S 211 KR 2196/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
211
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 2196/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Führt ein Arzneimittelhersteller eine größere Packung eines Arzneimittels ein, ohne das Arzneimittel (insbesondere die Darreichungsform) zu verändern, können die Preise für das Arzneimittel in der alten und neuen Packung zur Feststellung einer Preiserhöhung i.S.d. § 130a Abs. 3a Satz 1 SGB V unmittelbar miteinander verglichen werden und ist für die Anwendung der nur für Umgehungsfälle geschaffenen Preisbestimmungsmethode des § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V kein Raum.
Es wird festgestellt, dass die Festlegung eines Abschlags gemäß § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V in Höhe von 1.144,71 Euro für das Fertigarzneimittel Rebif 22 µg/12 Patronen (Pharmazentralnummer: 6575865) rechtswidrig ist. Es wird festgestellt, dass die Festlegung eines Abschlags gemäß § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V in Höhe von 39,06 Euro für das Fertigarzneimittel Rebif 44 µg/12 Patronen (Pharmazentralnummer 6575871) rechtswidrig ist. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 2,5 Millionen Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das von der Klägerin vertriebene, zur Behandlung von Multipler Sklerose zuge-lassene Medikament Rebif in den Packungsgrößen mit 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 44 Mikrogramm (µg) bzw. 3 x 22 µg je Patrone dem Preisabschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V unterliegt. Zum Stichtag nach § 130a Abs. 3a Satz 1 SGB V am 1. August 2009 wurden von der Klägerin vier verschiedene Rebif-Packungen vertrieben: Eine Packung mit 12 Fertigspritzen mit einer Wirkstoffmenge von 44 µg je Spritze zu einem Packungspreis von insgesamt 1.396 Euro, eine Packung mit 12 Fertigspritzen mit einer Wirkstoffmenge von 22 µg je Spritze zu einem Pa-ckungspreis von insgesamt 1.129 Euro, eine Packung mit 4 Patronen mit einer Wirkstoffmen-ge von 3 x 44 µg je Patrone zu einem Packungspreis von insgesamt 1.427 Euro und eine Pa-ckung mit 4 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg je Patrone zu einem Packungs-preis von insgesamt 1.160 Euro. Am 15. Dezember 2010 führte die Klägerin – nach eigenen Angaben insbesondere zur Ver-besserung der Versorgungslogistik – zwei neue Packungsgrößen mit 12 statt 4 Patronen ein, nämlich eine Packung mit 12 Patronen mit der Wirkstoffmenge von (unverändert) 3 x 44 µg je Patrone und eine Packung mit 12 Patronen mit der Wirkstoffmenge von (unverändert) 3 x 22 µg je Patrone. Den Preis für die neuen Packungsgrößen setzte die Klägerin – entsprechend der Verdreifachung der Anzahl der Patronen – jeweils genau auf das Dreifache des Preises für die 4-Patronen-Packungen fest, nämlich auf 4.281 Euro (3 x 1.427 Euro) für die Packung mit 12 Patronen und der Wirkstoffmenge von 3 x 44 µg je Patrone und auf 3.480 Euro (3 x 1.160 Euro) für die Packung mit 12 Patronen mit der Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg je Patrone. Im Jahr 2012 erhielt die Klägerin eine Abrechnung eines Apothekenrechenzentrums, aus der sich ergab, dass die neuen Packungen mit einem Zwangsabschlag für Neueinführungen nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V in Höhe von 1.144,71 Euro (für die Packung mit den 12 Patro-nen mit 3 x 22 µg Wirkstoff) bzw. in Höhe von 39,06 Euro (für die Packung mit den 12 Patro-nen mit 3 x 44 µg Wirkstoff) belegt worden waren. Dem Abschlag in Höhe von 1.144,71 Euro für die Packung mit den 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg je Patrone lag folgende, zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem A. P.-D.