Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 KR 590/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.863,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 28.863,01 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Retaxierung bei der Versorgung mit Arzneimitteln.
Der Kläger ist Inhaber der G.-Apotheke in H ... Zwischen den Beteiligten gilt der Arznei- Lieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 21. August 2008, abgeschlossen zwischen dem Verband der Angestellten Krankenkasse e. V. und dem Arbeiter Ersatzkassenverband e.V. einerseits und dem Deutschen Apothekerverband e.V. Berlin, darunter der hamburgische Apothekerverein e.V., dessen Mitglied der Kläger ist, andererseits.
Auf der Grundlage vertragsärztliche Verordnung von Fertigspritzen-Installationssets mit steriler Oxybutinin-HCL-Lösung 0,1 % gab der Kläger entsprechende Fertigspritzensets an Versicherte der Beklagten ab. Anwendungsbereich von Oxybutinin ist die neurogene Blasenentleerung. Das Mittel dient der Relaxierung einer überaktiven Harnblase und kommt unter anderem bei Patienten mit Querschnittslähmung, Spina befida (offenen Rücken) multipler Sklerose und andere neurologischen Schädigungen zum Einsatz. Der Wirkstoff wird auch als Fertigarzneimittel in Tablettenform angeboten. Bei Unverträglichkeit und Gegenanzeigen der oralen Verabreichung kann eine Oxybutinin-Lösung direkt über einen Katheter in die Blase gespült werden.
Der Kläger stellt die Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung, einer Dampfdrucksterilisierung, aus Oxybutinin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril in einem relativ aufwändigen Verfahren in Einmalspritzen verpackt, mit einem Adapter versehen sowie verpackt. Die Herstellung einer Oxybutinin-Rezeptur zur Instillation in die Blase erfolgt nach den Vorschriften des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF). Das NRF ist in den 3-5 des deutschen Arzneimittelkodex enthalten. In Kap. 9.3 des NRF ist die Oxybutininhydrochlorid-Instillationslösung 0.025 aufgeführt. Das Oxybutinin-Fertispritzenset besitzt keine arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz-AMG). Die Freie und Hansestadt Hamburg erteilte dem Kläger am 22. April 2005 eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Herstellung von Arzneimitteln für die Herstellung von Oxybutinin-HCL-Lsg. 0,01-0,25 in der Applikationsart Fertigspritzen-Installationsset.
In der Vergangenheit gab es ebenso wie mit anderen Krankenkassen auch Beanstandungen der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der abgerechneten Vergütung für die Oxybutinin-Lösungen (S 48 KR 1134/05). Im Streit war, ob eine Berechnung als parenterale Lösung möglich war oder ob sich der Arbeitspreis nach Punkt 4 der Hilfstaxe Rezepturzuschläge ("Fertigung von Arzneimitteln mit Durchführung einer Sterilisation, Sterifiltration oder aseptischen Zubereitung") richtete.
Die Beteiligten sind durch die Änderungen der 14. AMG- Novelle davon ausgegangen, dass das Arzneimittel nunmehr unter dem Begriff des Fertigarzneimittels falle, eine Abgabe über den Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG aufgrund der vom Kläger vorgenommenen Fertigung nach einheitlichen Vorschriften nicht mehr möglich sei und nunmehr der Genehmigungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterliege. Der Kläger hat insoweit einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Zulassung gestellt und ging davon aus, dass das Medikament weiterhin über den Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG in Verkehr gebracht werden könne und von den Krankenkassen zu vergüten sei. Das Fertigarzneimittel ist seit 15. März 2007 in der IFA- Datenbank (so genannte Lauer-Taxe) gelistet.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 beanstandete die Beklagte die Abrechnungen des Klägers für die Versorgung von Versicherten mit Oxybutinin Fertigspritzen-Installationssets im Zeitraum Juli und August 2007 in einer Höhe von 28.863,01 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Fertigspritzen-Installationssets im Zeitpunkt der Abgabe in D. nicht zugelassen und damit auch nicht verordnungsfähig gewesen seien. Eine Abrechnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei daher nicht zulässig gewesen. Dem Einspruch des Klägers vom 28. Juli 2008 half die Beklagte nicht ab (Schreiben vom 24. September 2008).
Der am 5. März 2009 Sozialgericht Hamburg erhobene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos (S 48 KR 310/09 ER). Das Sozialgericht Hamburg ist im Wege der summarischen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass weder ein Eilbedürfnis vorgelegen habe noch ein Anordnungsanspruch angenommen werden könne und hat den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 14. April 2009 abgelehnt. In Ermangelung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung sei das Medikament nicht verordnungsfähig. Ob die Voraussetzungen des § 141 Abs. 4 AMG vorliegen, könne dahingestellt bleiben. Denn allein die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit begründe nach der Rechtsprechung des BSG im Leistungsrecht der GKV keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel.
Am 14. Mai 2009 erfolgte die Absetzung/Aufrechnung der sich aus der Retaxierung ergebenden Forderung mit unstreitigen Vergütungsforderungen.
Der Kläger hat am 8. Juni 2009 Klage erhoben. Er legt zunächst dar, dass aufgrund der 14. AMG-Novelle mit Wirkung ab dem 6. September 2005 wegen der Herstellung nach einheitlichen Vorschriften von einer industriellen Fertigung auszugehen sei. Die bislang für eine Zulassungsfreiheit in Anspruch genommene Privilegierung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG decke diesen Fall nicht mehr ab. Aus diesem Grund sei zum 1. September 2008 ein Zulassungsantrag gestellt worden. Die Verordnung-und Verkehrsfähigkeit folge aus dem Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG. Da sich weder in der Art der Herstellung noch im Produktionsumfang etwas geändert habe, ergebe sich im Zusammenhang mit der Ausnahmevorschrift für die Übergangsphase bis zur Entscheidung über den Zulassungsantrag ein Vergütungsanspruch des Klägers.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 28.863,01 EUR nebst Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14. Mai 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass sich aus dem Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG möglicherweise die Verkehrsfähigkeit der vom Kläger produzierten Fertigspritzen-Installationssets ergebe, nicht jedoch ein Vergütung bzw. Versorgungsanspruch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gelte nur für zugelassene Arzneimittel.
Mit Bescheiden vom 12. Juli 2013 und 25. Juli 2013 hat das BfArM den Zulassungsantrag des Klägers versagt. Nach dem Vorbringen des Klägers sei die Versagung auf einem unzureichend begründetem Wirksamkeitsnachweis im Zusammenhang mit formalen Gründen zurückzuführen. Eine fehlende Wirksamkeit sei hingegen nicht festgestellt worden. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine Ablehnung aufgrund nicht ausreichender Qualität und Prüfung sowie fehlender therapeutischer Wirksamkeit erfolgt sei.
