L 7 AS 888/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 37 AS 1853/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 888/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht vor und kommt daher § 330 Abs. 2 SGB III trotz § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht zur Anwendung, so kann die Rücknahme einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung auch als Ermessensentscheidung erfolgen, wenn und soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorliegen. Zu ermitteln ist dann zum einen, ob der Begünstigte tatsächlich auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat (subjektives Element) und zum anderen ob sein Vertrauen in Abwägung mit dem öffentlichen Rücknahmeinteresse schutzwürdig ist (objektives Element).
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 16. August 2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.05.2009.

Die 1961 geborene Klägerin zu 1 lebt mit ihrer Tochter, der 1994 geborenen Klägerin zu 2, und dem 1958 geborenem Kläger zu 3 in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen. Sie beziehen seit 2005 laufend Leistungen vom Beklagten. Sie bewohnen ein 1998 errichtetes, eigenes Haus mit einer Wohnfläche von 132 m², das mit einem SAB-Kredit und BHW-Darlehen finanziert ist. Eigentümer des Wohngrundstücks mit einer Grundstücksgröße von 423 m² ist der Kläger zu 3, dem das Grundstück von seinen Eltern übertragen worden war. Er ist bei der Deutschen Bahn AG beschäftigt und erzielt monatlich Einkommen in unterschiedlicher Höhe. Für die Klägerin zu 2 wurde im hier streitigen Zeitraum Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich gezahlt.

Am 30.10.2008 beantragten die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 3 für die Bedarfsgemeinschaft die Fortzahlung von Leistungen und legten mit dem Antrag einen Nachweis für die jährliche Diensthaftpflichtversicherung des Klägers zu 3 (85,36 EUR fällig am 01.01.2009), den Kontostand zum Pensionsvertrag des Klägers zu 3 für das Jahr 2007, den Beleg über die Kfz-Haftpflichtversicherung von jährlich 145,38 EUR sowie Einkommensbescheinigungen für den Kläger zu 3 für die Monate April 2008 bis September 2008 vor, aus denen sich Auszahlungsbeträge zwischen 1.475,00 EUR und 1.713,00 EUR ergeben (im Durchschnitt 1.532,40 EUR), die jeweils am 25. des laufenden Monats fällig waren. Daraufhin bewilligte der Beklagte unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Monatseinkommens von 1.500,00 EUR abzüglich 30,00 EUR Versicherungspauschale und 9,40 EUR Kfz-Haftpflicht¬ver¬sicherung sowie unter Berücksichtigung eines Erwerbstätigenfreibetrages von 301,33 EUR mit Bescheid vom 20.11.2008 für die Zeit vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 monatliche Leistungen in Höhe von 157,19 EUR für die Bedarfsgemeinschaft. Für Unterkunft und Heizung legte der Beklagte auf der Grundlage von Jahresdurchschnittswerten einen anerkannten Bedarf vom 554,74 EUR zugrunde. Auf die Klägerin zu 1 entfielen Leistungen (für Kosten der Unterkunft und Heizung) in Höhe von 59,54 EUR, auf den Kläger zu 3 in Höhe von 59,53 EUR und auf die Klägerin zu 2 in Höhe von 37,32 EUR. Als Zahlungsempfänger ist die Klägerin zu 1 ausgewiesen.

Aus der Überschrift oder dem Verfügungssatz des Bescheides ergibt sich kein Hinweis auf eine Vorläufigkeit der Bewilligung. In der Begründung des Bescheides heißt es unter der Überschrift "Wichtige Erläuterung/Hinweise zu Ihrem Bescheid":

"Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für Juli bis September ist ersichtlich, dass das monatliche Einkommen Ihres Partners in der Höhe differiert. Um Überzahlungen zu vermeiden, habe ich deshalb, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, das bisher angerechnete Einkommen der Leistungsberechnung weiterhin zugrunde gelegt. Unabhängig davon reichen Sie uns bitte weiterhin bei schwankendem Einkommen monatlich die Verdienstbescheinigung ein. Nach Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnitts erfolgt dann eine Überrechnung des Leistungsanspruchs unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens. In diesem Zusammenhang errechnete Nachzahlungsbeträge werden anschließend in einer Summe nachgezahlt. Sollten sich dennoch Überzahlungsbeträge ergeben, werden auch diese im Nachhinein ermittelt und ggf. mit Nachzahlungsbeträgen verrechnet. Bitte beachten Sie weiter, dass bei Eintritt einer wesentlichen Änderung in der Einkommenshöhe, dem Leistungsträger dies umgehend mitzuteilen ist, da in diesem Fall geprüft wird, ob ggf. auch im laufenden Bewilligungszeitraum eine Änderung erforderlich ist."

Am selben Tag erging ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für Juni 2006, weil sich aufgrund des in diesem Monat geflossenen Urlaubsgeldes eine Überzahlung ergeben hatte. In diesem Bescheid ist der Hinweis enthalten, dass die Überzahlung mit der "zustehenden Nachzahlung für Juli und August (37,79 EUR) aufgerechnet" werde.

