Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 132/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist die Neufestsetzung der Gesamtpunktzahlvolumina.
Die Klägerin ist eine seit dem Quartal 2/2010 bestehende Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) zweier Psychologischer Psychotherapeutin- nen mit Vertragsarztsitz in T1. Bis zum 31.12.2012 war Frau Dipl.-Psych. T2 I im Job-Sharing-Verhältnis zugelassen, seit 01.01.2013 verfügt sie über einen eigenen hälftigen Sitz. Mit Bescheid vom 21.04.2010 wies der Zulassungsausschuss der Klägerin Gesamtpunktzahlvolumina in Höhe von 988.404,7 Punkten (1. Quartal), 1.061.605 Punkten (2. Quartal), 828.301,2 Punkten (3. Quartal) und 907.689.2 Punkten (4. Quartal) zu.
Unter dem 28.02.2011 beantragte die Klägerin eine Erhöhung der festgelegten Gesamtpunktzahlvolumina um 25 %: Für die Quartale 4/2008 bis 2/2009 sei eine Nachvergütung in Höhe von 1.874,80 EUR erfolgt, die zu berücksichtigen sei. Die Praxispartnerin D1. D2 habe in der Zeit vom 22.06.2009 bis 26.07.2009 aufgrund einer außerordentlichen familiären Belastung eine fünfwöchige Auszeit nehmen müssen. Ihre psychotherapeutische Praxis habe sie in dieser Zeit nicht betrieben, so dass das im Quartal 3/2009 erwirtschaftete Honorar deutlich niedriger ausgefallen sei, als bei normalem Praxisbetrieb zu erwarten gewesen wäre. Die statistisch ermittelte zahlenmäßige Überversorgung mit psychotherapeutischen Leistungserbringern entspreche nicht der Realität. Trotz Wartezeit von 6 bis 12 Monaten müsse die Klägerin pro Woche im Durchschnitt 5 bis 10 Anfragen bezüglich eines Therapieplatzes ablehnen.
Mit Beschluss vom 20.06.2011 (Bescheid vom 29.08.2011) lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag auf Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina ab: Nach aktuellem Stand sei der Planungsbereich Euskirchen bei einem Versorgungsgrad von 136 % für weitere Zulassungen gesperrt. Eine begründete Notwendigkeit, die Begrenzungspunktzahlen anzuheben, habe nicht erkannt werden können.
Auf einen hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beigeladene zu 5) in der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten darauf hin, dass die Nachzahlung nicht in das Gesamtpunktzahlvolumen eingeflossen sei und sie diesbezüglich einen Antrag an den Zulassungsausschuss stellen werde. Insoweit sahen die Beteiligten das Verfahren als erledigt an. Im Übrigen wies der Beklagte mit Beschluss vom 07.12.2011 (Bescheid vom 22.12.2011) den Widerspruch zurück: Die Vorschrift des § 23a Nr. 4 der Bedarfsplanungs-Richtlinie (BedarfsPl-RL) verdeutliche ihrem Wortlaut nach, dass ein Job-Sharing nicht dazu führen könne, dass der bisher bestehende Praxisumfang wesentlich erweitert werde. Für die Berechnung des abrechenbaren Gesamtpunktzahlvolumens sehe § 23c BedarfsPl-RL nähere Voraussetzungen möglicher Änderungen vor. Unter anderem erfasse Satz 7 außergewöhnliche Entwicklungen im Vorjahr wie z.B. Krankheit eines Arztes. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Zwar mache Frau D2 geltend, sie sei im Zeitraum vom 22.06.2009 bis 26.07.2009 nach Tansania geflogen, um ihrer Tochter, die unter einer Schwangerschaftsdepression gelitten habe, beizustehen. Bei der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift zählten jedenfalls Umstände, die sich hier dadurch ergeben hätten, dass die Tochter von Frau D2 eine eigene Familie gegründet und sich entschlossen habe, nach Tansania zu ziehen, nicht zu der Ausnahmeregelung. Aus dem Urteil des SG Dresden vom 12.12.2008 - S 8 KA 243/05 - lasse sich für den vorliegenden Sachverhalt nichts ableiten.
