Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 3447/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1694/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 2013 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2011 verurteilt, dem Kläger auf Grund eines am 10. Dezember 2013 eingetretenen Leistungsfalles Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. Juli 2014 bis zum 30. Juni 2017 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Streitig ist die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.6.2010
I.
Der 1956 geborene Kläger hat den Beruf des Schriftsetzers erlernt und war nach seinen Angaben in diesem langjährig bis 2004 tätig. Zuletzt war er vom 1.1.2005 bis Mai 2005 bei einer Outsourcing-Firma als Teamleiter im Regalservice eines Supermarkts versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Bei ihm ist seit dem 08.06.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.
Den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 18.12.2006 - wegen Krampfanfällen, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma und Hypertonie - lehnte die Beklagte nach Begutachtung durch Dr. B. am 07.02.2007 zunächst ab (Bescheid vom 27.2.2007, Widerspruchsbescheid vom 30.7.2007). Im dagegen geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG, Az. S 5 R 4138/07) einigten sich die Beteiligten nach erneuter nervenärztlicher Begutachtung (Gutachten Dr. B. vom 02.05.2008 mit ergänzendem psychologischem Leistungsbefund Dr. J. vom 15.05.2008) auf die Gewährung einer Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.06.2008 bis zum 31.05.2010 sowie einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in den Kliniken Dr. Sch. in A ...
Die Rehabilitationsmaßnahme absolvierte der Kläger vom 25.05.2009 bis 15.06.2009. Im Entlassungsbericht vom 19.06.2009 wurde das Leistungsvermögen, ausgehend von einer chronifizierten, dysthymen Reaktionsbildung mit kontraphobischen Anteilen, einer komplexen Angststörung mit Panikattacken und dysfunktionalem Vermeidungsverhalten, einem Persönlichkeitswandel, differenzialdiagnostisch einer akzentuierten Persönlichkeit mit selbstunsicheren, ängstlich-vermeidenden und passiv-aggressiven Zügen, einem symptomatischen Anfallsleiden, einfach und komplex-fokal sowie psychogen überformt mit seltenen großen Anfällen sowie einem Kavernom (Gefäßmissbildung) sowohl im Beruf des Schriftsetzers als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen mit 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag eingeschätzt. Eine differenzierte Beurteilung sei erst nach epileptologischer Differenzialdiagnostik mit eingehender nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung möglich. Dr. H. wertete den Entlassungsbericht in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 21.7.2009 dahingehend, dass bei realistischer Betrachtung gegenwärtig keine ausreichende Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe.
II.
Am 13.01.2010 beantragte der Kläger unter Vorlage von Befundberichten die Weiterzahlung der gewährten Rente.
Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung. Im Gutachten vom 23.06.2010 diagnostizierte Neurologe Dr. W. beim Kläger eine chronifizierte Anpassungsstörung mit dysthymen Anteilen, eine akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden, aggressionsgehemmten und übergenauen Zügen, Angst- und Panikattacken mit Hyperventilation und vegetativen Symptomen, ein einfach- und komplex-fokales, psychogen überlagertes, symptomatisches Anfallsleiden, ein Kavernom rechts parieto-temporal, ohne raumfordernden Effekt und ohne hirnorganische Veränderungen, sowie rezidivierende Spannungskopfschmerzen mit Migräneanteilen, ohne bisher vorgenommene Therapie und ohne funktionelle Einschränkungen. Damit könne er leichte bis mittelschwere Verrichtungen wie auch die erlernte Tätigkeit als Schriftsetzer täglich sechs Stunden und mehr ausführen. Auszuschließen seien Arbeiten in gefahrträchtiger Umgebung, auf Leitern und Gerüsten und gefährdenden Maschinen sowie Tätigkeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögensvermögen sowie an Anpassung und Verantwortung. Die zuletzt ausgeübte Überwachungstätigkeit sei wegen des damit einhergehenden besonderen Zeitdrucks und der ausschließlichen Nachtarbeit im Hinblick auf das bestehende Anfallsleiden nicht mehr leidensgerecht.