Das Gericht hat im Anschluss an dem Erörterungstermin vom 3. Mai 2014 die Beteiligten mit Schreiben vom 15. Mai 2014 (Bl. 293 bis 295 der Prozessakte) darauf hingewiesen, dass auch nach der 14. AMG- Novelle eine Fertigung nach einheitlichen Vorschriften nicht dazu führe, dass eine industrielle Produktion vorliege. Deshalb sei nach wie vor der Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG einschlägig – sofern der Kläger weiterhin in der durch die Norm vorgegebene Größenordnung produziere. Im Hinblick auf die zahlreichen weiteren Retaxierungen, bei denen die Beklagte auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat, ist eine vergleichsweise Regelung angeregt worden.
Die Beklagte hat die Durchführung eines Mediationsverfahrens und den Abschluss eines Vergleichs abgelehnt. Es handele sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG seien vom Kläger nicht nachgewiesen worden. Die Abrechnung der Fertigspritzen-Installationssets sei als Fertigarzneimittel mit entsprechender PZU erfolgt und nicht als Rezepturarzneimittel. Insoweit könne auch nicht eine Vergütung auf dieser Grundlage erfolgen.
Daraufhin hat der Kläger die Herstellungsprotokolle und weitere Unterlagen für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegt, aus denen sich eine durchschnittliche Verordnung von 4,3 Verschreibungen pro Woche ergibt. Unter Berücksichtigung von Mehrfachverordnungen sei von einem Durchschnittswert von 6,9 auszugehen. Es handele sich um eine komplizierte Rezeptur und nach der Literatur vertretenen Auffassung reiche eine wöchentliche Verordnung aus. Weiterhin produziere der Kläger unverändert in einer Größenordnung von deutlich unter 100 abgabefertigen Packungen pro Tag. Alle erforderlichen Herstellungsschritte würden in der Apotheke des Klägers durchgeführt. Im Hinblick auf die seinerzeit vorgenommenen Abrechnungen könne dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass von einem Fertigarzneimittel ausgegangen worden sei. Im Übrigen werde nach wie vor die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands gemäß § 141 Abs. 4 AMG vorgelegen hätten.
Die Beklagte hat daraufhin erwidert, es könne nicht von einer häufigen Verordnung im Sinne des Ausnahmetatbestandes ausgegangen werden. Erforderlich sei eine mindestens tägliche Verordnung, wobei es sich um regionale Verordnungen handeln müsse. Die zu fordernde Häufigkeit der Verschreibungen für Apotheken in der Region habe der Kläger nicht nachgewiesen. Soweit sich der Kläger auf ortsfremde Verschreibungen beziehe, sei von einem Verstoß gegen das Zuweisungsgebot des § 11 Abs. 1 ApoG auszugehen. Es handele sich nicht um eine komplizierte Rezeptur, weshalb eine tägliche Verordnung erforderlich sei. Aus den Unterlagen des Klägers könne eine solche Häuslichkeit nicht abgeleitet werden. Die Herstellungsprotokolle enthielten keine lückenlose fortlaufende Chargenbezeichnung und seien zum Nachweis dafür, dass in einer nicht industriellen Größenordnung produziert werde, nicht geeignet.
Der Kläger hat dargelegt, dass weder aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung hergeleitet werden können, dass nur regionale Verordnungen relevant seien. Erst recht könne nicht darauf abgestellt werden, ob die anderen Apotheken ebenfalls regelmäßig Verordnung erhalten würden. Die Verordnungen würden auch nicht von den Ärzten vorgelegt, sondern von den Versicherten und an diese geliefert. Von einem Verstoß gegen das Zuweisungsverbot könne nicht ausgegangen werden.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt haben.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 28.863,01 EUR, denn die Beklagte war mangels Gegenforderung nicht zu Aufrechnung berechtigt. Ein aus § 17 Abs. 4 des Arzneimittellieferungsvertrages (ALV) in der Fassung vom 1. Juli 2005 folgender öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht nicht, denn die Voraussetzungen für eine Beanstandung gemäß § 17 Abs. 1 ALV liegen nicht vor. Für die in den Monaten Juli und August 2007 auf entsprechende ärztliche Verordnungen gelieferte Oxybutinin-Fertigspritzensets bestand ein berechtigter Vergütungsanspruch des Klägers.
Maßgeblich für die Rechtsbeziehungen der Apotheken und der Krankenkasse ist der nach § 129 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) zu schließende Rahmenvertrag sowie der die Arzneimittelabgabe, Preisberechnung, Rechnungslegung- und Beanstandung regelnde ALV.
Die mit Schreiben vom 11. Juli 2008 vorgenommene Beanstandung der Beklagten erfolgte zu Unrecht. Für den Kläger bestand für die streitgegenständlichen Arzneimittellieferungen ein Vergütungsanspruch gegen die Beklagte.
Nach wie vor sind die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) gegeben. Die mangelnde Zulassung steht der Abgabe durch den Kläger insoweit nicht entgegen. Denn entgegen der (ursprünglichen) Auffassung des Klägers und der Beklagten besteht nach wie vor keine Zulassungspflicht gemäß § 21 Absatz 1 AMG.
Nach dieser Norm bedarf es für Arzneimittel keiner Zulassung, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und auf Grund nachweislich ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind.
(1) Diese Voraussetzungen liegen vor. Insbesondere kann nicht von einer der Anwendung von § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG entgegenstehenden industriellen Fertigung ausgegangen werden. Das von dem Kläger hergestellte Fertigspritzenset ist zwar dem Grunde nach ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG, weil es als verlängerte Rezeptur bzw. Defektur (§ 8 ApBetrO a. F.) im Voraus hergestellt wird, jedoch erfolgt keine industrielle Fertigung. Hieran hat sich durch die 14. AMG Novelle nichts geändert. Wie sich bereits aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/5316 S. 33) ergibt, gehört zu einer industriellen Fertigung die breite Herstellung nach einheitlichen Vorschriften. Die Produktion nach einheitlichen (normierten) Vorschriften reicht demnach für sich alleine genommen nicht aus, um eine industrielle Fertigung anzunehmen. Hinzukommen muss eine "breite Herstellung", also auch ein bestimmtes, größeres Produktionsvolumen.