Hiergegen richtet sich die am 18.01.2012 beim Sozialgericht Köln erhobene Klage. Der Rechtsstreit ist von dort mit Beschluss vom 27.02.2013 an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen worden.
Die Klägerin hält die Voraussetzungen des § 23c Satz 7 BedarfsPl-RL für erfüllt. Aus dem Wortlaut der Norm lasse sich nicht herleiten, dass es sich nur um außergewöhnliche Umstände handeln könne, die in der Person des Arztes selbst liegen müssten, sonst hätte der Normgeber dies formuliert. Fraglich sei insofern, welche weiteren Gründe außer der Krankheit des Arztes, die in seiner Person selbst lägen, sich der Beklagte vorstelle. Wenn aufgrund Brandes oder Hochwassers die Praxisräume für längere Zeit nicht nutzbar seien, wäre dies, der Auffassung des Beklagten folgend, keine außergewöhnliche Entwicklung, da sie nicht in der Person des Behandlers liege. Fraglich sei auch die Bewertung der Situation, dass ein Arzt eine mehrmonatige Studienreise unternehme. Jedenfalls habe Frau D2 ihre Praxis nicht aus "Lust und Laune" für fünf Wochen geschlossen, sondern habe sich gezwungen gesehen, ihrer erkrankten schwangeren Tochter beizustehen.
Auch wenn seit dem Quartal 1/2011 keine Kürzungen im Hinblick auf die Überschreitung der Höchstpunktzahl mehr erfolgt seien, laufe der Antrag nicht ins Leere. Denn Kürzungen seien insofern für die Quartale 3/2010 und 4/2010 verfügt worden; gegen die Abrechnungsbescheide habe die Klägerin jeweils Widerspruch eingelegt. Bei verständiger Würdigung sei der Antrag vom 28.02.2011 so auszulegen gewesen, dass auch und gerade eine rückwirkende - die Quartale 3/2010 und 4/2010 erfassende - Neufassung der Gesamtpunktzahlvolumina um + 25 % gewollt gewesen sei. Rechtsgrundlage hierfür sei § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Insofern habe der Beklagte bereits kein entsprechendes Ermessen hinsichtlich einer rückwirkenden Rücknahmeentscheidung ausgeübt.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 07.12.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über ihren Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20.06.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seinen Bescheid.
Die Beigeladenen stellen keine Klageanträge.
Die Beigeladene zu 5) weist darauf hin, dass ausweislich der Nachweise Job-Sharing-Praxis seit dem Quartal 1/2011 keinerlei Kürzungen im Hinblick auf die Überschreitung der Höchstpunktzahl erfolgt seien. Nach ihrer Ansicht läuft der Antrag vom 28.02.2011 daher ins Leere. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina abgelehnt. Die geltend gemachten Gesichtspunkte erfüllen keine Erhöhungstatbestände.
Die Klägerin trägt vor, die Gesamtpunktzahlvolumina seien im Hinblick auf die fünfwöchige "Auszeit" der Praxisinhaberin Dipl.-Psych. D1. D2, in der sie in Tansania ihre an Schwangerschaftsdepression leidende Tochter betreut habe, als außergewöhnliche Entwicklung im Sinne des § 23c Abs. 1 Satz 7 BedarfsPl-RL rechnerisch anzupassen. Diesem Begehren steht bereits entgegen, dass sich ausweislich des Bescheides des Zulassungsausschusses vom 21.04.2010 beide Therapeutinnen zu folgender Maßgabe verpflichtet hatten:
"Wir erkennen die nach Maßgabe der Nr. 23 der Bedarfsplanungs-Richtlinien durch den Zulassungsausschuss festgelegten Gesamtpunktzahlvolumina in Höhe von:
I. Quartal: 988.404,7 Punkte II. Quartal: 1.061.605,0 Punkte III. Quartal: 828.301,2 Punkte IV. Quartal: 907.689,2 Punkte als Leistungsbeschränkung an und verzichten auf eine darüber hinausgehende Teilnahme an der Gesamtvergütung". Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden und damit zwischen den Beteiligten bindend (§ 77 SGG).
