S 20 SO 239/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 239/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Zeit vom 24.02.2011 bis19.05.2015 erbrachten Aufwendungen für die Vollzeitpflege des Kindes D.U. in einer Pflegefamilie in Höhe von 125.233,22 EUR zu erstatten. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 125,233,22 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin als Träger der Jugendhilfe begehrt von der Beklagten als Träger der Sozialhilfe die Erstattung der Aufwendungen, die die Klägerin in der Zeit vom 24.02.2011 bis 19.05.2015 für die Unterbringung, Betreuung und Vollzeitpflege eines minderjährigen Kindes in einer Pflegefamilie erbracht hat, konkret 125.233,22 EUR.

Die am 00.00.0000 geborene D.U. (im Folgenden: Hilfeempfängerin/HE) ist das fünfte von inzwischen sieben Kindern ihrer Eltern; bei ihrer Geburt waren die vier älteren Geschwister bereits wegen erheblicher Erziehungsdefizite der Eltern in Heimen bzw. Pflegefamilien untergebracht. Vom 26.01. bis 24.05.2005 war die HE im Eltern-Kind-Haus des Kinderheims St. N. untergebracht. Nachdem das Amtsgericht N. durch Beschluss vom 25.04.2005 die Erziehungsunfähigkeit der Eltern festgestellt, ihnen vorläufig die Personensorge für die HE entzogen und diese dem Jugendamt der Beklagten übertragen hatte, blieb die HE ab 26.04.2005 im Kinderheim St. N. und erhielt Leistungen der Jugendhilfe. Die Kindesmutter verzog am selben Tag zum Kindesvater im Gebiet der Klägerin, sodass die Klägerin für die Jugendhilfeleistungen zuständig wurde. 2006 wurde den Eltern endgültig die Personensorge entzogen (Beschluss des Amtsgerichts N. vom 15.08.2006).

In einem Gutachten, das im Mai 2008 zur Klärung eines sonderpädagogischen Sonderbedarfs erstellt wurde, ergaben sich Defizite der HE im Sprachverhalten, in der visuellen und auditiven Wahrnehmung sowie ein erheblicher Entwicklungsrückstand. Seit August 2008 besuchte die HE eine Förderschule für Lernbehinderte, seit 2014 ist sie auf der Schule in N., einer Förderschule mit dem Schwerpunkt "Lernen". Seit dem 28.11.2008 lebt die HE in der Pflegefamilie der Eheleute C. und T ... Sie wird über Tag und Nacht im Haushalt ihrer Pflegeeltern versorgt. Die Pflegemutter ist ausgebildete Erzieherin und verfügt über eine Zusatzqualifikation als Heilpädagogin. Die Pflegeeltern erfüllen die Voraussetzungen erlaubter Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

Erstmals in einem neuropädiatrische Gutachten über die HE vom 24.03.2011 wurde aufgrund verschiedener Untersuchungen, die seit Oktober 2010 durchgeführt worden waren, insbesondere aufgrund eines Intelligenztests vom 24.02.2011 festgestellt, dass bei der HE eine Entwicklungsstörung, eine Schwerhörigkeit, Kopfschmerzen und eine Intelligenzminderung (IQ von 64) bestehen.

Daraufhin beantragte die Klägerin im Juni 2011 unter Hinweis auf eine wesentliche geistige Behinderung der HE und eine nach ihrer Auffassung sich daraus ergebende vorrangige Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Erstattung ihrer Kosten und die Übernahme des Falles. Der LVR lehnte den Antrag wegen sachlicher und örtlicher Unzuständigkeit ab.

Am 21.08.2012 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen die Erstattung ihrer Kosten und Übernahme des Falles. Diese gab den Antrag an die Beklagte ab.

Die Beklagte lehnte durch Schreiben vom 23.04. und 09.07.2013 gegenüber der Klägerin eine Erstattung der Kosten und die Übernahme des Falles ab mit der Begründung, zwar gehöre die HE zum Personenkreis des § 53 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und erfolge ihre Unterbringung in der Pflegefamilie in kausalem Zusammenhang mit dieser Behinderung. Jedoch begründe der behinderungsbedingte spezifische Bedarf keinen stationären Sozialhilfebedarf; es stehe nicht fest, dass die Unterbringung in der Pflegefamilie auch der Vermeidung der Unterbringung in vollstationärer Versorgung diene. Daher sei weiterhin die Jugendhilfe sachlich zuständig.