Die Beklagte lehnte den Weiterzahlungsantrag mit Bescheid vom 02.07.2010 ab (Bl. 391 VA).
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und verwies auf verstärkte nervenärztliche Beschwerden mit monatlich mehrmaligen epileptischen Anfällen. Aufgrund schwerwiegender Depressionen sei er oft tagelang nicht ansprechbar, orientierungslos und leide unter Panikattacken. Daher könne er auch öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen. Er legte ein Attest des behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 20.07.2010 sowie Befundberichte der Epilepsie-Ambulanz an der Klinik für Neurologie der Universität M. vom 31.03.2011 und vom 07.05.2011 vor.
Nach ergänzenden Stellungnahmen des Dr. W. vom 15.10.2010 und 22.06.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2011 zurück.
III.
Dagegen hat der Kläger am 12.08.2011 Klage zum SG erhoben und unter Vorlage eines weiteren Attestes des behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 21.07.2011 auf seine umfangreichen psychischen Veränderungen, insbesondere Angst- und Panikattacken sowie weiterhin bestehende epileptische Anfälle verwiesen.
Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Kardiologe Dr. P. sah nach Echokardiographie und Langzeit-EKG keinen behandlungsbedürftigen Befund und hielt leichte Tätigkeiten ohne Einschränkung für durchführbar (Auskunft vom 26.10.2011). Der Psychiater Dr. St. berichtete von einer rezidivierenden depressiven Störung (damals mit schwerer Ausprägung), einer langzeitabstinenten Alkoholabhängigkeit, Grand-mal-Epilepsie sowie ungelöstem Trennungskonflikt. Die kognitive Beeinträchtigung habe zugenommen. Mittlerweile bestünden verstärkte Schwierigkeiten bezüglich Tagesstrukturierung und Alltagsbewältigung. Trotz der antiepileptischen Behandlung habe der Kläger etwa 3-4 Anfälle pro Woche. Leichte Berufstätigkeiten könnten nur deutlich unter 3 Stunden pro Tag verrichtet werden (Auskunft vom 03.11.2011). Auch der Arzt für Allgemeinmedizin St. hielt den Kläger wegen Konzentrationsstörungen und häufigen epileptischen Anfällen mit Inkontinenz nur noch für 3 Stunden täglich regelhaft belastbar (Auskunft vom 11.12.2011). Die Neurologin PD Dr. W. teilte unter dem 20.11.2011 mit, dass der neurologische Befund während des gesamten Untersuchungszeitraums unauffällig gewesen sei. Die Diplom-Psychologin N. berichtete von einer depressiven Stimmungslage, teilweise zeitliche und örtliche Desorientierung sowie Störung bei Arbeitsabläufen (Auskunft vom 10.12.2011).
Das SG hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten mit neuropsychologischer Zusatzbegutachtung eingeholt. Im Zusatzgutachten vom 14.06.2012 schloss der Diplom-Psychologe Sc. aus dem Widerspruch zwischen stark unterdurchschnittlichen Testergebnissen und dem Auftreten des Klägers auf starke Tendenzen zur Aggravation, die mitunter auch sehr bewusstseinsnah in Erscheinung getreten seien. Es könne hinsichtlich des kognitiven Leistungsvermögens, wie im Entlassungsbericht der Kliniken Dr. Sch. bereits ausgeführt, von einem wesentlich größeren Potenzial ausgegangen werden.
Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 14.06.2012 mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 14.11.2012 diagnostizierte Prof. Dr. L. Verdacht auf fokale Epilepsie mit seltenen psychomotorischen Anfällen ohne Generalisierungstendenz, rezidivierende depressive Episoden, derzeit im Sinne einer leichten depressiven Verstimmung, eine Persönlichkeitsstörung mit akzentuierter Persönlichkeit und anankastischen Zügen sowie ein Kavernom rechts-parieto-temporal bislang ohne Nachweis einer raumfordernden Wirkung und ohne nachgewiesene pathologische Folgezustände. Der Kläger beschreibe Symptome, die an psychomotorische Anfälle erinnerten, wobei die Anfallsfrequenz und die Anfallslänge jeweils unterschiedlich geschildert würden. Es bestehe der dringende Verdacht auf psychogene, eher bewusstseinsnah ablaufende Anfälle und – wenn überhaupt – selten auftretende organische Anfälle. Zahlreiche darüber hinausgehende Symptome mit beklagten motorischen und sensiblen Störungen seien als Aggravation zu werten. Im Rahmen der selten auftretenden vermuteten psychomotorischen Anfälle ohne Bewusstseinsverlust und Sturz sei von einer qualitativen, nicht aber von einer quantitativen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auszugehen. Auszuschließen seien alle Tätigkeiten, die zu einer potenziellen Gefährdung führen könnten wie das Arbeiten an laufenden Maschinen oder das Besteigen von Leitern, die aktive Teilnahme am Straßenverkehr oder Tätigkeiten in allen Bereichen, in denen ein Sturz zu einer potenziellen Lebensgefährdung führen könne. Vermieden werden sollten darüber hinaus Schicht- und Nachtarbeiten sowie Tätigkeiten, die mit einer starken nervlichen Belastung verbunden seien. Eine Gehstrecke von 500 Metern könne in einem adäquaten Zeitaufwand zurückgelegt werden. Wegen des Verdachts auf seltene psychomotorische Anfälle könne der Kläger nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen. Aufgrund der klaustrophobischen Symptomatik könne die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hauptverkehrszeit problematisch werden. Bei der berichteten klaustrophobischen Fehlhaltung, bei der allerdings differenzialdiagnostisch auch eine aggravatorische Symptomatik möglich sei, seien dicht belegte Transportmittel wie überbesetzte Busse in den Morgenstunden zu meiden.
Der Kläger hat dadurch eine rentenrelevanten Einschränkung der Wegefähigkeit bestätigt gesehen. Er hat ergänzend eine weitere Stellungnahme seines behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 10.01.2013 sowie einen erneuten Befundbericht der Epilepsie-Ambulanz an der Klinik für Neurologie der Universität M. vom 01.12.2012 vorgelegt. Dr. St. hielt den Vorwurf der Aggravation nicht für gerechtfertigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13.3.2013 abgewiesen. Der Kläger habe über den 31.05.2010 hinaus keinen Anspruch auf weitere Gewährung von Erwerbsminderungsrente, weil - gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. L. unter Berücksichtigung der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung durch Dipl.-Psych. Sc. keine quantitative Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vorliege. Dieser habe überzeugend dargelegt, dass die selten auftretenden vermuteten psychomotorischen Anfälle ohne Bewusstseinsverlust und Stürze das Leistungsvermögen des Klägers nur in qualitativer Hinsicht beeinträchtigten. Er habe aufgezeigt, dass zahlreiche darüber hinausgehende Symptome mit beklagten motorischen und sensiblen Störungen als Aggravation zu werten seien. Hinsichtlich der Verdachtsdiagnose einer fokalen Epilepsie mit seltenen psychomotorischen Anfällen ohne Generalisierungstendenz bestehe die Option, dass durch eine operative Entfernung des Kavernoms und/oder eine Intensivierung der medikamentösen Behandlung eine wesentliche Verringerung der Anfallsfrequenz herbeigeführt werden könne. Der Kläger könne auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit, die zur Erwerbsfähigkeit gehöre, liege nicht vor. Eine rentenrelevante Erwerbsminderung setze danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren könne. Es sei zwar nicht auszuschließen aber auch auf Grund der aggravatorischen Symptomatik auch nicht als gesichert anzusehen, dass der Kläger eine klaustrophobische Fehlhaltung habe, weshalb er nicht mehr in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptverkehrszeit zu benutzen. Die Erhebung objektiv gesicherter medizinischer Erkenntnisse habe der Kläger durch sein belegt aggravatorisches Auftreten selbst vereitelt. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit lasse sich nicht zweifelsfrei belegen. Ein Anspruch auf teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für den Kläger ausgehend von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit als Teamleiter im Regalservice nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob eine Beschäftigung weiter leidensgerecht sei, müsse er sich angesichts der Wertigkeit dieser Tätigkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten und somit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen, ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe. Seinen Ausbildungsberuf als Schriftsetzer habe er nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern aufgrund von Streitigkeiten am letzten Arbeitsplatz aufgegeben.
