S 2 SO 281/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 281/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 349/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Grundsicherungsleistungen unter dem Aspekt der eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

Der am 00.00.1949 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 90 und den Merkzeichen G+B. Der Kläger wohnt in der B Str.6 in I in einer etwa 80 qm großen Wohnung. In der gleichen Wohnung wohnt auch Frau N C. Der Kläger bezieht eine Altersrente, die bei Antragstellung bei 605,74 Euro lag. Zeitgleich betrug die Altersrente von Frau C 800 Euro.

Am 29.03.2010 beantragte der Kläger die Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Er müsse sich zudem von Diätkosten ernähren und zwei Liter Wasser am Tag trinken. Mit Bescheid vom 18.05.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei Zusammenrechnung des Einkommens des Klägers und von Frau C komme es zu einem Einkommensüberhang von 178,92 Euro, der der Gewährung von Grundsicherung entgegenstehe. Zwischen dem Kläger und Frau C bestehe eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft. Insbesondere seien sie zusammen schon drei Mal umgezogen. Bei einem Hausbesuch durch Mitarbeiter der Beklagten habe keine getrennte Lebensmittelbevorratung bestanden. Im Kleiderschrank im Schlafzimmer hätten sich sowohl Kleidungsstücke des Klägers als auch von Frau C befunden. Im Schlafzimmer habe ein Doppelbett gestanden. Der Kläger habe auch noch ein älteres Auto. Dies sei bei der Antragstellung nicht angegeben worden. Der Mietvertrag für die Wohnung sei trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 18.05.2010 Bezug genommen. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Zwischen dem Kläger und Frau C bestehe keine eheähnliche Lebensgemeinschaft. Beide Personen hätten lediglich ein geringes Einkommen und das Wohnen in einer Wohngemeinschaft sei finanziell günstiger als wenn jede Person eine Einzelwohnung nutze. Die Lebensmittel würden getrennt geführt. Jeder Bewohner habe in seinem Zimmer einen eigenen Kleiderschrank stehen. Im Zimmer des Klägers habe sich in einem abgetrennten Teil des Schranks lediglich die aktuell nicht benötigte Wintergarderobe von Frau C befunden. Wegen der Behinderung des Klägers bringe Frau C dem Kläger nur im Rahmen der Nachbarschaftshilfe gelegentlich Lebensmittel mit. Im Übrigen wird für die Einzelheiten Bezug genommen auf das Schreiben vom 11.06.2010. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es liege eine Einstehensgemeinschaft vor. Gemäß § 43 SGB XII seien Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht werte ein langjähriges Zusammenleben als Indiz für eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Der Kläger und Frau C hätten bereits von 2001 bis 2007 und auch zuvor in N1 eine gemeinsame Wohnung bewohnt. Zur aufgeworfenen Frage, wie der Kläger seinen PKW finanziell unterhalte, habe dieser lediglich angegeben, diese Kosten mit dem Sammeln von Pfandflaschen aus der Nachbarschaft zu bestreiten. Im Übrigen wird auch hier für die weiteren Einzelheiten Bezug genommen auf den Widerspruchsbescheid vom 14.10.2010.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Der Kläger wohne mit Frau C nicht in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Es handle sich lediglich um eine funktionierende Wohngemeinschaft, die dadurch entstanden sei, dass beide Personen nur über wenig Einkommen verfügen und sich durch die Wohngemeinschaft für jeden die Lebenshaltungskosten gering halten lassen. Die Kosten für den Unterhalt seines Autos finanziere er durch das Einlösen von Flaschenpfand aus dem Sammeln von Einwegflaschen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 18.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung des Einkommens der N C nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten auf die Gerichtsakte die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger ist nicht im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2010 ist rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, ist gemäß § 41 Abs.1 SGB XII auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. § 91 SGB XII ist anzuwenden. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 SGB XII: 1. die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27a Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden, 2. die zusätzlichen Bedarfe nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels, 3. die Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach dem Dritten Abschnitt des Dritten Kapitels, ausgenommen die Bedarfe nach § 34 Absatz 7, 4. die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels; bei Leistungen in einer stationären Einrichtung sind als Kosten für Unterkunft und Heizung Beträge in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im Bereich des nach § 98 zu-ständigen Trägers der Sozialhilfe zugrunde zu legen, 5. ergänzende Darlehen nach § 37 Absatz 1.

