L 11 VE 38/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 139 VE 201/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VE 38/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 8/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Revision zurückgewiesen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die 1938 geborene Klägerin ist Tochter des 1944 in Russland gestorbenen Soldaten B P. Dass Letztgenannter am 27. September 1944 an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gestorben ist, hatte das Versorgungsamt II mit an die Mutter der Klägerin gerichtetem Bescheid vom 11. April 1962 festgestellt. Bereits zuvor hatten die Klägerin und ihr Bruder B jeweils eine Waisenrente bezogen. Mit Bescheid vom 11. Juli 1951 "über die vorläufige Gewährung von Hinterbliebenenbezügen" war durch das Versorgungsamt auch für die Klägerin monatlich eine Grundrente von 10,- DM und eine Ausgleichsrente von 6,- DM gewährt worden. Mit Bescheid der Versicherungsanstalt vom 10. Oktober 1951 nach dem Gesetz zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 war die Waisenrente für die Klägerin und ihren Bruder B auf insgesamt 60,- DM monatlich festgesetzt worden. Mit Bescheid des Versorgungsamts II "über die Feststellung von Witwen- und Waisenbezügen - Erstanerkennung -" vom 27. Februar 1952 wurde auch der Klägerin eine Waisenrente in Höhe von monatlich 35,67 DM bewilligt. Zugleich wurde das Außerkrafttreten des Vorbescheides vom 11. Juli 1951 verfügt.

Mit Benachrichtigung des Versorgungsamtes vom 17. Februar 1956 war die Waisenrente der Klägerin mit Ablauf des Monats März 1956 wegen Vollendung des 18. Lebensjahres eingestellt worden. Mit Bescheid vom 27. November 1956 wurde ihr die Waisenrente ab dem 1. Juni 1956 "für die Dauer der Erwerbsfähigkeit als Kannbezug gewährt". Beide Bescheide waren an die Mutter der Klägerin gerichtet gewesen.

Auf Antrag vom 31. Juli 1956 war bei der Klägerin mit Bescheid vom 8. April 1957 der Grad der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit mit 70 Prozent festgestellt worden wegen Verlustes des rechten Oberschenkels und schnellendem 4. Finger rechts und links.

Mit an die Mutter der Klägerin gerichtetem Bescheid des Versorgungsamtes vom 27. April 1957 war die Waisenrente der Klägerin ab Februar 1957 erneut eingestellt worden, weil die Klägerin seit Januar 1957 in Arbeit stehe und Erwerbsunfähigkeit nicht mehr vorliege.

Ausweislich eines aktenkundigen Rentenversicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung vom 14. Oktober 2009 hatte die Klägerin seit dem 8. Februar 1955 bis 29. März 1956 Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung, dann Krankheitszeiten vom 30. März 1956 bis 1. Oktober 1956, einen Unterbrechungs- bzw. Überbrückungstatbestand vom 2. Oktober 1956 bis 9. Dezember 1956 und dann wieder Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung vom 10. Dezember 1956 bis 23. Juni 1957, an die sich eine Krankheitszeit vom 24. Juni 1956 bis 4. September 1957 anschloss. Anschließend wechselten Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung und Krankheitszeiten. Seit dem 10. Dezember 1956 bis 16. März 1966 sind folgende versicherungspflichtigen Arbeitsentgelte im Rentenversicherungsverlauf aufgeführt:

- 10. Dezember 1956 bis 31. Dezember 1956: 149,02 DM, - 1. Januar bis 28. Februar 1957: 488,97 DM, - 1. März bis 23. Juni 1957: 966,- DM, - 5. September bis 31. Dezember 1957: 990,56 DM, - 1. Januar bis 25. Februar 1958: 488,88 DM, - 1. Juni bis 31. Dezember 1958: 1.868,57 DM, - 1. Januar bis 27. Juni 1959: 1.787,12 DM, - 24. August bis 16. Dezember 1959: 1.155,42 DM, - 11. April bis 31. Mai 1960: 534,57 DM, - 1. Juni bis 31. Dezember 1960: 2.869,57 DM, - 1. Januar bis 31. Dezember 1961: 3.869,97 DM, - 15. Januar bis 31. Dezember 1962: 5.041,94 DM, - 1. Januar bis 31. Dezember 1963: 5.543,68 DM, - 1. Januar bis 31. Dezember 1964: 5.388,95 DM, - 1. Januar bis 31. Dezember 1965: 6.518,18 DM, - 1. Januar bis 16. März 1966: 1.476,66 DM.

