Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 1023/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 272/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 wird insoweit aufgehoben als ein GdB von weniger als 40 festgestellt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu 1/4.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 streitig.
Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt U mit Bescheid vom 21.10.1988 aufgrund Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße sowie der Wirbelsäule einen GdB von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G fest.
Im Jahr 2005 wurde der Klägerin rechts eine zementfreie Hüft-TEP implantiert. Im Jahr 2010 wurde ein Mamma-Karzinom entdeckt und operativ entfernt. In diesem Rahmen wurde auch eine Mastektomie durchgeführt, zunächst mit anschließender Expander-Einlage. Nachdem es zu Komplikationen im Bereich der Expanderprothese kam, wurde diese im Dezember 2010 wieder entfernt.
Am 24.06.2011 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag und verwies hierbei auf das bestehende Hüftleiden, das Mamma-Karzinom sowie ihr Wirbelsäulenleiden. Der ärztliche Dienst des Beklagten kam zu der Einschätzung aufgrund der Brusterkrankung sei ein GdB von 50 in Ansatz zu bringen. Die Wirbelsäulenschäden bedingten einen GdB von 20 und für die Hüfte sei der GdB – nach zwischenzeitlich eingesetzter Hüft-TEP – mit 20 zu bewerten. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G seien nicht mehr gegeben. Nach entsprechender Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2012 bei der Klägerin aufgrund einer Brusterkrankung, einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und einer Funktionseinschränkung der unteren Gliedmaße bei künstlichem Hüftgelenk rechts einen GdB von 60 fest. Darüber hinaus enthielt der Bescheid die Feststellung, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G nicht mehr vorliegen. Ein Rechtsbehelf hiergegen wurde nicht eingelegt.
Im November 2012 leitete der Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein. In diesem holte er Arztberichte des Krankenhauses I vom 26.09.2011, 11.01.2012 und 24.04.2012, der Radiologen Dr. T aus März 2011 und Dres. E und T1 aus Juli 2011, des St.-N. E vom 19.04.2012 sowie einen Befundbericht des Gynäkologen Dr. U ein und wertete diese durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, hinsichtlich der Brusterkrankung sei Heilungsbewährung eingetreten, da nach Ablauf von zwei Jahren keine erneuten Krankheitszeichen feststellbar seien. Die Bewertung der übrigen Beeinträchtigungen sei gleichbleibend, weswegen insgesamt der GdB nur noch mit 30 zu bewerten sei. Mit Schreiben vom 18.01.2013 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Absenkung von 60 auf 30 an. Die Klägerin teilte mit, dass sie insbesondere die Bewertung des Hüftleidens mit einem GdB von 20 für unangemessen niedrig halte. Auch sei sie hinsichtlich der Brusterkrankung weiter auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. I ein und wertete diesen durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung der GdB sei mit 30 zutreffend bewertet.
Mit Bescheid vom 28.05.2013 stellte der Beklagte daraufhin den GdB der Klägerin mit 30 fest. Der hiergegen am 10.06.2013 eingelegte Widerspruch wurde – nach erneuter Stellungnahme des ärztlichen Dienstes – mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2013 durch die Bezirksregierung Münster als unbegründet zurückgewiesen.
Am 19.09.2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch-schmerztherapeutischen Gutachtens der Frau Dr. Q, welches diese nach Untersuchung der Klägerin am 30.01.2014 erstattet hat.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14.03.2014 im Hinblick auf die Ergebnisse des Gutachtens erklärt, der GdB der Klägerin sei ab Antragstellung mit 40 zu bewerten und hat ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet.
Die Klägerin hat erklärt, zwar stimme sie mit der Befunderhebung durch die Gutachterin überein, allerdings teile sie die sozialmedizinischen Bewertung nicht.
Am 03.06.2014 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in dem die Klägerin beantragt hat,
den Bescheid vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 aufzuheben. Der Beklagte hat beantragt,
entsprechend seinem Vergleichsangebot zu entscheiden und den Bescheid vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 insoweit aufzuheben als ein GdB von weniger als 40 festgestellt wurde.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und verweist auf die Ausführungen der Gutachterin sowie seines ärztlichen Dienstes im Rahmen des Gerichtsverfahrens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten verletzt, da diese rechtswidrig sind. Der Beklagte hätte den GdB der Klägerin lediglich auf 40 absenken dürfen, da nur insoweit eine Besserung des gesundheitlichen Zustands eingetreten ist.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 28.05.2013 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (BSG Urteil vom 12.11.1996 – 9 RVs 5/95 = juris; BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 6/12 R = juris Rn. 30; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 20 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000 – B 9 SB 3/00 R = juris). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.; BSG Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen allein ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB stellen keine wesentliche Änderung dar (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O. unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 18/97 R = juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die den Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.).
Ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, muss im Rahmen einer gegen einen Herabsetzungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage durch einen Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides mit denjenigen zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Fortschreibung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der verschiedenen aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 21 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000, - B 9 SB 3/00 R - = juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 18.06.2002, - L 6 SB 142/00 = juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 23.03.2012 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 23.03.2012 war zum einen die sog. Heilungsbewährung hinsichtlich des Mamma-Karzinoms noch nicht abgelaufen. In der rechten Brust der Klägerin war 2010 ein Karzinom im Stadium pTis, N0, Mx, L0, V0, R0 entdeckt worden. Es handelte sich – wie die Klassifizierung deutlich macht – um ein sog. Carzinoma in situ, welches mittels subkutaner Mastektomie entfernt worden war. Hierbei war eine Expanderprothese eingebracht worden, welche allerdings aufgrund von Komplikationen entfernt werden musste. Gemäß Teil B Ziffer 14.1 der Versorgungmedizinischen Grundsätze war hier zutreffend ein GdB von 50 in Ansatz gebracht worden. Die Zeit der Heilungsbewährung betrug zwei Jahre, welche zum Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Bescheides abgelaufen war, ohne das Anhaltspunkte für ein Rezidiv zu finden gewesen wären. Auch die ursprünglich bestehenden Probleme in Zusammenhang mit den ursprünglichen Expander-Einlagen bestehen nicht mehr. In der Zwischenzeit haben bei der Klägerin eine weitere Korrektur-OP rechts sowie eine Angleichungsoperation der linken Brust stattgefunden. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Arzt- und Befundberichten sowie den Feststellungen der Gutachterin Dr. Q. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist zwischen den Beteiligten umstritten geblieben. Die – unter Berücksichtigung der Angeben der Klägerin gegenüber der Gutachterin und der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung - verbleibenden Beschwerden der Klägerin, einschließlich der psychischen Belastung und der von ihr beschriebenen Schwierigkeiten beim Heben des Armes sind durch den Beklagten mit einem GdB von 20 nach Auffassung der Kammer zutreffend bewertet.
Darüber hinaus sind die bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen der Wirbelsäule zu beachten. Die Klägerin leidet unter einem degenerativen Facettensyndrom der unteren Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Ausstrahlung oder Parese sowie unter einer Arthrose des Ileosakralgelenks. Dies steht für die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Gutachterin fest. Die Höhe des hieraus resultierenden GdB richtet sich gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze insbesondere – wenngleich auch nicht ausschließlich – nach den funktionellen Auswirkungen. Die Gutachterin hat für die Halswirbelsäule weitgehend normgerechte Bewegungsausmaße ermittel. So wurde die Vorwärts- Rückwärtsneigung nach der Neutral-Null-Methode mit 40°/0°/30°, die Rotation mit 60°/0°/60° und die Seitneigung rechts links mit 40°/0°/40° beschrieben. Für den Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule ergab sich ein Finger-Boden-Abstand von 30 cm, die Vor- und Rückneigung mit 35°/0°/15°, die Seitenneigung mit 25°/0°/20°. Das Maß nach Schober wurde mit 10/14 cm, dass Ott’sche Maß mit 30/33 cm beschrieben. Die Klägerin konnte die Bauchlage selbständig einnehmen und auch den Oberkörper seitlich kurz ohne wesentliche Einschränkung anheben. Im Sitzen war die Beweglichkeit des Rumpfs leicht eingeschränkt. Die längs der Wirbelsäule gelegene Muskulatur war mäßig tonisiert. Es wird ein mäßiger Druckschmerz über der unteren Lendenwirbelsäule L4-S1 rechtsbetont sowie über den Kreuz-Darmbeinfugen beschrieben. Das Aufrichten aus der Rückenlage war selbständig möglich, der Langsitz konnte frei eingehalten werden. Ein Femoralisdehnungsschmerz wurde bei der Untersuchung nicht geklagt. Der Finger-Sprunggelenksabstand wurde mit 12 cm ermittelt. Mit der Gutachterin geht die Kammer hier von mittelgradigen Einschränkungen der Lendenwirbelsäule aus, welche mit einem GdB von 20 zutreffend bewertet sind.
