Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 SB 348/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 90/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufgehoben, soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG aufgehoben wird. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Verfahren in zweiter Instanz zur Gänze und für das Verfahren in erster Instanz zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um die Rechtmäßigkeit der Entziehung des Merkzeichens aG.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 hatte der Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, H sowie RF festgestellt. Mit Bescheid vom 3. November 2009 hob der Beklagte seinen Bescheid vom 31. Mai 2007 teilweise auf, setzte den GdB auf 70 herab und stellte weiter fest, die medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, aG, H und RF lägen nicht mehr vor. Die Änderungen sollten ab dem 3. November 2009 Wirksamkeit erlangen. Den hier gegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2010 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger sich gegen die Absenkung des GdB gewährt und darüber hinaus die Entziehung der Merkzeichen B, aG, H und RF angegriffen. Mit Datum vom 15. Juli 2011 hat der Beklagte ein von ihm sog "Teilanerkenntnis" dahingehend abgegeben, dass ab dem 18. August 2010 der GdB 80 betrage und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens B vorlägen. Dieses "Teilanerkenntnis" hat der Kläger angenommen, die Klage jedoch zunächst fortgeführt. In der mündlichen Verhandlung am 19. März 2013 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben des Inhalts, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H weiterhin bestünden. Auch dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen und zugleich sein Klagebegehren bezüglich der Höhe des Grades der Behinderung und des Merkzeichens RF für erledigt erklärt. Die Teilanerkenntnisse hat der Beklagte mit Bescheid vom 3. April 2013 umgesetzt.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 19. März 2013 abgewiesen und dem Beklagten auferlegt, ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger lägen die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vor.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufzuheben, soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG aufgehoben wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Facharztes für Allgemeinmedizin und physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S vom 19. Februar 2014. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Entziehung des Merkzeichens aG betrifft, denn insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Verwaltungsakt vom 31. Mai 2007. Ob im Sinne der genannten Vorschrift in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, kann indes dahinstehen, denn der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 überschreitet hinsichtlich der darin angeordneten Rechtsfolge den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Entgegen der Ermächtigungsnorm hat der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 den Dauerverwaltungsakt vom 31. Mai 2007 nicht mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben, sondern mit Wirkung für die Vergangenheit. Nach dem Verfügungsteil des Bescheides vom 3. November 2009 sollte die Aufhebungswirkung ab demselben Tag eintreten. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Mithin konnte die Wirkung des angefochtenen Verwaltungsakts vom 3. November 2009 gegenüber dem Kläger erst ab der Bekanntgabe im Sinne des § 37 SGB X eintreten und nicht bereits am 3. November 2009. Tatsächlich handelte es sich damit um eine Aufhebung mit Wirkung bereits für die Vergangenheit und nicht um eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft.
Die Rechtswidrigkeit führt auch zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Insbesondere kommt eine Aufhebung nur für die Zeit vor Bekanntgabe des Bescheides nicht in Betracht, da eine Teilbarkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht nicht gegeben ist. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte (a.A. wohl 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. November 2014 – L 11 SB 178/10). Bei einem Entziehungsbescheid, der eine günstige Feststellung in einem Dauerverwaltungsakt ändert, handelt es sich seinerseits nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt (so auch LSG Hamburg, Urteil vom 24. Juni 2014, L 3 SB 23/12, juris). Seine Wirkung beschränkt sich darauf, den aufzuhebenden Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der von der Behörde intendierten Wirksamkeit ganz oder teilweise aufzuheben. Für nachfolgende Zeiträume enthält er hingegen keinerlei Feststellung. Maßgeblich ist insoweit einzig der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Entziehungsbescheid erhalten hat. Diese zeitlich punktuelle Wirkung eines Aufhebungsbescheides führt dazu, dass eine erst später eintretende Wirkung der intendierten Entziehung - anders eine geringer ausfallende Entziehung der Begünstigung - nicht ein Minus gegenüber der ursprünglichen Regelung ist, sondern ein Aliud.