L 1 KR 100/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 20 KR 429/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 100/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschuss des Sozialgerichts Neuruppin vom 2. Februar 2015 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin möchte im Wege einstweiliger Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin erreichen, ihr ärztlich verordnete Leistungen der häuslichen Krankenpflege (viermal täglich Einmalkatheterisierung) zu gewähren.

Sie lebt in einer Wohnstätte für Menschen mit Behinderung. Die Antragsgegnerin leitete ihren entsprechenden Antrag mit der Begründung, es handele sich um Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Menschen, der in einer vollstationären Einrichtung im Sinne des § 43a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) lebe, gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den Beigeladenen als zuständigem Sozialhilfeträger weiter. Dieser wiederum war und ist der Auffassung, es sei bereits keine (Rehabilitations-)Leistung zur Teilhabe im Sinne der §§ 4, 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX beantragt, so dass er nicht nach § 14 Abs. 2 SGB IX als zweitangegangener Träger verpflichtet sei. Materiell leistungsrechtlich sei entgegen der Annahme der Antragsgegnerin weder der Einrichtungsträger zur Leistungserbringung nach §§ 43a i. V. m. 71 Abs. 4 SGB XI noch das Sozialamt zur Kostenerstattung verpflichtet. Es handele sich um Krankenbehandlung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Das am 22. Dezember 2014 angerufene Sozialgericht Neuruppin (SG) hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (Zustellung 9. Februar 2015) für den Zeitraum ab 6. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 antragsgemäß vorläufig verpflichtet. Insoweit lägen die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage sei § 37 SGB V. Die Antragsgegnerin sei für die Gewährung zuständig, § 2 Abs. 1 SGB V. Dies gelte ungeachtet der Weiterleitung nach § 14 SGB IX. Diese Vorschrift ändere nichts an der material-rechtlichen Zuständigkeit des tatsächlich leistungsverpflichteten Trägers und sei keine Privilegierung des weiterleitenden Trägers bis zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs durch den nach § 14 Abs. 2 SGB IX verpflichteten Leistungsträger. Die Antragstellerin habe sich deshalb nicht an den Beigeladenen wenden müssen, zumal dieser ihren Antrag nicht beschieden, sondern sich auf die Rechtswidrigkeit der Weiterleitung berufen habe. Die Antragstellerin wohne ferner in einer betreuten Wohnungsform im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V. Jedenfalls nach den Maßstäben eines Eilverfahrens stünde ihr ferner auch kein vorrangiger Versorgungsanspruch zur Verfügung. Im Vertrag zwischen der Antragstellerin und der Einrichtung könne sich ein solcher Anspruch allenfalls aus der Vertragsklausel ergeben, wonach die Antragstellerin die erforderlichen individuellen Maßnahmen gemäß der Leistungsvereinbarung zwischen dem Einrichtungsträger und dem überörtlichen Sozialhilfeträger erhalte, nämlich die der für sie ermittelten Hilfebedarfsgruppe entsprechenden Leistungen der Pflege nach § 43a SGB XI, soweit die Pflegeleistung in der Einrichtung sichergestellt werden könne. Durch §§ 43, 43a SGB XI seien nämlich im Regelfall Maßnahmen der qualifizierten Behandlungspflege nicht mit abgegolten, da sie regelmäßig die personellen und sachlichen Möglichkeiten, zu denen sich der Einrichtungsträger auf Grundlage des nach § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abzuschließenden Vertrages vorzuhalten verpflichte, überstiegen. Für eine Ausnahme sei hier nichts ersichtlich. Etwaige Leistungsansprüche nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i. V. m. § 26 SGB IX oder § 54 Abs. 1 S. 1Nr. 5 SGB XII gegenüber dem Beigeladenen seien jedenfalls gegenüber dem SGB V-Anspruch auf häusliche Krankenpflege nachrangig, § 2 SGB XII.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 9. März 2015. Zur Begründung führt sie zusätzlich aus, die Weiterleitung des Antrages anstelle einer Ablehnung entspreche der Intention des § 14 SGB IX. Es fehle an Eilbedürftigkeit, weil davon auszugehen sei, dass der Einrichtungsträger über medizinisches Fachpersonal verfüge, welches die Behandlungspflege jedenfalls vorübergehend übernehmen könnte, auch wenn in der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII Leistungen qualifizierter medizinischer Behandlungspflege ausgeschlossen seien. Auch sei die Prognose falsch, dass der Pflegedienst die Behandlungspflege ab Januar 2015 eingestellt hätte, weil eine Antragsablehnung nicht erfolgt sei und im Übrigen sei die Kündigung mangels Einhaltung der Kündigungsfrist wohl unwirksam.

