Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 34 AS 1112/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 256/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) haben.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der am ... 1993 geborene Antragsteller zu 1. und die am ... 1999 geborene Antragstellerin zu 2. leben als nicht verheiratetes Paar zusammen; die am ... 2013 geborene Antragstellerin zu 3. ist das gemeinsame Kinder der Vorgenannten. Der Antragsteller zu 1. ist nach seinen Angaben im Juli 2013 nach Deutschland eingereist. Nach den Angaben in der Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamts der Stadt H. ist er am 26. August 2014 mit in die Wohnung seiner schon in H. lebenden Eltern gezogen. Die Antragstellerin zu 2. ist nach den Angaben in der Anmeldebestätigung mit der Antragstellerin zu 3. am 15. Oktober 2013 dann ebenfalls aus Rumänien kommend in die Wohnung der Familie des Antragstellers zu 1. eingezogen.
Am 1. November 2013 stellten die Antragsteller beim Antragsgegner erstmals Anträge auf die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach Ablehnung der Anträge führten die Antragsteller einstweilige Rechtsschutzverfahren. Der Senat verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 14. Juli 2014 (L 2 AS 288/14 B ER), den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 26. Mai bis zum 31. Oktober 2014 zu gewähren. Das Sozialgericht Halle (SG) sprach in einem weiteren Verfahren eine entsprechende Verpflichtung für die Zeit vom 1. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 aus (S 29 AS 4710/14 ER). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die den Beteiligten bekannten Beschlüsse Bezug genommen. Eine Weiterbewilligung für die Zeit ab dem 1. Februar 2015 lehnte der Antragsgegner unter Berufung auf den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab.
Die Antragsteller haben am 27. März 2015 beim SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, ihnen "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen". Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Ablehnung von Leistungen ihnen gegenüber finde keine rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Antragsteller zu 1. und 2. hielten sich nicht ausschließlich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf, sondern seien zur Familienzusammenführung eingereist. Es bestünden auch erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 8. April 2015 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller zu 1. sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Diese Regelung sei auch mit dem Europäischen Recht vereinbar. Auch die anderen Antragsteller hätten keine Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigtem 23. April 2015 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 23. April 2015 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat ihr Verfahrensbevollmächtigter vorgetragen: Es beständen erheblich Zweifel an der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Recht. Schon weil eine abschließende Beurteilung im Eilverfahren nicht möglich sei, müsse im Rahmen einer Folgenabwägung entscheiden werden. Diese falle zugunsten der Antragsteller aus. Selbst wenn Rumänien die Europäische Sozialcharta ratifiziert habe, sei eine wirkliche Umsetzung durch entsprechende, existenzsichernde Regelungen im nationalen Recht nicht gelungen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 8. April 2015 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 27. März 2015 (Eingang des einstweiligen Rechtsschutzantrags) bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu erbringen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er meint, im konkreten Fall greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die in Kopie übersandten Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des SG Halle ist gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist im Hinblick auf den Umfang der begehrten, vom Antragsgegner insgesamt abgelehnten Leistungserbringung nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Der Erlass der von den Antragstellern begehrten vorläufigen Anordnung beurteilt sich nach § 86b Abs. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist das Begehren der Antragsteller als auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteter Antrag statthaft, weil in der Hauptsache keine reine Anfechtungsklage zu erheben war. Das Begehren der Antragsteller ist auf die Gewährung von Leistungen gerichtet, so dass statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG ist. Das Gericht der Hauptsache kann in diesem Fall gemäß § 86b Abs. 2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, weil sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei gelten nach § 86b Abs. 23 Satz 4 SGG die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO.
Im konkreten Fall haben die Antragsteller die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Nach ihrem glaubhaften Vortrag verfügen sie über keine Einkünfte und kein Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts.
Die Antragsteller können sich aber nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen.
Es ist zwar überwiegend wahrscheinlich, dass bezogen auf den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II für die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) vorliegen. Damit wäre dann auch nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II der Anspruch der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerin zu 3. auf Sozialgeld grundsätzlich gegeben. Die Antragsteller zu 1. und 2. und damit auch die Antragstellerin zu 3. sind aber von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, an der Erwerbsfähigkeit und der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu 1. und der Antragstellerin zu 2. zu zweifeln. Die Antragsteller haben auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) gesetzlich definiert. Nach dieser Vorschrift hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18). Der Aufenthalt der Antragsteller ist solange zukunftsoffen, wie nicht bestandskräftig oder durch eine für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde festgestellt worden ist, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr besteht oder die Antragsteller freiwillig ihre Ausreise planen. Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor.
