S 7 KR 276/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 276/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten mit Bescheid vom 02. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 für die Zeit ab dem 11. Juli 2006 rechtswidrig ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab dem 01. Juli 2006.

Der 1976 geborene Kläger ist seit 1992 Mitglied einer privaten Krankenversicherung. Ausweislich des fortgeltenden Arbeitsvertrages vom 20. August 1996 ist er seit dem 21. August 1996 bei der B AG im Motorradwerk B als Montageschlosser unbefristet angestellt, deren Betriebskrankenkasse die Beklagte ist. Er ist dort in der Fertigung tätig, die in einem 3-Schichtbetrieb (Früh-, Spät- und Nachtschicht) gefahren wird. Der Kläger erzielte in der Vergangenheit eine Vergütung durchgehend oberhalb der für die Krankenversicherung maßgeblichen Jahresarbeitsentgeltgrenze. Die Jahresbruttovergütung setzt sich dabei zusammen aus einer monatlichen Grundvergütung, einer monatlich abgerechnete Zuschläge für geleistete Arbeitszeiten in der Spät- und Nachschicht sowie einmalig gezahltem Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie einer jeweils für das Vorjahr ausgeschütteten Erfolgsbeteiligung. Im Jahr 2008 erzielte er hierdurch eine Gesamtvergütung von brutto 51.728,93 Euro.

Im Mai 2009 gab die Arbeitgeberin des Klägers bekannt, das für die Jahre 2008 sowie 2009 keine Erfolgsbeteiligungen ausgekehrt werden würde und es daher zu Einkommensminderungen kommen würde. Mit Schreiben vom 02. Juni 2009 informierte sie den Kläger über den Eintritt in die Krankenversicherungspflicht für die Zeit ab dem 01. Juni 2009. Hiergegen richtet sich das als Widerspruch bezeichnete Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 10. Juni 2005.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 23. Juni 2009 an und stellte mit Bescheid vom 02. Juni 2009 den Eintritt in die Krankenversicherungspflicht zum 01. Juni 2009 fest. Aufgrund diverser Umstände käme es zu dauerhaften Gehaltsveränderungen bei den Mitarbeitern der B AG, nämlich durch Wegfall der Erfolgsprämie, einer Tariferhöhung zum 01. Mai 2009, der Minderung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts durch die Wiedereinführung der Pendlerpauschale und Arbeitszeitrückführungen. Die Auswirkungen der Kurzarbeit werden nicht in Betracht gezogen. Gegen die Berechnungen des zu erwartenden Jahreseinkommen seinen Zweifel angemeldet worden, insbesondere hinsichtlich der Zusammensetzung der Schichtzulagen, die Arbeitgeberin sei daher um Überprüfung gebeten worden. Das Jahresentgelt sei aber vorausschauend und nicht auf der Basis vergangenheitsbezogener Werte festzulegen. Da bei Mehrarbeitsvergütungen und Schichtzulagen die sichere Erwartbarkeit nur schwierig feststellbar sei, sind diese dem Jahresentgelt in der Regel nicht anzurechnen, es sei denn, es handele sich um regelmäßig gezahlte Pauschbeträge. Daher sei für die Beurteilung der Versicherungspflicht für die Zeit ab dem 01. Juni 2009 für den 3-Schichtbetrieb mit der entsprechenden Pauschale in Höhe von 0,60 EUR multipliziert mit der individuellen regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 152,25 Stunden in Höhe von 91,35 EUR monatlich, somit 1.096,20 EUR jährlich gerechnet worden. Mit dem laufenden Arbeitsentgelt und den zu erwartenden Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) sei daher mit einem Jahresentgelt von 48.087,09 EUR zurechnen gewesen. Hierbei sei ein Weihnachtsgeld von 120 % berücksichtigt worden, welches mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausgezahlt werden würde. Da die aktuelle Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) bei 48.600 EUR läge, sei der Eintritt in die Kranken- und Pflegeversicherung festzustellen.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 14. Juli 2009. Es bestehe wegen der jahrelangen Mitgliedschaft in einer privaten Krankenversicherung Bestandsschutz, der sich aus der Regelung des §§ 6 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 3 und 9 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) ergebe. Eine Unterschreitung der JAEG wegen einer dauerhaften Gehaltsänderung sei nicht nachvollziehbar. Seit 1992 werde eine jährliche Erfolgsbeteiligung mit dem Juli-Gehalt ausbezahlt, ein Tatbestand, der zum Wegfall oder zur Verringerung der Erfolgsbeteiligung führte, sei nicht ersichtlich, da hierzu weder eine einvernehmliche Regelung getroffen worden noch eine Änderungskündigung ausgesprochen sei. Ein Anspruch auf weitere Auszahlung einer Erfolgsbeteiligung ergebe sich daher unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung. Es müsse daher dem bisher ermittelten Jahresarbeitsentgelt ein weiterer Betrag in Höhe von 4.656,67 EUR hinzugefügt werden, den der Kläger als Mittel aus den Erfolgsprämien der letzten sechs Jahre ermittelt hatte. Der Widerspruchsführer sei auch von einer Arbeitszeitverkürzung nicht betroffen.

Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2009 zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihre zuvor vorgebrachten Ausführungen, und ergänzte, dass sich der Kläger für sein Begehren auch nicht auf Brandschutz stützen könne. Die Regelung des § 6 Abs. 9 SGB V reiche nur soweit, wie nicht ein anderer Tatbestand erfüllt sei, der zur Versicherungspflicht führe. Das sei hier der Fall, in dem der Kläger die JAEG unterschreite. Inwieweit die Streichung der Erfolgsprämie hingegen arbeitsrechtlich zulässig sei, müsse die Beklagte nicht prüfen.

Mit seiner vor dem Sozialgericht Potsdam am 02. November 2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Zur Begründung vertieft er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend verweist er auf den Umstand, dass in der Gehaltsabrechnung für den Monat Dezember 2009 unter Position 3a ein Jahreswert von 50.564,01 EUR ausgewiesen sei, die JAEG mithin auch im Jahre 2009 überschritten worden sei.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der Gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten mit Bescheid vom 02. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 für die Zeit ab dem 01. Juni 20009 rechtwidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

§ 6 Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 3 SGB V böten keinen Bestandsschutz. Die Krankenversicherungsfreiheit ende unmittelbar, wenn durch eine Verminderung der Arbeitsentgeltes eine Unterschreitung des JAEG eintritt. Dies sei mit der Bekanntgabe des Unternehmerbeschlusses zur Aussetzung der Prämienzahlung erfolgt. Maßgebend für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmern sei das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt. Hierzu gehören neben dem regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelt auch einmalig bezahlte Bezüge, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal im Jahr bezahlt werden. Der Kläger würde im Grundsatz die von der Beklagten zu Grunde gelegten Gehaltsdaten nicht anzweifeln (monatliches Bruttogehalt von 3.352,31 EUR, Sonderzahlung Urlaubsgeld in Höhe von 2.501,09 EUR; Sonderzahlung Weihnachtsgeld in Höhe von 3.943,00 EUR; Vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 319,08 EUR jährlich), lediglich die Schichtzulagen würden klägerseitig zu hoch angesetzt werden. Ein höherer Ansatz der Überstundenzulage (als von der Beklagten angesetzt) sei nicht zulässig, da es sich um unregelmäßige Entgeltbestandteile handele. Im Übrigen sei das Weihnachtsgelt (welches tatsächlich nur 3.449,23 EUR betragen hatte) zu Gunsten des Klägers zu hoch angesetzt worden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 02. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er unterliegt auch für die Zeit nach dem 01. Juni 2009 mit seiner abhängig ausgeübten Beschäftigung bei der B AG nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) in der hier anzuwendenden, ab 02. Februar 2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG, vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378, dort Art. 1 Nr. 3 Buchst. a; geändert m.W. vom 31. Dezember 2010 durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2309) sind in der GKV versicherungsfrei Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt, die JAEG nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt und in drei aufeinander folgenden Kalenderjahren überstiegen hat; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben unberücksichtigt. Die Ermittlung der dabei in Bezug genommenen Beträge des § 6 Abs. 6 SGB V ("allgemeine JAEG") sowie des § 6 Abs. 7 SGB V ("besondere JAEG",) wird in den genannten Regelungen näher umschrieben. Die besondere, und gegenüber der allgemeinen JAEG niedrigere JAEG nach § 6 Abs. 7 SGB, hier anzuwenden in der Fassung vom 26.3.2007, ist für Arbeiter und Angestellte heranzuziehen, die am 31. Dezember 2002 wegen Überschreitens der an diesem Tag geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert waren.