Am 23.12.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, neben dem im streitbefangenen Zeitraum bestehenden Erziehungshilfebedarf in Form der Vollzeitpflege nach dem SGB VIII habe die HE auch einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII. Die Betreuung in der Pflegefamilie stelle nicht nur als Jugendhilfe, sondern auch als Eingliederungshilfe eine geeignete und notwendige Maßnahme dar. Die HE gehöre ausweislich des Ergebnisses der gutachterlichen Stellungnahme vom 24.03.2011 – nachweislich seit dem Intelligenztest vom 24.02.2011 – zum Personenkreis der wesentlich geistig behinderten Menschen. In der Pflegefamilie werde nicht nur der erzieherische, sondern der gesamte, sich auch aus der geistigen Behinderung ergebende Hilfebedarf der HE gedeckt. Aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ergebe sich die vorrangige Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers. Zur Deckung des Hilfebedarfs seien besondere Anforderungen an die Pflegefamilie gestellt worden, die die Pflegeeltern, insbesondere die Pflegemutter als ausgebildete Erzieherin und Heilpädagogin, erfüllten. Bei Hinwegdenken der Unterbringung der HE in der speziell geschulten und geeigneten Pflegefamilie könne ihr Hilfebedarf ausschließlich in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe gedeckt werden. Die Klägerin hat ihre Aufwendungen für die Unterbringung der HE in der Pflegefamilie aufgelistet und beziffert, und zwar - für die Zeit vom 24.02.2011 bis 31.12.2013 in Höhe von 82.918,29 EUR, - für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.08.2014 in Höhe von 20.243,26 EUR, - für die Zeit vom 01.09.2014 bis 19.05.2015 in Höhe von 22.071,67 EUR, insgesamt 125.233,22 EUR. Dieser Betrag beinhaltet materielle Aufwendungen, Kosten der Erziehung, Weihnachtsbeihilfe sowie Entgelt für Beratung abzüglich eines anteiligen Kindergeldbetrages.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die Zeit vom 24.02.2011 bis 19.05.2015 erbrachten Aufwendungen für die Vollzeitpflege des Kindes D.U. in einer Pflegefamilie in Höhe von 125.233,22 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erhebt gegen die Höhe der Aufwendungen keine Einwände. Sie hat konkret die Höhe der von der Klägerin vom 24.02.2011 bis 31.08.2014 erbrachten Aufwendungen unstreitig gestellt; bezüglich der Folgeaufwendungen für die Zeit bis 19.05.2015 war ihr eine entsprechende Erklärung noch nicht möglich, da sie die entsprechende Aufstellung erst in der mündlichen Verhandlung erhalten hat. Die Beklagte ist der Auffassung, die HE habe keinen gegenüber dem bestehenden Jugendhilfeanspruch vorrangigen Eingliederungsanspruch in Form der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie. Zwar liege bei der HE eine wesentliche körperliche Behinderung in Form der Hörbehinderung vor, die aber keine vollstationäre Unterbringung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe notwendig machen würde, wenn es die Betreuung durch die Pflegefamilie nicht gäbe. Die Beklagte bestreitet eine wesentliche geistige Behinderung der HE; sie meint, selbst wenn eine solche bestünde, erforderte diese ebenfalls nicht die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe. Die Vollzeitpflege in der Pflegefamilie sei nicht aufgrund einer Behinderung, sondern aufgrund der Erziehungsunfähigkeit der Kindeseltern erfolgt. Durch alle Hilfeplanunterlagen ziehe sich der Wunsch der HE, unbedingt in der Pflegefamilie zu bleiben. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die HE, wenn ihr die Betreuung in der Pflegefamilie nicht zur Verfügung stünde, z.B. im Kinder- und Jugendhilfeheim St. N. in N. untergebracht werden könnte, wo sie bereits früher gelebt habe.

Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Er ist – wie die Klägerin und die Beklagte –der Auffassung, dass ein Jugendhilfebedarf der HE in der Vergangenheit bestand und auch weiterhin besteht. Er schließt sich im Übrigen der Auffassung der Klägerin an, dass ein Eingliederungshilfebedarf der Klägerin wegen wesentlicher geistiger Behinderung besteht, dass die Voraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB XII vorliegen und dass eine vorrangige Leistungspflicht der Beklagten gegeben ist.

Der (durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 23.06.2014 bestellte) derzeitige Vormund der HE hat sein Einverständnis zur Einholung von Auskünften sowie der Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten über die HE erklärt, jedoch einer Begutachtung der HE unter Hinweis auf das Kindeswohl und die Beurteilung der behandelnden Psychotherapeutin widersprochen. Das Gericht hat daraufhin Auskünfte von den Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen T, Q. und X. eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Auskünfte vom 17.12.2014, 18.12.2014 und 05.02.2015 verwiesen. Desweiteren hat das Gericht Beweis erhoben über die Umstände und Notwendigkeit der Betreuung der HE seit 2011 durch Vernehmung der Pflegemutter als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 19.05.2015 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die HE betreffenden Verwaltungsakten der Klägerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Es handelt sich um eine statthafte (echte) Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin und die Beklagte stehen zueinander in einem Gleichordnungsverhältnis; ein Vorverfahren ist nicht notwendig und auch nicht durchgeführt worden.

Die Klage ist auch begründet.

I. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erstattung ihrer seit dem 24.02.2011 nach dem SGB VIII erbrachten Leistungen der Jugendhilfe für die HE ergibt sich aus § 104 Abs. 1 SGB X. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger soziale Leistungen erbracht hat, grundsätzlich der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre. Die Leistungspflichten nach dem SGB VIII und nach dem SGB XII stehen in einem Konkurrenzverhältnis dergestalt, dass die Leistungen nach dem Jugendhilferecht des SGB VIII den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nachrangig sind. Dies folgt aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Dieser kehrt die Regel des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, dass die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vorgehen, um und bestimmt, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die – wie die HE – körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen.

1. Die Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII setzt – ungeschrieben – voraus, dass die Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 5 C 26/98, Urteil vom 02.03.2006 – 5 C 15/05, Urteil vom 13.06.2013 – 5 C 30/12; LSG NRW, Urteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11, Urteil vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08). Das Vorrang-Nachrang-Verhältnis des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ist nicht nach dem Schwerpunkt der Leistung, sondern allein nach der Art der mit einer Jugendhilfeleistung konkurrierenden Sozialhilfeleistung abzugrenzen. Der Leistungsvorrang des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist daher auf die Eingliederungshilfe für körperlich oder geistig behinderte junge Menschen beschränkt (BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 5 C 30/12 m.w.N.). Er setzt nicht voraus, dass der Anspruch auf Eingliederungshilfe gerade wegen der körperlichen und/oder geistigen Behinderung besteht. Für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII genügt bereits jede Überschneidung der Leistungsbereiche; es ist dafür nicht (weiter gehend) erforderlich, dass der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. -zwecks im Bereich einer dieser Behinderungen liegt oder eine von ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich ist (BVerwG, Urteil vom 09.02.2012 – 5 C 3/11; LSG NRW, Urteil vom 10.10.2012 – L 12 SO 621/10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R). Damit kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung, die Betreuung der HE nicht mehr in der Herkunftsfamilie, sondern in einer Pflegefamilie vornehmen zu lassen, im Ausgangspunkt auf die Notwendigkeit zur Intervention durch das Jugendamt wegen eines Erziehungsdefizits bei der Betreuung durch die leiblichen Eltern zurückgeht. Für die Beurteilung der Leistungsidentität ist schließlich ohne Bedeutung, wem der jeweilige Anspruch nach der Systematik des SGB VIII und des SGB XII zusteht; entscheidend ist nur, dass die Bedarfe derselben Person – vorliegend der HE – gedeckt werden (vgl. insoweit auch: BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R).

Die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege nach dem SGB VIII und die Eingliederungshilfe in Form der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie nach dem SGB XII waren (jedenfalls seit 24.02.2011) und sind im Fall der HE nach ihrem Zweck gleichartig. Gleichartigkeit liegt vor, wenn die Gewährung der Sozialleistung durch den nachrangig verpflichteten Träger zugleich die Leistungspflicht des vorrangig verpflichteten Trägers erfüllt hat. Dies ist hier der Fall. Die Unterbringung und Betreuung der HE in der Pflegefamilie war im streitbefangenen Zeitraum auf die Deckung des gesamten, sich aus den verschiedenen Behinderungen und Defiziten des Kindes ergebenden Bedarfs gerichtet. Die Pflegeeltern haben nicht nur den erzieherischen Bedarf gedeckt, sondern sind auch auf die geistigen und körperlichen Behinderungen der HE eingegangen.

Die HE hat im Rahmen der Betreuung in der Pflegefamilie jedenfalls seit 24.02.2011 einerseits einen Anspruch gegenüber der Klägerin auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33, 39 SGB VIII (a), andererseits einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Eingliederungshilfe gem. §§ 53, 54 Abs. 3 SGB XII (b).

a) Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII besteht bei der Erziehung eines Kindes Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII erbracht. Art und Umfang richten sich nach dem erzieherischen Bedarf des Kindes; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes einbezogen werden (§ 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII). § 33 SGB VIII eröffnet die Möglichkeit der Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie.

Da die leibliche Eltern der HE erziehungsunfähig sind und ihnen die elterliche Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen und auf das Jugendamt der Beklagten übertragen worden ist (Beschluss des Amtsgerichts N. vom 15.08.2006 – 44 F 325/05), war die angemessene Versorgung und Erziehung in der Herkunftsfamilie nicht gewährleistet. Vier ältere Geschwister der HE waren bereits von den leiblichen Eltern getrennt untergebracht. Die Betreuung der HE in einer Pflegefamilie war und ist daher eine zur Sicherstellung der dem Kindeswohl entsprechenden Erziehung geeignete und zweckmäßige jugendhilferechtliche Maßnahme. Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten.