Der Senat beurteilt es aber als überwiegend wahrscheinlich, dass bezogen auf den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. und damit auch für ihre Tochter die Antragstellerin zu 3. ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegt. Wenn in diesen Sinne kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist bzw. ein solcher aus Rechtsgründen zu verneinen ist, ist keine weitere Interessenabwägung geboten.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörige vom Leistungsanspruch ausgenommen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Weil diese Vorschrift darauf abstellt, dass sich das Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, werden davon nicht Bürger der Europäischen Union erfasst, bei denen noch ein weiterer Grund für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vorliegt (Spellbrink/G. Becker in Eicher, Komm. zum SGB II, 3. Auflage, § 7 Rdnr. 43). Von einem solchen weiteren Grund ist der Senat bezogen auf den Antragsteller zu 1. noch in seinem Beschluss vom 14. Juli 2014 (L 2 AS 288/14 B ER) ausgegangen und hat dabei auf § 2 Nr. 5 FreizügG/EU abgestellt. Danach haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des Gesetzes. Der Begriff der Familienangehörigen wird näher im § 3 FreizügG/EU definiert. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU sind dies der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten und Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind. Diese Vorschrift kann für den Antragsteller zu 1. nunmehr nach Vollendung des 21. Lebensjahrs 24. November 2014 keine Anwendung mehr finden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller zu 1. im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen einer anderen Regelung des FreizügG/EU erfüllten könnte, aus der sich eine Freizügigkeitsberechtigung ableiten ließe. Entsprechendes gilt für die Antragstellerin zu 2., die sich von vornherein nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach §§ 3. und 4 FreizügG/EU berufen konnte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich für die Antragsteller ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ergeben könnte.
Somit verbleiben für den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. nur das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche bzw. das Aufenthaltsrecht, welches aus der Freizügigkeitsvermutung resultiert und das Aufenthaltsrecht bis zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit begründet. Für eine solche Konstellation hält der Senat an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss gegeben sind, wenn es sich bei den Betroffenen um Personen handelt, die als Arbeitsuchende oder Arbeitsuchender Leistungen nach dem SGB II beantragt haben und bei denen nicht ersichtlich ist, dass sich die das Aufenthaltsrecht vermittelnde Freizügigkeitsberechtigung aus anderen Gründen ergeben könnte, als aus § 2 Abs.1 Ziffer 1a FreizügG/EU (siehe dazu Beschluss des Senats vom 3. Februar 2015 – L 2 AS 16/15 B ER, veröffentlich in juris, mit weiteren Nachweisen). Ein anderes Verständnis des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, wonach das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch tatsächlich (noch) zustehen muss, würde zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen führen. Es würden dann Ausländer, die über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen, von den Leistungen ausgeschlossen. Demgegenüber würden Ausländer, welche nicht einmal über ein solches Aufenthaltsrecht verfügen, obwohl sie grundsätzlich als Arbeitsuchende Leistungen nach dem SGB II beantragen, diese Leistungen beanspruchen könnten. Besonders deutlich zeigt sich die Systemwidrigkeit einer solchen Interpretation an folgendem Beispiel: Ein Ausländer, der zu Arbeitsuche eingereist ist und nach Arbeit sucht, könnte sich während der ersten sechs Monate seines Aufenthaltes nach der Neufassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU auf ein Aufenthaltsrecht berufen, würde aber von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sein. Ab dem siebten Monat (wenn er nicht eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden) würde er sein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verlieren. Somit würde er dann aber einem streng an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU gekoppeltem Leistungsausschluss nicht mehr unterliegen und könnte nunmehr SGB II-Leistungen erhalten. Damit würde das erkennbare Ziel der Ausschlussreglung im SGB II, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern", konterkariert.