-S. abgestimmte Berechnungsmethode zugrunde: Es wurde zunächst ermit-telt, welcher alten Packung die neue Packung mit den 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg je Patrone hinsichtlich der in ihr enthaltenen Gesamtwirkstoffmenge am nächs-ten kommt. Dies waren, da die neue Packung 792 Mikrogramm Wirkstoff enthielt (12 x 3 x 22 µg), die alten Packungen mit 4 Patronen mit 3 x 44 µg Wirkstoff (= 528 µg) und mit 12 Fertig-spritzen mit 44 µg Wirkstoff (= 528 Mikrogramm). Als nächstes wurde der Durchschnitt der Preise eines µg Wirkstoffs in diesen Packungen gebildet und anschließend mit der Gesamt-wirkstoffmenge der neuen Packung multipliziert (0,5 x (1.396 / 528) + (1.427 / 528) x 792 = 2.117,25 Euro). Da der Preis für die Packung mit den 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg je Patrone insgesamt 3.480 Euro betrug, ergab dies einen Unterschied von 1.362,75 Euro (= 39,16 Prozent von 3.480 Euro). Um den Abschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V zu berechnen, wurde schließlich vom Herstellerpreis (3.480 Euro) der Herstellerra-batt nach § 130 Abs. 1a SGB V iHv 16 Prozent (= 556,80 Euro) abgezogen (= 2.923,20 Euro) und mit dem Faktor 0,3916 multipliziert. Daraus ergab sich (mit geringfügig abweichenden Rundungen) der Abschlag in Höhe von 1.144,71 Euro. Nach derselben Methode wurde der Abschlag für die Packung mit 12 Patronen mit einer Wirk-stoffmenge von 3 x 44 µg in Höhe von 39,06 Euro ermittelt. Der Abschlag fiel deutlich geringer aus als der für die Packung mit 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 22 µg, weil als Preismaßstab ebenfalls der Durchschnitt der Preise eines µg Wirkstoffs in den alten Packun-gen mit 4 Patronen mit 3 x 44 µg Wirkstoff (= 528 µg) und mit 12 Fertigspritzen mit 44 µg Wirkstoff (= 528 µg) zugrunde gelegt wurde. Während somit für die Berechnung des Preises der neuen Packung mit 12 Patronen mit 3 x 22 µg Wirkstoff der auf das µg bezogen erheblich günstigere Durchschnittspreis des Wirkstoffs in den alten Darreichungsformen mit 44 µg Wirk-stoff hochgerechnet wurde, fiel diese Preisdegression im Verhältnis der alten Darreichungs-formen mit 44 µg Wirkstoff gegenüber denen mit 22 µg Wirkstoff bei der Berechnung des Preises für die neue Packung mit 12 Patronen mit 3 x 44 µg Wirkstoff nicht ins Gewicht. Der (geringe) Abschlag für die Packung mit 12 Patronen mit 3 x 44 µg Wirkstoff erklärt sich allein daraus, dass im Rahmen der Durchschnittspreisberechnung auch der Preisvorteil (pro µg Wirkstoff) der alten 44 µg-Fertigspritzen gegenüber den (3 x) 44 µg-Patronen Berücksichtigung fand. Nach Bekanntwerden der Abschläge nahm die Klägerin die neuen Packungsgrößen vom Markt. Am 4. Dezember 2012 hat die Klägerin Klage gegen den GKV-Spitzenverband erhoben, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Festlegung eines Abschlages in Höhe von 1.144,71 Euro bzw. 39,06 Euro rechtswidrig ist. Zur Begründung führt sie insbesondere aus: Mit der Einführung der Bündelpackungen mit 12 Patronen sei keine Preiserhöhung verbunden gewe-sen. Der Preis sei exakt auf der Basis des Referenzpreises der bis dahin verfügbaren Stan-dardpackungen festgelegt und nur linear fortgeschrieben worden. Ein Fall des § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V, der eine Umgehung des Preismoratoriums nach § 130a Abs. 3a Satz 1 vo-raussetze, liege somit nicht vor. Der Preisvorteil pro Mengeneinheit der höheren Wirkstärke 44 µg gegenüber der Wirkstärke 22 µg sei bereits im Bestandsmarkt angelegt gewesen. Diese Preisstruktur des Bestandsmarktes dürfe der Beklagte nicht verändern. Durch die Fingierung einer wirtschaftlich gar nicht vorgenommenen Preiserhöhung in Höhe von 33 Prozent und ei-ner vermeintlichen Verletzung des Preismoratoriums werde ein und dieselbe Patrone zu un-terschiedlichen Preisen erstattet, je nachdem, ob sie aus der Packung mit 12 Patronen von Rebif 22 µg (dann 194,61 Euro) oder aus der Packung mit 4 Patronen (dann 290 Euro) ent-nommen werde. Diese Konsequenz sei absurd. Durch die gesetzeswidrige Berechnung sei die Klägerin mit zusätzlichen Zwangsabschlägen in Höhe von 8,731 Millionen Euro im Kalender-jahr 2011 sowie in Höhe von 1,321 Millionen Euro im Zeitraum Januar bis September 2012 belastet worden. Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die Festlegung eines Abschlags gemäß § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V in Höhe von 1.144,71 Euro für das Fertigarzneimittel Rebif 22 µg/12 Patronen (Pharmazentralnummer: 6575865) rechtswidrig ist,