Die fünfwöchige "Auszeit" in den Aufsatzquartalen 4/2008 bis 3/2009 und der damit verbundene geringere Abrechnungsumfang in dieser Zeit war den beiden Therapeutinnen bei Anerkennung der Gesamtpunktzahlvolumina gegenüber dem Zulassungsausschuss bekannt gewesen. Wenn sie erst aus den Abrechnungen späterer Quartale ersehen haben, dass ihr Punktzahlvolumen von insgesamt 3.786.000,1 Punkten pro Jahr nicht ausreicht, stellt das keinen Grund für eine Erhöhung dar.
Der Beklagte war auch nicht gehalten, die festgesetzte Leistungsobergrenze mit Wirkung für die Vergangenheit - und damit für die Aufsatzquartale - zurückzunehmen.
Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (zur Anwendbarkeit dieser Regelung im Vertragsarztrecht vgl. BSG, Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 28/07 R -). Vorliegend hatte der Beklagte ein Rücknahmeermessen nicht auszuüben, weil der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 21.04.2010 über die Festlegung der Punktzahlenvolumina nicht rechtswidrig ist.
Gemäß § 23c Bedarfspl-RL legt der Zulassungsausschuss vor der Zulassung des Antragstellers in einer verbindlichen Feststellung zur Beschränkung des Praxisumfangs auf der Grundlage der gegenüber dem Vertragsarzt ( ) in den vorausgegangenen mindestens vier Quartalen ergangenen Abrechnungsbescheide quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumina fest, welche bei der Abrechnung der ärztlichen Leistungen im Rahmen der Gemeinschaftspraxis von dem Vertragsarzt sowie dem Antragsteller nach seiner Zulassung gemeinsam als Leistungsbeschränkung maßgeblich sind (Obergrenze). Diese Gesamtpunktzahlvolumina sind so festzulegen, dass die in einem entsprechenden Vorjahresquartal gegenüber dem erstzugelassenen Vertragsarzt anerkannten Punktzahlanforderungen um nicht mehr als 3 v.H. überschritten werden. ( ) Außergewöhnliche Entwicklungen im Vorjahr, wie z.B. Krankheit eines Arztes, bleiben außer Betracht; eine Saldierung von Punktzahlen innerhalb des Jahresbezugs der Gesamtpunktzahlen im Vergleich zum Vorjahresvolumen ist zulässig (Satz 7).
Solche außergewöhnlichen Umstände liegen nicht darin, dass die Praxisinhaberin Dipl.-Psych. D1. D2 für die Dauer von fünf Wochen im Bemessungszeitraum nach Tansania gereist war, um ihre an Schwangerschaftsdepression leidende Tochter aufzubauen.
Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass es sich bei dieser Regelung um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt. Der Bemessungszeitraum über mindestens vier Quartale (hier wohl: 4/2008 bis 3/2009) stellt sicher, dass allgemeine typische Schwankungen im Abrechnungsverhalten des Leistungserbringers (z.B. durch Urlaub, Fortbildung o.ä.), die sich in gleicher Weise regelmäßig auch für die Zukunft ergeben, erfasst werden. Demgemäß hat das Bundessozialgericht einen Bemessungszeitraum von vier Quartalen z.B. im Rahmen der Individualbudgets, die im Bereich der Beklagten über viele Jahre der Honorarverteilung zugrunde gelegen haben, grundsätzlich stets für ausreichend erachtet (vgl. z.B. die Urteile vom 10.12.2003 - z.B. B 6 KA 76/03 R -).