Eine Bestimmung des Kreises der von der Leistungsberechtigung ausgeschlossenen Ausländerinnen und Ausländer im oben bezeichneten Sinne entspricht auch der Intention der Ausschlussvorschrift und erfasst vergleichbare Personengruppen. In beiden Fällen geht es um erwerbsfähige und damit dem System des SGB II unterfallende EU-Ausländer, die sich als Unionsbürger auf ihr Freizügigkeitsrecht als Marktbürger berufen. Auch der EU-Ausländer, bei dem die Ausländerbehörde das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechtes nicht festgestellt hat, verfügt über ein Aufenthaltsrecht und wird damit dem Schutzbereich der Freizügigkeit zugeordnet und hält sich formal erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ausreisepflichtig wird er erst, wenn die Ausländerbehörde tätig wird. Solange die Ausländerbehörde nicht tätig wird, muss also für ihn genauso wie bei denjenigen, die sich auf die Freizügigkeitsberechtigung beim Aufenthalt zur Arbeitsuche berufen können, entschieden werden, ob er einen Anspruch aus dem Sozialsystem erlangen soll oder nicht. Ebenso wie bei dem Unionsbürger, dessen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besteht, ist sein Aufenthaltsrecht Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes für Unionsbürger und beruht auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung bei Unionsbürgern.
Diese vom Senat für richtig gehaltene Auslegung entspricht auch dem aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung deutlich gewordenen, mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfolgten Zweck. Danach greift der betreffende Ausschluss der Leistungsberechtigung nicht, wenn ein anderer Grund nach § 2 FreizügG/EU vorliegt (BT Drs. 16/688 S. 13). In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach Deutschland einreisen". Es soll damit eine Regelung getroffen werden für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche.
Der Leistungsausschluss im SGB II für Unionsbürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht besitzen als das aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU abgeleitete ist auch nicht europarechtswidrig. Er führt zwar dazu, dass Ausländerinnen und Ausländer anders behandelt werden, als die deutschen Staatsangehörigen, weil sie anders als diese keine SGB II-Leistungen beanspruchen können. Dies begründet aber nicht ausnahmslos einen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 11. November 2014 - C 333/13 in der Sache Dano (zitiert nach juris) entschieden, dass Unionsbürger, die kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmestaat nach der Richtlinie 2004/38 geltend machen können, sich schon nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie berufen können (so dass die Ausnahme nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie schon gar nicht geprüft werden muss). Eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen könne nur verlangt werden, wenn ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38 bestehe. Art. 7 der Richtlinie 2004/38, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht nur haben, wenn sie sich selbst unterhalten können, solle nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. So ist als Ziel der Richtlinie im zehnten Erwägungsgrund genannt, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern.
Der EUGH hat sich in dem oben genannten Rechtsfall nicht zu der Frage geäußert, ob dies auch gilt, wenn dem Staatsangehörigen als Arbeitsuchenden ein Aufenthaltsrecht zusteht. Aber auch in solchen Fällen ist aber nach Auffassung des Senats nicht ohne weitere Prüfung von einer Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auszugehen. Auch wenn dazu noch keine Entscheidung des EUGH vorliegt, ist die Rechtsfrage nach Auffassung des Senats insoweit mit hinreichender Sicherheit geklärt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dazu in seinem Vorlagebeschuss an den Europäischen Gerichtshof vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R, juris, in Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob ein ausnahmsloser Ausschluss von Sozialleistungen möglich sei und klärungsbedürftig, ob eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Ausschlussregelung erfordere, dass besondere Umstände im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu berücksichtigen seien. Insoweit erscheine es insbesondere klärungsbedürftig, ob eine nach einer Arbeitsuche von mehr als drei bzw. sechs Monaten dennoch bestehende Verbindung zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bzw. eine sonstige tatsächlichen Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat zu berücksichtigen seien (BSG, a. a. O., Rn. 48). Der Generalanwalt Wathelet kommt in seinen Schlussanträgen vom 26. März 2015 in der Vorlagesache zu der Einschätzung, dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sei, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Richtlinie 1244/2010 geänderten Fassung, die auch eine Leistung der "Sozialhilfe" im Sinne der Richtlinie 2004/38 darstellen, automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten. Zudem ist er der Ansicht, dass Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union grundsätzlich zustehen könne, ohne dass dieses Recht davon abhängig sei, dass sie über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz in diesem Staat verfügen (Schlussanträge vom 26. März 20156; Alimanovic; Rechtssache C-67/14; Generalsanwalt Wathelet, zitiert nach juris, Rn. 126). Entscheidend ist somit, dass zumindest ein Mitglied der Familie der Staatsangehörigen des Mitgliedsstaats im Aufnahmemitgliedsstaat, hier also der Bundesrepublik Deutschland, "in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten ist", also entweder gearbeitet hat oder arbeitet. Ist dies nicht der Fall, so ist der Leistungsausschluss europarechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hält diese Differenzierung für überzeugend und sachgerecht und legt sie der rechtlichen Beurteilung zugrunde. Daraus folgt, dass dann, wenn eine Nähe zum Arbeitsmarkt im dargestellten Sinne nicht festzustellen ist, eine Kollision der Ausschlussklausel im nationalen Recht mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vorliegt. Die Ausschlussklausel ist auch nicht deshalb unanwendbar, weil in anderen Fällen eine Kollision mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vorliegen kann. Das Recht der Europäischen Union entfaltet nur im Kollisionsfall einen verdrängenden Geltungsvorrang. Es führt nicht zur Nichtigkeit des nationalen Rechts (so das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06, zitiert nach juris, Rn. 53 ff.).