Auf den Folgeantrag vom 28.04.2009 wurden mit Bescheid vom 28.05.2009 vorläufige Leistungen bewilligt; als Grund für die Vorläufigkeit wurden die Kosten der Unterkunft und das Einkommen aus Erwerbstätigkeit des Lebenspartners angegeben. Zugleich wurden Nachweise zu den Kosten der Unterkunft nachgefordert.

Am 04.06.2009 sprach die Klägerin zu 1 persönlich beim Beklagten vor und reichte die Nachweise zu den Hauslasten ein. Aus der vorliegenden Leistungsakte ergeben sich nachgewiesene Aufwendungen mit unterschiedlichen Fälligkeiten im streitigen Zeitraum für Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Müllgebühren, Trinkwasser, Abwasser sowie monatliche Abschläge für die Versorgung mit Gas. Am 11.06.2009 gingen die Einkommensnachweise für Januar 2009 bis April 2009 ein, aus denen sich durchschnittliche Auszahlungsbeträge von 1.592,84 EUR ergaben.

Mit Änderungsbescheiden vom 18.08.2009 wurden die Leistungen für die Zeit vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 in monatlich unterschiedlicher und geänderter Höhe bewilligt, nachdem die Einkommensbescheinigungen des Klägers zu 3 vom Dezember 2008 bis April 2009 eingearbeitet worden seien. Es ergebe sich für die Monate Dezember 2008 und Februar 2009 eine Nachzahlung von insgesamt 91,13 EUR, die bereits zur Zahlung angewiesen worden sei. Für die restlichen Monate ergäben sich Rückforderungen, über welche gesonderte Bescheide erstellt würden. Zugleich ergingen (ohne vorherige Anhörung) am 18.08.2009 Aufhebungs- und Erstattungsbescheide an die Klägerin zu 1 zugleich für die Klägerin zu 2 und an den Kläger zu 3. Für die Zeit vom 01.06.2008 bis 31.05.2009 und für die Monate Januar, März, April und Mai 2009 wurden von den Klägerinnen zu 1 und 2 Leistungen in Höhe von 136,33 EUR und für den Kläger zu 3 im selben Zeitraum Leistungen in Höhe von 84,07 EUR zurückfordert.

Dagegen legten die Kläger am 18.09.2009 Widerspruch ein (W 2093/09 und W 2610/09) und machten geltend, sie hätten zeitnah und umfänglich über die Einkommensverhältnisse informiert. Sie hätten weder ihre Pflicht zur Mitteilung verletzt, noch fahrlässig den teilweisen Wegfall der Leistungen erkannt. Der betroffene Bescheid vom 20.11.2008 sei nicht als vorläufiger Bescheid ergangen. Außerdem machten sie die Nichtbeachtung des § 40 SGB II geltend und reichten die Einkommensbescheinigung für Mai 2009 über 1.953,84 EUR ein.

Nach vorheriger Anhörung ergingen am 03.03.2010 Änderungsbescheide zu den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 18.08.2009. Die Leistungen für Februar und Mai 2009 würden ganz aufgehoben, für Januar, März und April 2009 wurden von der Klägerin zu 1 (79,90 + 75,88 =) 155,78 EUR, von der Klägerin zu 2 (49,75 + 47,23 =) 96,98 EUR und vom Kläger zu 3 (79,89 + 75,85 =) 155,74 EUR zurückgefordert. Diese Bescheide sind gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand der Widerspruchsverfahren geworden.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 04.03.2010 wurden die Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen. Das anzurechnende Einkommen im Zeitraum Februar und Mai 2009 übersteige den Bedarf und das anzurechnende Einkommen im Januar, März und April 2009 mindere den Bedarf, sodass nur geringere Ansprüche bestünden als die bereits bewilligten Leistungen. Insoweit liege eine Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vor. Danach solle der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruches geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gelte in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen sei, der Beginn des Anrechnungszeitraumes. Es handle sich gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) um eine gebundene Verwaltungsentscheidung, sodass für Ermessenserwägungen kein Raum bestehe. Soweit die Entscheidungen aufgehoben worden seien, sei die bereits erbrachte Leistung zu erstatten.

Dagegen haben die Kläger am 29.03.2010 zunächst getrennt beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben (S 37 AS 1853/10 und S 7 AS 1870/10). Mit Beschluss vom 30.05.2011 hat das Sozialgericht die Verfahren unter dem Aktenzeichen S 37 AS 1853/10 verbunden.

Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 16.08.2011 die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 18.08.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03.03.2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.03.2010 aufgehoben und die Berufung zugelassen. Die Bescheide seien aufzuheben, weil es für deren Erlass keine Rechtsgrundlage gebe, insbesondere könnten sie nicht auf §§ 45 oder 48 SGB X gestützt werden. Der Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 sei rechtswidrig gewesen, weil er nicht vorläufig gemäß § 40 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. § 328 SGB III ergangen sei, sondern endgültig. Der Beklagte hätte die Bewilligung vorläufig im Rahmen einer rechtmäßigen Ermessensausübung erlassen müssen. Die Voraussetzungen für den Erlass eines vorläufigen Bescheides hätten vorgelegen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Kläger zu 3 über schwankendes Einkommen verfüge, denn die Kläger hätten bei ihm eine Vielzahl von Einkommensbescheinigungen eingereicht, auf denen bescheinigt worden sei, dass das Einkommen monatlich nicht gleich hoch sei. Was dem Kläger zu 3 tatsächlich in den Monaten Dezember 2008 bis Mai 2009 als Nettolohn zugestanden habe, sei nicht bekannt gewesen. Die Kläger hätten dies auch nicht zu verantworten, weil noch nicht festgestanden habe, welcher Lohn in den Monaten Dezember 2008 bis Mai 2009 zufließen werde. Dennoch habe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestanden, da das bisher bekannte anzurechnende Einkommen den Bedarf nicht habe decken können. Der Beklagte hätte im Rahmen einer rechtmäßigen Ermessensausübung die Leistungen nach § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vorläufig erbringen müssen. Einen Rechtsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätte er durch endgültigen Verwaltungsakt erst anerkennen dürfen, wenn die Sach- und Rechtslage vollständig geklärt ist. Insbesondere entbinde die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (AlgII-V) nicht von einer vorläufigen Entscheidung. Danach könne ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt werden. Dabei handle es sich jedoch nicht um eine Schätzungsbefugnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 02.06.2004 (B 7 AL 58/03 R, RdNr. 14). § 2 Abs. 3 Satz 1 AlgII-V regele nur, wie, d.h. in welcher Höhe das Einkommen anzusetzen sei. Diese Vorschrift treffe aber keine Regelung dahingehend, dass, wenn ein Durchschnittseinkommen angesetzt werde, der Bewilligungsbescheid nicht vorläufig ergehen müsse. Eine solche Regelung könne die Vorschrift nicht rechtmäßigerweise treffen, da sie nicht von der Verordnungsermächtigung des § 13 SBG II gedeckt wäre. Der Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 könne nicht nach § 40 Abs. 1 S. 1 SGB I a.F. i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 SGB X aufgehoben werden, weil es vorliegend bereits an einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse mangele. Ausweislich der Erläuterungen und Hinweise im ursprünglichen Bewilligungsbescheid sei der Beklagte davon ausgegangen, dass das monatliche Einkommen des Klägers zu 3 schwanke. Dies sei die Tatsache, die der Beklagte beim Erlass des Bewilligungsbescheides zugrunde gelegt habe. An dieser Tatsache habe sich nach Erlass des Bewilligungsbescheides nichts geändert. Dass das tatsächlich bezogene Einkommen nicht 1.500,00 EUR betragen habe, sei dagegen keine Tatsache, die sich geändert habe, denn der Ansatz der 1.500,00 EUR im Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 sei lediglich infolge des schwankenden Einkommens erfolgt und nicht selbst ein Element des Lebenssachverhalts der Kläger. Der Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 könne auch nicht gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X zurück genommen werden. Zwar stehe einer Änderung der Begründung durch Wechsel der Rechtsgrundlage nichts entgegen, jedoch seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB II nicht erfüllt, weil die Kläger keine in wesentlicher Beziehung unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht hätten. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X seien nicht erfüllt, weil die Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hätten. Bezüglich des Umstandes der fehlenden Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides vom 20.11.2008 könne den Klägern kein Schuldvorwurf gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gemacht werden. Es lägen keine Anzeichen dafür vor, dass die Kläger erkannt hätten oder hätten erkennen müssen, dass der Bescheid hätte vorläufig ergehen müssen. Die Kläger müssten nicht mehr wissen als der Beklagte. Dass dem Bewilligungsbescheid ein Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt worden sei, sei für sich genommen nicht rechtswidrig. Der Ansatz des Durchschnittseinkommens werde erst dadurch rechtswidrig, weil endgültig bewilligt worden sei. Somit könne der Ansatz des Durchschnittseinkommens eine Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht begründen und es könne hierauf im Rahmen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. SGB X nicht ankommen. Andere Rechtsgrundlagen, auf die die Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 20.11.2008 rechtmäßigerweise gestützt werden könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Daher seien auch bereits erbrachte Leistungen nicht zu erstatten. Die Berufung sei zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Zu klären sei, ob trotz der Tatsache, dass der Bewilligungsbescheid nicht vorläufig ergangen sei, eine Aufhebung gemäß §§ 45 oder 48 SGB X in Betracht komme.