b) Der Anspruch der HE auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen findet seine Grundlage in §§ 53, 54 Abs. 3 SGB XII. Die HE ist aufgrund ihrer körperlichen, insbesondere aber geistigen Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt. Die geistige Behinderung ist spätestens durch den am 24.02.2011 durchgeführten Intelligenztest nachgewiesen; bei diesem Test wurde ein Intelligenzquotient (IQ) der HE von 64 festgestellt; die Ärzte diagnostizierten aufgrund dessen eine Intelligenzminderung (ICD-10: F70.9). Der Begriff "geistige Behinderung" bezeichnet einen andauernden Zustand deutlich unterdurchschnittlicher kognitiver Fähig-keiten eines Menschen sowie damit verbundene Einschränkungen seines affektiven Ver-haltens. Medizinisch orientierte Definitionen sprechen von einer Minderung oder Herabset-zung der maximal erreichbaren Intelligenz. Die International Classification of Di¬seases (ICD-10) bezeichnet das Phänomen unter den Ziffern F70 bis F79 als Intelligenz-minderung (vgl. Wikipedia, Freie Enzyklopädie, zum Stichwort "geistige Behinderung"). Auch nach dem klinischen Wörterbuch "Pschyrembel" (261. Auflage, S. 922) ist unter Intel¬ligenzstörung ein Zustand verzögerter und unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten zu verstehen und ist die Höhe der Intelligenzminderung Grundlage für die Einteilung einer geistigen Behinderung nach dem Schweregrad. "Geistige Behinderung" ist die Bezeichnung für eine angeborene oder frühzeitig erworbene Intelligenzminderung, die mit einer Beeinträchtigung des Anpassungsvermögens einher geht. Die Symptome einer geistigen Behinderung sind u.a. eine eingeschränkte kognitive bzw. sprachliche Entwick-lung, Anpassungsstörungen, Störungen der Affektivität und psychomotorische Retardie-rung. Die Therapie der geistigen Behinderung besteht u.a. in der Frühförderung, der Heil-pädagogik, der Soziotherapie, der Psychotherapie und der Mototherapie (so: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, S. 221 "Behinderung, geistige"). Aufgrund der Feststellungen der Praxis für Kinder- und Jugendmedizin im Gesundheitszentrum "Haus Y." im Bericht vom 24.03.2011, speziell der am 24.02.2011 durchgeführten Testung steht fest, dass bei der HE auch eine geistige Behinderung bestand und besteht. Aufgrund der zahlreichen in den Akten befindlichen Berichten über die HE und nicht zuletzt aufgrund der Schilderungen der Pflegemutter in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer davon überzeugt, dass die geistige Behinderung der HE auch "wesentlich" im Sinne des Eingliederungshilferechts war und ist. Denn die HE ist infolge der Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt (§ 2 Eingliederungshilfe-Verordnung). Ohne die Betreuung in der Pflegefamilie oder anderweitige Unterbringung in einer adäquaten Einrichtung war und ist die HE zu einer altersentsprechend selbstständigen Lebensführung nicht in der Lage. Sie gehört deshalb zum Kreis der Personen, die Anspruch auf Eingliederungshilfe haben.

Diese Personen erhalten gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört u.a. insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Neben den Leistungen nach § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §§ 26, 33, 41 und 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und nach § 54 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 SGB XII ist gem. § 54 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe, soweit eine geeignete Pflegeperson Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht in ihrem Haushalt versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Mit diesem mit Wirkung ab 05.08.2009 durch Art. 1 des "Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus" vom 30.07.2009 (BGBl. I S. 2495) eingeführten und aufgrund Art. 2 des Kinder- und Jugendhilfevereinfachungsgesetzes vom 29.08.2013 (BGBl. I S. 3464) vorläufig bis 31.12.2018 geltenden neuen Leistungstatbestand "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" wird nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sichergestellt, dass Leistungen der Eingliederungshilfe auch für die Betreuung von körperlich und geistig behinderten Kinder und Jugendlichen in einer Pflegefamilie als – bevorzugte – Alternative zur Betreuung in vollstationären Einrichtungen gewährt werden (BT-Drucksache 16/13417, S. 6).

Die Teilhabeleistung der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie ließ in der Vergangenheit und lässt weiter erwarten, dass im Fall der HE nach Art und Schwere ihrer insbesondere geistigen Behinderungen Aussicht bestand (und besteht), deren Folgen zu mildern und ihr so die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Pflegemutter hat dargelegt, dass die HE auch heute als 13-jährige noch über eine sehr unausgereifte Sprache verfügt. Ihre Sätze sind grammatikalisch verdreht. Sie ist erst seit dem 7. Lebensjahr mit einem Hörgerät versorgt. In der Schule bestehen noch erhebliche Defizite, sie besucht die 7. Klasse und lernt gerade das Einmaleins. Sie braucht bei allen Entscheidungen, die Abstraktion erfordern, Hilfe, zum Beispiel welche Kleidung bei welchem Wetter zu tragen ist. Wege zur Schule oder zu anderen Zielen kann sie erst nach intensiver Einübung selbst bewältigen. Geübte Wege kennt sie, aber einen Fahrplan kann sie nicht lesen. Auch kann sie Entfernungen nicht einschätzen. Generell – so die Zeugin – könne man sagen, dass die HE eingeübte Dinge beherrscht, es ihr aber an eigenen Umsetzungsleistungen fehlt. Die HE kann Gefühle nicht in Worte umsetzen; sie braucht Hilfe beim Verstehen, warum etwas so ist wie es ist. Desweiteren braucht sie immer noch Anleitung in der Hygiene; Zähne putzen ohne tägliche Kontrolle funktioniert nicht. Die Pflegemutter sieht die Defizite von D- als eine Mischform erzieherischer Mängel, seelischer und geistiger Behinderungen. Wäre bei der HE keine geistige Behinderung, könnte sie – so die Zeugin – emotionale seelische Defizite besser kompensieren. Jede Veränderung der HE löst bei ihr Angst aus. Dies gilt insbesondere bezüglich des Themas einer eventuell anderweitigen Unterbringung. Erst kürzlich hat die HE ihre erste Klassenfahrt bewältigt, wenn auch unter großen Schwierigkeiten und unter erheblichem Stress. Stress belastet die HE körperlich sehr stark, sie kann dies nicht selbst, zum Beispiel durch Bewegung, kompensieren. Sie hat wenig Ideen, sich selbst zu helfen.