Im konkreten Fall ergibt sich weder aus dem Vortrag der Antragsteller noch der beigezogenen Verwaltungsakte, dass die Antragsteller zu 1. und 2. seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland jemals einer Arbeit nachgegangen sind oder dass sie mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit suchten oder suchen. Es steht für den Senat daher fest, dass sie nicht im oben bezeichneten Sinne in den Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind. Auch sonst haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, besondere Verbindungen in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut zu haben. Die Antragstellerin zu 3. geht hier noch nicht zu Schule. Insgesamt bestehen nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall keine eurorechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss im § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Die Antragsteller können zur Deckung ihres menschenwürdigen Existenzminimums auch nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) zurückgreifen, weshalb eine Beiladung des Sozialhilfeträgers unterbleiben konnte. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 21 SGB XII, wonach Personen, die nach dem SGB II als Erwerbstätige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Dies gilt selbst dann, wenn die gesonderte Regelung für Ausländer in § 23 SGB XII so verstanden wird, dass hiermit eine eigenständige Regelung zur Eingrenzung von Ansprüchen dieser Personengruppe geschaffen wurde. Denn jedenfalls ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ein Anspruch für die Gruppe gleichermaßen ausgeschlossen, wenn es dort heißt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe." Der Gesetzgeber hat sich mit der Einfügung des § 23 Abs. 3 Satz 1 XII dafür entschieden, Versuche, den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch Rückgriff auf § 23 SGB XII zu umgehen, zu unterbinden (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Stand Einzellieferung VII/12; anders vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Oktober 2012 - 19 AS 1393/12 B ER ua - juris, Rn. 71 m.w.N.).
Der Senat brauchte nicht darüber zu entscheiden, ob der Ausschlusstatbestand auch für Unionsbürger auf die Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens anzuwenden ist, Anwendung findet (hierzu LSG Hamburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014 – L 4 AS 444/14 B – zitiert nach juris). Denn die Republik Rumänien hat dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert.
Die Antragsteller können einen Leistungsanspruch solange sie noch in der Bundesrepublik Deutschland leben auch nicht aus dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Grundgesetz (GG) herleiten (anders noch der Senat im Beschluss vom 1. November 2013 – L 2 AS 841/13 B ER – zitiert nach juris). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und diese in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 - juris, Rn. 63). Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass Unionsbürger ihren Existenzsicherungsanspruch auch in ihrem Herkunftsland geltend machen können, da in der EU gewisse soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Art. 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 verpflichten sich die Vertragsparteien sicherzustellen, dass jedem der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung gewährt wird. Die Republik Rumänien hat dieses Abkommen und diesen Artikel am 7. Mai 1999 ratifiziert. Die Antragsteller haben damit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen innerhalb der EU.