Besonderheiten ist insofern durch Härteklauseln Rechnung zu tragen. Diese haben die Funktion, unverhältnismäßigen Nachteilen vorzubeugen, was insbesondere für atypische Konstellationen von Bedeutung ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.07.2013 - B 6 KA 44/12 R -). Der Hinweis in § 23c Satz 7 BedarfsPl-RL auf das Beispiel einer Krankheit des Arztes macht dabei deutlich, dass außergewöhnliche Umstände in der Person oder jedenfalls in der beruflichen Sphäre des Arztes (bzw. Psychotherapeuten) liegen müssen. Dazu können Unfälle des Arztes (so der Fall des SG Dresden, Urteil vom 12.12.2008 - S 8 KA 243/05 -) ebenso zählen wie ggf. durch Naturereignisse (Hochwasser, Brand) hervorgerufene Ausfälle der Nutzbarkeit der Praxisräume, soweit diese apparativ ausgestattet sind. Dergestalt exogene Faktoren lagen der "Auszeit" der Praxisinhaberin jedoch nicht zugrunde. Es fußte allein auf ihrer freien Willensentschließung, ihre Praxis trotz der - im Verwaltungsverfahren vorgetragenen - erheblichen Unterversorgung mit psychotherapeutischen Leistungen im Kreis Euskirchen zu schließen und sich in den fünf Wochen ihrer "Auszeit" allein ihrer in Tansania lebenden Tochter zuzuwenden. Das ist jedenfalls keine Situation eines Härtefalls, die durch Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina ausgeglichen werden müsste.
Auch die vorgetragene faktische Unterversorgung mit psychotherapeutischen Leistungen im Kreis Euskirchen brauchte der Beklagte zu Recht nicht als Grund für eine Erhöhung anzusehen. Lediglich ein kurzfristiger, zeitlich begrenzter zusätzlicher Versorgungsbedarf, der etwa durch die vorübergehende Schließung einer Praxis entstehen kann, schließt eine Erhöhung der Leistungsobergrenze nicht aus. Strukturelle und damit langfristig bestehende lokale Bedarfe - wie hier vorgetragen - bedürfen jedoch zunächst einer Neufeststellung der Versorgungssituation durch den Landesausschuss (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 43/12 R -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 2, 162 Abs. 1 VwGO.
Tatbestand:
Streitig ist die Neufestsetzung der Gesamtpunktzahlvolumina.
Die Klägerin ist eine seit dem Quartal 2/2010 bestehende Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) zweier Psychologischer Psychotherapeutin- nen mit Vertragsarztsitz in T1. Bis zum 31.12.2012 war Frau Dipl.-Psych. T2 I im Job-Sharing-Verhältnis zugelassen, seit 01.01.2013 verfügt sie über einen eigenen hälftigen Sitz. Mit Bescheid vom 21.04.2010 wies der Zulassungsausschuss der Klägerin Gesamtpunktzahlvolumina in Höhe von 988.404,7 Punkten (1. Quartal), 1.061.605 Punkten (2. Quartal), 828.301,2 Punkten (3. Quartal) und 907.689.2 Punkten (4. Quartal) zu.
Unter dem 28.02.2011 beantragte die Klägerin eine Erhöhung der festgelegten Gesamtpunktzahlvolumina um 25 %: Für die Quartale 4/2008 bis 2/2009 sei eine Nachvergütung in Höhe von 1.874,80 EUR erfolgt, die zu berücksichtigen sei. Die Praxispartnerin D1. D2 habe in der Zeit vom 22.06.2009 bis 26.07.2009 aufgrund einer außerordentlichen familiären Belastung eine fünfwöchige Auszeit nehmen müssen. Ihre psychotherapeutische Praxis habe sie in dieser Zeit nicht betrieben, so dass das im Quartal 3/2009 erwirtschaftete Honorar deutlich niedriger ausgefallen sei, als bei normalem Praxisbetrieb zu erwarten gewesen wäre. Die statistisch ermittelte zahlenmäßige Überversorgung mit psychotherapeutischen Leistungserbringern entspreche nicht der Realität. Trotz Wartezeit von 6 bis 12 Monaten müsse die Klägerin pro Woche im Durchschnitt 5 bis 10 Anfragen bezüglich eines Therapieplatzes ablehnen.