Pflichtbeitragszeiten aus abhängiger Beschäftigung hatte die Klägerin bis einschließlich Oktober 1974. Im Anschluss daran wechselten sich Krankheits-, Arbeitslosigkeits- und Unterbrechungs-/Überbrückungstatbestände ab. Vom 27. Juli 1977 bis 31. März 2003 bezog die Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente, der 28,3929 Entgeltpunkte zugrunde lagen. Seit dem 1. April 2003 bezieht sie eine Altersrente auf der Grundlage von 33,9398 Entgeltpunkten.

Mit Schreiben an den Beklagten vom 24. Januar 2008 beantragte die Klägerin Waisenrente, weil sie sich aufgrund ihrer körperlichen Gebrechen seit dem 18. Lebensjahr nur teilweise und seit dem 36. Lebensjahr gar nicht mehr selbst unterhalten könne.

Der Beklagte zog bei der Deutschen Rentenversicherung ärztliche Unterlagen, insbesondere medizinische Gutachten aus den Jahren 1977 und 1978, bei. Anschließend lehnte er den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 ab. Nach § 45 Abs. 3 BVG werde die Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt. Nach § 45 Abs. 3 Buchstabe d) BVG erhalte ein Hinterbliebener auf Antrag Versorgung, wenn er infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauere, über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande sei, sie zu unterhalten. Die Klägerin sei bis zu ihrer Arbeitslosigkeit im November 1974 einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen und habe seit dem 27. Juli 1977 bis zum 31. März 2003 eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen. Seit April 2003 beziehe sie eine Regelaltersrente. Daher könne sich die Klägerin selbst unterhalten.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Oktober 2009 Klage erhoben. Ihr rechtes Bein sei kurz nach Vollendung des 18. Lebensjahres wegen Knochenkrebs amputiert worden. Demgemäß sei ihr Behinderungsgrad mit 70 Prozent festgestellt worden. Daher sei die Antragstellung für eine Waisenrente spätestens auf das Datum der Erteilung des Behinderungsgrades zu datieren. Sie habe bis 1967 ununterbrochen bei ihrer Mutter gewohnt und sei ungeachtet ihres Erwerbseinkommens von dieser unterhalten worden. Während eines anschließenden zweijährigen "Wohnänderungsaufenthalt[es]" sei sie weiter von ihrer Mutter unterhalten worden. Auch nach 1969, dem Jahr in dem die Klägerin in dem gleichen Haus ihrer Mutter eine Wohnung bezog, sei sie von ihrer Mutter "massiv" unterhalten worden. 1974 sei die Klägerin arbeitslos und wegen ihrer Behinderung als nicht vermittelbar angesehen worden. 1975 bis zum Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente habe die Klägerin Unterhalt vom Sozialamt bezogen. Dies sei auch während ihres Rentenbezuges der Fall gewesen. Auch aktuell beziehe sie neben ihrer Rente ergänzende Grundsicherungsleistungen.

Das Sozialgericht hat unter anderem die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Deutschen Rentenversicherung beigezogen und hieraus Kopien gefertigt und zu den Akten genommen. Die Klägerin hat ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 22. Oktober 2008 zu den Akten des Sozialgerichts gereicht.