Die Rechtsprechung hat zur Beantwortung der Fragestellung, wann eine "breite Herstellung" vorliegt auf die unverändert gebliebene Ausnahmevorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG zurückgegriffen und auf die dort als Grenze festgelegten 100 abgabefähigen Packungen pro Tag als Obergrenze abgestellt. Eine industrielle Fertigung liegt demnach vor, wenn diese Obergrenze überschritten wird oder wenn allgemein der durch die ApBetrO vorgegebene Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs (§ 8 ApBetrO a. F.) überschritten wird bzw. die Herstellung nicht mehr in der Apotheke vorgenommen wird
- BGH vom 26.06.2005 – I ZR 194/02, vom 14.04.2011 – I ZR 129/09 (vorgehend ebenso OLG München vom 02.07.2009- 6 U 2328/09 und LG München vom 31.01.2008- 7 O 11241/07 s. auch Wesser, jurisPR-MedizinR 9/2011, Anm.4); OLG München vom 06.05.2010 – 29 U 4316/08.
Die von den Gerichten vorgenommene Auslegung ist in sich schlüssig, entspricht der Gesetzesbegründung – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt – und fügt sich systematisch in das Regelungsgefüge des AMG ein. Insbesondere die Ausnahmeregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG hat bereits vor der 14. AMG Gesetzesnovelle den Rahmen für eine apothekenübliche Produktion vorgegeben und kann daher als Abgrenzungskriterium bezüglich der "Quantitätsgrenze" für die Ermittlung einer industriellen Produktion herangezogen werden. Eine Produktion nach einheitlichen Vorschriften hat vor und nach der 14. AMG Novelle den Ausnahmetatbestand nicht erfüllt. Auch vom Wortverständnis dürfte eine mengenmäßig geringe Produktion nach bestimmten Vorgaben nicht ausreichen, um von einer industriellen Fertigung auszugehen. Denn zu einer Industrieproduktion gehört immer auch ein bestimmtes Produktionsvolumen ("breite Basis"). Die Auslegung berücksichtigt auch das vom Gesetzgeber im AMG mehrfach hervorgehobene Apothekenprivileg, im Wege der verlängerten Rezeptur in der Apotheke Arzneimittel (im Rahmen der Apothekenbetriebserlaubnis und des üblichen Betriebs) herstellen zu können.
Sofern der Kläger nach wie vor in der durch § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG vorgegebenen Größenordnung produziert und die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist es demnach unschädlich, wenn die Fertigung der in Rede stehenden Arzneimittel nach einem einheitlichen Verfahren erfolgt. Der ursprünglich von der Beklagten als Ausnahmetatbestand anerkannte § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG ist nach wie vor einschlägig, unabhängig davon, ob ein Zulassungsantrag gestellt worden ist oder nicht und unabhängig davon, ob der Antrag zwischenzeitlich abgelehnt worden ist.
Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 AMG liegen vor.
(2) Der Kläger hat nachgewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine häufige Verschreibung des Oxybutinin-Fertigspritzensets erfolgt ist.
Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich weder eine Mindestgrenze noch eine Einschränkung durch einen regionalen Bezug. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung sich vorwiegend an dem Sinn und Zweck der Regelung zu orientieren hat. Nach der Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG soll es dem Apotheker ermöglicht werden, im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs Arzneimittel im Sinne einer Defektur herzustellen, wenn es hierzu einen Bedarf gibt.
- OLG München vom 23.02.2006 – 6 U 3721/05
Dieser wird anzunehmen sein, wenn es auf Grund der Nachfrage wirtschaftlich nachvollziehbar ist, das Arzneimittel im Voraus auf Vorrat anzufertigen, weil die Nachfrage konstant und vorhersehbar ist und umgekehrt die nachträgliche Fertigung umständlich erscheint und zudem die betrieblichen Abläufe beeinträchtigt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen ist im Einzelfall zu prüfen, ohne dass abstrakte Vorgaben oder Mindestgrenzen festgelegt werden können. Allerdings hängt die Prüfung eng mit dem Produktionsaufwand und Schwierigkeitsgrad der Herstellung ab. Insofern ist die in der Literatur vertretende Auffassung, die Mindestgrenze in Bezug zur Komplexität der Rezeptur zu setzen durchaus sinnvoll
- z.B. Rehmann, AMG, 4. Auflage 2014, § 21 Rn. 4. Denn das Bedürfnis der Bevorratung für eine sehr einfach herzustellende Rezeptur ist für die Apotheke grundsätzlich geringer als bei einem aufwändigen Produktionsverfahren.
Für die Kammer besteht vorliegend kein Zweifel, dass die Herstellung eines Oxybutinin-Fertigspritzensets mit einem hohen Aufwand verbunden ist und erheblicher organisatorischer Vorkehrungen bedarf. Der Kläger stellt die Oxybutinin- Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung, einer Dampfdrucksterilisierung, aus Oxybutinin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril in einem relativ aufwändigen Verfahren in Einmalspritzen verpackt, mit einem Adapter versehen sowie verpackt. Nach den Angaben des Klägers dauert die Herstellung von 58 Packungen a 100 Spritzen 15 bis 20 Tage, was ebenfalls einen relativ hohen Produktionsaufwand dokumentiert. Ein erhöhter Schwierigkeitsgrad ergibt sich auch aus der aufwändigen Autoklavierung und der Notwendigkeit, eine Werkbank vorzuhalten. Es mag der Beklagten zugestanden werden, dass es noch kompliziertere Rezepturen gibt, jedoch bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass von einer einfachen Herstellungsweise ausgegangen werden kann. Gerade im Vergleich zu einfach herzustellende Rezepturen, die ohne großen Aufwand in ein bestimmtes Mischungsverhältnis gesetzt werden müssen, ergibt sich ein signifikant höherer Produktionsaufwand, der als Mindestvoraussetzung einmal oder mehrmals wöchentliche ärztliche Verordnungen rechtfertigt.
Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vom Juli und August 2007 im Wochendurchschnitt 4,3 Verordnungen eingegangen sind. Dies reicht nach Auffassung des Gerichts, um von einer häufigen Verordnung im Sinne des Ausnahmetatbestands auszugehen. Maßgeblich kann auch nur der Zeitraum sein, in welchem die Retaxierungen vorgenommen worden sind. Denn nur bezogen auf die einzelnen Retaxierungen müssen die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sein und nicht jedoch für einen früheren oder späteren Zeitraum. Im Gesetz findet sich für die Annahme der Beklagten, dass die Häufigkeit der Verschreibungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben muss kein Anhalt. Insbesondere ist für die Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals kein Zeitrahmen vorgegeben.