Mit Beschluss vom 20.06.2011 (Bescheid vom 29.08.2011) lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag auf Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina ab: Nach aktuellem Stand sei der Planungsbereich Euskirchen bei einem Versorgungsgrad von 136 % für weitere Zulassungen gesperrt. Eine begründete Notwendigkeit, die Begrenzungspunktzahlen anzuheben, habe nicht erkannt werden können.
Auf einen hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beigeladene zu 5) in der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten darauf hin, dass die Nachzahlung nicht in das Gesamtpunktzahlvolumen eingeflossen sei und sie diesbezüglich einen Antrag an den Zulassungsausschuss stellen werde. Insoweit sahen die Beteiligten das Verfahren als erledigt an. Im Übrigen wies der Beklagte mit Beschluss vom 07.12.2011 (Bescheid vom 22.12.2011) den Widerspruch zurück: Die Vorschrift des § 23a Nr. 4 der Bedarfsplanungs-Richtlinie (BedarfsPl-RL) verdeutliche ihrem Wortlaut nach, dass ein Job-Sharing nicht dazu führen könne, dass der bisher bestehende Praxisumfang wesentlich erweitert werde. Für die Berechnung des abrechenbaren Gesamtpunktzahlvolumens sehe § 23c BedarfsPl-RL nähere Voraussetzungen möglicher Änderungen vor. Unter anderem erfasse Satz 7 außergewöhnliche Entwicklungen im Vorjahr wie z.B. Krankheit eines Arztes. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Zwar mache Frau D2 geltend, sie sei im Zeitraum vom 22.06.2009 bis 26.07.2009 nach Tansania geflogen, um ihrer Tochter, die unter einer Schwangerschaftsdepression gelitten habe, beizustehen. Bei der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift zählten jedenfalls Umstände, die sich hier dadurch ergeben hätten, dass die Tochter von Frau D2 eine eigene Familie gegründet und sich entschlossen habe, nach Tansania zu ziehen, nicht zu der Ausnahmeregelung. Aus dem Urteil des SG Dresden vom 12.12.2008 - S 8 KA 243/05 - lasse sich für den vorliegenden Sachverhalt nichts ableiten.
Hiergegen richtet sich die am 18.01.2012 beim Sozialgericht Köln erhobene Klage. Der Rechtsstreit ist von dort mit Beschluss vom 27.02.2013 an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen worden.
Die Klägerin hält die Voraussetzungen des § 23c Satz 7 BedarfsPl-RL für erfüllt. Aus dem Wortlaut der Norm lasse sich nicht herleiten, dass es sich nur um außergewöhnliche Umstände handeln könne, die in der Person des Arztes selbst liegen müssten, sonst hätte der Normgeber dies formuliert. Fraglich sei insofern, welche weiteren Gründe außer der Krankheit des Arztes, die in seiner Person selbst lägen, sich der Beklagte vorstelle. Wenn aufgrund Brandes oder Hochwassers die Praxisräume für längere Zeit nicht nutzbar seien, wäre dies, der Auffassung des Beklagten folgend, keine außergewöhnliche Entwicklung, da sie nicht in der Person des Behandlers liege. Fraglich sei auch die Bewertung der Situation, dass ein Arzt eine mehrmonatige Studienreise unternehme. Jedenfalls habe Frau D2 ihre Praxis nicht aus "Lust und Laune" für fünf Wochen geschlossen, sondern habe sich gezwungen gesehen, ihrer erkrankten schwangeren Tochter beizustehen.
Auch wenn seit dem Quartal 1/2011 keine Kürzungen im Hinblick auf die Überschreitung der Höchstpunktzahl mehr erfolgt seien, laufe der Antrag nicht ins Leere. Denn Kürzungen seien insofern für die Quartale 3/2010 und 4/2010 verfügt worden; gegen die Abrechnungsbescheide habe die Klägerin jeweils Widerspruch eingelegt. Bei verständiger Würdigung sei der Antrag vom 28.02.2011 so auszulegen gewesen, dass auch und gerade eine rückwirkende - die Quartale 3/2010 und 4/2010 erfassende - Neufassung der Gesamtpunktzahlvolumina um + 25 % gewollt gewesen sei. Rechtsgrundlage hierfür sei § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Insofern habe der Beklagte bereits kein entsprechendes Ermessen hinsichtlich einer rückwirkenden Rücknahmeentscheidung ausgeübt.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 07.12.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über ihren Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20.06.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seinen Bescheid.