Schließlich sind bei der Klägerin die bereits seit Langem bestehenden Beschwerden im Bereich der Hüftgelenke zu berücksichtigen. Die Klägerin leidet unter ein Hüftdysplasie, welche in den 1980er Jahren zweimal einer korrigierenden Tripleosteotomie zugeführt wurde. Im Jahr 2005 wurde rechtsseitig eine Hüft-TEP eingesetzt. Linksseitig besteht bei der Klägerin eine Beinverkürzung von 2 cm, die durch eine Erhöhung des Schuhs ausgeglichen wird. Die Klägerin arbeitet halbtags im Seniorenheim und leidet hierbei nachvollziehbar unter Schmerzen im Bereich der Leisten. Hier nimmt sie regelmäßig Schmerzmittel ein. Trotz des Beinlängenausgleichs zeigte die Klägerin bei der Untersuchung ein linksbetontes Hinken, welches im Barfußgang – ohne den entsprechenden Ausgleich – besonders deutlich wurde. Bei der Prüfung der Bewegungsausmaße beschreibt die Gutachterin einen linksseitigen Leisten- und Trochanterdruckschmerz. Auch rechtsseitig bestanden mäßige Druckschmerzen. Die Beugung/Streckung wurde rechts mit 100°/0°/10° und links mit 110°/0°/10°, die Ab- und Adduktion rechts wie links mit 30°/0°/20° und die Innen- und Außenrotation rechts wie links mit 15°/0°/20° beschrieben. Hierbei klagte die Klägerin jeweils über endgradige Schmerzen. Im Bereich des linken Oberschenkels zeigte sich eine geringe Muskelverschmächtigung. Berücksichtigte man die festgestellten Bewegungseinschränkungen bei Bestehen einer endoprothetischen Versorgung so wäre der GdB gemäß Teil B Ziffer 18.12 in Verbindung mit 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin- Verordnung (3. VersMedVÄndV) vom 17.12.2010 (BGBl. I 2124) der GdB höchstens mit 20 zu bewerten. Eine solche Sichtweise wäre aber zu verkürzt und trüge den tatsächlichen Gegebenheiten nicht hinreichend Rechnung. Die Gutachterin weist zu Recht darauf hin, dass sich bei der Klägerin vor dem Hintergrund der bereits seit Jahrzehnten bestehenden Schwierigkeiten im Bereich der Hüfte eine nicht unerhebliche Schmerzproblematik entwickelt hat. Darüber hinaus sind die Beeinträchtigungen durch die Beinverkürzung, die muskulären Insuffizienzen und die Reizzustände in beiden Hüftgelenken zu berücksichtigen. Trotz der moderaten Bewegungseinschränkungen ist nach Auffassung der Kammer, die sich insoweit nach eigener Prüfung der Argumentation der Gutachterin anschließt, der GdB für die unteren Extremitäten insgesamt mit 30 zu bewerten.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den maßgeblichen Zeitpunkt nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall sind bei der Klägerin zunächst die – nunmehr im Vordergrund stehenden – Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen zu den Beeinträchtigungen der unteren Wirbelsäule ist der Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen durch den Zustand nach Mamma-Karzinom sind nicht geeignet, den GdB weiter zu erhöhen. Sie treten vielmehr im Hinblick auf ihre Auswirkungen hinter den orthopädischen Beeinträchtigungen zurück. Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB zu erhöhen sind nicht objektiviert. Die Feststellung eines höheren GdB, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Beeinträchtigungen der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt lassen sich gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht mehr mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Klägerin ist, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, nicht mit Menschen mit besonders schweren Wirbelsäulenschäden, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, dem Verlust von vier Fingern (einschließlich des Daumens) oder nach Verlust eines Armes im Unterarm – allesamt Beeinträchtigungen, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind – vergleichbar. Die hierüber noch hinausgehende begehrte Feststellung eines GdB von 60 kommt dementsprechend ebenfalls nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 streitig.
Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt U mit Bescheid vom 21.10.1988 aufgrund Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße sowie der Wirbelsäule einen GdB von 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G fest.
Im Jahr 2005 wurde der Klägerin rechts eine zementfreie Hüft-TEP implantiert. Im Jahr 2010 wurde ein Mamma-Karzinom entdeckt und operativ entfernt. In diesem Rahmen wurde auch eine Mastektomie durchgeführt, zunächst mit anschließender Expander-Einlage. Nachdem es zu Komplikationen im Bereich der Expanderprothese kam, wurde diese im Dezember 2010 wieder entfernt.
Am 24.06.2011 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag und verwies hierbei auf das bestehende Hüftleiden, das Mamma-Karzinom sowie ihr Wirbelsäulenleiden. Der ärztliche Dienst des Beklagten kam zu der Einschätzung aufgrund der Brusterkrankung sei ein GdB von 50 in Ansatz zu bringen. Die Wirbelsäulenschäden bedingten einen GdB von 20 und für die Hüfte sei der GdB – nach zwischenzeitlich eingesetzter Hüft-TEP – mit 20 zu bewerten. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G seien nicht mehr gegeben. Nach entsprechender Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2012 bei der Klägerin aufgrund einer Brusterkrankung, einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und einer Funktionseinschränkung der unteren Gliedmaße bei künstlichem Hüftgelenk rechts einen GdB von 60 fest. Darüber hinaus enthielt der Bescheid die Feststellung, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G nicht mehr vorliegen. Ein Rechtsbehelf hiergegen wurde nicht eingelegt.
Im November 2012 leitete der Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein. In diesem holte er Arztberichte des Krankenhauses I vom 26.09.2011, 11.01.2012 und 24.04.2012, der Radiologen Dr. T aus März 2011 und Dres. E und T1 aus Juli 2011, des St.-N. E vom 19.04.2012 sowie einen Befundbericht des Gynäkologen Dr. U ein und wertete diese durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, hinsichtlich der Brusterkrankung sei Heilungsbewährung eingetreten, da nach Ablauf von zwei Jahren keine erneuten Krankheitszeichen feststellbar seien. Die Bewertung der übrigen Beeinträchtigungen sei gleichbleibend, weswegen insgesamt der GdB nur noch mit 30 zu bewerten sei. Mit Schreiben vom 18.01.2013 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Absenkung von 60 auf 30 an. Die Klägerin teilte mit, dass sie insbesondere die Bewertung des Hüftleidens mit einem GdB von 20 für unangemessen niedrig halte. Auch sei sie hinsichtlich der Brusterkrankung weiter auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. I ein und wertete diesen durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung der GdB sei mit 30 zutreffend bewertet.
Mit Bescheid vom 28.05.2013 stellte der Beklagte daraufhin den GdB der Klägerin mit 30 fest. Der hiergegen am 10.06.2013 eingelegte Widerspruch wurde – nach erneuter Stellungnahme des ärztlichen Dienstes – mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2013 durch die Bezirksregierung Münster als unbegründet zurückgewiesen.
Am 19.09.2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch-schmerztherapeutischen Gutachtens der Frau Dr. Q, welches diese nach Untersuchung der Klägerin am 30.01.2014 erstattet hat.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14.03.2014 im Hinblick auf die Ergebnisse des Gutachtens erklärt, der GdB der Klägerin sei ab Antragstellung mit 40 zu bewerten und hat ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet.
Die Klägerin hat erklärt, zwar stimme sie mit der Befunderhebung durch die Gutachterin überein, allerdings teile sie die sozialmedizinischen Bewertung nicht.
Am 03.06.2014 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in dem die Klägerin beantragt hat,
den Bescheid vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 aufzuheben. Der Beklagte hat beantragt,
entsprechend seinem Vergleichsangebot zu entscheiden und den Bescheid vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 insoweit aufzuheben als ein GdB von weniger als 40 festgestellt wurde.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und verweist auf die Ausführungen der Gutachterin sowie seines ärztlichen Dienstes im Rahmen des Gerichtsverfahrens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten verletzt, da diese rechtswidrig sind. Der Beklagte hätte den GdB der Klägerin lediglich auf 40 absenken dürfen, da nur insoweit eine Besserung des gesundheitlichen Zustands eingetreten ist.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 28.05.2013 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (BSG Urteil vom 12.11.1996 – 9 RVs 5/95 = juris; BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 6/12 R = juris Rn. 30; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 20 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000 – B 9 SB 3/00 R = juris). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.; BSG Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen allein ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB stellen keine wesentliche Änderung dar (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O. unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 18/97 R = juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die den Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.).
Ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, muss im Rahmen einer gegen einen Herabsetzungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage durch einen Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides mit denjenigen zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Fortschreibung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der verschiedenen aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 21 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000, - B 9 SB 3/00 R - = juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 18.06.2002, - L 6 SB 142/00 = juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 23.03.2012 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 23.03.2012 war zum einen die sog. Heilungsbewährung hinsichtlich des Mamma-Karzinoms noch nicht abgelaufen. In der rechten Brust der Klägerin war 2010 ein Karzinom im Stadium pTis, N0, Mx, L0, V0, R0 entdeckt worden. Es handelte sich – wie die Klassifizierung deutlich macht – um ein sog. Carzinoma in situ, welches mittels subkutaner Mastektomie entfernt worden war. Hierbei war eine Expanderprothese eingebracht worden, welche allerdings aufgrund von Komplikationen entfernt werden musste. Gemäß Teil B Ziffer 14.1 der Versorgungmedizinischen Grundsätze war hier zutreffend ein GdB von 50 in Ansatz gebracht worden. Die Zeit der Heilungsbewährung betrug zwei Jahre, welche zum Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Bescheides abgelaufen war, ohne das Anhaltspunkte für ein Rezidiv zu finden gewesen wären. Auch die ursprünglich bestehenden Probleme in Zusammenhang mit den ursprünglichen Expander-Einlagen bestehen nicht mehr. In der Zwischenzeit haben bei der Klägerin eine weitere Korrektur-OP rechts sowie eine Angleichungsoperation der linken Brust stattgefunden. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Arzt- und Befundberichten sowie den Feststellungen der Gutachterin Dr. Q. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist zwischen den Beteiligten umstritten geblieben. Die – unter Berücksichtigung der Angeben der Klägerin gegenüber der Gutachterin und der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung - verbleibenden Beschwerden der Klägerin, einschließlich der psychischen Belastung und der von ihr beschriebenen Schwierigkeiten beim Heben des Armes sind durch den Beklagten mit einem GdB von 20 nach Auffassung der Kammer zutreffend bewertet.
Darüber hinaus sind die bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen der Wirbelsäule zu beachten. Die Klägerin leidet unter einem degenerativen Facettensyndrom der unteren Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Ausstrahlung oder Parese sowie unter einer Arthrose des Ileosakralgelenks. Dies steht für die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Gutachterin fest. Die Höhe des hieraus resultierenden GdB richtet sich gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze insbesondere – wenngleich auch nicht ausschließlich – nach den funktionellen Auswirkungen. Die Gutachterin hat für die Halswirbelsäule weitgehend normgerechte Bewegungsausmaße ermittel. So wurde die Vorwärts- Rückwärtsneigung nach der Neutral-Null-Methode mit 40°/0°/30°, die Rotation mit 60°/0°/60° und die Seitneigung rechts links mit 40°/0°/40° beschrieben. Für den Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule ergab sich ein Finger-Boden-Abstand von 30 cm, die Vor- und Rückneigung mit 35°/0°/15°, die Seitenneigung mit 25°/0°/20°. Das Maß nach Schober wurde mit 10/14 cm, dass Ott’sche Maß mit 30/33 cm beschrieben. Die Klägerin konnte die Bauchlage selbständig einnehmen und auch den Oberkörper seitlich kurz ohne wesentliche Einschränkung anheben. Im Sitzen war die Beweglichkeit des Rumpfs leicht eingeschränkt. Die längs der Wirbelsäule gelegene Muskulatur war mäßig tonisiert. Es wird ein mäßiger Druckschmerz über der unteren Lendenwirbelsäule L4-S1 rechtsbetont sowie über den Kreuz-Darmbeinfugen beschrieben. Das Aufrichten aus der Rückenlage war selbständig möglich, der Langsitz konnte frei eingehalten werden. Ein Femoralisdehnungsschmerz wurde bei der Untersuchung nicht geklagt. Der Finger-Sprunggelenksabstand wurde mit 12 cm ermittelt. Mit der Gutachterin geht die Kammer hier von mittelgradigen Einschränkungen der Lendenwirbelsäule aus, welche mit einem GdB von 20 zutreffend bewertet sind.