Das gilt ebenso für einen regionalen Bezug der Verordnungen und die von der Beklagten aufgeworfene Fragestellung, ob das Tatbestandsmerkmal der Häufigkeit nur erfüllt sein kann, wenn auch weitere Apotheken aus der Region Verordnungen erhalten. Eine solche Einschränkung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Norm herleiten. Unschädlich ist es, dass die Produkte nicht regional abgegeben werden. Die Auffassung des OLG Hamburg, dass die Herstellung lediglich eine begrenzte Region im Sinne des üblichen Versorgungs-Einzugsbereich der Apotheke betrifft ist vom BGH nicht bestätigt worden und damit überholt. Der BGH hat die Auffassung vertreten, dass ein regionaler Betrieb gerade nicht Tatbestandsvoraussetzung ist
- BGH vom 02.07.2009- I ZR 129/09. Erst recht muss es einer Apotheke möglich sein, den Ausnahmetatbestand allein mit Verordnungen zu erfüllen, die bei ihr eingereicht werden. Denn die Frage, ob es sinnvoll ist, auf Vorrat zu produzieren kann sich nur für die Situation in jeder einzelnen Apotheke stellen und nicht bezogen auf ein regionales Kollektiv beantwortet werden.
Auch ist nicht erkennbar, inwiefern ein Verstoß gegen das Zuweisungsgebot vorliegen soll. Für das Gericht besteht kein Zweifel, dass – entsprechend dem Vortrag des Klägers – die Verordnungen von den Versicherten der Beklagten eingereicht wurden und diese auch beliefert worden sind. Insoweit ist eine möglicherweise rechtswidrige Steuerung durch die Ärzte nicht erkennbar. Der Grund dafür, dass beim Kläger viele überregionale Verordnungen eingehen dürfte darin zu sehen sein, dass es nur wenige oder keiner anderen Apotheken gibt, die Oxybutinin- Fertigspritzen-Installationssets herstellen und anbieten. Sofern einer Apotheke ein Produkt anbietet, dass von anderen Apotheken nicht vorgehalten oder als Rezeptur produziert wird, verwundert es nicht, dass Versicherte/Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet Verordnungen einreichen. Im Übrigen spricht dieser Umstand für den vom Kläger vorgetragenen komplexen Herstellungsprozess, denn andernfalls würden weitere Apotheken in Anbetracht der vorhandenen Nachfrage ebenfalls Fertigspritzen-Installationssets anbieten und ggf. vorhalten.
(3) Die Herstellung der Fertigspritzen-Installationssets erfolgt auch im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs. Aus den vorgelegten Herstellungsprotokollen ist ersichtlich, dass alle maßgeblichen Produktionsschritte innerhalb der Apotheke durchgeführt werden.
Auch die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG festgeschriebene Tagesproduktionsmenge von höchstens 100 abgabefertigen Packungen pro Tag ist vom Kläger eingehalten worden. Aus den vom Kläger vorgelegten Herstellungsprotokollen ist ersichtlich, dass die zulässige Tagesproduktionsmenge nicht überschritten bzw. erreicht wurde. Der Kläger geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass selbst im Mehrschichtbetrieb eine maximale Produktionskapazität von 30-35 N3-Packungen mit je 100 Spritzen möglich ist. Die in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen reichen für den Nachweis aus. Das Gericht teilt die von der Beklagten vorgetragenen Zweifel hinsichtlich der Aussagekraft der Unterlagen nicht. Insbesondere vermochte der Kläger nachvollziehbar zu erläutern, weshalb die Chargen- Nummerierung nicht fortlaufend erfolgt ist. Denn die Nummerierung steht im Zusammenhang mit dem Produktionsdatum. Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten gerügten erheblichen Lücken sind dadurch zu erklären, dass an diesen Tagen keine Fertigspritzen-Installationsets produziert worden sind. Für das Gericht ist es im Übrigen plausibel, dass im Rahmen der Produktion in einem Apothekenbetriebs die vom Kläger dargestellte maximale Produktionskapazität von 30-35 Packungen pro Tag besteht. Auch insofern ist nicht davon auszugehen, dass in einem industriellen Ausmaß gefertigt wird. Dies hängt sicherlich auch mit der Packungsgröße zusammen, die jedoch den rechtlichen Vorgaben entspricht. Es ist im Übrigen plausibel, dass bei einem Medikament, welches täglich mehrfach zum Einsatz kommt, eine Packungsgröße dieser Größenordnung hergestellt werden muss, um den Bedarf zu befriedigen.
(4) An Qualität und Wirksamkeit des Produkts bestehen keine Zweifel. Denn die Fertigspritzensets werden nach den Vorgaben des neuen NRF produziert. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es einen Zirkelschluss darstellen würde, die für eine Zulassung erforderlichen Anforderungen heranzuziehen. Von seinem Ursprung her handelt es sich um eine Individualrezeptur, die aufgrund der großen Nachfrage im Voraus als so genannte verlängerte Rezeptur bzw. Defektur im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis in der Apotheke produziert wird. Für derartige Produkte, bei denen es sich zwar der nach gesetzlichen Definition um ein Fertigarzneimittel handelt (weil im Voraus produziert) ist gerade keine Zulassung erforderlich und die Qualitätssicherung erfolgt nach anderen Kriterien - nämlich denjenigen, die für die entsprechende Rezeptur gelten. Maßstab ist hier das NRF. Andernfalls könnten keine Produkte als Defektur produziert bzw. im Rahmen der GKV verordnet werden. Hieran hatte die Beklagte für die Vergangenheit auch keinen Zweifel. Die im Zusammenhang mit der Zulassung entstandenen Irritationen dürften aufgrund der neueren (höchstrichterlichen) Rechtsprechung des BGH nunmehr beseitigt sein. Dabei ist es nicht von Belang, ob der Kläger einen Zulassungsantrag gestellt hat und wie dieser zu einem späteren Zeitpunkt beschieden worden ist. Maßgeblich ist allein, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG vorliegen.
(5) Dass der Kläger eine Abrechnung als Fertigarzneimittel vorgenommen hat, steht dem Anspruch nicht entgegen. In Anbetracht der mit dem Inkrafttreten der 14. AMG Novelle aufgetretenen Irritationen hinsichtlich der Frage, wann von einer industriellen Fertigung auszugehen ist und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind, erfolgte eine Umstellung der Abrechnungspraxis, die dem Kläger nicht vorgeworfen werden kann und die im Ergebnis auch von der Beklagten geteilt worden ist. Denn auch diese ging davon aus, dass grundsätzlich eine Zulassung erforderlich ist. Soweit es in diesem Zusammenhang also zu einer fehlerhaften Kennzeichnung im Rahmen der Abrechnung gekommen ist, kann dies dem Kläger im Rahmen des zwischen den Beteiligten bestehenden Dauerschuldverhältnisses nicht vorgeworfen werden und es wäre treuwidrig, allein aus diesem Grund die Vergütung zu verweigern.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs und besteht seit der von der Beklagten vorgenommenen Aufrechnung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Absatz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Absatz ein S. 1 SGG Verbindung mit § 52 Abs. 3 GKG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Retaxierung bei der Versorgung mit Arzneimitteln.