IV.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 19.3.2013 zugestellte Urteil hat er am 17.4.2013 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die Wegefähigkeit nicht vorliege. Bei der Zurücklegung von Wegstrecken habe er massive Orientierungsschwierigkeiten. Eine aktive Teilnahme am Straßenverkehr sei ihm bei psychomotorischen Anfällen nicht möglich. Öffentliche Verkehrsmittel könne er aufgrund seiner Klaustrophobie nicht benutzen. Darüber hinaus bestehe Berufsschutz. Seinen Beruf als Schriftsetzer habe er wegen beginnender epileptischer Anfälle aufgegeben, dies aber nicht richtig zugeordnet. Epileptische Anfälle träten 2-3 mal pro Woche auf.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31. Mai 2010 hinaus bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat bei Prof. Dr. E., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin K. das Gutachten vom 9.1.2014 eingeholt. Dieser stellte auf neurologischem Gebiet Gleichgewichtsstörungen, ein Kavernom im temporookzipalen Gehirn und epileptische Anfälle fest. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei von einer wiederkehrenden depressiven Störung mit depressiven Episoden, zum Zeitpunkt der Untersuchung leicht bis mittelgradig auszugehen. Es gebe überzeugende Hinweise auf eine klaustrophobische Symptomatik, während der Untersuchungssituation hätten sich allerdings keine Hinweise auf Orientierungsschwierigkeiten im zeitlichen oder räumlichen Sinne ergeben. Diese Erkrankungen seien auch unter Anlegung eines strengen Maßstabes vorhanden, allerdings bestehe eine Tendenz zur Aggravation. Eine einfache leichte berufliche Tätigkeit sei allenfalls 2 Stunden arbeitstäglich möglich. Die Gründe hierfür lägen in der fehlenden Initiative und Antriebskraft des Klägers, der sich über viele Jahre Krankheit in einem geschwächten und in seinem Potenzial reduzierten Zustand befinde.
Weiter hat der Senat das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. vom 22.07.2014 eingeholt. Er diagnostizierte beim Kläger auf neurologischem Gebiet relativ häufige komplex-fokale Anfälle verursacht durch ein rechts temporo-occipitales Cavernom. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine Panikstörung mit auch Zügen einer generalisierten Angststörung auf dem Boden einer selbstunsicher-ängstlichen Persönlichkeitsstörung, darüber hinaus rezidivierende depressive Episoden, derzeit lediglich vom Charakter einer leichtgradigen Störung (Dysthymie). Bei der neurologischen Untersuchung habe der Kläger einen deutlich untergewichtigen Eindruck vermittelt, ausgeprägte vegetative Stigmata mit livider Verfärbung der Hände, Kniegelenke und Füße gezeigt, das Gebiss sei deutlich sanierungsbedürftig erschienen, der Blutdruck war erhöht. In psychischer Hinsicht sei die Situation durchaus widersprüchlich. Während sich in den Testverfahren erhebliche Hinweise auf eine Aggravation gezeigt haben, seien solche während der psychopathologischen Exploration und auch der neurologischen Untersuchung nicht zu erkennen gewesen. Es zeige sich das Bild einer zwanghaften, selbst unsicher-ängstlichen Persönlichkeit mit zumindest derzeit bei weitem im Vordergrund stehenden Angstsymptomen, während depressive Symptome allenfalls untergeordnet erkennbar seien. Sobald der Kläger etwas unter Druck gerate, zeige er auch erhebliche Merkfähigkeitsprobleme. Es stelle sich die Frage, ob über die nicht zu verkennende Verdeutlichungstendenz hinaus der nachweisbare "Kern" der Angststörung so gravierend sei, dass hieraus auch eine quantitative Leistungseinschränkung resultiere. Nach Abwägung der Pro- und Kontra-Argumente sei hinreichend bewiesen, dass der Kläger inzwischen an einer erheblich krankheitswertigen Panikstörung leide, die auch mit einer quantitativen Leistungseinschränkung verbunden sei. Wegen der massiv eingeschränkten Stressbelastung und den auftretenden Panikreaktionen bei Publikumskontakt seien lediglich Tätigkeiten