Das Sozialgericht hat die auf Gewährung einer Waisenrente gerichtete Klage durch Urteil vom 16. August 2010 abgewiesen. Nach § 45 Abs. 1 BVG erhielten Waisenrente nach dem Tode des Beschädigten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Gemäß § 45 Abs. 3 Buchstabe d) BVG sei die Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine Waise zu gewähren, die infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauere, über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande sei, sie zu unterhalten. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. April 1980 (9 RV 1/79 – juris) müssten die genannten Voraussetzungen der Gebrechlichkeit sowie des Unvermögens der Existenzsicherung bereits bei Vollendung des 27. Lebensjahres vorliegen. Die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt in der Lage gewesen, sich selbst zu unterhalten. Denn sie habe sich seit April 1960 durchgehend in einem Beschäftigungsverhältnis befunden. Im Jahr 1965, dem Jahr, in dem sie ihr 27. Lebensjahr vollendet habe, habe sie 6.518,18 DM verdient. Das Durchschnittseinkommen in diesem Jahr habe 9.229,- DM betragen. Mit ihrem monatlichen Durchschnittsverdienst sei die Klägerin in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Anspruch auf Waisenrente sei auch nicht wieder aufgelebt, weil sie neben ihrer Rente ergänzend Sozialhilfeleistungen und auch Zuwendungen ihrer Mutter erhalten habe. Denn sie habe sich durch ihre Erwerbstätigkeit in ein anderes soziales Sicherungssystem, hier der gesetzlichen Rentenversicherung eingegliedert. Sie sei nicht im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 5 BVG "erneut" außerstande, sich selbst zu unterhalten. Denn nach einem Urteil des BSG vom 11. Oktober 1994 (9 RV 35/93 – juris) sei "erneut" so zu verstehen, dass die Waisenrente nur wiederauflebe, wenn die Erwerbstätigkeit nur zur vorübergehenden Unabhängigkeit geführt habe und die Waise bei Beendigung der Erwerbstätigkeit wieder in den vorigen Stand zurückfalle. Die Waise falle jedenfalls dann nicht in diesen Stand zurück, wenn die beitragsrechtlichen Voraussetzungen für eine versicherungsrechtliche Unterhaltsersatzleistung erfüllt seien. Dies sei hier bei der Klägerin der Fall, die zunächst eine Erwerbsunfähigkeitsrente und nunmehr auf der Grundlage von über 33 Entgeltpunkten eine Altersrente beziehe.

Gegen das ihr am 12. September 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Oktober 2010 Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft. Insbesondere meint sie, sie habe ihren Lebensunterhalt durch die Erwerbstätigkeit nicht vollständig bestreiten können. Dabei sei ein behinderungsbedingter Mehraufwand zu berücksichtigen. Die Mutter der Klägerin dürfte gegen den Bescheid vom 27. April 1957 Widerspruch eingelegt haben.

Mit – über ihren Bevollmächtigten – an die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 2. Mai 2014 hat der Beklagte auf deren Antrag von Oktober 2012 festgestellt, dass Herr B P am 27. September 1944 an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG verstorben ist.

Die Senatsvorsitzende hat der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2015 folgenden Antrag empfohlen:

"Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 und den Bescheid des Versorgungsamtes vom 27. April 1957 aufzuheben, soweit mit letzterem Bescheid die Bewilligung von Waisenrente der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Februar 1957 aufgehoben worden ist,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 zu verurteilen, den Bescheid des Versorgungsamtes vom 27. April 1957 teilweise zurückzunehmen und der Klägerin eine Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ab dem 1. Februar 1957 zu gewähren."

Die Klägerin beantragt:

"1.a Die Klägerin begehrt die Weiterzahlung der, über das 18. Lebensjahr bezogenen und so dann rechtswidrig entzogenen, Kriegsopfer-Waisenrente.

1.b Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß rechtswidrig eine Kriegsopferfürsorgeversorgung, nach dem 18. Lebensjahr bei Eintritt der 70 % tigen Behinderung, nicht geleistet wurde.

2. Die Klägerin begehrt, nach nunmehrigem Abschluss – mit dem 2. Dezember 2014 – der Ermittlungen, den endgültigen Erlass eines Bescheid über den Bezug einer Waisenrente nach den derzeitigen BVGesetzlichen Bestimmungen."

Die Klägerin begehrt außerdem die Verzinsung der ihr nach ihrer Ansicht zustehenden Rentenleistung.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die die Mutter der Klägerin betreffenden Verwaltungsakten seien im Jahr 2010 vernichtet worden. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2012 hat der Beklagte dem Senat einen Ausdruck der im PC gespeicherten Daten aus diesen Verwaltungsvorgängen übermittelt.

Der Senat hat bei dem Verwaltungsgericht Berlin die Streitakten , die ein Verfahren des Bruders und Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beklagten betreffen, sowie die Streitakten , die ein Verfahren der Klägerin gegen den Beklagten betreffen, jeweils nebst Verwaltungsakten beigezogen, eingesehen und zurückgesandt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und der Versorgungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009, mit dem der Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Waisenrente vom 28. Januar 2008 ablehnte, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente gegen den Beklagten.

