbegründet.

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihre Zustimmung erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Zu Recht hat das SG über das Begehren des Klägers im Rahmen einer Feststellungsklage (§ 55 SGG) entschieden. Bei einem Streit über die Beendigung eines Rechtsstreites durch Vergleich ist der ursprüngliche Rechtsstreit von dem Gericht fortzuführen, vor dem der Vergleich geschlossen worden ist. Dieses entscheidet dann entweder, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch Endurteil festgestellt wird, oder, wenn die Beendigung verneint wird, in der Sache selbst (BSG, Urteil vom 28.11.2002 – B 7 AL 26/02 –, juris).

Der Rechtsstreit S 14 AL 3206/13 ist durch gerichtlichen Vergleich vom 23.04.2014 beendet worden. Nach § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, um den geltend gemachten Anspruch vollständig (oder zum Teil) zu erledigen.

Der Kläger und die Beklagte haben im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23.04.2014 den in der Sitzungsniederschrift enthaltenen Vergleich geschlossen; dies ergibt sich aus der Beweiskraft des Protokolls (§ 122 SGG i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung – ZPO) und ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass das Sitzungsprotokoll hinsichtlich des Ablaufs der Verhandlung sowie der dort enthaltenen Prozesserklärungen unrichtig sei. Vielmehr bringt er vor, zum Abschluss des Vergleichs genötigt worden zu sein.

Der geschlossene Vergleich ist weder aus prozess- noch aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig oder unwirksam. Prozessvergleiche haben eine Doppelnatur. Einerseits enthalten sie eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des SGG richtet. Zum anderen beruhen sie auf einem materiell-rechtlichen Vertrag in Gestalt eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (§ 58 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X –), für den § 779 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sowie die Vorschriften des BGB über die Willenserklärungen gelten (BSG, Urteil vom 24.01.1991 – 2 RU 51/90 –, juris). Der Vergleich vom 23.04.2014 ist nicht aus prozessualen Gründen unwirksam. Er ist unter Beachtung der prozessualen Vorschriften zustande gekommen. Nach § 101 Abs. 1 SGG kann der Vergleich zur Niederschrift des Gerichts geschlossen werden. Das bedeutet gemäß § 122 SGG i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 1 ZPO, dass die sich sachlich deckenden Erklärungen der Beteiligten in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen sind. Ferner ist zu vermerken, dass der Vergleich vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und genehmigt worden ist (BSG, Urteil vom 28.11.2002 – B 7 AL 26/02 R –, juris). Für den hier vorliegenden Fall der vorläufigen Protokollaufzeichnung gemäß § 160a ZPO genügt das Abspielen der Aufzeichnungen (§ 162 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diesen Anforderungen genügt der Vergleichsschluss ausweislich des Protokolls, denn er wurde vorgespielt und von beiden Beteiligten genehmigt. Der Kläger ist auch nicht prozessunfähig mit der Folge der Nichtigkeit seiner Prozesshandlungen gewesen. Nach § 71 Abs. 1 SGG ist ein Beteiligter prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. Hinweise auf eine aufgehobene Geschäftsfähigkeit des Klägers gemäß § 104 BGB durch eine nicht nur vorübergehende, die freie Willensbildung ausschließende krankhafte Störung der Geistestätigkeit liegen nicht vor und werden auch nicht behauptet.

Der Vergleich ist auch nicht wirksam angefochten worden mit der Folge des rückwirkenden Wegfalls seiner Wirksamkeit gemäß §§ 119 ff. BGB. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Anfechtung des Vergleichs gemäß § 123 BGB wegen widerrechtlicher Drohung nicht vor. Eine Drohung in diesem Sinne setzt die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus. Der Bedrohte muss sich einer Zwangslage ausgesetzt sehen, die ihm subjektiv das Gefühl gibt, nur noch zwischen zwei Übeln entscheiden zu können (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.01.2013 – L 5 AS 347/12 –, juris). Zwar trägt der Kläger vor, er sei genötigt worden, dem Vergleich zuzustimmen, und zwar durch Drohung mit Geldstrafe bei Nichterscheinen vor Gericht ohne Rücksicht auf seinen gesundheitlichen Zustand. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um die allgemeinen Hinweise des Gerichts bei Anordnung des persönlichen Erscheinens. Dabei wird auch lediglich auf die Folgen eines unentschuldigten Nichterscheinens hingewiesen. Nach § 106 Abs. 3 SGG kann das Gericht einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts anberaumen und hierzu das persönliche Erscheinen der Beteiligten anordnen, die Anordnung des persönlichen Erscheinens steht somit im Ermessen des Vorsitzenden (Leitherer, in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 106 RN. 16). Der Kläger hat dem SG zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme am Termin gehindert oder beeinträchtigt sei, so dass das Gericht keinen Anlass gehabt hat, solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen und von einer Anordnung des persönlichen Erscheinens abzusehen. Im Übrigen bedarf es keiner weiteren Darlegung, dass die Pflicht zum Erscheinen nicht die Pflicht zum Abschluss eines Vergleichs, schon gar nicht mit einem bestimmten Inhalt, beinhaltet. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass insofern Druck auf ihn ausgeübt worden ist; schon gar nicht schildert er entsprechende konkrete Vorgänge. Er bringt lediglich vor, er sei nicht darauf hingewiesen worden, dass er dem Vergleich widersprechen könne. Das ergibt sich indessen ohne Weiteres daraus, dass der Vergleich eine Willenserklärung des Klägers enthält und auch entsprechend formuliert ist und dass der gesamte Vergleich vorgespielt und vom Kläger selbst genehmigt worden ist.

Auch eine wirksame Anfechtung nach § 119 BGB ist nicht erfolgt. Der Kläger unterlag bei der Abgabe seiner Willenserklärung weder einem Erklärungsirrtum noch einem Inhaltsirrtum. Ein Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) liegt vor, wenn der Erklärende etwas anderes äußert, als er eigentlich (subjektiv) will, weil er sich zum Beispiel verspricht, verschreibt oder vergreift (siehe etwa Sächsisches LSG, Urteil vom 20.06.2013 – L 3 AL 90/12 –, juris; Arnold, in: Erman, BGB, 13. Aufl., 2011, § 119 Rn. 22). Bei einem Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) deckt sich zwar das äußere Bild der Willenserklärung mit dem Willen des Erklärenden. Jedoch weicht der Bedeutungsgehalt, die der Erklärung vom Empfängerhorizont aus objektiv zuzumessen ist, vom Willen des Erklärenden ab. Der Erklärende irrt sich über den objektiven Sinn der von ihm verwendeten Erklärungszeichen, weil er beispielsweise fehlerhaft Maßeinheiten, Fachausdrücken oder Fremdwörtern verwendet (Sächsisches LSG a.a.O.; Arnold, a. a. O., Rn. 23). Für einen derartigen Sachverhalt bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger macht lediglich nachträglich über die Vergleichsregelung hinausgehende Ansprüche geltend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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