Der Kläger ist seit 1992 privat versichert. Seit dem 26. August 1996 unbefristet sozialversicherungspflichtig beschäftigt, überschreitet er seit dem jährlich die JAEG und erfüllt damit sämtliche Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten.

Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass die Ankündigung des Arbeitgebers des Klägers, Erfolgsprämien für die Jahre 2008 und 2009 nicht auszahlen zu wollen, eine Veränderung darstellt, die dem Grunde nach die Versicherungsfreiheit bei dem Kläger entfallen lassen kann. Dementsprechend unzutreffend meint der Kläger, seine Versicherungsfreiheit in der GKV ließe sich schon aus dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes nach § 6 Abs. 9 S 1 SGB V i.d.F. des GKV-WSG herleiten. Der Bestandsschutz für Arbeiter und Angestellte, die am 02. Februar 2007 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze privat krankenversichert waren, gilt danach ausschließlich für den Fall, dass die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen des Inkrafttretens verschärfter Voraussetzungen an diesem Tage entfallen wäre (BSG, Urteil vom 25. April 2012 – B 12 KR 10/10 R –, SozR 4-2500 § 6 Nr. 9.).

Nach § 6 Abs. 9 SGB V bleiben Arbeiter und Angestellte, die nicht die Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfüllen und die am 02. Februar 2007 wegen Überschreitens der JAEG bei einem privaten Krankenversicherungs-unternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert waren oder - vorliegend nicht einschlägig - die vor diesem Tag die Mitgliedschaft bei ihrer Krankenkasse gekündigt hatten, um in ein privates Krankenversicherungsunternehmen zu wechseln, versicherungsfrei, solange sie keinen anderen Tatbestand der Versicherungspflicht erfüllen. Denn § 6 Abs. 9 S 1 SGB V ist eine Übergangsregelung allein für die Fälle, in denen ohne diese Regelung am 02. Februar 2007 infolge der ab diesem Tage wirkenden Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch das GKV-WSG die Versicherungsfreiheit entfallen wäre. Auf den Eintritt von Versicherungspflicht zu einem späteren Zeitpunkt aus anderen Gründen ist § 6 Abs. 9 S 1 SGB V von vornherein nicht anwendbar (siehe BSG a.a.O. mit eingehender Begründung). Hier ist demgemäß ein Bestandsschutz nicht anzunehmen, weil ein anderer Tatbestand im Sinne der § 6 Abs. 9 SGB V eingetreten ist, nämlich die Reduzierung des voraussichtlich zu erzielenden Jahresarbeitsentgelts des Klägers um den Betrag in Höhe der jährlich ausgekehrten Erfolgsprämie. Als ändernde Ereignisse werden seitens der Beklagten Tariferhöhungen zum 01. Mai 2009 und die sich mindernd auf das sozialversicherungspflichtige Entgelt auswirkende Wiedereinführung der Pendlerpauschale angeführt, wobei die Beteiligten sich darüber einig sind, diese keiner näheren Betrachtung bedürfen. Das Ausbleiben der jährlich gezahlten Erfolgsprämie, wie auch die anderen angeführten Ereignisse, führen aber entgegen der Auflassung der Beklagten nicht zu einem die Versicherungspflicht in der GKV begründenden anderen Tatbestand, der hier nur in der Unterschreitung der JAEG liegen kann. Denn auch bei in Abzug gebrachter Erfolgsprämie wird der maßgebliche Wert der JAEG nicht unterschritten.