Der Kläger ist Inhaber der G.-Apotheke in H ... Zwischen den Beteiligten gilt der Arznei- Lieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 21. August 2008, abgeschlossen zwischen dem Verband der Angestellten Krankenkasse e. V. und dem Arbeiter Ersatzkassenverband e.V. einerseits und dem Deutschen Apothekerverband e.V. Berlin, darunter der hamburgische Apothekerverein e.V., dessen Mitglied der Kläger ist, andererseits.
Auf der Grundlage vertragsärztliche Verordnung von Fertigspritzen-Installationssets mit steriler Oxybutinin-HCL-Lösung 0,1 % gab der Kläger entsprechende Fertigspritzensets an Versicherte der Beklagten ab. Anwendungsbereich von Oxybutinin ist die neurogene Blasenentleerung. Das Mittel dient der Relaxierung einer überaktiven Harnblase und kommt unter anderem bei Patienten mit Querschnittslähmung, Spina befida (offenen Rücken) multipler Sklerose und andere neurologischen Schädigungen zum Einsatz. Der Wirkstoff wird auch als Fertigarzneimittel in Tablettenform angeboten. Bei Unverträglichkeit und Gegenanzeigen der oralen Verabreichung kann eine Oxybutinin-Lösung direkt über einen Katheter in die Blase gespült werden.
Der Kläger stellt die Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung, einer Dampfdrucksterilisierung, aus Oxybutinin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril in einem relativ aufwändigen Verfahren in Einmalspritzen verpackt, mit einem Adapter versehen sowie verpackt. Die Herstellung einer Oxybutinin-Rezeptur zur Instillation in die Blase erfolgt nach den Vorschriften des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF). Das NRF ist in den 3-5 des deutschen Arzneimittelkodex enthalten. In Kap. 9.3 des NRF ist die Oxybutininhydrochlorid-Instillationslösung 0.025 aufgeführt. Das Oxybutinin-Fertispritzenset besitzt keine arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz-AMG). Die Freie und Hansestadt Hamburg erteilte dem Kläger am 22. April 2005 eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Herstellung von Arzneimitteln für die Herstellung von Oxybutinin-HCL-Lsg. 0,01-0,25 in der Applikationsart Fertigspritzen-Installationsset.
In der Vergangenheit gab es ebenso wie mit anderen Krankenkassen auch Beanstandungen der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der abgerechneten Vergütung für die Oxybutinin-Lösungen (S 48 KR 1134/05). Im Streit war, ob eine Berechnung als parenterale Lösung möglich war oder ob sich der Arbeitspreis nach Punkt 4 der Hilfstaxe Rezepturzuschläge ("Fertigung von Arzneimitteln mit Durchführung einer Sterilisation, Sterifiltration oder aseptischen Zubereitung") richtete.
Die Beteiligten sind durch die Änderungen der 14. AMG- Novelle davon ausgegangen, dass das Arzneimittel nunmehr unter dem Begriff des Fertigarzneimittels falle, eine Abgabe über den Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG aufgrund der vom Kläger vorgenommenen Fertigung nach einheitlichen Vorschriften nicht mehr möglich sei und nunmehr der Genehmigungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterliege. Der Kläger hat insoweit einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Zulassung gestellt und ging davon aus, dass das Medikament weiterhin über den Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG in Verkehr gebracht werden könne und von den Krankenkassen zu vergüten sei. Das Fertigarzneimittel ist seit 15. März 2007 in der IFA- Datenbank (so genannte Lauer-Taxe) gelistet.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 beanstandete die Beklagte die Abrechnungen des Klägers für die Versorgung von Versicherten mit Oxybutinin Fertigspritzen-Installationssets im Zeitraum Juli und August 2007 in einer Höhe von 28.863,01 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Fertigspritzen-Installationssets im Zeitpunkt der Abgabe in D. nicht zugelassen und damit auch nicht verordnungsfähig gewesen seien. Eine Abrechnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei daher nicht zulässig gewesen. Dem Einspruch des Klägers vom 28. Juli 2008 half die Beklagte nicht ab (Schreiben vom 24. September 2008).
Der am 5. März 2009 Sozialgericht Hamburg erhobene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos (S 48 KR 310/09 ER). Das Sozialgericht Hamburg ist im Wege der summarischen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass weder ein Eilbedürfnis vorgelegen habe noch ein Anordnungsanspruch angenommen werden könne und hat den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 14. April 2009 abgelehnt. In Ermangelung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung sei das Medikament nicht verordnungsfähig. Ob die Voraussetzungen des § 141 Abs. 4 AMG vorliegen, könne dahingestellt bleiben. Denn allein die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit begründe nach der Rechtsprechung des BSG im Leistungsrecht der GKV keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel.
Am 14. Mai 2009 erfolgte die Absetzung/Aufrechnung der sich aus der Retaxierung ergebenden Forderung mit unstreitigen Vergütungsforderungen.
Der Kläger hat am 8. Juni 2009 Klage erhoben. Er legt zunächst dar, dass aufgrund der 14. AMG-Novelle mit Wirkung ab dem 6. September 2005 wegen der Herstellung nach einheitlichen Vorschriften von einer industriellen Fertigung auszugehen sei. Die bislang für eine Zulassungsfreiheit in Anspruch genommene Privilegierung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG decke diesen Fall nicht mehr ab. Aus diesem Grund sei zum 1. September 2008 ein Zulassungsantrag gestellt worden. Die Verordnung-und Verkehrsfähigkeit folge aus dem Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG. Da sich weder in der Art der Herstellung noch im Produktionsumfang etwas geändert habe, ergebe sich im Zusammenhang mit der Ausnahmevorschrift für die Übergangsphase bis zur Entscheidung über den Zulassungsantrag ein Vergütungsanspruch des Klägers.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 28.863,01 EUR nebst Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14. Mai 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass sich aus dem Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG möglicherweise die Verkehrsfähigkeit der vom Kläger produzierten Fertigspritzen-Installationssets ergebe, nicht jedoch ein Vergütung bzw. Versorgungsanspruch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gelte nur für zugelassene Arzneimittel.
Mit Bescheiden vom 12. Juli 2013 und 25. Juli 2013 hat das BfArM den Zulassungsantrag des Klägers versagt. Nach dem Vorbringen des Klägers sei die Versagung auf einem unzureichend begründetem Wirksamkeitsnachweis im Zusammenhang mit formalen Gründen zurückzuführen. Eine fehlende Wirksamkeit sei hingegen nicht festgestellt worden. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine Ablehnung aufgrund nicht ausreichender Qualität und Prüfung sowie fehlender therapeutischer Wirksamkeit erfolgt sei.