ohne jeglichen Zeitdruck und unter Vermeidung von Publikumskontakt zumutbar. Aufgrund der bestehenden Anfallsproblematik seien außerdem Tätigkeiten zu vermeiden, die die Benutzung von Leitern sowie Arbeiten an schnell laufenden Maschinen beinhalteten. Tätigkeiten könne der Kläger in einem zeitlichen Umfang von 3-4 Stunden arbeitstäglich ausüben. Die Wegefähigkeit erscheine nicht eingeschränkt. Problematisch sei allerdings die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der offensichtlich vorliegenden, durchaus wahnhaft anmutenden Symptomatik bei Benutzung von Zug und Bus. Das Führen eines Pkw sei dem Kläger aufgrund der bestehenden Anfallssymptomatik nicht möglich. Mindestens seit Januar 2014 liege die Symptomatik vor.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der Stellungnahme von Dr. N. vom 8.8.2014 entgegengetreten. Aus dem Gutachten könne eine wesentliche Befundverschlechterung nicht nachvollzogen werden. Wie auch zu früheren Untersuchungszeitpunkten hätten sich Hinweise für erhebliche Antwortverzerrungen ergeben. Die erhebliche Diskrepanz zwischen objektiven Befunden, beschriebener Anamnese und ansonsten unauffälliger Psychopathologie könne eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nicht belegen.
Prof. Dr. Dr. W. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.8.2014 hierzu an seiner Leistungsbeurteilung festgehalten und darauf verwiesen, dass er die paranoid geschilderten Ängste als wesentlichen Aspekt der Erkrankung des Klägers sehe. Aufgrund der objektivierbaren, ersichtlich geringen Stressbelastbarkeit während der Exploration sei er zu der Überzeugung einer krankheitswertigen und auch leistungseinschränkenden Panikstörung gelangt. Im Zweifelsfall könne das Ergebnis der damals geplanten teilstationären Aufnahme im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (ZfP) noch ergänzend erfragt werden.
Der Senat hat den Entlassungsbericht des ZfP über die teilstationäre Behandlung vom 21. Oktober bis 12.12.2014 beigezogenen (Bericht vom 30.12.2014). Als Diagnosen werden dort eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome, psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom, lokalisationsbezogene symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen, intrakranielles Hämangiom und benigne essentielle Hypertonie beschrieben. Im Vorfeld der Aufnahme habe sich der Kläger zuhause sehr zurückgezogen, sei nicht mehr in der Lage gewesen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder auch nur wichtige Arzttermine wahrzunehmen. Im Verlauf der tagesklinischen Behandlung habe er sich ganz allmählich stabilisieren können. Es sei ihm gelungen eine seit längerem notwendige Zahnbehandlung zu bewältigen, Termine bei seiner Neurologin wahrzunehmen und Termine zur weiterführenden Diagnostik fraglicher Absencen zu vereinbaren. Nach und nach habe er außerhalb der Tagesklinik einige soziale Kontakte wieder aufgenommen, beispielsweise zu einer Selbsthilfegruppe. Zur Aufrechterhaltung seiner Tagesstruktur wurde dem Kläger der regelmäßige Besuch der Tagesstätte der Caritas sowie die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe der Klinik empfohlen. In gut stabilisiertem psychischen Zustand sei er entlassen worden.
Beratungsarzt Dr. N. von der Beklagten vertrat die Auffassung, dass sich eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens daraus nicht zweifelsfrei ableiten lasse (Stellungnahme vom 13.03.2015).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der Kläger kann zwar nicht die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.05.2010 hinaus beanspruchen, jedoch hat er wieder Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls am 10.12.2013.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 02.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2011, mit dem die Beklagte die beantragte Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.06.2010 abgelehnt hat.