Aufgrund der Aussagen der Pflegemutter als Zeugin in der mündlichen Verhandlung ist für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend belegt, dass die Unterbringung der HE eine geeignete und notwendige Maßnahme der Eingliederungshilfe war und ist und dass die Pflegeeltern – neben der reinen Erziehung – auch den bestehenden Eingliederungshilfebedarf nach dem SGB XII gedeckt haben und decken. Die Pflegemutter ist ausgebildete Erzieherin, hat die Zusatzqualifikation als Heilpädagogin und verfügt damit auch über die fachliche Kompetenz, die Geeignetheit und Zweckmäßigkeit der für die HE erforderliche Hilfe zu beurteilen. Die Behinderung der HE stellt erhöhte Anforderungen insbesondere an die Pflegeeltern, die durch ihre Betreuung einen weit höheren Aufwand haben als mit einem nicht behinderten Kind. Gerade das Leben in der Familiengemeinschaft ermöglicht der HE, auch in anderen sozialen Bereichen zurecht zu kommen und sich so nach und nach in die Gesellschaft einzugliedern.

Auch die weiteren Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nach § 54 Abs. 3 SGB XII waren (jedenfalls seit 24.02.2011) und sind erfüllt.

Durch die Betreuung in der Pflegefamilie wurde und wird der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden. Wegen der Erziehungsunfähigkeit bzw. den Erziehungsdefiziten war und ist eine Rückkehr zu den Eltern nicht möglich. Seitens der Beklagten wird lediglich vermutet, dass die HE außerhalb der Pflegefamilie nicht vollstationär in einer Einrichtung der Behindertenhilfe unterzubringen wäre, sondern in einem "normalen" Kinder- und Jugendheim, z.B. dem Heim St. N. in N., wo die Klägerin bereits früher einmal war, in dem erforderlichen Umfang bedarfsdeckend betreut werden könnte. Diese Vermutung wird aber durch nichts belegt. Im Gegenteil: Auf ausdrückliches Befragen hat die Pflegemutter in der mündlichen Verhandlung überzeugend erklärt, dass die vollstationäre Unterbringung der HE in einem Heim die einzige Alternative wäre, wenn sie nicht in der Pflegefamilie untergebracht wäre. Die Pflegemutter hat dies für die Kammer auch überzeugend begründet. Sie hat deutlich gemacht, dass sie die eher milde ausgefallene Darstellung der Defizite der HE im Bericht vom 01.05.2014 (Blatt 87 Gerichtsakte) als Mutter formuliert habe; einer Mutter falle es schwer, die Defizite ihres Kindes niederzuschreiben; diese als Mutter zu formulieren, sei auch schmerzhaft. Die Zeugin hat aber dann die Frage nach der Alternative zur Pflegefamilienbetreuung in Bezug auf die HE "als Profi" beantwortet: Wenn die Zeugin (als Erzieherin und Heilpädagogin) die HE in einem Regelheim zu betreuen hätte, würde sie – so ihre eigene Einschätzung – wohl scheitern. Die HE brauche sehr viel Zuwendung, die ihr in dem erforderlichen Umfang in einem Regelheim nicht gewährt werden könnte. Aus fachlicher Sicht der Zeugin käme für die HE als Alternative zur Betreuung in der Pflegefamilie nur eine Einrichtung der Behindertenhilfe in Betracht, am besten eine solche, die kombiniert auf emotionale und geistige Behinderungen eingeht. Diese Einschätzung gebe die aktuelle Situation wieder. Auf die Vergangenheit seit Anfang 2011 übertragen war es – so die Zeugin - eher schlimmer bei der HE, das heißt, hier wäre noch eher die Unterbringung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe die einzige Alternative gewesen.