Das Gericht hat im Anschluss an dem Erörterungstermin vom 3. Mai 2014 die Beteiligten mit Schreiben vom 15. Mai 2014 (Bl. 293 bis 295 der Prozessakte) darauf hingewiesen, dass auch nach der 14. AMG- Novelle eine Fertigung nach einheitlichen Vorschriften nicht dazu führe, dass eine industrielle Produktion vorliege. Deshalb sei nach wie vor der Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG einschlägig – sofern der Kläger weiterhin in der durch die Norm vorgegebene Größenordnung produziere. Im Hinblick auf die zahlreichen weiteren Retaxierungen, bei denen die Beklagte auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat, ist eine vergleichsweise Regelung angeregt worden.
Die Beklagte hat die Durchführung eines Mediationsverfahrens und den Abschluss eines Vergleichs abgelehnt. Es handele sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG seien vom Kläger nicht nachgewiesen worden. Die Abrechnung der Fertigspritzen-Installationssets sei als Fertigarzneimittel mit entsprechender PZU erfolgt und nicht als Rezepturarzneimittel. Insoweit könne auch nicht eine Vergütung auf dieser Grundlage erfolgen.
Daraufhin hat der Kläger die Herstellungsprotokolle und weitere Unterlagen für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegt, aus denen sich eine durchschnittliche Verordnung von 4,3 Verschreibungen pro Woche ergibt. Unter Berücksichtigung von Mehrfachverordnungen sei von einem Durchschnittswert von 6,9 auszugehen. Es handele sich um eine komplizierte Rezeptur und nach der Literatur vertretenen Auffassung reiche eine wöchentliche Verordnung aus. Weiterhin produziere der Kläger unverändert in einer Größenordnung von deutlich unter 100 abgabefertigen Packungen pro Tag. Alle erforderlichen Herstellungsschritte würden in der Apotheke des Klägers durchgeführt. Im Hinblick auf die seinerzeit vorgenommenen Abrechnungen könne dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass von einem Fertigarzneimittel ausgegangen worden sei. Im Übrigen werde nach wie vor die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands gemäß § 141 Abs. 4 AMG vorgelegen hätten.
Die Beklagte hat daraufhin erwidert, es könne nicht von einer häufigen Verordnung im Sinne des Ausnahmetatbestandes ausgegangen werden. Erforderlich sei eine mindestens tägliche Verordnung, wobei es sich um regionale Verordnungen handeln müsse. Die zu fordernde Häufigkeit der Verschreibungen für Apotheken in der Region habe der Kläger nicht nachgewiesen. Soweit sich der Kläger auf ortsfremde Verschreibungen beziehe, sei von einem Verstoß gegen das Zuweisungsgebot des § 11 Abs. 1 ApoG auszugehen. Es handele sich nicht um eine komplizierte Rezeptur, weshalb eine tägliche Verordnung erforderlich sei. Aus den Unterlagen des Klägers könne eine solche Häuslichkeit nicht abgeleitet werden. Die Herstellungsprotokolle enthielten keine lückenlose fortlaufende Chargenbezeichnung und seien zum Nachweis dafür, dass in einer nicht industriellen Größenordnung produziert werde, nicht geeignet.
Der Kläger hat dargelegt, dass weder aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung hergeleitet werden können, dass nur regionale Verordnungen relevant seien. Erst recht könne nicht darauf abgestellt werden, ob die anderen Apotheken ebenfalls regelmäßig Verordnung erhalten würden. Die Verordnungen würden auch nicht von den Ärzten vorgelegt, sondern von den Versicherten und an diese geliefert. Von einem Verstoß gegen das Zuweisungsverbot könne nicht ausgegangen werden.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt haben.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 28.863,01 EUR, denn die Beklagte war mangels Gegenforderung nicht zu Aufrechnung berechtigt. Ein aus § 17 Abs. 4 des Arzneimittellieferungsvertrages (ALV) in der Fassung vom 1. Juli 2005 folgender öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht nicht, denn die Voraussetzungen für eine Beanstandung gemäß § 17 Abs. 1 ALV liegen nicht vor. Für die in den Monaten Juli und August 2007 auf entsprechende ärztliche Verordnungen gelieferte Oxybutinin-Fertigspritzensets bestand ein berechtigter Vergütungsanspruch des Klägers.
Maßgeblich für die Rechtsbeziehungen der Apotheken und der Krankenkasse ist der nach § 129 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) zu schließende Rahmenvertrag sowie der die Arzneimittelabgabe, Preisberechnung, Rechnungslegung- und Beanstandung regelnde ALV.
Die mit Schreiben vom 11. Juli 2008 vorgenommene Beanstandung der Beklagten erfolgte zu Unrecht. Für den Kläger bestand für die streitgegenständlichen Arzneimittellieferungen ein Vergütungsanspruch gegen die Beklagte.
Nach wie vor sind die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) gegeben. Die mangelnde Zulassung steht der Abgabe durch den Kläger insoweit nicht entgegen. Denn entgegen der (ursprünglichen) Auffassung des Klägers und der Beklagten besteht nach wie vor keine Zulassungspflicht gemäß § 21 Absatz 1 AMG.
Nach dieser Norm bedarf es für Arzneimittel keiner Zulassung, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und auf Grund nachweislich ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind.
(1) Diese Voraussetzungen liegen vor. Insbesondere kann nicht von einer der Anwendung von § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG entgegenstehenden industriellen Fertigung ausgegangen werden. Das von dem Kläger hergestellte Fertigspritzenset ist zwar dem Grunde nach ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG, weil es als verlängerte Rezeptur bzw. Defektur (§ 8 ApBetrO a. F.) im Voraus hergestellt wird, jedoch erfolgt keine industrielle Fertigung. Hieran hat sich durch die 14. AMG Novelle nichts geändert. Wie sich bereits aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/5316 S. 33) ergibt, gehört zu einer industriellen Fertigung die breite Herstellung nach einheitlichen Vorschriften. Die Produktion nach einheitlichen (normierten) Vorschriften reicht demnach für sich alleine genommen nicht aus, um eine industrielle Fertigung anzunehmen. Hinzukommen muss eine "breite Herstellung", also auch ein bestimmtes, größeres Produktionsvolumen.