Dabei hat die Senatsvorsitzende gemäß § 106 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darauf hingewirkt, dass die Klägerin einen sachdienlichen Antrag stellt und demgemäß den aus dem Tatbestand ersichtlichen Antrag empfohlen. Dass die Klägerin diesen Antrag nicht übernommen hat, steht einer Entscheidung hier nicht entgegen, weil das Gericht gemäß § 123 SGG über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Dabei ist hier festzuhalten, dass es der Klägerin mindestens in Bezug auf ihren Antrag unter Nr. 1. a im Kern darum geht, von dem Beklagten eine Waisenrente zu erhalten. Über diesen Anspruch hat der Senat gemäß den nachfolgenden Ausführungen umfassend und unter jedem rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkt entscheiden können und auch entschieden.

Ausgehend von der Rechtsauffassung der Klägerin, der Aufhebungsbescheid des Versorgungsamtes vom 27. April 1957 sei rechtswidrig und die Mutter der Klägerin habe gegen ihn Widerspruch eingelegt, könnte die Klägerin ihr Begehren in erster Linie mit der reinen Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative SGG erreichen. Denn angegriffen ist der Bescheid vom 27. April 1957, der sich in Bezug auf die Waisenrente der Klägerin in deren Aufhebung mit Wirkung ab dem 1. Februar 1957 erschöpft. Würde der angefochtene Bescheid insoweit aufgehoben, lebte der Bewilligungsbescheid vom 27. November 1956 wieder auf, soweit mit ihm der Klägerin eine Waisenrente mit Wirkung ab dem 1. Juni 1956 gewährt worden ist. Die Anfechtungsklage ist indes unzulässig. Denn gegen den Bescheid vom 27. April 1957, mit dem die mit Bescheid vom 27. November 1956 verfügte Bewilligung einer Waisenrente zugunsten der Klägerin mit Wirkung ab Februar 1957 aufgehoben wurde, ist kein Widerspruch eingelegt worden. Für die Richtigkeit des Vortrages des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der in seinem Schriftsatz vom 17. Mai 2012 ohne näheren Tatsachenvortrag mutmaßt, gegen den Bescheid vom 27. April 1957 habe die Mutter der Klägerin Widerspruch erhoben, gibt es nach Aktenlage keine Anhaltspunkte, zumal es lebensfremd ist anzunehmen, dass die Mutter der Klägerin nach Einlegung des Widerspruchs jahrzehntelang zugewartet hat, ohne auf eine Entscheidung über den Widerspruch zu dringen. Somit stellt der Vortrag, ein Widerspruch sei eingelegt worden, eine reine Spekulation dar, für deren Richtigkeit es keine Anhaltspunkte gibt. Da die Klägerin für den Umstand, dass ihre Mutter Widerspruch eingelegt hat, darlegungs- und beweispflichtig ist, geht die Nichterweislichkeit dieses Umstandes zu ihren Lasten. Eine Beweislastumkehr wegen Vernichtung der Verwaltungsvorgänge durch den Beklagten kommt hier ohne schlüssigen Tatsachenvortrag der Klägerin nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund erübrigen sich auch Ausführungen zu einer etwaigen Verfahrensaussetzung bis zum Abschluss eines Widerspruchsverfahrens.

Die Klägerin hat auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg.

Insoweit kommt als eine Anspruchsgrundlage § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist hier anwendbar. Dem steht nicht entgegen, dass diese Vorschrift erst zum 1. Januar 1981 und damit (weit) nach dem hier zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 27. April 1957 in Kraft getreten ist. Denn § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist auch in diesen Fällen anzuwenden (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 15. Dezember 1982 - GS 2/80 -; Urteil vom 23. Juni 1983 - 2 RU 2/82 – beide bei juris).

Ob der Anwendbarkeit des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein eingelegter und noch nicht verbeschiedener Widerspruch gegen den zur Überprüfung gestellten Bescheid entgegenstünde (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X, Rn. 6), kann hier dahinstehen, weil ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. April 1957 – wie dargelegt – nicht eingelegt wurde.