Die JAEG betrug im Jahr nach § 6 Abs. 6 SGB V p.a. nach § § 6 Abs. 7 SGB V p.a. 2008 48.150 EUR 43.200 EUR 2009 48.600 EUR 44.100 EUR 2010 49.950 EUR 45.000 EUR

Die Beklagte hat unzutreffend die JAEG nach § 6 Abs. 6 herangezogen. Für den Kläger sind vielmehr die Voraussetzungen des § 6 Abs. 7 SGB V erfüllt und damit die besondere JAEG heranzuziehen. Denn der Kläger war an dem dort normierten Stichtag des 31. Dezembers 2002 bereits privat krankenversichert, so dass sich die JAEG nicht nach dem Wert des § 6 Abs. 6 SGB V weiterentwickelt hat, sondern dem niedrigeren, vor dem 01. Januar 2003 geltenden Wert. Dieser Bestandsschutz war notwendig geworden, weil die Jahresarbeitsentgeltgrenze zum 01. Januar 2003 erheblich angehoben wurde, von 40.500 EUR im Jahr 2002 auf 45.900 EUR im Jahr 2003. Dementsprechend normiert § 6 Abs. 7 SGB V in der maßgeblichen Fassung eine für das Jahr 2003 geltende JAEG von lediglich 41.400 EUR als Ausgangswert, der hier auch für den Kläger maßgeblich ist. Der Kläger war auch bei einer substitutiven Krankenversicherung versichert, was auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht.

Demgemäß hätte die Beklagte ihren Berechnungen die für das Jahr 2009 maßgebliche besondere JAEG in Höhe von 44.100,00 EUR zu Grunde legen müssen. Die Beklagte ist bei ihren Feststellungen von einem voraussichtlich erzielten Jahresarbeitsentgelt von 48.087,09 EUR ausgegangen, einem Wert also, der die besondere JAEG ohne weiteres übersteigt.

Unabhängig davon hat die Beklagte das zu erwartende Jahresarbeitsentgelt hinsichtlich der Schichtzuschläge auch zu Lasten des Klägers zu niedrig angesetzt. Tatsächlich hat der Kläger die für das Jahr 2009 geltende allgemeine JAEG überschritten. Dies war, was hier allein entscheidend ist, auch zum Zeitpunkt der Beurteilung der Versicherungsfreiheit des Klägers durch die Beklagte im Mai 2009 vorhersehbar.

Zutreffend geht die Beklagte zunächst davon aus, dass für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit eine vorausschauende Betrachtung des zu erwartenden Jahresarbeitsentgelts vorzunehmen war. Bei der vorausschauenden Betrachtung werden alle Entgelte zusammengerechnet, die im Laufe des nächsten Jahres voraussichtlich gezahlt werden. Für Einmalzahlungen gilt das allerdings nur, wenn diese mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich gezahlt werden.

Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte richtigerweise die Zahlung einer Erfolgsprämie außer Acht gelassen, nachdem die Unternehmensführung der B AG das Ausbleiben solcher Zahlungen verkündet hatte. Unerheblich ist dabei die arbeitsrechtliche Einordnung der Zahlung selbst wie auch ihrer Aussetzung, da die Beklagte davon ausgehen durfte, dass ein Entgelt aus diesem Gesichtspunkt im Beurteilungszeitraum nicht zufließen würde. Die Kammer musste sich daher mit den aufgeworfenen kollektivrechtlichen Fragen des Arbeitsrechts auch inzidenter nicht beschäftigen.