Gegen das am 16.09.2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 04.10.2011 Berufung eingelegt. Er macht im Wesentlichen geltend, dass in einem Fall, in dem die AlgII-V eine endgültige Bewilligung mit einem Durchschnittseinkommen zulasse, es nicht einhergehen könne, zu der Feststellung zu kommen, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil nicht vorläufig bewilligt worden sei. Insofern müsste zum Urteil des BSG vom 29.11.2012 (B 14 AS 6/12 R) eine differenzierte Betrachtung erfolgen. Der Bewilligungsbescheid sei vielmehr deshalb rechtswidrig, weil von Durchschnittseinkommen ausgegangen worden sei.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 16.08.2011 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und bezieht sich auf entsprechende Entscheidungen des BSG, die auch für die Fassung der AlgII-V in der seit 01.01.2009 geltend Fassung anzuwenden seien.

Dem Senat haben die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Beklagten (3 Bände Bl. 1-697) vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist im Hinblick auf die verbundenen Klagen der Kläger unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht den Klagen stattgegeben. Denn die an die Kläger gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 18.08.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03.03.2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.03.2010, mit denen von ihnen zu Unrecht erbrachte Leistungen für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.05.2009 zurückgefordert werden, sind rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Beklagte konnte den Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 für die hier nur streitige Zeit vom 01.01.2009 bis 31.05.2009 nicht gestützt auf § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II (in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006, BGBl. I S. 1706, ebenso wie in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl. I S. 2917; 2009 I S. 23) i.V.m. § 328 SGB III (in der vom 01.11.2006 bis 31.03.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.04.2006; BGBl. I S. 926) ohne Weiteres aufheben und die Erstattung der überzahlten Beträge fordern. Voraussetzung dafür wäre, dass es sich bei dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 um eine nur vorläufige Bewilligungsentscheidung i.S.d. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III oder um einen bloßen Vorschuss i.S.d. § 42 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gehandelt hat. Das war nicht der Fall.

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen und soweit sie diese übersteigen – vom Empfänger zu erstatten (§ 42 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB I). Gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.

Nach der Rechtsprechung des BSG genügt für die Verlautbarung, ein Verwaltungsakt solle den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens nicht endgültig, sondern nur einstweilig bis zu einer abschließenden Entscheidung regeln, dass sich aus seinem Verfügungssatz ergibt, er treffe eine "vorläufige" oder "einstweilige" Bestimmung (BSG, Urteil vom 16.11.1995 – 4 RLw 4/94, juris, RdNr. 31, m.w.N.). Findet sich eine solche Verlautbarung über die Vorläufigkeit – wie hier – nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes ist durch Auslegung zu ermitteln (BSG, Urteil vom 29.04.1997 – 4 RA 46/96, RdNr. 58; Urteil vom 06.04.2011 B 4 AS 119/10 R, RdNr. 18, beide juris), ob dieser Verwaltungsakt nur eine einstweilige Regelung bis zum endgültigen Abschluss des diesen Bewilligungsabschnitt betreffenden Verwaltungsverfahrens getroffen hat. Hierfür gelten folgende Kriterien (BSG, Urteil vom 28.06.1990 – 4 RA 57/89, juris, RdNr. 31): "Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14 mwN). Hat die Verwaltung - wie hier - die Wirkungen des Verwaltungsaktes durch Zusätze einschränken wollen, müssen diese inhaltlich bestimmt, klar, verständlich und widerspruchsfrei sein; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (BSGE 37, 155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr 1). Lassen die Zusätze mehrere Auslegungen zu, muß sich die Verwaltung diejenige entgegenhalten lassen, die der Bescheid¬em¬pfänger vernünftigerweise zugrunde legen darf, ohne die Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit des Bescheides willkürlich zu seinen Gunsten auszunutzen (BSGE 62, 32, 37 = SozR 4100 § 71 Nr 2 mwN). In diesem Rahmen ist eine Auslegung, die zu einem rechtlich unzulässigen Inhalt des Bewilligungsbescheides führt, im Zweifel, dh, wenn eine rechtmäßige Auslegungsalternative besteht, nicht die richtige (Götz JuS 1983, 924, 926). Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB X) müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X) mitgeteilt werden, dh, es muß für ihn ersichtlich sein, daß der Bescheid nur vorläufig und nur für eine Übergangszeit gilt (BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 18; BSG SozR Nr 3 zu § 1299 RVO; Schimmelpfennig, aaO, S 160 und 14 mwN) ..."

Dasselbe gilt für die Zahlung eines Vorschusses i.S.d. § 42 Abs. 1 SGB I (BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 11 AL 19/09 R, juris, RdNr. 14): "Darüber hinaus liegt eine Vorschussleistung iS des § 42 Abs 1 SGB I nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn der zuständige Leistungsträger hinreichend deutlich macht, dass er wegen eines von seinem Standpunkt aus dem Grunde nach bestehenden Anspruchs auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden kann, ein Recht auf Zahlungen bewilligt, das noch keinen dauerhaften Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten bildet und dessen Ausübung daher wirtschaftlich mit dem Risiko einer möglichen Rückzahlungspflicht behaftet ist (BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f; SozR 4-1200 § 42 Nr 1 RdNr 17). Ob der Leistungsträger dies hinreichend deutlich gemacht hat, ist durch Auslegung des Verwaltungsakts aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers zu ermitteln (vgl BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26; SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 38)."

Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken, müssen dem Adressaten also Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt i.S.d. § 33 SGB X mitgeteilt werden; hierfür genügt u.U. ein dem Bescheid beigefügtes Erläuterungsschreiben (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011, a.a.O., RdNr. 19). Selbst bei einer Zahlung "unter Rückforderungsvorbehalt" ist jedoch nicht auf eine nur vorläufige Leistungsgewährung unter "Umgehung" des Vertrauensschutzes der §§ 45, 48 SGB X zu schließen und ein derartiger Vorbehalt beinhaltet auch nicht zugleich die Regelung einer Vorwegzahlung (BSG, Urteil vom 02.11.2012 B 4 KG 2/11 R, RdNrn. 17, 18).

Mit dem Bescheid vom 20.11.2008 hat der Beklagte die SGB II-Leistungen für die Kläger endgültig bewilligt. Ohne den Bescheid als vorläufige oder einstweilige Entscheidung zu bezeichnen, hat er klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass und in welchem Umfang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 bewilligt werden. Soweit er in diesem Bescheid darauf hingewiesen hat, dass "nach Abschluss des Bewilligungszeitraums ( ) dann eine Überrechnung des Leistungsanspruchs unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens" erfolge, liegt hierin keine nur vorläufige, sondern eine endgültige Bewilligung mit dem Hinweis auf eine mögliche Änderung der Leistungsbewilligung nach Vorlage der Verdienstbescheinigungen (so auch BSG, Urteil vom 05.06.2014 – B 4 AS 31/13 R, juris, RdNr. 11). Weder im Verfügungssatz des Bescheides noch in dessen Begründung hat der Beklagte den Terminus einer "vorläufigen Leistungsbewilligung" verwendet und auch nicht auf die für eine vorläufige Bewilligung maßgebenden Regelungen nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III oder die Vorschrift über Vorschüsse in § 42 SGB I verwiesen, obwohl das tatsächliche Einkommen aus der Erwerbstätigkeit des Klägers zu 3 zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung noch nicht feststand. Dementsprechend hat der Beklagte – nach Einreichung der Einkommensnachweise – mit Bescheid vom 18.08.2009 für den streitigen Zeitraum auch keine "endgültige Festsetzung" der SGB II-Leistungen nach vorläufiger Bewilligung vorgenommen, sondern einen "Änderungsbescheid" erlassen. Schließlich hat der Beklagte für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum einen auch als solchen bezeichneten vorläufigen Bewilligungsbescheid mit Hinweis auf die hierfür maßgeblichen Vorschriften nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III erlassen. Auch daraus folgt, dass der Beklagte den im Bescheid vom 20.11.2008 enthaltenen Hinweis auf die Verrechnung von Nachzahlung und Überzahlung nicht für ausreichend hielt, um eine nur einstweilige Regelung zu treffen.

Der Beklagte konnte den Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.05.2009 nicht gestützt auf § 48 SGB X aufheben, weil dieser Bewilligungsbescheid schon bei seinem Erlass rechtswidrig war und eben nicht durch eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände nach seiner Bekanntgabe rechtswidrig geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R, juris, RdNr. 15).

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12, RdNr. 18), der der Senat folgt, ist der Erlass eines endgültigen Bewilligungsbescheides – wie hier der Bescheid vom 20.11.2008 – kein taugliches Instrument in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer Schätzung der künftigen Einkommenssituation besteht. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R, RdNr. 16, juris). Das bedeutet, wenn das zu erwartende Arbeitseinkommen als Zeitlohn ohne von vornherein fest vereinbarte oder ohne regelmäßig anfallende Stundenzahl vertraglich geregelt ist, ist typischerweise der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III eröffnet. Es kommt somit als Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides, der bei einkommensabhängigen Leistungen trotz schwankenden Einkommens als endgültiger statt als vorläufiger Bescheid erlassen worden ist, in Hinblick auf das in unterschiedlicher Höhe zugeflossene Einkommen nur § 45 SGB X in Betracht.

Soweit der Beklagte meint, die Rechtsprechung des BSG (B 14 AS 6/12 R) lasse sich nicht in Einklang bringen mit den Vorschriften der AlgII-V, wonach auch bei schwankenden Einkommen Durchschnittseinkommen gebildet werden könnten, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Insoweit folgt der Senat zum einen der zutreffenden Rechtsauffassung des Sozialgerichts, die er sich zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Vielmehr enthält § 2 Abs. 3 Satz 1 AlgII-V zunächst nur die Ermächtigung an die Leistungsträger, bei schwankenden Einkommen ein Durchschnittseinkommen zu bilden; andernfalls wäre aufgrund des geltenden Zuflussprinzips stets nur das im jeweiligen Monat tatsächlich zugeflossen Einkommen zu berücksichtigen.