Innerhalb des Zugunstenverfahrens ist maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides der Zeitpunkt seines Erlasses (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Auflage 2014, § 44, Rn. 24 i. V. m. Rn. 9). Dieser Zeitpunkt liegt hier in Bezug auf den Bescheid vom 27. April 1957 im April, spätestens im Mai 1957, wobei der genaue Erlasszeitpunkt hier unerheblich ist. Zur Beurteilung der Fehlerhaftigkeit dieses Bescheides kommt es im Übrigen nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass, sondern bei Überprüfung an. Erforderlich dazu ist eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer – eventuell geläuterten – Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes geltenden Sach- und Rechtslage. In diesem Sinne beurteilt sich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (vgl. Schütze, a. a. O., Rn. 10).

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Waisenrente mit Wirkung ab Februar 1957 ist § 62 Abs. 1 BVG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791). Danach werden Versorgungsbezüge neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Beklagte ist ausweislich seiner Begründung in dem Bescheid vom 27. April 1957 von einer wesentlichen Änderung insoweit ausgegangen, als die Klägerin seit Januar 1957 in Arbeit stand, so dass Erwerbsunfähigkeit nicht mehr vorgelegen habe. Diese Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Denn nach § 45 Abs. 3 Buchstabe b) BVG in der Fassung des Gesetzes vom 6. Juni 1956 (BGBl. I S. 463) konnte eine Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine unverheiratete Waise gewährt werden, die bei Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand andauert. Der Begriff des Außerstandeseins, sich selbst zu unterhalten, ist entsprechend dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit im § 1247 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auszufüllen (so Landessozialgericht Bremen, Urteil vom 18. September 1987 - L 3 V 25/85Breith 1989, S. 325 ff. unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 14. August 1984 - 10 RKg 6/83 - juris). Erwerbsunfähig ist nach dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.

Dass die Klägerin jedenfalls mit ihrer Beschäftigungsaufnahme im Dezember 1956 in der Lage gewesen ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit – wenn auch mit krankheitsbedingten Unterbrechungen – auszuüben, ergibt sich aus dem Rentenversicherungsverlauf. Sie war auch in der Lage, mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit zu erzielen. Geringfügig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO sind Einkünfte, die ein Achtel der Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreiten (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - juris). Eine Anhebung dieser Grenze unter dem Blickwinkel eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs kommt entgegen der Einschätzung der Klägerin hier nicht in Betracht.

Die Klägerin hatte hier ein versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt zwischen Januar und Juni 1957 in Höhe von durchschnittlich ca. 240,- DM monatlich erzielt. Die jährliche Beitragsbemessungsgrenze betrug nach der Anlage 2 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) im Jahr 1957 9.000,- DM, was einem monatlichen Entgelt von 750,- DM entspricht. Ein Achtel hiervon sind 93,75 DM monatlich. Die Klägerin hat deutlich höhere und damit nicht nur geringfügige Einkünfte im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO erzielt. Vor diesem Hintergrund war die Aufhebung der Waisenrente zum 1. Februar 1957 nicht zu beanstanden.

Ein Anspruch auf Waisenrente besteht hier auch nicht, wenn man annehmen wollte, die Aufhebungsentscheidung vom 27. April 1957 sei zwar rechtmäßig, die Anspruchsvoraussetzungen für eine Gewährung der Waisenrente seien aber danach (wieder) erfüllt gewesen. Anspruchsgrundlage ist insoweit § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB X. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist nach Satz 1 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr. 1). § 48 Abs. 1 SGB X ist auch auf Verwaltungsakte anwendbar, die vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1981 ergangen sind (vgl. Steinwedel, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X, Rn. 2).

Mit Blick darauf, dass die Klägerin in jedem Kalenderjahr bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Einkommen erzielt hat, das ein Achtel der Beitragsbemessungsgrenze überschritten hat, kommt eine wesentliche Änderung zugunsten der Klägerin wegen infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen bestehender Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, insoweit nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang ist das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin auch bei Vollendung ihres 27. Lebensjahres im März 1965 in der Lage gewesen ist, sich selbst zu unterhalten. Denn auch zu diesem Zeitpunkt war sie einerseits in der Lage, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, und andererseits, mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit zu erzielen. Die jährliche Beitragsbemessungsgrenze betrug nach der Anlage 2 zum SGB VI im Jahr 1965 14.400,- DM, was einem monatlichen Entgelt von 1.200,- DM entspricht. Ein Achtel hiervon sind 150,- DM monatlich. Das versicherungspflichtige Arbeitsentgelt der Klägerin betrug im Jahr 1965 6.518,18 DM, was monatlich durchschnittlich etwa 543,- DM entspricht und deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Vor diesem Hintergrund muss der Senat nicht problematisieren, dass die Anhebung der Altersgrenze auf das 27. Lebensjahr ohnehin erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 1967 durch das Gesetz vom 28. Dezember 1966 (BGBl. I S. 750) und damit lange nach Vollendung des 27. Lebensjahres der Klägerin erfolgt ist.