Sie beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 2. Februar 2015 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die vom Einrichtungsträger beschäftigten Krankenschwestern seien keine im eigentlichen Sinne. Sie seien nicht in der Lage, die benötigte Behandlungspflege zu erbringen.

Zum Sachverhalt wird ergänzend auf die Darstellung im angegriffenen Beschluss des SG einschließlich der dortigen Verweise auf den Akteninhalt Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das SG hat im Beschluss vom 2. Februar 2015 sorgfältig dargelegt, weshalb die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht worden sind. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird auch insoweit auf diesen verwiesen, § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist lediglich zu ergänzen:

Die zutreffende Auffassung des SG, dass nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes alleine möglichen summarischen Prüfung von einem Anordnungsanspruch auszugehen ist, wird durch die mittlerweile ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Februar 2015 (B 3 KR 10/14 R und 11/14 R) ausweislich der bislang bereits veröffentlichten Presseninformation bekräftigt: Ein Anspruch nach § 37 Abs. 2 SGB V (in Verbindung mit den Regelungen der HKP-Richtlinie) besteht danach an allen geeigneten Orten, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen ergeben sich für die Zeit des Aufenthaltes in Einrichtungen nur, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (wie z.B. in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen). Die Antragstellerin hält sich hier unstreitig nicht in einem Pflegeheim auf. Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind nach den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich nur soweit verpflichtet, medizinische Behandlungspflege zu erbringen, wie sie dazu aufgrund der von ihnen vorzuhaltenden sächlichen und personellen Ausstattung in der Lage sind. Die medizinische Behandlungspflege ist vorrangig Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Träger der Sozialhilfe hat daher grundsätzlich nicht durch entsprechende Verträge dafür Sorge zu tragen, dass diese Leistung durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe erbracht wird. Die Ausnahme einer "einfachsten Maßnahmen der Krankenpflege, für die es keiner besonderen Sachkunde oder Fertigkeiten" bedarf, liegt hier ebenfalls unstreitig nicht vor. Bei der Katheterisierung handelt es sich nicht um eine einfache Maßnahme.

Wie bereits das SG dargestellt hat, verliert die Antragstellerin ihren Anspruch auf Sachleistung gegenüber der Antragsgegnerin aus §§ 2 Abs. 1, 37 SGB V nicht deshalb, weil diese überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig den Antrag nach § 14 SGB IX weitergeleitet hat, weil sie (nur) von einer Teilhabeleistung zur Behinderungsminderung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX ausgegangen ist und zum anderen eine Unzuständigkeit im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IX angenommen hat.

§ 14 SGB IX soll dem Versicherten nicht zum Nachteil gereichen, sondern der raschen Klärung der Zuständigkeiten dienen (BSG, Urt. v. 26, Juni 2007 - B 1 KR 34/06 R juris-Rdnr. 12, bereits vom SG zitiert). Der zweitangegangene Leistungsträger wird im Außenverhältnis zum behinderten Menschen deshalb ebenfalls leistungspflichtig, also zusätzlich zum zuständigen erstangegangenen (vgl. Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 12 mit Bezugnahme auf BSG SozR 4–3250 § 14 Nr. 4). Dies gilt um so mehr in einem Fall wie hier, bei dem die gesetzliche Intention versagt, weil sich sowohl erst- wie zweitangegangener Leistungsträger weigern, den Antrag auch nur zu bescheiden. Die Antragsgegnerin bleibt als materiell rechtlich primär Leistungsverpflichtete im Außenverhältnis zur Antragstellerin zuständig.

Dass die Behandlungspflege nicht durch die Einrichtung selbst "vorübergehend" gewährleistet werden kann, ist für das Eilverfahren durch die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Die Vermutung der Antragsgegnerin, der Pflegedienst werde seine Leistungen schon nicht einstellen, ist spekulativ. Bereits die jedenfalls verbleibende Unsicherheitssituation ist angesichts der durch Atteste belegten Dringlichkeit der Behandlungspflege der Antragstellerin unzumutbar und zeigt die Dringlichkeit einer gerichtlichen Anordnung auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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