L 12 AS 4723/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 2603/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4723/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 06.11.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, ihnen ein Darlehen zur Tilgung aufgelaufener Stromschulden in Höhe von 4.940,56 EUR zu gewähren.

Die Antragsteller beziehend laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Mit Schreiben vom 15.09.2014 beantragten sie die Übernahme aufgelaufener Stromschulden und wiesen darauf hin, dass seitens ihres Stromanbieters, der ...AG ( ...AG) eine Sperrung für den 23.09.2014 angekündigt worden sei. Ihnen sei es nicht möglich, die Stromkosten aus ihrer Regelleistung zu bestreiten; zu einer Ratenzahlungsvereinbarung sei der Stromanbieter nicht bereit. Mit Bescheid vom 24.09.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller am 02.10.2014 Widerspruch. Zur Begründung trugen sie vor, das von ihnen bewohnte Haus verfüge über einen großen Durchlauferhitzer; nur so sei die hohe Stromrechnung zu erklären.

Am 13.10.2014 haben die Antragssteller beim Sozialgericht Reutlingen (SG) die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung haben sie Rechnungen vom 09. bzw. 10.07.2014 für drei Vertragskonten bei der ...AG (V X: 1.657,17 EUR; V Y: 150,30 EUR; V Z: 478,80 EUR) vorgelegt. Für alle Konten sei eine Stromsperre angekündigt. Da sie nicht in der Lage seien, die Rückstände selbst auszugleichen, sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten. Aus welchen Gründen die Stromschulden entstanden seien, könne derzeit nicht abschließend geklärt werden. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Mit Beschluss vom 06.11.2014 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Eine Übernahme der Schulden durch den Grundsicherungsträger komme erst dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger alle zumutbaren Möglichkeiten, eine Fortsetzung der Energielieferung aus eigenem Vermögen zu erreichen, ausgeschöpft habe. Diese Voraussetzung liege im Fall der Antragsteller nicht vor. Diese hätten weder ein erfolgloses Bemühen um eine Ratenzahlungsvereinbarung mit ihrem bisherigen Stromanbieter, noch ein Bemühen um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Anbieter glaubhaft gemacht.

Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten gemäß Empfangsbekenntnis am 10.11.2014 zugestellten Beschluss haben die Antragssteller am 12.11.2014 schriftlich beim SG Beschwerde eingelegt. Das SG habe ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Insbesondere wegen der im Haushalt lebenden minderjährigen Kinder sei die beantragte Regelungsanordnung nötig. Ausweislich der von den Antragstellern zuletzt vorgelegten Informationsschreiben der ...AG vom 12.01.2015 besteht für das Vertragskonto V X eine rückständige Forderung der ...AG in Höhe von 3.120,17 EUR, für das Konto V Y eine Forderung in Höhe von 740,30 EUR, für das Konto V Z eine Forderung in Höhe von 1.066,42 EUR und für ein viertes Vertragskonto (V Q) eine Forderung über 13,67 EUR.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 06.11.2014 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen ein Darlehen zur Tilgung aufgelaufener Stromschulden in Höhe von 4.940,56 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, die Antragsteller hätten ausweislich der vorgelegten Unterlagen der ...AG keine einzige Zahlung an den Energieversorger geleistet. Ein solches Verhalten sei als rechtsmissbräuchlich zu werten und schließe die Gewährung eines Darlehens zur Tilgung der Stromschulden aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750,00 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen ein Darlehen zur Begleichung entstandener Stromschulden zu gewähren, im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 22.11.2011 - L 12 AS 5199/11 ER-B -; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor; die Antragsteller haben, wie das SG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Nach den Gesetzesmaterialien zum inhaltsgleichen Abs. 5 des § 22 SGB II a.F. sind Schulden, die übernommen werden können, auch Energieschulden (vgl. BT-Drs 16/688, 14). Dem systematischen Zusammenhang nach handelt es sich um Schulden, die Kosten der Unterkunft und/oder Heizung (KdU) betreffen, somit lediglich um Energierückstände von Heizung und Warmwasserversorgung. Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der nicht zu den KdU, sondern zur Regelleistung zählt (§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB II) gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch solche Schulden im Rahmen von § 20 Abs. 8 SGB II übernommen werden können (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.07.2012 - L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss vom 15.06.2012 - L 19 AS 728/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.03.2012 - L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.01.2012 - L 3 AS 233/11 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.09.2011 - L 8 B 509/09 ER - alle veröffentlicht in Juris; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 22 Rdnr. 193 m.w.N.).

Eine Übernahme der Schulden kommt aber auch bei Energierückständen nur dann in Betracht, wenn wenn sie objektiv geeignet ist, die Energieversorgung (dauerhaft) zu sichern und wenn der Leistungsberechtigte die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Daneben sind sonstige Umstände, wie die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, die Zusammensetzung des von der Stromsperre betroffenen Personenkreises oder das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten zu berücksichtigen (LSG NRW, Beschluss vom 13.05.2013 - L 2 AS 313/13 B ER - veröffentlicht in Juris).

Die Antragsteller haben das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung eines Darlehns nicht glaubhaft gemacht. Die Übernahme der aufgelaufenen Schulden bei ihrem Energieversorger ist im Sinn von § 22 Abs. 8 SGB II objektiv nicht geeignet, ihre Energieversorgung wiederherzustellen und prognostisch gesehen dauerhaft zu sichern. Dies ergibt sich zunächst aus dem immensen Stromverbrauch der Antragsteller. In den vorgelegten Rechnungen der ...AG sind zwar in ganz erheblichem Umfang Mahn- und Inkassokosten enthalten, über deren Berechtigung der Senat hier nicht zu entscheiden braucht. Aber auch die reinen Stromkosten sind derart hoch, dass sie von den Antragstellern mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Einkommen nicht geleistet werden können. Darüber hinaus lässt auch das Zahlungsverhalten der Antragsteller nicht den Schluss zu, dass durch die Gewährung eines Darlehens die Energieversorgung dauerhaft gesichert werden könnte. Aus den von den Antragstellern vorgelegten Übersichten der ...AG ergibt sich, dass auch die monatlichen Abschlagszahlungen in aller Regel nicht gezahlt wurden. Die vorgelegten Kontoauszüge weisen ebenfalls nur vereinzelte Zahlungen für Stromkosten aus. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass auch nach einer Tilgung der Stromschulden sofort wieder Rückstände in ganz erheblichem Umfang auflaufen würden. Bei einer solchen Sachlage kommt die Gewährung eines Darlehens zur Tilgung der Schulden nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht gefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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