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt das Ausmaß des Obsiegens in der jeweiligen Instanz. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um die Rechtmäßigkeit der Entziehung des Merkzeichens aG.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 hatte der Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, H sowie RF festgestellt. Mit Bescheid vom 3. November 2009 hob der Beklagte seinen Bescheid vom 31. Mai 2007 teilweise auf, setzte den GdB auf 70 herab und stellte weiter fest, die medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, aG, H und RF lägen nicht mehr vor. Die Änderungen sollten ab dem 3. November 2009 Wirksamkeit erlangen. Den hier gegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2010 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger sich gegen die Absenkung des GdB gewährt und darüber hinaus die Entziehung der Merkzeichen B, aG, H und RF angegriffen. Mit Datum vom 15. Juli 2011 hat der Beklagte ein von ihm sog "Teilanerkenntnis" dahingehend abgegeben, dass ab dem 18. August 2010 der GdB 80 betrage und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens B vorlägen. Dieses "Teilanerkenntnis" hat der Kläger angenommen, die Klage jedoch zunächst fortgeführt. In der mündlichen Verhandlung am 19. März 2013 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben des Inhalts, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H weiterhin bestünden. Auch dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen und zugleich sein Klagebegehren bezüglich der Höhe des Grades der Behinderung und des Merkzeichens RF für erledigt erklärt. Die Teilanerkenntnisse hat der Beklagte mit Bescheid vom 3. April 2013 umgesetzt.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 19. März 2013 abgewiesen und dem Beklagten auferlegt, ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger lägen die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vor.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufzuheben, soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG aufgehoben wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Facharztes für Allgemeinmedizin und physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S vom 19. Februar 2014. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Entziehung des Merkzeichens aG betrifft, denn insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Verwaltungsakt vom 31. Mai 2007. Ob im Sinne der genannten Vorschrift in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, kann indes dahinstehen, denn der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 überschreitet hinsichtlich der darin angeordneten Rechtsfolge den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Entgegen der Ermächtigungsnorm hat der angefochtene Verwaltungsakt vom 3. November 2009 den Dauerverwaltungsakt vom 31. Mai 2007 nicht mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben, sondern mit Wirkung für die Vergangenheit. Nach dem Verfügungsteil des Bescheides vom 3. November 2009 sollte die Aufhebungswirkung ab demselben Tag eintreten. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Mithin konnte die Wirkung des angefochtenen Verwaltungsakts vom 3. November 2009 gegenüber dem Kläger erst ab der Bekanntgabe im Sinne des § 37 SGB X eintreten und nicht bereits am 3. November 2009. Tatsächlich handelte es sich damit um eine Aufhebung mit Wirkung bereits für die Vergangenheit und nicht um eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft.
Die Rechtswidrigkeit führt auch zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Insbesondere kommt eine Aufhebung nur für die Zeit vor Bekanntgabe des Bescheides nicht in Betracht, da eine Teilbarkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht nicht gegeben ist. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte (a.A. wohl 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. November 2014 – L 11 SB 178/10). Bei einem Entziehungsbescheid, der eine günstige Feststellung in einem Dauerverwaltungsakt ändert, handelt es sich seinerseits nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt (so auch LSG Hamburg, Urteil vom 24. Juni 2014, L 3 SB 23/12, juris). Seine Wirkung beschränkt sich darauf, den aufzuhebenden Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der von der Behörde intendierten Wirksamkeit ganz oder teilweise aufzuheben. Für nachfolgende Zeiträume enthält er hingegen keinerlei Feststellung. Maßgeblich ist insoweit einzig der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Entziehungsbescheid erhalten hat. Diese zeitlich punktuelle Wirkung eines Aufhebungsbescheides führt dazu, dass eine erst später eintretende Wirkung der intendierten Entziehung - anders eine geringer ausfallende Entziehung der Begünstigung - nicht ein Minus gegenüber der ursprünglichen Regelung ist, sondern ein Aliud.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt das Ausmaß des Obsiegens in der jeweiligen Instanz. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
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