Schließlich sind bei der Klägerin die bereits seit Langem bestehenden Beschwerden im Bereich der Hüftgelenke zu berücksichtigen. Die Klägerin leidet unter ein Hüftdysplasie, welche in den 1980er Jahren zweimal einer korrigierenden Tripleosteotomie zugeführt wurde. Im Jahr 2005 wurde rechtsseitig eine Hüft-TEP eingesetzt. Linksseitig besteht bei der Klägerin eine Beinverkürzung von 2 cm, die durch eine Erhöhung des Schuhs ausgeglichen wird. Die Klägerin arbeitet halbtags im Seniorenheim und leidet hierbei nachvollziehbar unter Schmerzen im Bereich der Leisten. Hier nimmt sie regelmäßig Schmerzmittel ein. Trotz des Beinlängenausgleichs zeigte die Klägerin bei der Untersuchung ein linksbetontes Hinken, welches im Barfußgang – ohne den entsprechenden Ausgleich – besonders deutlich wurde. Bei der Prüfung der Bewegungsausmaße beschreibt die Gutachterin einen linksseitigen Leisten- und Trochanterdruckschmerz. Auch rechtsseitig bestanden mäßige Druckschmerzen. Die Beugung/Streckung wurde rechts mit 100°/0°/10° und links mit 110°/0°/10°, die Ab- und Adduktion rechts wie links mit 30°/0°/20° und die Innen- und Außenrotation rechts wie links mit 15°/0°/20° beschrieben. Hierbei klagte die Klägerin jeweils über endgradige Schmerzen. Im Bereich des linken Oberschenkels zeigte sich eine geringe Muskelverschmächtigung. Berücksichtigte man die festgestellten Bewegungseinschränkungen bei Bestehen einer endoprothetischen Versorgung so wäre der GdB gemäß Teil B Ziffer 18.12 in Verbindung mit 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin- Verordnung (3. VersMedVÄndV) vom 17.12.2010 (BGBl. I 2124) der GdB höchstens mit 20 zu bewerten. Eine solche Sichtweise wäre aber zu verkürzt und trüge den tatsächlichen Gegebenheiten nicht hinreichend Rechnung. Die Gutachterin weist zu Recht darauf hin, dass sich bei der Klägerin vor dem Hintergrund der bereits seit Jahrzehnten bestehenden Schwierigkeiten im Bereich der Hüfte eine nicht unerhebliche Schmerzproblematik entwickelt hat. Darüber hinaus sind die Beeinträchtigungen durch die Beinverkürzung, die muskulären Insuffizienzen und die Reizzustände in beiden Hüftgelenken zu berücksichtigen. Trotz der moderaten Bewegungseinschränkungen ist nach Auffassung der Kammer, die sich insoweit nach eigener Prüfung der Argumentation der Gutachterin anschließt, der GdB für die unteren Extremitäten insgesamt mit 30 zu bewerten.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den maßgeblichen Zeitpunkt nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall sind bei der Klägerin zunächst die – nunmehr im Vordergrund stehenden – Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen zu den Beeinträchtigungen der unteren Wirbelsäule ist der Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen durch den Zustand nach Mamma-Karzinom sind nicht geeignet, den GdB weiter zu erhöhen. Sie treten vielmehr im Hinblick auf ihre Auswirkungen hinter den orthopädischen Beeinträchtigungen zurück. Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB zu erhöhen sind nicht objektiviert. Die Feststellung eines höheren GdB, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Beeinträchtigungen der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt lassen sich gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht mehr mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Klägerin ist, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, nicht mit Menschen mit besonders schweren Wirbelsäulenschäden, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, dem Verlust von vier Fingern (einschließlich des Daumens) oder nach Verlust eines Armes im Unterarm – allesamt Beeinträchtigungen, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind – vergleichbar. Die hierüber noch hinausgehende begehrte Feststellung eines GdB von 60 kommt dementsprechend ebenfalls nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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