Zudem ergibt sich bereits aus Abs. 3 des § 2 AlgII-V, dass sowohl Durchschnittseinkommen gebildet als auch gleichzeitig eine vorläufige Bewilligungsentscheidung getroffen werden kann (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 AlgII-V in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung). Die Ermächtigung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AlgII-V, als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen, hat für die Fälle praktische Bedeutung, in denen das monatliche Einkommen zwar schwankt, die Differenz aber stets nur eine geringe ist. In derartigen Fällen kann es eine Vereinfachung sowohl für die Behörde als auch für die Leistungsempfänger darstellen, gleich einen endgültigen Bescheid mit dem erwarteten Durchschnittseinkommen zu erlassen. Denn dadurch entfällt einerseits der Verwaltungsaufwand der Behörde in Hinblick auf die Überprüfung und endgültige Leistungsfeststellung und andererseits besteht für die Leistungsempfänger sofort Rechtssicherheit, so dass sie keinen Antrag nach § 328 Abs. 2 SGB III stellen müssen. So verbleibt der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AlgII-V durchaus ein relevanter Anwendungsbereich. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 2 Abs. 3 Satz 3 AlgII-V, wonach im Rahmen der abschließenden Entscheidung nach vorläufiger Bewilligung eine Änderung beim zugrunde gelegten monatlichen Durchschnittseinkommen nur vorgenommen werden soll, wenn das tatsächliche monatliche Durchschnittseinkommens mehr als 20,00 EUR höher ausfällt.

Im Übrigen regelt § 2 Abs. 3 AlgII-V lediglich, in welcher Höhe das Einkommen anzusetzen ist. Dies ergibt sich aus der der Vorschrift zugrunde liegenden Verordnungsermächtigung, des § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II. Danach darf durch Rechtsverordnung (u.a.) nur bestimme werden, "wie das Einkommen im Einzelnen zu berechnen ist". Die AlgII-V trifft keine Regelung darüber, ob ein Bewilligungsbescheid vorläufig oder endgültig ergehen muss. Eine solche Regelung wäre von der Verordnungsermächtigung des § 13 SGBII nicht gedeckt gewesen.

Dass dem Kläger zu 3 im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses für jeden Monat in unterschiedlicher Höhe Einkommen zufließt, war dem Beklagten hinlänglich bekannt. Dies ergab sich insbesondere auch aus den mit dem Folgeantrag vom 30.10.2008 vorgelegten Einkommensbescheinigungen. Gerade dieser Umstand war Anlass für dafür, ein Durchschnittseinkommen zu bilden und den Hinweis in den Bescheid vom 20.11.2008 aufzunehmen, dass etwaige Überzahlungsbeträge ggf. mit Nachzahlungsbeträgen verrechnet werden würden, sollten sich diese im Nachhinein ergeben.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), und rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist, was nach Satz 2 in der Regel der Fall ist, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Diese Aufzählung ist indes nicht abschließend: stehen den Regeltatbeständen gewichtige Gründe gegenüber, die für eine Rücknahme sprechen, so sind Rücknahmeinteresse und Vertrauen unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen (Merten in Hauck/Noftz, SGB X K § 45, RdNrn. 48, 49). So ist nach der Rechtsprechung des BSG aus der Formulierung: "Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn ..." nicht zu folgern, dass es sich hierbei um die einzigen Fälle handelt, in denen das Vertrauen "in der Regel" schutzwürdig ist, sondern es handelt sich um beispielhaft genannte Sachverhalte, bei deren Vorliegen die Schutzwürdigkeit vom Gesetz vermutet wird (BSG, Urteil vom 14.06.1984 – 10 RKg 5/83, juris, RdNr. 15).

Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Hierbei handelt es sich um drei Tatbestände, in denen das Vertrauen des Leistungsempfängers nicht schutzwürdig ist. Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Kläger weder arglistig gehandelt, gedroht oder bestochen noch unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben.

Auch kannten sie die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 20.11.2008 nicht und hätten diese auch nicht (er)kennen müssen. Bezugspunkt von Kenntnis und Kennen Müssen i.S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist die Rechtswidrigkeit der getroffenen Regelung, nicht die Rechtswidrigkeit ihrer Begründung (BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R, Ls.). Insoweit bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis nicht auf die maßgeblichen Tatsachen, sondern auf die Fehlerhaftigkeit des begünstigenden Ausgangsbescheides (Merten, a.a.O., § 45, RdNr. 68). Die Bösgläubigkeit muss im Zeitpunkt der Bekanntgabe des früheren, zurückzunehmenden Bescheides vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 22.03.1995 – 10 RKg 10/89, juris, RdNr. 42). Der Senat folgt insoweit der zutreffenden Begründung des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil, dass die Kläger nicht hätten erkennen müssen, dass der Bescheid vom 20.11.2008 nicht als endgültiger, sondern nur als vorläufiger Bescheid hätte erlassen werden müssen (§153 Abs. 2 SGG).