Einen Anspruch darauf, ihre existenzsichernden Leistungen in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erhalten zu müssen, besteht nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 4. Februar 2015 – L 2 AS 14/15 B ER). Auch darauf, ob die nationale Umsetzung im Herkunftsstaat eine Sicherung entsprechend dem Standard in der Bundesrepublik Deutschland garantiert, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an. Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, noch ist sonst bekannt, dass Hilfebedürftige in Rumänien in ihrer Existenz bedroht sind. Es ist zudem auch nicht mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Antragsteller in ihrem Herkunftsland auf Sozialleistungen angewiesen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar, § 177 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) haben.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der am ... 1993 geborene Antragsteller zu 1. und die am ... 1999 geborene Antragstellerin zu 2. leben als nicht verheiratetes Paar zusammen; die am ... 2013 geborene Antragstellerin zu 3. ist das gemeinsame Kinder der Vorgenannten. Der Antragsteller zu 1. ist nach seinen Angaben im Juli 2013 nach Deutschland eingereist. Nach den Angaben in der Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamts der Stadt H. ist er am 26. August 2014 mit in die Wohnung seiner schon in H. lebenden Eltern gezogen. Die Antragstellerin zu 2. ist nach den Angaben in der Anmeldebestätigung mit der Antragstellerin zu 3. am 15. Oktober 2013 dann ebenfalls aus Rumänien kommend in die Wohnung der Familie des Antragstellers zu 1. eingezogen.
Am 1. November 2013 stellten die Antragsteller beim Antragsgegner erstmals Anträge auf die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach Ablehnung der Anträge führten die Antragsteller einstweilige Rechtsschutzverfahren. Der Senat verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 14. Juli 2014 (L 2 AS 288/14 B ER), den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 26. Mai bis zum 31. Oktober 2014 zu gewähren. Das Sozialgericht Halle (SG) sprach in einem weiteren Verfahren eine entsprechende Verpflichtung für die Zeit vom 1. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 aus (S 29 AS 4710/14 ER). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die den Beteiligten bekannten Beschlüsse Bezug genommen. Eine Weiterbewilligung für die Zeit ab dem 1. Februar 2015 lehnte der Antragsgegner unter Berufung auf den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab.
Die Antragsteller haben am 27. März 2015 beim SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, ihnen "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen". Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Ablehnung von Leistungen ihnen gegenüber finde keine rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Antragsteller zu 1. und 2. hielten sich nicht ausschließlich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf, sondern seien zur Familienzusammenführung eingereist. Es bestünden auch erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 8. April 2015 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller zu 1. sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Diese Regelung sei auch mit dem Europäischen Recht vereinbar. Auch die anderen Antragsteller hätten keine Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigtem 23. April 2015 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 23. April 2015 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat ihr Verfahrensbevollmächtigter vorgetragen: Es beständen erheblich Zweifel an der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Recht. Schon weil eine abschließende Beurteilung im Eilverfahren nicht möglich sei, müsse im Rahmen einer Folgenabwägung entscheiden werden. Diese falle zugunsten der Antragsteller aus. Selbst wenn Rumänien die Europäische Sozialcharta ratifiziert habe, sei eine wirkliche Umsetzung durch entsprechende, existenzsichernde Regelungen im nationalen Recht nicht gelungen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 8. April 2015 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 27. März 2015 (Eingang des einstweiligen Rechtsschutzantrags) bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu erbringen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er meint, im konkreten Fall greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die in Kopie übersandten Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des SG Halle ist gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist im Hinblick auf den Umfang der begehrten, vom Antragsgegner insgesamt abgelehnten Leistungserbringung nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Der Erlass der von den Antragstellern begehrten vorläufigen Anordnung beurteilt sich nach § 86b Abs. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist das Begehren der Antragsteller als auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteter Antrag statthaft, weil in der Hauptsache keine reine Anfechtungsklage zu erheben war. Das Begehren der Antragsteller ist auf die Gewährung von Leistungen gerichtet, so dass statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG ist. Das Gericht der Hauptsache kann in diesem Fall gemäß § 86b Abs. 2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, weil sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei gelten nach § 86b Abs. 23 Satz 4 SGG die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO.
Im konkreten Fall haben die Antragsteller die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Nach ihrem glaubhaften Vortrag verfügen sie über keine Einkünfte und kein Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts.
Die Antragsteller können sich aber nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen.
Es ist zwar überwiegend wahrscheinlich, dass bezogen auf den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II für die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) vorliegen. Damit wäre dann auch nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II der Anspruch der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerin zu 3. auf Sozialgeld grundsätzlich gegeben. Die Antragsteller zu 1. und 2. und damit auch die Antragstellerin zu 3. sind aber von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, an der Erwerbsfähigkeit und der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu 1. und der Antragstellerin zu 2. zu zweifeln. Die Antragsteller haben auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) gesetzlich definiert. Nach dieser Vorschrift hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18). Der Aufenthalt der Antragsteller ist solange zukunftsoffen, wie nicht bestandskräftig oder durch eine für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde festgestellt worden ist, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr besteht oder die Antragsteller freiwillig ihre Ausreise planen. Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor.
