S 12 SB 311/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 311/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Es wird festgestellt, dass die Klage SG Aachen S 12 SB 459/14 durch wirksame Klagerücknahme im Termin vom 07.10.2014 erledigt ist. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Verfahren S 12 SB 459/14 erledigt ist.

In diesem Verfahren, in dem es um die Höhe des dem Kläger zustehenden Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G ging, erklärte der Kläger – nachdem dem Kläger insbesondere das Ergebnis des Gutachtens der Orthopädin, Rheumatologin und speziellen Schmerztherapeutin Dr. Q erläuterte worden war -im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 07.10.2014 auf Nachfrage des Kammervorsitzenden, er nehme die Klage zurück.

Diese Erklärung wurde dem Kläger vom Band vorgespielt und von diesem genehmigt.

Mit Schreiben vom 10.10.2014, eingegangen bei Gericht am 13.10.2014 erklärte der Kläger, er wolle die Klage, die er am 07.10.2014 "zurücknehmen musste", nicht zurücknehmen. Der Richter habe ihn in zehn Minuten dreimal gefragt, ob er die Klage zurücknehme. Deshalb habe er sich genötigt gefühlt, und ja gesagt, was ihm aber leid tue. Er nehme die Klage nicht zurück, weil er starke Schmerzen habe seit Dezember 2012 Tag und Nacht. Er sei erheblich gehbehindert. Seine Ärzte hätten ihn falsch behandelt. Er bleibe bei seiner Klagebegründung.

Der Kammervorsitzende hat dem Kläger daraufhin formlos mitgeteilt, das Verfahren sei aufgrund der erklärten Rücknahme beendigt. Eine Weiterführung komme nicht in Betracht. Es stehe ihm frei, beim Beklagten einen neuen Antrag zu stellen.

Hieraufhin hat sich der Kläger an das Landessozialgericht gewandt. Er hat im Wesentlichen ausgeführt, er sei durch den Kammervorsitzenden durch das dreimalige Fragen danach, ob er die Klage zurücknehme, genötigt worden. Er habe Schmerzen. Diese könne man nicht sehen. Er sei seit 2012 erheblich gehbehindert und er verlange den Ausweis mit G und alle ihm seither entstandenen Fahrkosten zurück. Diese beliefen sich auf 1.300,00 EUR.

Die zuständige Berichterstatterin hat dem Kläger mit Schreiben vom 11.03.2015 mitgeteilt, das an das Landessozialgericht herangetragene Rechtsschutzbegehren sei unzulässig. Es sei aber dem geäußerten Begehren zu entnehmen, dass er die Fortführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht begehre. Dies möge er klarstellen und den Antrag an das Landessozialgericht zurücknehmen.

Am 17.03.2015 hat der Kläger erklärt, er bitte darum, dass alle Unterlagen als Klage an das Sozialgericht Aachen geschickt würden. Danach werde er die Berufung schreiben.

Die zuständige Berichterstatterin des Landessozialgerichts ist auf Grundlage des Akteninhalts davon ausgegangen, dass der Kläger die Wiederaufnahme des erledigten Verfahrens bzw. die Anfechtung der Klagerücknahme begehre und hat die Akten an das Sozialgericht mit der Bitte in eigener Zuständigkeit darüber zu entscheiden zurückgesandt.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 14.04.2015 hat der Kammervorsitzende den Beteiligten erklärt, es sei beabsichtigt, durch Gerichtsbescheid festzustellen, dass die Klage erledigt ist. Der Beklagte hat sich ausdrücklich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt. Der Kläger hat das Schreiben des Gerichts mit einem handschriftlich versehen Vermerk zurück gesandt. Darin wiederholt der Kläger, dass er seit Dezember 2012 vom Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G ausgeht und er die seitdem angefallenen Fahrtkosten, die er mit nunmehr 1.400,00 EUR beziffert zurückverlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.

Da die Schriftsätze des unvertretenen Klägers einen klar formulierten Antrag nicht erkennen lassen, sind sie auszulegen. Es geht dem Kläger offensichtlich darum, den für erledigt erklärten Rechtsstreit S 12 SB 459/14 fortzuführen.