Die Beklagte hat aber die zu erwartenden Zahlungen aus Schichtzulagen zu niedrig angesetzt. Dabei geht sie unzutreffend davon aus, dass es sich um unregelmäßige Zulagen handelt, deren Erzielung nicht vorhersehbar sei. In der Sache geht die Beklagte entweder davon aus, dass diese Zulagen für Überstunden geleistet werden, oder aber mit Überstunden gleichzusetzten seien. Der Kläger hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, dass in dem Werk und der Abteilung, in der er tätig ist, durchgehend in drei Schichten gearbeitet wird. Dabei kommt es von Woche zu Woche zu einem Wechsel in der Früh-, Spät- oder Nachtschicht. Schichtzulagen werden in einem solchen System aber zu regelmäßigen Entgeltanteilen, weil die beschäftigten Arbeitnehmer regelmäßig und durchgehend Spät- und Nachtschichten fahren, nämlich jeweils alle drei Wochen. Entsprechend sind hierfür geleistete Zulagen vollständig vorhersehbar. Die Berechnung der Beklagten setzt demgegenüber einen viel zu geringen Wert an, wie letztlich auch das tatsächlich im Jahr 2009 erzielte Jahresentgelt des Klägers bestätigt. So betrugen im Jahr 2009 die sog. Zeitbezüge, bestehend aus Schichtzulagen für jeweils die 2. und 3. Schicht sowie eine jeweilige weitere Spät- und Nachtschichtzulage von 12 % resp. 15 % ausweislich der zu den Aktengereichten Entgeltunterlagen für den Monat Betrag für Arbeitsstunden im Monat Januar 318,00 EUR 86,0 h Februar 310,92 EUR 83,5 h März 304,77 EUR 80,0 h April 404,00 EUR 132,0 h Mai 265,52 EUR 71,0 h Juni 259,21 EUR 71,0 h Juli 476,63 EUR 104,0 h August 199,43 EUR 58 ,0 h September 73,32 EUR 16,0 h Oktober 469,84 EUR 120 h November 233,76 EUR 56,0 h Dezember 481,30 EUR 120 h Gesamt: 3.796,70 EUR

Ein Vergleich mit den Werten aus dem Jahr 2008, die die Kammer den ebenfalls zur Gerichtsakte gereichten Entgeltunterlagen für dieses Jahr entnehmen konnte, ergibt keine wesentlichen Veränderungen der Zeitbezüge zwischen beiden Jahren. Die Beklagte konnte demnach bei prospektiver Betrachtungsweise den Werten aus dem Jahr 2008 wie auch aus den bereits abgerechneten Monaten des Jahres 2009 entnehmen, dass es sich bei den Zeitbezügen um keine unregelmäßigen Zahlungen handelt. Sofern die Beklagte davon ausgegangen ist, für den 3-Schichtbetrieb Pauschale lediglich in Höhe von 0,60 EUR für 152,25 h der individuellen regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit in Höhe von jährlich 1 096,20 EUR dem übrigen Jahresentgelt hinzurechnen zu müssen, entbehrt dies jeglicher Grundlage. Die Abrechnungsunterlagen der Jahre 2008 und 2009 machen deutlich, dass ein regelmäßiger Einsatz des Klägers in der 2. und 3. Schicht vorgesehen und auch erfolgt ist, dass die sich hieraus ableitenden Zeitbezüge einen nicht unerheblichen Anteil am Gesamtbrutto ausmachen und trotz schwankender Werte im Einzelnen einen berechenbaren und damit berücksichtungsfähigen Wert abgeben.