Der Senat beurteilt es aber als überwiegend wahrscheinlich, dass bezogen auf den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. und damit auch für ihre Tochter die Antragstellerin zu 3. ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegt. Wenn in diesen Sinne kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist bzw. ein solcher aus Rechtsgründen zu verneinen ist, ist keine weitere Interessenabwägung geboten.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörige vom Leistungsanspruch ausgenommen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Weil diese Vorschrift darauf abstellt, dass sich das Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, werden davon nicht Bürger der Europäischen Union erfasst, bei denen noch ein weiterer Grund für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vorliegt (Spellbrink/G. Becker in Eicher, Komm. zum SGB II, 3. Auflage, § 7 Rdnr. 43). Von einem solchen weiteren Grund ist der Senat bezogen auf den Antragsteller zu 1. noch in seinem Beschluss vom 14. Juli 2014 (L 2 AS 288/14 B ER) ausgegangen und hat dabei auf § 2 Nr. 5 FreizügG/EU abgestellt. Danach haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des Gesetzes. Der Begriff der Familienangehörigen wird näher im § 3 FreizügG/EU definiert. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU sind dies der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten und Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind. Diese Vorschrift kann für den Antragsteller zu 1. nunmehr nach Vollendung des 21. Lebensjahrs 24. November 2014 keine Anwendung mehr finden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller zu 1. im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen einer anderen Regelung des FreizügG/EU erfüllten könnte, aus der sich eine Freizügigkeitsberechtigung ableiten ließe. Entsprechendes gilt für die Antragstellerin zu 2., die sich von vornherein nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach §§ 3. und 4 FreizügG/EU berufen konnte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich für die Antragsteller ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ergeben könnte.
Somit verbleiben für den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. nur das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche bzw. das Aufenthaltsrecht, welches aus der Freizügigkeitsvermutung resultiert und das Aufenthaltsrecht bis zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit begründet. Für eine solche Konstellation hält der Senat an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss gegeben sind, wenn es sich bei den Betroffenen um Personen handelt, die als Arbeitsuchende oder Arbeitsuchender Leistungen nach dem SGB II beantragt haben und bei denen nicht ersichtlich ist, dass sich die das Aufenthaltsrecht vermittelnde Freizügigkeitsberechtigung aus anderen Gründen ergeben könnte, als aus § 2 Abs.1 Ziffer 1a FreizügG/EU (siehe dazu Beschluss des Senats vom 3. Februar 2015 – L 2 AS 16/15 B ER, veröffentlich in juris, mit weiteren Nachweisen). Ein anderes Verständnis des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, wonach das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch tatsächlich (noch) zustehen muss, würde zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen führen. Es würden dann Ausländer, die über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen, von den Leistungen ausgeschlossen. Demgegenüber würden Ausländer, welche nicht einmal über ein solches Aufenthaltsrecht verfügen, obwohl sie grundsätzlich als Arbeitsuchende Leistungen nach dem SGB II beantragen, diese Leistungen beanspruchen könnten. Besonders deutlich zeigt sich die Systemwidrigkeit einer solchen Interpretation an folgendem Beispiel: Ein Ausländer, der zu Arbeitsuche eingereist ist und nach Arbeit sucht, könnte sich während der ersten sechs Monate seines Aufenthaltes nach der Neufassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU auf ein Aufenthaltsrecht berufen, würde aber von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sein. Ab dem siebten Monat (wenn er nicht eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden) würde er sein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verlieren. Somit würde er dann aber einem streng an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU gekoppeltem Leistungsausschluss nicht mehr unterliegen und könnte nunmehr SGB II-Leistungen erhalten. Damit würde das erkennbare Ziel der Ausschlussreglung im SGB II, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern", konterkariert.
