L 11 R 5172/14 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 2501/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5172/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.11.2014 aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aussetzung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 11.02.2005 fest, dass die Zeit vom 01.01. bis 30.09.1969 nicht als Beitragszeit anerkannt werden könne.

Nachdem der Kläger im Oktober 2013 die Gewährung von Regelaltersrente beantragt hatte, machte er erneut die Anerkennung der Zeit vom 01.01. bis 30.09.1969 als Beitragszeit (Beschäftigung als Einzelhandelskaufmann) geltend. Mit Schreiben vom 23.04.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass diese Zeit nicht als rentenrechtliche Zeit anerkannt werden könne. Hiergegen legte der Kläger am 28.04.2014 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 17.06.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 01.06.2014. Der Bescheid enthielt auf Seite 6 den Zusatz: "Die Rente ist unter Außerachtlassung der im Verfahren gegen den Bescheid vom 23.04.2014 geltend gemachten Ansprüche berechnet worden. Sie wird neu festgestellt, wenn und soweit dieses Verfahren zu Ihren Gunsten beendet wird. Der Zahlungsausschluss des § 44 Abs 4 SGB X findet dabei keine Anwendung. Wegen dieser Ansprüche ist ein Widerspruch gegen den Rentenbescheid ausgeschlossen."

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2014 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.04.2014 zurück. Der Bescheid vom 11.02.2005 könne nach § 44 SGB X nicht zurückgenommen werden, weil weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Hiergegen richtet sich die am 29.07.2014 zum SG erhobene Klage. Das SG hat das Klageverfahren nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 04.11.2014 ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, vorliegend sei noch kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt worden, weshalb das Verfahren zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens auszusetzen sei. Mit dem Widerspruchsbescheid habe die Beklagte fälschlicherweise den Bescheid vom 23.04.2014 geprüft, richtigerweise hätte sie sich mit dem Bescheid vom 17.06.2014 befassen müssen. Ergehe während des Widerspruchsverfahrens über einen Vormerkungsbescheid ein Bescheid über die Bewilligung von Rente, der die Festsetzungen des Vormerkungsbescheids übernehme, so erledige sich der Vormerkungsbescheid; an seine Stelle trete der Rentenbescheid, der in das Widerspruchsverfahren nach § 86 SGG einbezogen werde. Vorliegend stelle sich die Situation ähnlich dar. Betrachte man das Schreiben vom 23.04.2014 als Verwaltungsakt, entspräche die Regelung der eines Vormerkungsbescheids. Der Bescheid vom 23.04.2014 habe sich daher erledigt, Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei allein der Bescheid vom 17.06.2014. Über diese gesetzliche Rechtsfolge könnten die Beteiligten nicht disponieren, weshalb der Hinweis auf Seite 6 des Rentenbescheids unerheblich sei.

Die Beklagte hat gegen den Aussetzungsbeschluss am 05.12.2014 Beschwerde eingelegt. Unabhängig davon, dass das LSG Berlin-Brandenburg sich der gängigen Praxis der Beklagten anschließe (unter Hinweis auf Urteil vom 05.06.2008, L 3 R 1148/07), könne der Argumentation des SG hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 86 SGG gefolgt werden. Auch bei Anwendung von § 86 SGG sei aber vorliegend das Widerspruchsverfahren nicht nachzuholen. Der neue Verwaltungsakt (der Bescheid vom 17.06.2014) trete in das Vorverfahren in dem Stadium ein, in dem es sich gerade befinde. Die Erteilung eines weiteren Widerspruchs sei daher nicht zulässig.

Der Kläger hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtzüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens besteht nicht.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 172 Abs 1 SGG statthaft. Ein Ausschlussgrund gemäß § 172 Abs 2 oder 3 SGG liegt nicht vor; insbesondere handelt es sich bei einem Aussetzungsbeschluss nicht um eine prozessleitende Verfügung iSd § 172 Abs 2 SGG (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 172 RdNr 3). Die Beschwerde wurde auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 Satz 1 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet, denn ein Aussetzungsgrund liegt nicht vor. Das Beschwerdegericht kann den Aussetzungsbeschluss nur eingeschränkt dahin überprüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aussetzung vorliegen und ob das SG die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat (Keller in Meyer-Ladewig ua, § 114 RdNr 9 mwN).

Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer anderen Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist (§ 114 Abs 2 SGG). Die Vorschrift wird analog angewendet, wenn ein Vorverfahren nach § 78 SGG nachzuholen ist (BSG 02.08.1977, 9 RV 102/76, SozR 1500 § 78 Nr 8; BSG 04.03.2014, B 1 KR 43/13 B, juris).

Vorliegend ist das notwendige Vorverfahren durchgeführt worden und die Klage damit zulässig, so dass keine Grundlage für eine Aussetzung des Verfahrens besteht. Streitgegenstand der Klage ist allein der Bescheid vom 23.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2014. Zwar trifft die Rechtsauffassung des SG zu, dass sich ein Vormerkungsbescheid iSv § 39 SGB X erledigt, wenn während des Widerspruchsverfahrens ein Rentenbescheid ergeht, der die Regelungen des Vormerkungsbescheids übernimmt (BSG 14.12.2011, B 5 R 36/11 R, SozR 4-2600 § 248 Nr 1). Vergleichbar ist das Verhältnis eines Überprüfungsbescheids nach § 44 SGB X hinsichtlich einer Vormerkung zu einem Rentenbescheid.

Im konkreten Fall ist der Bescheid über die Regelaltersrente vom 17.06.2014 jedoch gerade nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nach § 86 SGG geworden. Denn der Rentenbescheid enthält ausdrücklich keine Regelung zu der hier streitigen Zeit vom 01.01. bis 30.09.1969, diese Frage wird vielmehr explizit ausgeklammert. Insoweit ist den Ausführungen auf Seite 6 des Rentenbescheids ausdrücklich zu entnehmen, dass die Rente unter Außerachtlassung der Frist des § 44 Abs 4 SGB X neu festgestellt wird, wenn das laufende Verfahren zu Gunsten des Klägers beendet wird. Durch den Rentenbescheid erfolgt daher gerade keine Änderung oder Ersetzung der im Bescheid vom 23.04.2014 getroffenen Regelung zur Nichtanerkennung der streitigen Zeit als Beitragszeit (ebenso LSG Berlin-Brandenburg 05.06.2008, L 3 R 1148/07, juris). Die Frage der Anwendung des § 86 SGG knüpft an die in den Bescheiden getroffenen Regelungen an; wird (bewusst) keine überschneidende und damit abändernde oder ersetzende Regelung getroffen, greift die Vorschrift nicht ein, ohne dass darin eine unzulässige Disposition der Verfahrensbeteiligten über gesetzliche Vorschriften läge.

Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen, da das Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss kein eigenes Verfahren oder ein eigener Verfahrensabschnitt, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit ist (LSG Baden-Württemberg 22.08.2006, L 8 AL 2352/06 B, juris).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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