L 27 R 9/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 R 2473/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 9/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2014 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits im vollen Umfang zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die zusätzliche Berücksichtigung von Lohnzuschlägen in den Jahren 1962 bis 1967 nach den §§ 6 und 8 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG).

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der am 1919 geborenen und am 1992 verstorbenen W, im Folgenden als Versicherte bezeichnet. Die Versicherte war in der Zeit vom 5. Februar 1962 bis zum 31. Juli 1977 als Telefonistin bei dem Zentralkomitee der SED beschäftigt und gehörte dem dortigen Zusatzversorgungssystem an.

Am 7. April 1999 erteilte der Parteivorstand der PDS in seiner Eigenschaft als damaliger Zusatzversorgungsträger gegenüber dem damaligen Rechtsnachfolger der Versicherten einen Bescheid und legte darin unter anderem auch für die Zeit von 1962 bis 1977 die jeweiligen Jahresbruttoverdienste fest. Zuschläge nach der Lohnzuschlagsverordnung vom 28. Mai 1958 waren hierin nicht aufgeführt. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 27. Dezember 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung der Bescheide, die gegenüber der Versichterten oder deren früherem Rechtsnachfolger ergangen waren. Unter anderem legte sie dabei ein Schreiben vor, aus dem sich jedenfalls aus Sicht der Klägerin ergab, dass die Versicherte für das Jahr 1962 Zuschläge nach der vorgenannten Lohnzuschlagsverordnung in Höhe von 174,00 Mark und für die Jahre 1963 bis 1967 pro Jahr jeweils Zuschläge in Höhe von 193,00 Mark erhalten hatte. Mit Bescheid vom 7. März 2012 und Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin im Ergebnis mit der Begründung ab, es handele sich bei diesen Lohnzuschlägen nicht um berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihr Ziel weiter verfolgt. Durch Urteil vom 15. Dezember 2014 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte im Ergebnis verpflichtet, für das Jahr 1962 weitere 174,00 Mark und für die Jahre 1963 bis 1977 jeweils pro Jahr weitere 193,00 Mark als Entgelte nach den §§ 6, 8 AAÜG festzustellen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Lohnzuschläge seien als Arbeitsentgelt einzustufen. Dabei sei es nicht ausschlaggebend, dass sie nach damaligem Recht der DDR steuerfrei gewesen seien, denn maßgeblich seien die steuerrechtlichen Sichtweisen der Bundesrepublik Deutschland. Hiernach hätten diese Zuschläge der Einkommenssteuerpflicht unterliegen müssen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie bezieht sich dabei insbesondere auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. Januar 2004, B 4 RA 19/03 R, wonach der so genannte Sperrzonenzuschlag nicht als weiteres Arbeitsentgelt nach §§ 6, 8 AAÜG berücksichtigungsfähig ist. Die Beklagte meint, die dortige Argumentation betreffe auch den Lohnzuschlag im vorliegenden Rechtsstreit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klägerin betreffend, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist in der Sache auch begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Allerdings ist - entgegen der Auffassung der Beklagten – die Klage zulässig und vom Sozialgericht zu Recht auch als zulässig beurteilt worden. Die Klagebefugnis der Klägerin entfällt auch nicht dadurch, dass es sich hierbei um ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) im Hinblick auf einen Feststellungsbescheid zur Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung handelt. Denn vorliegend ergibt sich die Besonderheit des Falles dadurch, dass trotz des bereits lange zurückliegenden Todes der Versicherten immer noch offene Streitverfahren im Hinblick auf die Rentenhöhe bestehen. Eine durchgreifende Überprüfung der Rentenhöhe kann die Klägerin indessen wegen der Bindungswirkung des hier streitbefangenen Überführungsbescheides nur erreichen, indem sie den Überführungsbescheid selbst einer Überprüfung unterzieht. Insoweit konnten weder die Klagebefugnis noch das Rechtsschutzbedürfnis verneint werden. Der Senat lässt allerdings ausdrücklich offen, ob dies in Verfahren, in denen keine offenen Rentenstreitigkeiten mehr bestehen, in gleicher Weise zu beurteilen ist, denn dies bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf entgeltmäßige Berücksichtigung der Zuschläge zum Lohn der Arbeiter und Angestellten bei Abschaffung der Lebensmittelkarten nicht zu. Diese Zuschläge, die auf dem Gesetz über die Abschaffung der Lebensmittelkarten vom 28. Mai 1958, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1958, Seite 413, sowie der Verordnung über die Zahlung eines Zuschlages zum Lohn der Arbeiter und Angestellten bei Abschaffung der Lebensmittelkarten (Lohnzuschlagsverordnung) vom 28. Mai 1958, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1958, Seite 417, beruhten, stellen sich nicht als Entgeltleistungen nach den §§ 6, 8 AAÜG dar. Arbeitsentgelt in diesem Sinne kann nur dann bejaht werden, wenn es in einem unmittelbaren (synallagmatischen) oder in einem mittelbaren (inneren, sachlichen) Zusammenhang mit der Beschäftigung steht (siehe hierzu im Einzelnen Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Januar 2004, B 4 RA 19/03 R). Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor. Ein synallagmatischer Zusammenhang ist schon deshalb zu verneinen, weil nach § 3 Abs. 1 letzter Satz des Gesetzes über die Abschaffung der Lebensmittelkarten die Arbeiter und Angestellten mit niedrigem Verdienst den höchsten Zuschlag erhalten, also nahezu eine umgekehrt synallagmatische Beziehung besteht.

Es fehlt aber auch an einem mittelbaren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis. Dies zeigt sich zunächst daran, dass die Lohnzuschläge gemäß § 5 des vorgenannten Gesetzes auch an Rentner und gemäß § 6 des Gesetzes auch für Kinder zu zahlen waren. Soweit die Auszahlung der Zuschläge an die Arbeiter und Angestellten durch die jeweiligen Arbeitgeber erfolgte, hatte dies rein technische Gründe und diente der praktischen Durchführung der Auszahlung. Tatsächlich indessen war die Leistung nicht an den Arbeitsleistungen orientiert, sondern am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet, weil insoweit ein Ersatz für die Lebensmittelkarten, die zuvor abgeschafft waren, geschaffen wurde. Damit ähnelt diese Leistung strukturell eher einer bedürftigkeitsorientierten Grundsicherungsleistung, die auch nach dem Rechtsverständnis der Bundesrepublik Deutschland steuerfrei ist und nicht als Entgeltbestandteil gewertet werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung, denn die Klägerin ist nicht privilegierte Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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