Die Beigeladenen stellen keine Klageanträge.
Die Beigeladene zu 5) weist darauf hin, dass ausweislich der Nachweise Job-Sharing-Praxis seit dem Quartal 1/2011 keinerlei Kürzungen im Hinblick auf die Überschreitung der Höchstpunktzahl erfolgt seien. Nach ihrer Ansicht läuft der Antrag vom 28.02.2011 daher ins Leere. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina abgelehnt. Die geltend gemachten Gesichtspunkte erfüllen keine Erhöhungstatbestände.
Die Klägerin trägt vor, die Gesamtpunktzahlvolumina seien im Hinblick auf die fünfwöchige "Auszeit" der Praxisinhaberin Dipl.-Psych. D1. D2, in der sie in Tansania ihre an Schwangerschaftsdepression leidende Tochter betreut habe, als außergewöhnliche Entwicklung im Sinne des § 23c Abs. 1 Satz 7 BedarfsPl-RL rechnerisch anzupassen. Diesem Begehren steht bereits entgegen, dass sich ausweislich des Bescheides des Zulassungsausschusses vom 21.04.2010 beide Therapeutinnen zu folgender Maßgabe verpflichtet hatten:
"Wir erkennen die nach Maßgabe der Nr. 23 der Bedarfsplanungs-Richtlinien durch den Zulassungsausschuss festgelegten Gesamtpunktzahlvolumina in Höhe von:
I. Quartal: 988.404,7 Punkte II. Quartal: 1.061.605,0 Punkte III. Quartal: 828.301,2 Punkte IV. Quartal: 907.689,2 Punkte als Leistungsbeschränkung an und verzichten auf eine darüber hinausgehende Teilnahme an der Gesamtvergütung". Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden und damit zwischen den Beteiligten bindend (§ 77 SGG).
Die fünfwöchige "Auszeit" in den Aufsatzquartalen 4/2008 bis 3/2009 und der damit verbundene geringere Abrechnungsumfang in dieser Zeit war den beiden Therapeutinnen bei Anerkennung der Gesamtpunktzahlvolumina gegenüber dem Zulassungsausschuss bekannt gewesen. Wenn sie erst aus den Abrechnungen späterer Quartale ersehen haben, dass ihr Punktzahlvolumen von insgesamt 3.786.000,1 Punkten pro Jahr nicht ausreicht, stellt das keinen Grund für eine Erhöhung dar.
Der Beklagte war auch nicht gehalten, die festgesetzte Leistungsobergrenze mit Wirkung für die Vergangenheit - und damit für die Aufsatzquartale - zurückzunehmen.
Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (zur Anwendbarkeit dieser Regelung im Vertragsarztrecht vgl. BSG, Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 28/07 R -). Vorliegend hatte der Beklagte ein Rücknahmeermessen nicht auszuüben, weil der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 21.04.2010 über die Festlegung der Punktzahlenvolumina nicht rechtswidrig ist.
Gemäß § 23c Bedarfspl-RL legt der Zulassungsausschuss vor der Zulassung des Antragstellers in einer verbindlichen Feststellung zur Beschränkung des Praxisumfangs auf der Grundlage der gegenüber dem Vertragsarzt ( ) in den vorausgegangenen mindestens vier Quartalen ergangenen Abrechnungsbescheide quartalsbezogene Gesamtpunktzahlvolumina fest, welche bei der Abrechnung der ärztlichen Leistungen im Rahmen der Gemeinschaftspraxis von dem Vertragsarzt sowie dem Antragsteller nach seiner Zulassung gemeinsam als Leistungsbeschränkung maßgeblich sind (Obergrenze). Diese Gesamtpunktzahlvolumina sind so festzulegen, dass die in einem entsprechenden Vorjahresquartal gegenüber dem erstzugelassenen Vertragsarzt anerkannten Punktzahlanforderungen um nicht mehr als 3 v.H. überschritten werden. ( ) Außergewöhnliche Entwicklungen im Vorjahr, wie z.B. Krankheit eines Arztes, bleiben außer Betracht; eine Saldierung von Punktzahlen innerhalb des Jahresbezugs der Gesamtpunktzahlen im Vergleich zum Vorjahresvolumen ist zulässig (Satz 7).