Dem steht eine schwankende Höhe in den einzelnen Monaten nicht entgegen. Es mag bei prospektiver Betrachtung zwar Schwierigkeiten bereiten, die exakte Höhe der Zeitbezüge vorherzusagen, jedoch kann die Beklagte nicht schlüssig erklären, wie sie den bedeutsamen Unterschied ihrer Berechnung der Zuschläge und den tatsächlichen gezahlten Zuschlägen von 2.700,50 EUR (3.796,70 - 1.096,20) rechtfertigen kann. Bringt man nämlich einen der Monate mit niedrigeren Zweitbezügen (hier August 2009 mit lediglich 199,43 EUR) in Ansatz, ergäben die hochgerechneten Zeitbezügen einen Anteil am zu erwartenden Jahresentgelt in Höhe von 2.393,16 EUR, was unter zu Grundlegung der übrigen von der Beklagten herangezogenen Parameter ohne Weiteres zu einer Überschreitung auch der allgemeinen JAEG geführt hätte. Angesichts dieser beschriebenen Diskrepanz hätte die Beklagte Gründe anführen müssen, warum sie hiervon ausgehen durfte.

Der insoweit vorgetragene Hinweis der Beklagten auf die Zulieferung relevanten Datenmaterials durch die Personalabteilung der B AG ist hierfür unzureichend. Sie ist nämlich Herrin des Ermittlungsverfahrens und ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen, § 20 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch des Sozialgerichtsbuches (SGB X). Sie hat dabei alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten begünstigenden Umstände zu berücksichtigen, § 20 Abs. 2 SGB X. So hätte die Beklagte die Lohnjournale des Klägers einholen müssen um in eigener Verantwortung das voraussichtliche Jahresentgelt des Klägers zu ermitteln. Zwar ist bei der Ermittlung des zukünftigen Jahresentgelts eine Betrachtung vergangener Jahresentgelte nicht zwingend. Jedoch entspricht es einer gängigen Vorgehensweise für Beurteilungen für die Zukunft in einem ersten Schritt den status qou zu analysieren, hier Höhe und Struktur vergangener Entgeltleistungen, um so dann in einem zweiten Schritt die Umstände heraus zu arbeiten, die Veränderungen erwarten lassen. Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte allein von Berechnungen der Personalabteilung der B AG leiten lassen und diese übernommen, was ihr vor dem auch im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren geltenden Ermittlungsgrundsatz nunmehr der Gestalt zu Last fallen muss, dass sie sich auf mangelhafte Zuarbeit durch Dritte zur Begründung der Rechtmäßigkeit ihres Verwaltungshandeln nicht berufen kann.

Der Beklagte kommt auch nicht die von ihr nicht in Anspruch genommene Überlegung zu Gute, dass eine Arbeitszeitverkürzung das zu erwartende Jahresarbeitsentgelt unter die Grenze der allgemeinen JAEG verkürzen könnte. Zunächst hat die Beklagte hierzu nichts vorgelegt oder vorgetragen, noch ist dergleichen der Kammer bekannt geworden, was die Beklagte zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sicher hätte davon ausgehen lassen können. Anders als bei der ausgesetzten Erfolgsprämie hat es hierzu verbindliche Unternehmensentscheidungen nämlich nicht gegeben. Tatsächlich hat der Kläger vorgetragen, und belegen dies auch die zur Gerichtsakte gereichten Entgeltjournale, dass eine solche Arbeitszeitverkürzung auch während der Krise des Jahres 2009, in seiner Abteilung nicht stattgefunden haben.

Insgesamt also war für die Beklagte auch zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides erkennbar, dass im Zusammenwirken mit den für die Zeit ab dem 01. Mai 2009 geltenden Tariferhöhungen die wegfallende Erfolgsprämie, als der letztlich einzigen Veränderung als neu hinzutretender Tatbestand für die Neubeurteilung der Versicherungsfreiheit, dem Überschreiten auch der allgemeinen JAEG für das Jahr 2009 nicht entgegenstand.

Der Klage war damit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung:

Diese Entscheidung kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6 14482 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Potsdam Rubensstraße 8 14467 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats, nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Potsdam schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg" in das elektronische Gerichtspostfach des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.

Graf von Pfeil
Rechtskraft
Aus
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