Unabhängig davon, dass die Klage nach Auffassung der Kammer in ihrer Besetzung vom 07.10.2014 – unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme – materiell-rechtlich keine Aussicht auf Erfolg haben konnte, weswegen dem Kläger auch die Rücknahme der Klage nahegelegt worden ist, kommt eine Fortführung auch prozessual nicht in Betracht. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 GG erledigt die Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache. Die Klagerücknahme ist eine einseitige Prozesshandlung, mit der der Kläger seine Bitte um Gewährung von Rechtsschutz zurückzieht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 102 Rn. 2). Diese Prozesshandlung ist auch gemäß § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung (ZPO) in die Verhandlungsniederschrift aufgenommen worden. Sie wurde auch vorgelesen und durch den Kläger genehmigt, was sich ebenfalls aus dem Sitzungsprotokoll ergibt. Dass der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird von ihm auch nicht in Abrede gestellt. Es reut ihn offensichtlich aber. Nach allgemeiner Meinung sind indes Willensmängel, die bei anderen Willenserklärungen zu deren Nichtigkeit oder Anfechtung führen können, für Prozesshandlungen nicht anwendbar (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, Vor § 60 Rn. 12; Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – Beschluss vom 07.08.1998 – 4 B 75/98 = juris). Für die erklärte Rücknahme gilt dies ausdrücklich auch nach der Rechtsprechung des für das Schwerbehindertenrecht zuständigen 9. Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 19.03.2002 – B 9 V 75/01 B = juris).

Danach kommt eine Anfechtung der Rücknahme – unabhängig davon, dass auch keine Anfechtungsgründe erkennbar sind, nicht in Betracht.

Soweit es den Kläger reut, dass er die Klage zurückgenommen hat, handelte es sich um einen bloßen Motivirrtum, der ohnehin nicht zur Anfechtung berechtigen würde. Soweit der Kläger angibt, er habe sich zur Rücknahme genötigt gefühlt wäre ein Anfechtungsgrund ebenfalls nicht gegeben. Eine Nötigung im rechtlichen Sinne lag hier keinesfalls vor. Der Kammervorsitzende hat – nachdem er die Erfolgsaussichten der Klage mit der Kammer beraten hatte – den Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass er das, was er sich von der Klage erhoffte, nämlich einen höheren GdB und insbesondere die Zuerkennung des Merkzeichens G, nicht erhalten könne. Die Kammer beabsichtige, die Klage abzuweisen. Er wurde daraufhin gefragt, ob er die Klage zurücknehme. Da der schwerhörige Kläger hierauf zunächst nicht antwortete, wiederholte der Kammervorsitzende die Frage in der Tat mehrfach und legte hierbei jedes Mal in knapper Form die Gründe dar, aus denen die Kammer zur Abweisung der Klage kommen werde. Nachdem der Kläger dreimal gefragt worden war, erklärte er die Klagerücknahme. Hierbei war er aber zuvor nicht im Ansatz vom Kammervorsitzenden in irgendeiner Form bedroht oder getäuscht worden. Dies trägt der Kläger im Übrigen auch nicht vor. Vielmehr fühlte er sich offensichtlich durch die Situation und das mehrfache Nachfragen dazu veranlasst die Klage zurück zu nehmen. Für den Kammervorsitzenden machte die Klagerücknahme demgegenüber nur deutlich, dass der Kläger letztendlich doch von dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt worden war. Hierauf kommt es aber – wie ausgeführt – nicht an, da eine Anfechtung per se ausscheidet.

Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung kommt nur dann in Betracht, soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 SGG in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO bzw. § 180 SGG gegeben sind (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 27.01.2015 – L 13 R 303/14 = juris, vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 07.08.1998 – 4 B 75.98 = juris; Oberverwaltungsgericht – OVG – Lüneburg, Beschluss vom 05.09.2014 – 5 LA 57/14 = juris). Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 179 i.V.m. 578 ff. ZPO, § 180 SGG ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (so überzeugend zur Rechtslage in der VwGO, Verwaltungsgericht – VG – Schwerin – Beschluss vom 29.01.2015 – 4 A 1052/14 = juris).

Die Voraussetzungen für die Annahme einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage sind offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere das vom Kläger beschriebene Gefühl der Nötigung erfüllt die Voraussetzungen nicht.

Es bleibt daher dabei, dass die Klage SG Aachen S 12 SB 459/14 durch wirksame Klagerücknahme im Termin vom 07.10.2014 erledigt ist. Dies war im Übrigen auch der Grund, weswegen der Kammervorsitzende den Kläger zunächst darauf hingewiesen hatte, dass das Verfahren erledigt sei. Nachdem der Kläger durch sein Hinwenden an das Berufungsgericht freilich zum Ausdruck gebracht hat, dass er den formlosen Hinweis des Gerichts nicht zu akzeptieren bereit ist, war das Gericht gehalten, hierüber förmlich zu entscheiden und dies durch Gerichtsbescheid festzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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