Eine wesentliche Änderung ist hier auch nicht in dem Sinne eingetreten, dass nach zwischenzeitlichem Vermögen, sich selbst zu unterhalten, die Klägerin zu einem späteren Zeitpunkt "erneut" außerstande gewesen ist, sich selbst zu unterhalten. Diese Regelung ist als Satz 2 des § 45 Abs. 3 BVG durch Gesetz vom 24. Juli 1972 (BGBl. I S. 1284) eingeführt worden. Hatte eine Waise, die bei Vollendung des 27. Lebensjahres körperlich oder geistig gebrechlich war, nach diesem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, so war die Waisenrente danach erneut zu gewähren, wenn und solange sie wegen desselben körperlichen oder geistigen Gebrechens erneut außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Die Voraussetzungen dieser Regelung, die von redaktionellen Änderungen abgesehen bis heute besteht und derzeit in § 45 Abs. 3 Satz 5 verankert ist, liegen in der Person der Klägerin nicht vor. Hierzu hat, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, das BSG in seinem Urteil vom 11. Oktober 1994 (9 RV 35/93 – juris; zu § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG in seiner damaligen Fassung, der § 45 Abs. 3 Satz 5 BVG in der aktuellen Fassung entspricht) entschieden, dass das Wort "erneut" so zu verstehen sei, dass die Waisenrente nur wiederauflebe, wenn die Erwerbstätigkeit nur zur vorübergehenden Unabhängigkeit geführt hat und die Waise bei Beendigung der Erwerbstätigkeit wieder in den vorigen Stand zurückfällt. Die Waise fällt nach dieser Rechtsprechung aber jedenfalls dann nicht in diesen Stand zurück, wenn die beitragsrechtlichen Voraussetzungen für eine versicherungsrechtliche Unterhaltsersatzleistung erfüllt sind. Das BSG hatte in dem genannten Urteil keinen Anlass gesehen, näher zu bestimmen, nach welcher Zeit seit Aufnahme einer Berufstätigkeit eine dauerhafte Eingliederung mit der Folge vorliegt, dass der Anspruch auf Waisenrente endgültig wegfällt. Es hatte aber einen Zeitraum über zwei Jahrzehnte als jedenfalls lang genug erachtet. So liegt der Fall auch hier, weil die Klägerin zwischen 1957 und 1974 und damit rund 17 Jahre gearbeitet hat, seit Juli 1977 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf der Grundlage von 28,3929 Entgeltpunkten bezog und jetzt eine Altersrente auf der Grundlage von fast 34 Entgeltpunkten bezieht, so dass eine dauerhafte Eingliederung in das Erwerbsleben mit dem Erwerb eines Anspruchs auf eine versicherungsrechtliche Unterhaltsersatzleistung geglückt ist. Dass die Klägerin neben ihrer Rente auch jetzt ergänzend Grundsicherungsleistungen nach Maßgabe des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bezieht und früher Sozialhilfe bezog, rechtfertigt keine andere Wertung.

Da die Entziehung der Waisenrente und ihre Nichtgewährung der jeweiligen Rechtslage entsprach und entspricht, kann sich die Klägerin auch nicht auf etwaige Beratungsmängel des Beklagten stützen. Aus dem gleichen Grund kann die Klägerin auch nicht mit ihrem unter 1.b formulierten Feststellungsantrag durchdringen.

Ein "endgültige[r] Erlass eines Bescheid[es] über den Bezug einer Waisenrente nach den derzeitigen BVGesetzlichen Bestimmungen" kommt hier nicht in Betracht, weil der Klägerin gemäß den obigen Ausführungen ab Februar 1957 keine Waisenrente zustand und seitdem auch nicht zusteht. Für den Erlass eines ablehnenden Bescheides fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, zumal der Beklagte eine entsprechende Ablehnung schon mit Bescheid vom 23. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 verfügt hat.

Ohne Anspruch auf eine Hauptleistung hier in Gestalt der Waisenrente kommt auch keine Verzinsung in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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