festzustellen, dass die Festlegung eines Abschlags gemäß § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V in Höhe von 39,06 Euro für das Fertigarzneimittel Rebif 44 µg/12 Patronen (Pharmazentralnummer 6575871) rechtswidrig ist. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass die neuen Packungsgrößen der Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V unterliegen. Bei den neuen Packungen handele es sich um Neueinführungen eines Arzneimittels i.S.d. § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V, für das die Klägerin mit Rebif in Form von Fertigspritzen und Packungen mit 4 Patronen bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht habe. Der Abschlag sei daher gemäß § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V auf der Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Pa-ckungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten komme. Hierzu seien die Regelungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 130a Abs. 3a Satz 10 SGB V zum Hersteller-abschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 und 4 SGB V im Konsens mit den Verbänden der phar-mazeutischen Unternehmer ergänzend heranzuziehen. Aufgrund dieser Regelungen seien Re-ferenzarzneimittel für Rebif 22 µg, 12 Patronen, sowohl Rebif 44 µg 12 Fertigspritzen als auch Rebif 44 µg 4 Patronen. Beide wiesen einen Gesamtwirkstoffgehalt von 528 µg auf und kämen dem maßgeblichen Gesamtwirkstoffgehalt des neu eingeführten Rebif 22 µg, 12 Patronen, von 792 µg damit näher als Rebif 22 µg, 12 Fertigspritzen, und 22 µg, 4 Patronen, mit jeweils 264 µg. Die Abgabepreise dieser Referenzarzneimittel seien auf den Gesamtwirkstoffgehalt des neu eingeführten Rebif 22 µg, 12 Patronen, also 792 µg, umzurechnen. Der so ermittelte Preis sei vom Herstellerabgabepreis des neu eingeführten Rebif 22 µg, 12 Patronen, abzuziehen, was die Preiserhöhung und damit die Basis für den Abschlag ergebe. Entspre-chendes gelte für die Berechnung des Abschlages für Rebif 44 µg, 12 Patronen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig. Die Klägerin begehrt gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nichtbe-stehens eines Rechtsverhältnisses. Die Frage, ob Rebif in den Packungsgrößen mit 12 Patro-nen einem Abschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V unterliegt, ist als öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zu qualifizieren. Zwar erfolgt die Abrechnung des Abschlages nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V primär zwischen den Krankenkassen und den Apotheken und nachgelagert im Verhältnis zwischen Apotheken und den pharmazeutischen Unternehmen (vgl. zu den Einzelheiten Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2011 – L 8 KR 198/08 – juris, Rn. 6, 58 ff.). Dem Beklagten kommt jedoch bei der Einstufung von Rebif in den Packungsgrößen mit 12 Patronen als abschlagspflichtig nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V eine entscheidende Bedeutung zu. Denn es ist der Beklagte, der die Arzneimittelpreise nach eigenen Angaben (siehe auch die von der Klägerin als Anlage K 11 eingereichte Be-rechnungsübersicht des Beklagten auf Bl. 159 der Gerichtsakte) in Abstimmung mit dem A. P.-D.-S. berechnet und dabei insbesondere prüft, ob und in welcher Höhe Abschläge anfallen. Die Berechnungsergebnisse werden vom Beklagten in das GKV-Abrechnungsverzeichnis, das die Krankenkassen für ihre Abrechnungsprüfung verwenden, aufgenommen. Damit setzt der Beklagte die maßgebenden Standards der Arzneimittelabrechnung. Die Feststellungsklage ist nicht gegenüber einer Leistungsklage nach § 130a Abs. 5 SGB V, wonach pharmazeutische Unternehmen gegenüber Krankenkassen die Erstattung nicht rechtmäßiger Abschläge geltend machen können, subsidiär. Die Klägerin macht keine Erstat-tungsforderung gegenüber einer Krankenkasse