Entgegen der Vermutung der Beklagten konnte und kann der Eingliederungshilfebedarf – alternativ zu einer Pflegefamilienbetreuung – nicht in einem "normalen" Regelkinderheim, das nicht der Behindertenhilfe zuzuordnen ist, in erforderlichem Umfang gedeckt werden. Die Zeugin hat dies anschaulich an dem Beispiel festgemacht, dass dort die Gruppen deutlich zu groß sind. Die HE würde den Betrieb eines solchen Hauses gar nicht überschauen können. Was sie aber nicht überschauen könne, mache sie aggressiv, und das wiederum sei für ihre Umgebung nicht zumutbar. Vorstellbar sei, dass eine Unterbringung in einem Heim mit Kleinstbelegung für die HE das richtige wäre. Ein solches Heim müsste auf den Bedarf von Behinderten ausgerichtet sein. Zu der Zeit, als die HE im Kinderheim St. N. untergebracht war, habe sich die Situation anders als heute dargestellt. Die HE war damals in einer Diagnosegruppe untergebracht. In einer Diagnosegruppe werde – so die Zeugin – üblicherweise zunächst geklärt, welcher Unterbringungsbedarf für ein Kind besteht. Zwar sei die HE ist in dieser Gruppe extrem lange geblieben; dies habe auch daran gelegen, dass die Anbahnungsphase zu einer anderen Pflegefamilie "völlig schief" gegangen sei und die HE danach zunächst nicht mehr in eine Pflegefamilie wollte. Aufgrund dieser Darlegungen folgt die Kammer der Einschätzung der Zeugin, dass alternativ zur Betreuung in der Pflegefamilie nur die vollstationäre Unterbringung in einem Heim für Behinderte denkbar wäre. Dies gilt umso mehr, als dies auch die Einschätzung der die HE behandelnden Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen Sander und Weber-Voß ist.

Das Gesetz verlangt in § 54 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in dieser Hinsicht lediglich, dass durch die Betreuung in der Pflegefamilie der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden (oder beendet) werden kann. Es genügt also, dass aufgrund einer Prognose die Möglichkeit besteht, dass durch die Pflege in der Familie der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung "abstrakt" verhindert oder vermieden wird (vgl. hierzu auch: VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 09.04.2014 – B 3 K 13.766). Daran, dass diese Vermeidungsmöglichkeit im Fall der HE bestanden hat und besteht, gibt es für die Kammer aufgrund der ihr bekannt gewordenen Umstände, insbesondere der Ausführungen der Zeugin keine ernsthaften Zweifel.

Auch das Erfordernis einer Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII (vgl. § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB XII) ist erfüllt. Zwar sind die Pflegeeltern – soweit ersichtlich – nicht im Besitz einer (förmlichen) Pflegeerlaubnis nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Der Grund dafür ist jedoch, dass sie einer solchen Erlaubnis nicht bedürfen, weil sie die HE im Rahmen der Hilfe zur Erziehung bzw. von Eingliederungshilfe aufgrund einer Vermittlung des Jugendamtes über Tag und Nacht aufgenommen haben (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII). Die Einzelheiten dazu ergeben sich aus dem zwischen der Klägerin und den Pflegeeltern geschlossenen Vertrag vom 07.01.2009 (Blatt 335 bis 339 Verwaltungsakte). Damit ist dem Erfordernis des § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB XII genügt.

Sachlich zuständig für die Leistung der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 3 SGB XII zugunsten der minderjährigen HE ist die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe. Bei der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie handelt es sich weder um eine stationäre noch eine teilstationäre Leistung in einer Einrichtung (vgl. § 97 SGB XII i.V.m. dem Nordrhein-Westfälischen Landesausführungsgesetz zum SGB XII und § 2 Nr. 1 der Ausführungsverordnung-NRW zum SGB XII).

2. Der Gleichartigkeit der Leistungen widerspricht nicht, dass im Sozialhilferecht – anders als im Jugendhilferecht in § 39 (oder auch § 37) SGB VIII – der Umfang der eingliederungsrechtlichen Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie nicht normiert ist. Diese Regelungslücke stellt sich als planwidrig dar. Dem Regelungszweck der Eingliederungshilfe, speziell der Hilfe für die Betreuung in Pflegefamilien gem. § 54 Abs. 3 SGB XII, entspricht es, die Regelungslücke durch eine analoge Anwendung der jugendhilferechtlichen Regelung des § 39 SGB VIII zu schließen. Ein solcher Analogieschluss ist mit Blick auf den Zweck der Hilfegewährung und die Interessenlage angezeigt. Der entsprechenden Anwendung des § 39 SGB VIII auf die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe gem. § 54 Abs. 3 SGB XII steht nicht entgegen, dass es sich bei Jugendhilfe und Sozialhilfe um zwei sozialrechtliche Hilfesysteme mit unterschiedlichen Aufgaben und Rechtsfolgen handelt. Denn diesen Strukturunterschieden kommt bei der Betreuung behinderter Kinder im Rahmen der Familienpflege keine entscheidende Bedeutung zu (BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 5 C 30/12).