Lebt eine nachfragende Person gemeinsam mit anderen Personen in einer Wohnung oder in einer entsprechenden anderen Unterkunft, so wird gemäß § 36 SGB XII in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung und der wortgleichen nachfolgenden Fassung in § 39 SGB XII vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften (Haushaltsgemeinschaft) und dass die nachfragende Person von den anderen Personen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Die objektive Beweislast dafür, dass der Kläger und Frau C keine Einstands- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden, liegt beim Kläger. Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen gemäß § 20 SGB XII hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. Schon deshalb sind an eine Wohngemeinschaft von nur zwei Personen in Abgrenzung beispielsweise zu einer Studenten-WG oder einer Senioren-WG mit vielen Mitbewohnern, besonders strenge Anforderungen zu stellen.

Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger die Vermutung aus § 39 SGB XII nicht widerlegt. Es lässt sich kein signifikanter Unterschied zwischen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft und der Situation des Klägers und Frau C erkennen. Dabei weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass es auf die Frage, ob die beiden Bewohner ein Paar in emotional-sexueller Hinsicht sind, gerade nicht ankommt. Die gemeinsame Beurteilung eines Hilfebedarfs zweier Menschen erfolgt aus rein wirtschaftlicher Sicht. Nur wenn die beiden Menschen wirtschaftlich eindeutig ganz anders zusammenleben als ein Ehepaar, kann eine getrennte Beurteilung erfolgen. Jede andere Beurteilung verbietet sich bei näherer Betrachtung ohnehin schon in einem freien Land. Es gibt Paare mit gemeinsamen Schlafzimmer oder getrennten Schlafzimmern. Es gibt Ehepaare, die sexuelle Beziehungen zu Dritten akzeptieren, es gibt Ehepaare, die keinen Sex (mehr) haben. Es gibt Ehepaare, die sich nicht mehr lieben und aus Bequemlichkeit oder wirtschaftlichen Erwägungen zusammenbleiben. Es gibt Ehepaare mit Gütertrennung, solche mit Gütergemeinschaft und solche mit Zugewinngemeinschaft. Es gibt Ehepaare mit getrennten Konten und getrennten Geldbörsen. Es gibt Ehepaare mit nur einem Konto und gemeinsamer Kasse. Das Leben ist vielfältig und es ist nicht Aufgabe des Gerichts über diese durch die Freiheit gewährte Vielfalt wertend zu urteilen. Spiegelbildlich können im Hinblick auf die Vermutungswirkung des § 39 SGB XII aber auch nur völlig atypische Wohngemeinschaften von zwei Personen, die gerade angesichts der völlig frei wählbaren, vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten von Lebensgemeinschaften zu Zweit nicht mehr als Paar im weitesten, freiheitlichen Sinn betrachtet werden können, eine getrennte Bedürftigkeitsprüfung rechtfertigen. Zur Überzeugung des Gerichts lässt sich ein solch atypischer Fall eines Zusammenlebens von zwei Personen hier nicht feststellen. Immerhin gibt es ein Doppelbett im Zimmer des Klägers. Immerhin darf Frau C jahreszeitenabhängig ihre nicht aktuelle Garderobe im Kleiderschrank des Klägers lagern. Insbesondere wohnen die beiden seit letztlich zehn Jahren zusammen und sie sind sogar mehrmals gemeinsam umgezogen. Auch die Frage, ob Mahlzeiten gemeinsamen eingekauft und eingenommen werden, ist nach zehn Jahren des Zusammenlebens wenig aussagekräftig. Und schließlich ist der Vortrag, der Kläger bestreite die Unterhaltskosten des PKW völlig autonom durch das Sammeln von Pfandflaschen, angesichts der starken Behinderungen des Klägers, der nach eigenen Angaben auf die Benutzung eines Rollators angewiesen ist, was mit dem Grad der Behinderung von seinerzeit 80 und inzwischen 90 und den Merkzeichen G und B korrespondiert, zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft. Im Übrigen wäre ein nennenswerter Erlös aus dem Sammeln von Pfandflaschen als Einkommen bedarfsmindernd in Ansatz zu bringen. Zur Überzeugung des Gerichts ist der Kläger angesichts dieser ausgeprägten Behinderung gar nicht in der Lage, Einwegpfandflaschen in größerer Menge zu sammeln, so dass er davon den Treibstoff, die Haftpflichtversicherung und die technische Wartung nebst Reparaturen eines rund vierzehn Jahre alten PKW bestreiten könnte.

Unter Zugrundelegung der gemeinsamen Einkommensverhältnisse ist eine Hilfebedürftigkeit nicht gegeben. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 14.10.2010.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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