geltend, sondern wendet sich im Zusammen-hang mit Abschlägen nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V gegen Auslegungs- und Berech-nungsvorgaben und damit speziell gegen eine Kompetenzüberschreitung des GKV-Spitzenverbandes. Es wäre auch unökonomisch, hier Rechtsschutz nur – in einer Vielzahl von – Erstattungsrechtsstreitigkeiten zuzulassen. Die Klägerin hat auch schon wegen der erheblichen finanziellen Auswirkungen ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. II. Die Klage ist begründet. Das Arzneimittel Rebif in den Packungsgrößen mit 12 Patronen mit einer Wirkstoffmenge von 3 x 44 µg und 3 x 22 µg je Patrone unterliegt nicht dem Preisab-schlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V. Die Festlegung von Preisabschlägen durch den Beklagten (im Rahmen der mit der A. P.-D.-S. abgestimmten Arzneimittelpreisvorgaben, die zumindest faktisch für die Arzneimittelabrechnung maßgeblich sind) in Höhe von 1.144,71 Eu-ro bzw. 39,06 Euro ist daher rechtswidrig. § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V ist nach Auffassung der Kammer nach seinem Wortlaut (1.), den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien (2.), nach dem Sinn und Zweck der in § 130 Abs. 3a Satz 3 SGB V vorgegebenen Preisbestimmungsmethode (3.) und unter Berücksichti-gung des systematischen Zusammenhangs mit § 130a Abs. 1 und 1a SGB V (4.) auf den vor-liegenden Sachverhalt nicht anwendbar. 1. § 130a Abs. 3a SGB V lautet: "Erhöht sich der Abgabepreis des pharmazeutischen Un-ternehmers ohne Mehrwertsteuer gegenüber dem Preisstand am 1. August 2009, erhalten die Krankenkassen für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel ab dem 1. August 2010 bis zum 31. Dezember 2017 einen Abschlag in Höhe des Betrages der Preiserhöhung; dies gilt nicht für Arzneimittel, für die ein Festbetrag auf Grund des § 35 festgesetzt ist. Für Arzneimit-tel, die nach dem 1. August 2010 in den Markt eingeführt werden, gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass der Preisstand der Markteinführung Anwendung findet. Bei Neueinführungen eines Arz-neimittels, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in Verkehr gebracht hat, ist der Abschlag auf Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arznei-mittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommt." Danach setzt § 130a Abs. 3 a SGB V (auch hinsichtlich seines Satzes 3) eine Erhöhung des Abgabepreises gegenüber dem Preisstand am 1. August 2009 voraus. Erhöhung bedeutet das Hinaufsetzen des Abgabepreises. Die Klägerin hat jedoch den Preis für 12 Rebif-Patronen mit den Wirkstärken 3 x 22 µg und 3 x 44 µg lediglich linear fortgeschrieben, d.h. sie verlangt für die dreifache Anzahl der identischen Patronen jeweils den dreifachen Preis. Der Preis pro Pat-rone der jeweiligen Wirkstärke ist identisch, so dass es z.B. keinen Unterschied macht, ob der Abnehmer drei Packungen Rebif mit 4 Patronen mit 3 x 22 µg Wirkstoff erwirbt oder die Pa-ckung mit 12 Patronen mit 3 x 22 µg Wirkstoff. Bei einem solchen Sachverhalt liegt eine Preiserhöhung nach dem Wortsinn nicht vor. Der Anwendungsbereich des § 130a Abs. 3a SGB V würde vielmehr über den Wortsinn hinaus zu Lasten der Klägerin ausgedehnt, wenn man unter Preiserhöhung i.S.d. § 130a Abs. 3a SGB V – wie der Beklagte – die Nicht-gewährung eines Preisnachlasses (pro µg, den die Klägerin für die Patronen mit der Wirkstärke 44 µg gewährt) verstünde. 