Solche außergewöhnlichen Umstände liegen nicht darin, dass die Praxisinhaberin Dipl.-Psych. D1. D2 für die Dauer von fünf Wochen im Bemessungszeitraum nach Tansania gereist war, um ihre an Schwangerschaftsdepression leidende Tochter aufzubauen.
Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass es sich bei dieser Regelung um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt. Der Bemessungszeitraum über mindestens vier Quartale (hier wohl: 4/2008 bis 3/2009) stellt sicher, dass allgemeine typische Schwankungen im Abrechnungsverhalten des Leistungserbringers (z.B. durch Urlaub, Fortbildung o.ä.), die sich in gleicher Weise regelmäßig auch für die Zukunft ergeben, erfasst werden. Demgemäß hat das Bundessozialgericht einen Bemessungszeitraum von vier Quartalen z.B. im Rahmen der Individualbudgets, die im Bereich der Beklagten über viele Jahre der Honorarverteilung zugrunde gelegen haben, grundsätzlich stets für ausreichend erachtet (vgl. z.B. die Urteile vom 10.12.2003 - z.B. B 6 KA 76/03 R -).
Besonderheiten ist insofern durch Härteklauseln Rechnung zu tragen. Diese haben die Funktion, unverhältnismäßigen Nachteilen vorzubeugen, was insbesondere für atypische Konstellationen von Bedeutung ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.07.2013 - B 6 KA 44/12 R -). Der Hinweis in § 23c Satz 7 BedarfsPl-RL auf das Beispiel einer Krankheit des Arztes macht dabei deutlich, dass außergewöhnliche Umstände in der Person oder jedenfalls in der beruflichen Sphäre des Arztes (bzw. Psychotherapeuten) liegen müssen. Dazu können Unfälle des Arztes (so der Fall des SG Dresden, Urteil vom 12.12.2008 - S 8 KA 243/05 -) ebenso zählen wie ggf. durch Naturereignisse (Hochwasser, Brand) hervorgerufene Ausfälle der Nutzbarkeit der Praxisräume, soweit diese apparativ ausgestattet sind. Dergestalt exogene Faktoren lagen der "Auszeit" der Praxisinhaberin jedoch nicht zugrunde. Es fußte allein auf ihrer freien Willensentschließung, ihre Praxis trotz der - im Verwaltungsverfahren vorgetragenen - erheblichen Unterversorgung mit psychotherapeutischen Leistungen im Kreis Euskirchen zu schließen und sich in den fünf Wochen ihrer "Auszeit" allein ihrer in Tansania lebenden Tochter zuzuwenden. Das ist jedenfalls keine Situation eines Härtefalls, die durch Erhöhung der Gesamtpunktzahlvolumina ausgeglichen werden müsste.
Auch die vorgetragene faktische Unterversorgung mit psychotherapeutischen Leistungen im Kreis Euskirchen brauchte der Beklagte zu Recht nicht als Grund für eine Erhöhung anzusehen. Lediglich ein kurzfristiger, zeitlich begrenzter zusätzlicher Versorgungsbedarf, der etwa durch die vorübergehende Schließung einer Praxis entstehen kann, schließt eine Erhöhung der Leistungsobergrenze nicht aus. Strukturelle und damit langfristig bestehende lokale Bedarfe - wie hier vorgetragen - bedürfen jedoch zunächst einer Neufeststellung der Versorgungssituation durch den Landesausschuss (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 43/12 R -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 2, 162 Abs. 1 VwGO.
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