Die Rechtsprechung hat zur Beantwortung der Fragestellung, wann eine "breite Herstellung" vorliegt auf die unverändert gebliebene Ausnahmevorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG zurückgegriffen und auf die dort als Grenze festgelegten 100 abgabefähigen Packungen pro Tag als Obergrenze abgestellt. Eine industrielle Fertigung liegt demnach vor, wenn diese Obergrenze überschritten wird oder wenn allgemein der durch die ApBetrO vorgegebene Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs (§ 8 ApBetrO a. F.) überschritten wird bzw. die Herstellung nicht mehr in der Apotheke vorgenommen wird
- BGH vom 26.06.2005 – I ZR 194/02, vom 14.04.2011 – I ZR 129/09 (vorgehend ebenso OLG München vom 02.07.2009- 6 U 2328/09 und LG München vom 31.01.2008- 7 O 11241/07 s. auch Wesser, jurisPR-MedizinR 9/2011, Anm.4); OLG München vom 06.05.2010 – 29 U 4316/08.
Die von den Gerichten vorgenommene Auslegung ist in sich schlüssig, entspricht der Gesetzesbegründung – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt – und fügt sich systematisch in das Regelungsgefüge des AMG ein. Insbesondere die Ausnahmeregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG hat bereits vor der 14. AMG Gesetzesnovelle den Rahmen für eine apothekenübliche Produktion vorgegeben und kann daher als Abgrenzungskriterium bezüglich der "Quantitätsgrenze" für die Ermittlung einer industriellen Produktion herangezogen werden. Eine Produktion nach einheitlichen Vorschriften hat vor und nach der 14. AMG Novelle den Ausnahmetatbestand nicht erfüllt. Auch vom Wortverständnis dürfte eine mengenmäßig geringe Produktion nach bestimmten Vorgaben nicht ausreichen, um von einer industriellen Fertigung auszugehen. Denn zu einer Industrieproduktion gehört immer auch ein bestimmtes Produktionsvolumen ("breite Basis"). Die Auslegung berücksichtigt auch das vom Gesetzgeber im AMG mehrfach hervorgehobene Apothekenprivileg, im Wege der verlängerten Rezeptur in der Apotheke Arzneimittel (im Rahmen der Apothekenbetriebserlaubnis und des üblichen Betriebs) herstellen zu können.
Sofern der Kläger nach wie vor in der durch § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG vorgegebenen Größenordnung produziert und die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist es demnach unschädlich, wenn die Fertigung der in Rede stehenden Arzneimittel nach einem einheitlichen Verfahren erfolgt. Der ursprünglich von der Beklagten als Ausnahmetatbestand anerkannte § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG ist nach wie vor einschlägig, unabhängig davon, ob ein Zulassungsantrag gestellt worden ist oder nicht und unabhängig davon, ob der Antrag zwischenzeitlich abgelehnt worden ist.
Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 AMG liegen vor.
(2) Der Kläger hat nachgewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine häufige Verschreibung des Oxybutinin-Fertigspritzensets erfolgt ist.
Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich weder eine Mindestgrenze noch eine Einschränkung durch einen regionalen Bezug. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung sich vorwiegend an dem Sinn und Zweck der Regelung zu orientieren hat. Nach der Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG soll es dem Apotheker ermöglicht werden, im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs Arzneimittel im Sinne einer Defektur herzustellen, wenn es hierzu einen Bedarf gibt.
- OLG München vom 23.02.2006 – 6 U 3721/05
Dieser wird anzunehmen sein, wenn es auf Grund der Nachfrage wirtschaftlich nachvollziehbar ist, das Arzneimittel im Voraus auf Vorrat anzufertigen, weil die Nachfrage konstant und vorhersehbar ist und umgekehrt die nachträgliche Fertigung umständlich erscheint und zudem die betrieblichen Abläufe beeinträchtigt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen ist im Einzelfall zu prüfen, ohne dass abstrakte Vorgaben oder Mindestgrenzen festgelegt werden können. Allerdings hängt die Prüfung eng mit dem Produktionsaufwand und Schwierigkeitsgrad der Herstellung ab. Insofern ist die in der Literatur vertretende Auffassung, die Mindestgrenze in Bezug zur Komplexität der Rezeptur zu setzen durchaus sinnvoll
- z.B. Rehmann, AMG, 4. Auflage 2014, § 21 Rn. 4. Denn das Bedürfnis der Bevorratung für eine sehr einfach herzustellende Rezeptur ist für die Apotheke grundsätzlich geringer als bei einem aufwändigen Produktionsverfahren.
Für die Kammer besteht vorliegend kein Zweifel, dass die Herstellung eines Oxybutinin-Fertigspritzensets mit einem hohen Aufwand verbunden ist und erheblicher organisatorischer Vorkehrungen bedarf. Der Kläger stellt die Oxybutinin- Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung, einer Dampfdrucksterilisierung, aus Oxybutinin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril in einem relativ aufwändigen Verfahren in Einmalspritzen verpackt, mit einem Adapter versehen sowie verpackt. Nach den Angaben des Klägers dauert die Herstellung von 58 Packungen a 100 Spritzen 15 bis 20 Tage, was ebenfalls einen relativ hohen Produktionsaufwand dokumentiert. Ein erhöhter Schwierigkeitsgrad ergibt sich auch aus der aufwändigen Autoklavierung und der Notwendigkeit, eine Werkbank vorzuhalten. Es mag der Beklagten zugestanden werden, dass es noch kompliziertere Rezepturen gibt, jedoch bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass von einer einfachen Herstellungsweise ausgegangen werden kann. Gerade im Vergleich zu einfach herzustellende Rezepturen, die ohne großen Aufwand in ein bestimmtes Mischungsverhältnis gesetzt werden müssen, ergibt sich ein signifikant höherer Produktionsaufwand, der als Mindestvoraussetzung einmal oder mehrmals wöchentliche ärztliche Verordnungen rechtfertigt.
Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vom Juli und August 2007 im Wochendurchschnitt 4,3 Verordnungen eingegangen sind. Dies reicht nach Auffassung des Gerichts, um von einer häufigen Verordnung im Sinne des Ausnahmetatbestands auszugehen. Maßgeblich kann auch nur der Zeitraum sein, in welchem die Retaxierungen vorgenommen worden sind. Denn nur bezogen auf die einzelnen Retaxierungen müssen die Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sein und nicht jedoch für einen früheren oder späteren Zeitraum. Im Gesetz findet sich für die Annahme der Beklagten, dass die Häufigkeit der Verschreibungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben muss kein Anhalt. Insbesondere ist für die Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmals kein Zeitrahmen vorgegeben.