2. Die Gesetzesmaterialien sprechen ebenfalls gegen eine Anwendung des § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V auf den vorliegenden Sachverhalt. Nach der Gesetzesbegründung soll mit dem in § 130a Abs. 3a SGB V geregelten Preismoratorium vermieden werden, dass die gesetzliche Krankenversicherung durch Preiserhöhungen bei Arzneimitteln zusätzlich belastet wird (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drs. 17/2170, S. 37). Dagegen soll mit dem Preismoratorium nicht erreicht werden, die Kranken-kassen zu entlasten. Dies aber wäre – worauf die Klägerin hinweist – der Fall, wenn für ein und dieselbe Patrone Rebif 3 x 22 µg statt 290 Euro nur noch 194,61 Euro erstattet werden müssten, nur weil sie aus der Packung mit 12 Patronen entnommen wurde. Mit § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V soll nach der Gesetzesbegründung verhindert werden, dass pharmazeutische Unternehmer den Preisstopp durch Änderungen in der Packungsgröße oder der Wirkstärke umgehen können (BT-Drs. 17/2170, S. 37). Eine solche (manipulative) Umge-hung des Preisstopps liegt nicht vor, da die Klägerin den Preis pro identische Patrone – wie gesehen – unverändert gelassen hat. 3. Die Erreichung des Zwecks, manipulative Umgehungen des Preisstopps zu verhindern, wird in § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V durch eine komplizierte Preisvergleichsmethode sicher-gestellt. Danach ist bei Neueinführungen eines Arzneimittels, für das der pharmazeutische Unternehmer bereits ein Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungs-form in Verkehr gebracht hat, der Abschlag auf Grundlage des Preises je Mengeneinheit der Packung zu berechnen, die dem neuen Arzneimittel in Bezug auf die Packungsgröße unter Berücksichtigung der Wirkstärke am nächsten kommt. Sinn und Zweck dieser Methode ist es, Preiserhöhungen in Situationen bestimmbar zu machen, in denen die Preise der Arzneimittel nicht unmittelbar vergleichbar sind, weil sie sich teilweise (zum Kaschieren von Preiserhöhun-gen) unterscheiden. Entsprechend ist in § 130a Abs. 3a Satz 3 SGB V von "vergleichbaren" Darreichungsformen (z.B. Anwendungsform, Applikationsweg, Freisetzungsverhalten) die Re-de. Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass für die Anwendung dieser für bloße Ähnlichkeits-situationen geschaffenen komplizierten Methode der Preisbestimmung und für eine Durchbre-chung der auf die konkrete Patrone bezogenen Betrachtungsweise. Denn im vorliegenden Fall kann der Preis wegen Identität der 3 x 22 bzw. 3 x 44 µg-Patronen in den alten und neuen Packungen unmittelbar verglichen werden, mit dem Ergebnis, dass wegen der nur linearen Preisfortschreibung keine Preiserhöhung vorliegt. Aufgrund der Möglichkeit, die Preise für die identischen Patronen in den alten und neuen Pa-ckungen unmittelbar zu vergleichen, ist es dem Beklagten verwehrt, bei der Bestimmung der Preise für die neuen Packungsgrößen auf die "vergleichbaren" Darreichungsformen der (pro µg günstigeren) 44 µg-Fertigspritzen und der 3 x 44 µg-Patronen zurückzugreifen. 4. Dieses Ergebnis entspricht der Systematik des § 130a SGB V. Während die Absätze 1 und 1a des § 130a SGB V Preisabsenkungen anordnen (allgemeiner Herstellerrabatt), regelt Abs. 3a die Abschöpfung von Preisvorteilen der pharmazeutischen Unternehmer. Die Berech-nungsmethode des Beklagten liefe jedoch darauf hinaus, die Klägerin zu zwingen, den durch-schnittlichen Mengenrabatt, den sie im Bestandsmarkt für die 44 µg-Wirkstärken gewährt, auf die neuen Packungsgrößen zu übertragen. Dies wäre (neben dem allgemeinen Herstellerra-batt) eine weitere erzwungene Preisabsenkung insbesondere für die neue Packung mit 12 Patronen mit 3 x 22 µg Wirkstoff, die § 130a Abs. 3a SGB V nach seiner Systematik gerade nicht zulässt. Da somit bereits § 130a Abs. 3a Satz 3 SGV auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwend-bar ist, kommt es auf die Auslegung der Regelungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 130a Abs. 3a Satz 10 SGB V zum Herstellerabschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 und 4 SGB V nicht an. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streit-wertfestsetzung stützt sich auf § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin an der Feststellung der Abschlagspflicht. Die Klägerin hat angegeben, allein im Kalenderjahr 2011 mit zusätzlichen Zwangsabschlägen in Höhe von 8,731 Millionen Euro belastet worden zu sein. Der Streitwert war jedoch der Höhe nach gemäß § 52 Abs. 4 GKG auf 2,5 Millionen Euro zu begrenzen.
Rechtskraft
Aus
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