3. Die planwidrige durch analoge Anwendung des § 39 SGB VIII zu schließende Lücke gilt nicht nur in Bezug auf die fehlende Regelung der Pflege und Erziehung (BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 5 C 30/12), sondern auch hinsichtlich der – vom BVerwG (a.a.O.) nicht entschiedenen – Aufwendungen für den Lebensunterhalt, das ist der Sachaufwand bzw. materielle Aufwand (VG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2014 – 13 A 4895/12). Den insoweit differenzierenden Urteilen des BVerwG vom 02.03.2006 (5 C 15/05) und des OVG NRW vom 03.09.2012 (12 A 1514/10) lag eine Rechtslage zugrunde, die es heute nicht mehr gibt. Erst seit 05.08.2009 sieht der neue § 54 Abs. 3 SGB XII vor, dass Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie auch Eingliederungshilfe ist. Diese Vorschrift gilt nicht nur für Neufälle, in denen die Hilfe erst nach dem 04.08.2009 einsetzt, sondern auch für schon vor dem 05.08.2009 begonnene und weiter laufende Hilfefälle, allerdings erst mit Wirkung ab dem 05.08.2009 (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.12.2012 – L 8 SO 20/09). § 54 Abs. 3 SGB XII ist eine weitgefasste Anspruchsnorm, aufgrund deren der Träger der Sozialhilfe zu allen Leistungen verpflichtet ist, deren das behinderte Kind bzw. der Jugendliche im Rahmen der Betreuung in einer Pflegefamilie bedarf (VG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2014 – 13 A 4895/12; ebenso: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.12.2012 – L 8 SO 20/09; SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 29.08.2013 – S 30 SO 179/12). Eine Aufspaltung der verschiedenen Kostenpositionen auf mehrere verschiedene Leistungsträger entspräche nicht der Interessenlage.

a) § 39 SGB VIII bestimmt in Abs. 1, dass bei u.a. Hilfe in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen sicherzustellen ist; dieser umfasst die Kosten für den Sachaufwand (materielle Aufwendungen) sowie die Kosten für die Pflege und Erziehung des Kindes. § 39 Abs. 3 SGB VIII ermöglicht die Gewährung einmaliger Beihilfe oder Zuschüsse (wie z.B. Weihnachts- und Ferienbeihilfen); in den Abs. 4 und 5 findet sich die Rechtsgrundlage für die landes- bzw. kommunalrechtlich festzusetzenden Pauschalbeträge; Abs. 6 bestimmt, in welchem Umfang der bei der Pflegeperson berücksichtigte Familienleistungsausgleich nach § 31 Einkommensteuergesetz (Kindergeld) anzurechnen ist. Eine entsprechende Anwendung des § 39 SGB VIII auf den Anspruch nach § 54 Abs. 3 SGB XII nur hinsichtlich der Kosten für die Pflege und Erziehung des Kindes und nicht auch bezüglich der anderen Kostenpostionen würde dazu führen, dass sich die Personensorgeberechtigten/Pflegeeltern bei der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie grundsätzlich mit zwei Leistungsträgern, möglicherweise – bei einer Delegation von Leistungspflichten des örtlichen Trägers der Sozialhilfe auf die untergeordneten Kommunen – sogar drei Leistungsträgern auseinandersetzen müssten. Wären die Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" gem. § 54 Abs. 3 SGB XII niedriger als die (gleichartigen) Leistungen nach dem SGB VIII, läge es nahe, dass die Hilfesuchenden zuerst und ausschließlich Leistungen nach dem SGB VIII bei dem – ggf. nachrangig verpflichteten – Jugendhilfeträger beantragen. Denn solange die beantragte Hilfe aussteht, können die Hilfesuchenden frei entscheiden, welche Leistungen und welchen Leistungsträger sie in Anspruch nehmen (VG Oldenburg, Urteil vom 27.05.2014 – 13 A 476/13 m.w.N.). Eine solche – verständliche – Vorgehensweise widerspräche aber dem Zweck des Gesetzes.

b) Die Regelungslücke hinsichtlich des Umfangs der Eingliederungshilfeleistungen gem. § 54 Abs. 3 SGB XII ist daher insgesamt durch eine analoge Anwendung der jugendhilferechtlichen Regelungen des § 39 SGB VIII zu schließen (ebenso: VG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2014 – 13 A 4895/12). Da die finanzielle Sicherstellung des Lebensunterhalts des Kindes außerhalb des Elternhauses keine selbstständige Aufgabe der Jugendhilfe, sondern eine Annexleistung im Rahmen der Hilfe zur Erziehung bei Vollzeitpflege ist (BVerwG, Beschluss vom 24.09.2007 – 5 B 154/07), teilt der Unterhaltsanspruch das Schicksal des Hauptanspruchs. Da der Gesetzgeber bei der Einführung des § 54 Abs. 3 SGB XII nicht geregelt hat, welche Haupt- oder Nebenleistungen Bestandteil der neuen Eingliederungshilfeleistung sind, führt der analoge Rückgriff auf § 39 SGB VIII dazu, dass der Anspruch nach § 54 Abs. 3 SGB XII auch die Kosten für den Lebensunterhalt und die einmaligen Beihilfen erfasst (so auch: SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 29.08.2013 – S 30 SO 179/12). Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichstellung der Hilfen für die Betreuung von seelisch und geistig/körperlich behinderten Kindern in Pflegefamilien (vgl. BT-Drucksache 16/13417, S. 6) wird nur erreicht, wenn auch die Eingliederungshilfe mit allen erforderlichen Leistungen "aus einer Hand" gewährt wird.