Bei der Leistungsbewilligung im Bescheid vom 20.11.2008 handelt es sich um einen die Kläger begünstigenden Bescheid. Dieser war aus den o.g. Gründen schon bei seinem Erlass rechtswidrig. Allein der Umstand, dass der Beklagte die hier angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide auf § 48 SGB X gestützt hat, führt allerdings noch nicht zu deren Rechtswidrigkeit. Da sowohl § 48 SGB X als auch § 45 SGB X Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Verwaltungsakt sein können, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 38/05 R, SozR 4-4300 § 141 SGB III Nr. 2, RdNr. 24-25, m.w.N.; Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R, RdNr. 17 m.w.N.; Urteil vom 29.11.2012, a.a.O., RdNr. 23 m.w.N.).

Die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung des Beklagten misst sich daher an § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB X. Da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht vorliegen, kommt § 330 Abs. 2 SGB III trotz § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht zur Anwendung, so dass der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte, wenn und soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorlagen.

Ist die Berufung auf Vertrauen dem Begünstigten – wie hier – nicht verwehrt, kann es sich trotz Vorliegen eines Regeltatbestands um einen Ausnahmefall handeln. Daher ist zu ermitteln, ob der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen in Abwägung mit dem öffentlichen Rücknahme¬interesse schutzwürdig ist. Neben der subjektiven Seite in Form des tatsächlichen Vertrauens auf den Bestand muss die Schutzwürdigkeit des Vertrauens objektiv feststehen, was anhand der umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln ist (Merten, a.a.O., § 45, RdNr. 85). Die Vertrauensschutzprüfung geht zeitlich und sachlich einer etwaigen Ermessenbetätigung der Behörde voraus (Rieker, jurisPR-SozR 12/2014 Anm. 5 C.)

Fraglich ist, inwieweit der Hinweis des Beklagten im Bewilligungsbescheid, dass ein Durchschnittseinkommen auf der Grundlage der alten Verdienstbescheinigungen gebildet werde und dass Überzahlungsbeträge – falls sich solche ergäben – nach Überrechnung mit Nachzahlungen verrechnet würden, vorliegend die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Bestand des Bewilligungsbescheides und insbesondere auf die Höhe der darin bewilligten monatlichen Leistungen beeinflusst. Aus den o.g. Gründen kommt diesem "Quasi-Rück¬for¬derungsvorbehalt" nicht die Qualität einer Vorläufigkeitsregelung zu, so dass die Kläger einerseits nicht mit einer voraussetzungslosen Erstattungspflicht bei Vorlage der Einkommensnachweise rechnen mussten. Andererseits enthält der Hinweis doch Einschränkungen für das Behaltendürfen der bewilligten Leistungen, die aus Sicht eines vernünftigen Bescheidempfängers dahin zu verstehen sind, dass u.U. nicht die volle Höhe der Leistungen dauerhaft belassen werden sollte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kläger auch in der Vergangenheit schon eine Überrechnung ihrer Leistungsansprüche erhalten und den entsprechenden Änderungsbescheid nicht angegriffen hatten. Beachtlich ist insbesondere der Hinweis, dass wesentliche Änderungen in der Einkommenshöhe dem Leistungsträger umgehend mitzuteilen seien, was sich in Hinblick auf den Vertrauensschutz der Kläger auswirkt.

Denn bei objektiver Betrachtung ist eine wesentliche Änderung in der Einkommenshöhe, nämlich Einkommen des Klägers zu 3 in Höhe von durchschnittlich 1.500,00 EUR monatlich, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 20.11.2008 zugrunde gelegt wurde, im Laufe des hier streitigen Bewilligungszeitraums vom 01.01.2009 bis 31.05.2009 jedenfalls im März 2009 und im Mai 2009 eingetreten. Im Januar 2009 flossen dem Kläger zu 3 aus seiner Beschäftigung (jeweils netto) 1.500,54 EUR zu, im Februar 2009 1.412,93 EUR zuzüglich einer Garantiezahlung in Höhe von 258,47 EUR, im März 2009 1.633,66 EUR, im April 2009 1.564,76 EUR und im Mai 2009 1.953,84 EUR. Es ist augenfällig, dass jedenfalls der Zufluss von mehr als 1.000,00 EUR höheren Einkommens als bei Stellung des Weiterbewilligungsantrags angenommen, eine wesentliche Änderung der Einkommenshöhe darstellt. Die Einkommensbescheinigungen über den tatsächlichen Zufluss des monatlichen Erwerbseinkommens im fraglichen Zeitraum sind beim Beklagten erst am 11.06.2009 bzw. am 12.10.2009 (für Mai 2009) eingegangen. Demzufolge könnte das Vertrauen der Kläger in den unveränderten Bestand der bewilligten Leistungen jedenfalls für die Monate März und Mai 2009 wegen des Hinweises auf Seite 2 des Bescheides vom 20.11.2008 nicht schutzwürdig gewesen sein.