Eine Bestimmung des Kreises der von der Leistungsberechtigung ausgeschlossenen Ausländerinnen und Ausländer im oben bezeichneten Sinne entspricht auch der Intention der Ausschlussvorschrift und erfasst vergleichbare Personengruppen. In beiden Fällen geht es um erwerbsfähige und damit dem System des SGB II unterfallende EU-Ausländer, die sich als Unionsbürger auf ihr Freizügigkeitsrecht als Marktbürger berufen. Auch der EU-Ausländer, bei dem die Ausländerbehörde das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechtes nicht festgestellt hat, verfügt über ein Aufenthaltsrecht und wird damit dem Schutzbereich der Freizügigkeit zugeordnet und hält sich formal erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ausreisepflichtig wird er erst, wenn die Ausländerbehörde tätig wird. Solange die Ausländerbehörde nicht tätig wird, muss also für ihn genauso wie bei denjenigen, die sich auf die Freizügigkeitsberechtigung beim Aufenthalt zur Arbeitsuche berufen können, entschieden werden, ob er einen Anspruch aus dem Sozialsystem erlangen soll oder nicht. Ebenso wie bei dem Unionsbürger, dessen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besteht, ist sein Aufenthaltsrecht Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes für Unionsbürger und beruht auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung bei Unionsbürgern.
Diese vom Senat für richtig gehaltene Auslegung entspricht auch dem aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung deutlich gewordenen, mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfolgten Zweck. Danach greift der betreffende Ausschluss der Leistungsberechtigung nicht, wenn ein anderer Grund nach § 2 FreizügG/EU vorliegt (BT Drs. 16/688 S. 13). In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach Deutschland einreisen". Es soll damit eine Regelung getroffen werden für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche.
Der Leistungsausschluss im SGB II für Unionsbürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht besitzen als das aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU abgeleitete ist auch nicht europarechtswidrig. Er führt zwar dazu, dass Ausländerinnen und Ausländer anders behandelt werden, als die deutschen Staatsangehörigen, weil sie anders als diese keine SGB II-Leistungen beanspruchen können. Dies begründet aber nicht ausnahmslos einen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 11. November 2014 - C 333/13 in der Sache Dano (zitiert nach juris) entschieden, dass Unionsbürger, die kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmestaat nach der Richtlinie 2004/38 geltend machen können, sich schon nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie berufen können (so dass die Ausnahme nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie schon gar nicht geprüft werden muss). Eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen könne nur verlangt werden, wenn ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38 bestehe. Art. 7 der Richtlinie 2004/38, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht nur haben, wenn sie sich selbst unterhalten können, solle nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. So ist als Ziel der Richtlinie im zehnten Erwägungsgrund genannt, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern.
Der EUGH hat sich in dem oben genannten Rechtsfall nicht zu der Frage geäußert, ob dies auch gilt, wenn dem Staatsangehörigen als Arbeitsuchenden ein Aufenthaltsrecht zusteht. Aber auch in solchen Fällen ist aber nach Auffassung des Senats nicht ohne weitere Prüfung von einer Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auszugehen. Auch wenn dazu noch keine Entscheidung des EUGH vorliegt, ist die Rechtsfrage nach Auffassung des Senats insoweit mit hinreichender Sicherheit geklärt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dazu in seinem Vorlagebeschuss an den Europäischen Gerichtshof vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R, juris, in Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob ein ausnahmsloser Ausschluss von Sozialleistungen möglich sei und klärungsbedürftig, ob eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Ausschlussregelung erfordere, dass besondere Umstände im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu berücksichtigen seien. Insoweit erscheine es insbesondere klärungsbedürftig, ob eine nach einer Arbeitsuche von mehr als drei bzw. sechs Monaten dennoch bestehende Verbindung zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bzw. eine sonstige tatsächlichen Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat zu berücksichtigen seien (BSG, a. a. O., Rn. 48). Der Generalanwalt Wathelet kommt in seinen Schlussanträgen vom 26. März 2015 in der Vorlagesache zu der Einschätzung, dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sei, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Richtlinie 1244/2010 geänderten Fassung, die auch eine Leistung der "Sozialhilfe" im Sinne der Richtlinie 2004/38 darstellen, automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten. Zudem ist er der Ansicht, dass Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union grundsätzlich zustehen könne, ohne dass dieses Recht davon abhängig sei, dass sie über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz in diesem Staat verfügen (Schlussanträge vom 26. März 20156; Alimanovic; Rechtssache C-67/14; Generalsanwalt Wathelet, zitiert nach juris, Rn. 126). Entscheidend ist somit, dass zumindest ein Mitglied der Familie der Staatsangehörigen des Mitgliedsstaats im Aufnahmemitgliedsstaat, hier also der Bundesrepublik Deutschland, "in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten ist", also entweder gearbeitet hat oder arbeitet. Ist dies nicht der Fall, so ist der Leistungsausschluss europarechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hält diese Differenzierung für überzeugend und sachgerecht und legt sie der rechtlichen Beurteilung zugrunde. Daraus folgt, dass dann, wenn eine Nähe zum Arbeitsmarkt im dargestellten Sinne nicht festzustellen ist, eine Kollision der Ausschlussklausel im nationalen Recht mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vorliegt. Die Ausschlussklausel ist auch nicht deshalb unanwendbar, weil in anderen Fällen eine Kollision mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vorliegen kann. Das Recht der Europäischen Union entfaltet nur im Kollisionsfall einen verdrängenden Geltungsvorrang. Es führt nicht zur Nichtigkeit des nationalen Rechts (so das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06, zitiert nach juris, Rn. 53 ff.).