c) Darüber hinaus gehört zu den Leistungen der Eingliederungshilfe des § 54 Abs. 3 SGB XII in analoger Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auch die Beratung und Unterstützung der Pflegepersonen (z.B. Supervision). Denn wenn ein Anspruch auf Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie als Eingliederungshilfe besteht, umfasst dieser als vollumfänglicher Leistungsanspruch naheliegenderweise auch die notwendige Beratung und Unterstützung der Pflegepersonen (vgl. insoweit das Gutachten G 2/13 des "Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V." vom 18.12.2013 unter Ziffer 5).

d) Diese Auslegung im Sinne einer analogen Anwendung der nach Jugendhilferecht zu gewährenden Leistungen auf den Eingliederungshilfeanspruch nach § 54 Abs. 3 SGB XII wird auch der Regelung des § 104 Abs. 3 SGB X gerecht. Nach dieser Vorschrift richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, hier also nach den für die Beklagte geltenden Sozialhilferegelungen. Da solche aber – wie dargelegt – für die neue Eingliederungshilfeleistung "Hilfe für die Betreuung in Pflegefamilien" nach § 54 Abs. 3 SGB XII fehlen und die Regelungslücke durch analoge Anwendung der Jugendhilfevorschriften zu schließen ist, entspricht der Umfang des Erstattungsanspruchs der Klägerin dem Umfang der von ihr erbrachten Aufwendungen. Dementsprechend richtet sich auch die Anrechnung von Kindergeld (vgl. § 39 Abs. 6 SGB VIII) nach den Bestimmungen und Maßstäben des SGB VIII.

e) Ausweislich der vorliegenden Rechnungen des "Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen e.V." (VSE) und der entsprechenden Kostenaufstellungen der Klägerin hat diese im streitbefangenen Zeitraum für die Betreuung der HE in der Pflegefamilie Aufwendungen (1) für den notwendigen Unterhalt (§ 39 Abs. 1 SGB VIII), das sind die Kosten für den Sachaufwand (materielle Aufwendungen) sowie für die (Vollzeit-)Pflege und Erziehung abzüglich des anteiligen Betrages gem. § 39 Abs. 6 SGB VIII, (2) für einmalige Beihilfen (§ 39 Abs. 3 SGB VIII) und (3) für Betreuung und Beratung (§ 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) erbracht. Diese Aufwendungen belaufen sich für den streitigen Zeitraum von 24.02. 2011 bis 19.05.2015 (Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) auf 125.233,22 EUR und sind von der Beklagte zu erstatten.

2. Abschließend weist die Kammer auf Folgendes hin: Die Einführung des § 54 Abs. 3 SGB XII ist keineswegs mit der Intention erfolgt, alle Fälle von Kindern mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung, die in Pflegefamilien betreut werden, in die Zuständigkeit der Sozialhilfeträger zu überführen. Nur dann, wenn – wie im vorliegenden Fall der HE – ein sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfebedarf eines geistig und/oder körperlich behinderten Kindes gem. § 54 Abs. 3 SSGB XII tatsächlich besteht und die weiteren Leistungsvoraussetzungen dieses neuen Leistungstatbestandes erfüllt sind, begründet die Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII eine vorrangige Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zur "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" als Eingliederungshilfe. Dass dieser sozialhilferechtliche Eingliederungshilfebedarf sehr häufig vorkommen kann und bei geistig und/oder körperlich behinderten Kindern der vorrangige Anspruch nach § 54 Abs. 3 SGB XII eher die Regel als die Ausnahme ist, liegt allerdings auf der Hand und entspricht dann aber auch durchaus der Absicht des Gesetzgebers. Denn in der Gesetzesbegründung zu § 54 Abs. 3 SGB XII heißt es (BT-Drucksache 16/13417, S. 6): "Der neue Leistungstatbestand "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" stellt sicher, dass Leistungen der Eingliederungshilfe auch für die Betreuung körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher in einer Pflegefamilie gewährt werden. Damit wird erreicht, dass auch diese Möglichkeit als Alternative zur vollstationären Betreuung in Anspruch genommen wird, wenn dies dem Wohle des Kindes dient. Außerdem wird eine Gleichbehandlung mit seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen erreicht." Der Gesetzgeber hat erkannt, dass das SGB XII – anders als das SGB VIII – keine Regelung über die Vollzeitpflege in Pflegefamilien enthalten hatte. Dies führte in der Praxis dazu, "dass seelisch behinderte Kinder oftmals in Pflegefamilien aufgenommen werden, während körperlich und geistig behinderte Kinder in der Regel in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe betreut werden." (BT-Drucksache 16/13417, S. 6). Diesen Missstand wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des neuen Leistungstatbestandes der Eingliederungshilfe in Form der "Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie" zugunsten der geistig und/oder körperlich behinderten Kinder beseitigen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

4. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
Saved