L 13 SB 59/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 SB 3012/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 59/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2013 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2011 in der Fassung des Bescheides vom 21. November 2011 verpflichtet, zugunsten des Klägers mit Wirkung vom 1. September 2010 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu einem Viertel und des zweitinstanzlichen Verfahrens im vollen Umfang zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1950 geborene Kläger, bei dem der Beklagte 2009 einen GdB von 30 festgestellt hatte, stellte am 1. September 2010 einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 2011 den Antrag ab. Auf den Widerspruch des Klägers, mit dem er auch die Merkzeichen "G", "B", "RF" und "H" begehrte, holte der Beklagte das Gutachten des Orthopäden J vom 5. Juli 2011 ein. Dem Vorschlag des Gutachters entsprechend stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2011 bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 40 fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Kunstgelenkersatz der rechten Schulter, Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (40), b) Stuhlinkontinenz (10), c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (10).

Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zunächst einen GdB von 60 und die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B", "RF" und "H" begehrt, im Laufe des Klageverfahrens sein Klageziel auf einen GdB von mindestens 50 gerichtet. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte den Bescheid vom 21. November 2011 erlassen.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Chirurgen Dr. B vom 24. Mai 2012 mit ergänzender Stellungnahme vom 6. August 2012 eingeholt, der als Funktionsbeeinträchtigungen

a) Funktionsbehinderung beider Schultergelenke bei Zustand nach Kunstgelenkersatz der rechten Schulter (40), b) entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) mit Neigung zur Dranginkontinenz (20)

ermittelt und den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt hat.

Mit Urteil vom 5. Februar 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Das Sozialgericht ist hierbei der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B gefolgt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt, mit der er zunächst einen Gesamt-GdB von mindestens 50 begehrt hat.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 31. März 2014 mit ergänzender Stellungnahme vom 8. September 2014, der einen Gesamt-GdB von 40 ermittelt hat.

In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2015 hat der Kläger sein Begehren auf einen Gesamt-GdB von 50 beschränkt.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2013 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2011 und des Bescheides vom 21. November 2011 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 1. September 2010 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn der Kläger hat Anspruch auf Festsetzung eines GdB von 50.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Bei dem Kläger bestehen nach den medizinischen Feststellungen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S im Gutachten vom 31. März 2014 als Behinderung Implantation eines künstlichen Schultergelenk rechts und Schultergelenkverschleiß links mit Bewegungseinschränkungen, für die er einen Einzel-GdB von 40 angesetzt hat. Dieser Bewertung, die den Vorgaben in Teil B Nr. 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV entspricht, schließt der Senat sich an. Ferner hat der Gutachter bei dem Kläger ein entzündliches Darmleiden (Morbus Crohn) und Operation einer Darmfistel festge-stellt. Der Senat folgt der Bewertung durch den Sachverständigen, der im Einklang mit den in Teil B Nr. 10.2 der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Vorgaben für diesen Funktionsbereich einen Einzel-GdB von 20 vorgeschlagen hat. Eine Darmerkrankung mit mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle), für die einen GdB von 30 bis 40 vorgesehen ist, liegt nach den gutachterlichen Feststellungen bei dem Kläger nicht vor.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für die Funktionsbehinderung der Schultergelenke ist unter Berücksichtigung der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Behinderungen durch das entzündliche Darmleiden heraufzusetzen. Die Behinderungen des Klägers betreffen zwei unterschiedliche Funktionssysteme, woraus im vorliegenden Fall auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen ist, da die Teilhabebeeinträchtigungen maßgeblich verstärkt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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