Im konkreten Fall ergibt sich weder aus dem Vortrag der Antragsteller noch der beigezogenen Verwaltungsakte, dass die Antragsteller zu 1. und 2. seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland jemals einer Arbeit nachgegangen sind oder dass sie mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit suchten oder suchen. Es steht für den Senat daher fest, dass sie nicht im oben bezeichneten Sinne in den Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind. Auch sonst haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, besondere Verbindungen in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut zu haben. Die Antragstellerin zu 3. geht hier noch nicht zu Schule. Insgesamt bestehen nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall keine eurorechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss im § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Die Antragsteller können zur Deckung ihres menschenwürdigen Existenzminimums auch nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) zurückgreifen, weshalb eine Beiladung des Sozialhilfeträgers unterbleiben konnte. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 21 SGB XII, wonach Personen, die nach dem SGB II als Erwerbstätige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Dies gilt selbst dann, wenn die gesonderte Regelung für Ausländer in § 23 SGB XII so verstanden wird, dass hiermit eine eigenständige Regelung zur Eingrenzung von Ansprüchen dieser Personengruppe geschaffen wurde. Denn jedenfalls ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ein Anspruch für die Gruppe gleichermaßen ausgeschlossen, wenn es dort heißt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe." Der Gesetzgeber hat sich mit der Einfügung des § 23 Abs. 3 Satz 1 XII dafür entschieden, Versuche, den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch Rückgriff auf § 23 SGB XII zu umgehen, zu unterbinden (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Stand Einzellieferung VII/12; anders vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Oktober 2012 - 19 AS 1393/12 B ER ua - juris, Rn. 71 m.w.N.).
Der Senat brauchte nicht darüber zu entscheiden, ob der Ausschlusstatbestand auch für Unionsbürger auf die Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens anzuwenden ist, Anwendung findet (hierzu LSG Hamburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014 – L 4 AS 444/14 B – zitiert nach juris). Denn die Republik Rumänien hat dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert.
Die Antragsteller können einen Leistungsanspruch solange sie noch in der Bundesrepublik Deutschland leben auch nicht aus dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Grundgesetz (GG) herleiten (anders noch der Senat im Beschluss vom 1. November 2013 – L 2 AS 841/13 B ER – zitiert nach juris). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und diese in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 - juris, Rn. 63). Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass Unionsbürger ihren Existenzsicherungsanspruch auch in ihrem Herkunftsland geltend machen können, da in der EU gewisse soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Art. 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 verpflichten sich die Vertragsparteien sicherzustellen, dass jedem der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung gewährt wird. Die Republik Rumänien hat dieses Abkommen und diesen Artikel am 7. Mai 1999 ratifiziert. Die Antragsteller haben damit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen innerhalb der EU.
Einen Anspruch darauf, ihre existenzsichernden Leistungen in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erhalten zu müssen, besteht nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 4. Februar 2015 – L 2 AS 14/15 B ER). Auch darauf, ob die nationale Umsetzung im Herkunftsstaat eine Sicherung entsprechend dem Standard in der Bundesrepublik Deutschland garantiert, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an. Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, noch ist sonst bekannt, dass Hilfebedürftige in Rumänien in ihrer Existenz bedroht sind. Es ist zudem auch nicht mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Antragsteller in ihrem Herkunftsland auf Sozialleistungen angewiesen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar, § 177 SGG.
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