Das gilt ebenso für einen regionalen Bezug der Verordnungen und die von der Beklagten aufgeworfene Fragestellung, ob das Tatbestandsmerkmal der Häufigkeit nur erfüllt sein kann, wenn auch weitere Apotheken aus der Region Verordnungen erhalten. Eine solche Einschränkung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Norm herleiten. Unschädlich ist es, dass die Produkte nicht regional abgegeben werden. Die Auffassung des OLG Hamburg, dass die Herstellung lediglich eine begrenzte Region im Sinne des üblichen Versorgungs-Einzugsbereich der Apotheke betrifft ist vom BGH nicht bestätigt worden und damit überholt. Der BGH hat die Auffassung vertreten, dass ein regionaler Betrieb gerade nicht Tatbestandsvoraussetzung ist
- BGH vom 02.07.2009- I ZR 129/09. Erst recht muss es einer Apotheke möglich sein, den Ausnahmetatbestand allein mit Verordnungen zu erfüllen, die bei ihr eingereicht werden. Denn die Frage, ob es sinnvoll ist, auf Vorrat zu produzieren kann sich nur für die Situation in jeder einzelnen Apotheke stellen und nicht bezogen auf ein regionales Kollektiv beantwortet werden.
Auch ist nicht erkennbar, inwiefern ein Verstoß gegen das Zuweisungsgebot vorliegen soll. Für das Gericht besteht kein Zweifel, dass – entsprechend dem Vortrag des Klägers – die Verordnungen von den Versicherten der Beklagten eingereicht wurden und diese auch beliefert worden sind. Insoweit ist eine möglicherweise rechtswidrige Steuerung durch die Ärzte nicht erkennbar. Der Grund dafür, dass beim Kläger viele überregionale Verordnungen eingehen dürfte darin zu sehen sein, dass es nur wenige oder keiner anderen Apotheken gibt, die Oxybutinin- Fertigspritzen-Installationssets herstellen und anbieten. Sofern einer Apotheke ein Produkt anbietet, dass von anderen Apotheken nicht vorgehalten oder als Rezeptur produziert wird, verwundert es nicht, dass Versicherte/Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet Verordnungen einreichen. Im Übrigen spricht dieser Umstand für den vom Kläger vorgetragenen komplexen Herstellungsprozess, denn andernfalls würden weitere Apotheken in Anbetracht der vorhandenen Nachfrage ebenfalls Fertigspritzen-Installationssets anbieten und ggf. vorhalten.
(3) Die Herstellung der Fertigspritzen-Installationssets erfolgt auch im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs. Aus den vorgelegten Herstellungsprotokollen ist ersichtlich, dass alle maßgeblichen Produktionsschritte innerhalb der Apotheke durchgeführt werden.
Auch die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG festgeschriebene Tagesproduktionsmenge von höchstens 100 abgabefertigen Packungen pro Tag ist vom Kläger eingehalten worden. Aus den vom Kläger vorgelegten Herstellungsprotokollen ist ersichtlich, dass die zulässige Tagesproduktionsmenge nicht überschritten bzw. erreicht wurde. Der Kläger geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass selbst im Mehrschichtbetrieb eine maximale Produktionskapazität von 30-35 N3-Packungen mit je 100 Spritzen möglich ist. Die in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen reichen für den Nachweis aus. Das Gericht teilt die von der Beklagten vorgetragenen Zweifel hinsichtlich der Aussagekraft der Unterlagen nicht. Insbesondere vermochte der Kläger nachvollziehbar zu erläutern, weshalb die Chargen- Nummerierung nicht fortlaufend erfolgt ist. Denn die Nummerierung steht im Zusammenhang mit dem Produktionsdatum. Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten gerügten erheblichen Lücken sind dadurch zu erklären, dass an diesen Tagen keine Fertigspritzen-Installationsets produziert worden sind. Für das Gericht ist es im Übrigen plausibel, dass im Rahmen der Produktion in einem Apothekenbetriebs die vom Kläger dargestellte maximale Produktionskapazität von 30-35 Packungen pro Tag besteht. Auch insofern ist nicht davon auszugehen, dass in einem industriellen Ausmaß gefertigt wird. Dies hängt sicherlich auch mit der Packungsgröße zusammen, die jedoch den rechtlichen Vorgaben entspricht. Es ist im Übrigen plausibel, dass bei einem Medikament, welches täglich mehrfach zum Einsatz kommt, eine Packungsgröße dieser Größenordnung hergestellt werden muss, um den Bedarf zu befriedigen.
(4) An Qualität und Wirksamkeit des Produkts bestehen keine Zweifel. Denn die Fertigspritzensets werden nach den Vorgaben des neuen NRF produziert. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es einen Zirkelschluss darstellen würde, die für eine Zulassung erforderlichen Anforderungen heranzuziehen. Von seinem Ursprung her handelt es sich um eine Individualrezeptur, die aufgrund der großen Nachfrage im Voraus als so genannte verlängerte Rezeptur bzw. Defektur im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis in der Apotheke produziert wird. Für derartige Produkte, bei denen es sich zwar der nach gesetzlichen Definition um ein Fertigarzneimittel handelt (weil im Voraus produziert) ist gerade keine Zulassung erforderlich und die Qualitätssicherung erfolgt nach anderen Kriterien - nämlich denjenigen, die für die entsprechende Rezeptur gelten. Maßstab ist hier das NRF. Andernfalls könnten keine Produkte als Defektur produziert bzw. im Rahmen der GKV verordnet werden. Hieran hatte die Beklagte für die Vergangenheit auch keinen Zweifel. Die im Zusammenhang mit der Zulassung entstandenen Irritationen dürften aufgrund der neueren (höchstrichterlichen) Rechtsprechung des BGH nunmehr beseitigt sein. Dabei ist es nicht von Belang, ob der Kläger einen Zulassungsantrag gestellt hat und wie dieser zu einem späteren Zeitpunkt beschieden worden ist. Maßgeblich ist allein, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG vorliegen.
(5) Dass der Kläger eine Abrechnung als Fertigarzneimittel vorgenommen hat, steht dem Anspruch nicht entgegen. In Anbetracht der mit dem Inkrafttreten der 14. AMG Novelle aufgetretenen Irritationen hinsichtlich der Frage, wann von einer industriellen Fertigung auszugehen ist und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind, erfolgte eine Umstellung der Abrechnungspraxis, die dem Kläger nicht vorgeworfen werden kann und die im Ergebnis auch von der Beklagten geteilt worden ist. Denn auch diese ging davon aus, dass grundsätzlich eine Zulassung erforderlich ist. Soweit es in diesem Zusammenhang also zu einer fehlerhaften Kennzeichnung im Rahmen der Abrechnung gekommen ist, kann dies dem Kläger im Rahmen des zwischen den Beteiligten bestehenden Dauerschuldverhältnisses nicht vorgeworfen werden und es wäre treuwidrig, allein aus diesem Grund die Vergütung zu verweigern.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs und besteht seit der von der Beklagten vorgenommenen Aufrechnung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Absatz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Absatz ein S. 1 SGG Verbindung mit § 52 Abs. 3 GKG.
Rechtskraft
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