Die Frage muss hier indes nicht entschieden werden, weil der Beklagte beim Erlass der hier angegriffenen Rückforderungsbescheide vom 18.08.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03.03.2010 jedenfalls kein Ermessen ausgeübt hat, da er eine auf § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützte, gebundene Entscheidung getroffen hat. In den Widerspruchsbescheiden vom 04.03.2010 ist ausdrücklich ausgeführt, dass für Ermessenserwägungen kein Raum bestehe. Da ein Ermessensfehler in Form eines Ermessensausfalls also ein Ermessens¬nicht¬gebrauch vorliegt, sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide schon deswegen rechtswidrig.

Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen kommt nicht in Betracht. Denn vorliegend handelt es sich um eine Anfechtungsklage, so dass auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist. Abgesehen von der hier nicht relevanten Möglichkeit, Ermessenserwägungen im Klageverfahren durch einen Bescheid nach § 96 SGG nachzuschieben (vgl. hierzu Beschluss des Großen Senats des BSG vom 06.10.1994 - GS 1/91), ist für die Beurteilung der Ermessensentscheidung die letzte im Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung maßgeblich (BSG, Urteil vom 09.02.1995 – 7 RAr 78/93, RdNr. 60), hier also die Widerspruchsbescheide vom 04.03.2010. Außerdem würde dies voraussetzen, dass dem Beklagten bei der Aufhebungsentscheidung auch auf dieser Rechtsgrundlage kein Rücknahmeermessen zugestanden hätte ("Ermessensreduzierung auf Null"), denn nur in solchen Fällen ist das Umdeutungsverbot des § 43 Abs. 3 SGB X unanwendbar und eine Auswechslung der Begründung bzw. ein Nachschieben von Gründen zulässig (BSG, Urteil vom 11.04.2002 – B 3 P 8/01 R, RdNr. 25, m.w.N.). Eine solche Ermessensreduzierung auf Null ist aber hier schon angesichts der finanziellen Verhältnisse der Kläger nicht ersichtlich. Im Übrigen bleibt es bei dem Grundsatz, dass bei Ermessensentscheidungen ein so genanntes Nachschieben von Gründen nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 24.04.2002 – B 7/1 A 4/00 R, RdNr. 54; Beschluss vom 07.12.2010 – B 11 AL 74/10 B –, RdNr. 8; Streitstand bei Keller in Meyer-Ladewig/¬Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 RdNr. 36).

Hinzu kommt, dass es in § 54 SGG keine dem § 114 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vergleichbare Regelung gibt, wonach die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann. Auch diese vom Wortlaut weiter reichende Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO umfasst in ihrem Anwendungsbereich nicht die nachträglich erstmalige Ausübung von Ermessen während des gerichtlichen Verfahrens (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 05.09.2006 – 1 C 20/05, RdNr. 22;). Auch nach § 114 Satz 2 VwGO wäre es nur möglich Ermessenserwägungen nachzuholen, wenn die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt hatte, also vorhandene Ermessenserwägungen geändert oder ergänzt werden sollen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 114 RdNr. 50).

Neben § 45 SGB X ist § 48 SGB X nur anwendbar, soweit sich hinsichtlich anderer Voraussetzungen für die Leistungsbewilligung eine wesentliche Änderung ergeben hätte (vgl. BSG, Urteil vom 02.06 2004 – B 7 AL 58/03 R, RdNr. 14; BSG, Urteil vom 29.11.2012, a.a.O., RdNr. 18 m.w.N.; Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 59/12 R). Eine Änderung in den Verhältnissen könnte allenfalls in Hinblick auf die Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung eingetreten sein. Auch insoweit war der Bewilligungsbescheid vom 20.11.2008 allerdings von Anfang an rechtswidrig, weil der Beklagte entgegen der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht die in den jeweiligen Monaten tatsächlich angefallenen Hausnebenkosten zugrunde gelegt hat, sondern aufs Jahr umgelegte Teilbeträge.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Die aus Sicht des Beklagten grundsätzlich bedeutsame Frage, wie sich die Rechtsprechung des BSG mit der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 AlgII-V in Einklang gebracht werden kann, stellt sich aus hiesiger Sicht nicht. Vielmehr ergibt sich die Antwort aus den o.g. Gründen bereits aus den gesetzlichen Regelungen selbst und lässt sich im Übrigen mithilfe der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung lösen.

Dr. Anders Schneider-Thamer Wagner
Rechtskraft
Aus
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