Die bis 31.05.2010 befristet gewesene Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte mit dem Ablauf der Frist geendet (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Das bedeutet, dass für eine Weitergewährung der Rente die Voraussetzungen erneut geprüft werden und vorliegen müssen. Dies ist im Falle des Klägers erst ab 10.12.2013 (Untersuchung bei Prof. Dr. E.) nachgewiesen.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI (in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, BGBl I, 1827) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).
Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 29.04.2015 in Bezug auf den Eintritt des Versicherungsfalls am 10.12.2013.
Der Kläger ist auch im Sinne der obigen gesetzlichen Regelung ab 10.12.2013 (wieder) erwerbsgemindert. Er kann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwar noch mehr als 3 Stunden aber weniger als 6 Stunden und mehr arbeiten. Der Senat schöpft seine Überzeugung aus den nervenärztlichen Gutachten von Prof. Dr. E. und Prof. Dr. Dr. W. im Zusammenhang mit dem Entlassungsbericht über die teilstationäre Behandlung im ZfP N. vom 30.12.2014. Danach ist zur Überzeugung des Senats eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit ab 10.12.2013 nachgewiesen. Beim Kläger bestehen leistungsrelevante Gesundheitsstörungen nur auf nervenärztlichem Gebiet. Die anderen Befunde, wie etwa eine Hypertonie sind nur von untergeordneter Bedeutung. Auf nervenärztlichem Gebiet liegt eine Komorbidität organischer - durch Anfallsleiden und Kavernom - und psychischer Störungsanteile vor. Dabei hat die beim Kläger bestehende Panikstörung mittlerweile erheblichen Krankheitswert, der die zeitliche Leistungseinschränkung zu begründen vermag. Die Panikattacken werden vom Kläger seit vielen Jahren beschrieben und ziehen sich seit der Begutachtung bei Dr. B. am 07.02.2007 durch alle Gutachten. Sie äußern sich in einer paranoiden Vorstellung, dass andere Menschen ihn in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachteten und sich deren Gespräche auf ihn beziehen, in Angstattacken im Zusammenhang mit Klingeln an der Haustür oder Telefonklingeln. Zwar ist der psychopathologische Befund von Prof. Dr. Dr. W. nicht auffällig beschrieben in dem Sinne, dass Aufmerksamkeit und Konzentration während der mehr als 3-stündigen Exploration nicht erkennbar gestört, die affektive Schwingungsfähigkeit gut erhalten und auch der Antrieb nicht ersichtlich beeinträchtigt war. Zudem zeigten sich in den Selbstbeurteilungsskalen und auch in einem spezifischen Beschwerdenvalidierungstest erhebliche Hinweise auf eine Aggravation, wie auch schon in den Vorgutachten aufgefallen war. Dies sind Umstände, die im Regelfall nicht zur Überzeugungsbildung für eine quantitative Leistungseinschränkung führen können. Prof. Dr. Dr. W. hat sich in seinem Gutachten hiermit jedoch ausführlich auseinander gesetzt und kann diese Widersprüche auf Grund seiner Beobachtungen in der Untersuchung nachvollziehbar im Kontext mit der Erkrankung deuten. So waren die depressiven Symptome, worauf Schwingungsfähigkeit und Antrieb hindeuten, allenfalls untergeordnet erkennbar und nicht leitend für seine Leistungsbeurteilung. Die deutlich unter der Erwartungsnorm liegenden und somit auffälligen Testergebnisse, die üblicherweise demonstrativ-aggravatorische Züge im Sinne eines Rentenwunsches erkennen lassen, beruhten nach seiner Einschätzung nicht auf einer bewussten Antwortverzerrung. Der Gutachter beobachtete bei der Durchführung der Tests vielmehr, dass der Kläger zunächst ein gutes Engagement zeigte, jedoch regelmäßig gegen Ende der jeweiligen Testschritte in deutliche Hektik geriet, vegetative Begleiterscheinungen zeigte und sich andauernd die Hände an der Hose rieb. Dies deutete er dahingehend, dass das Ergebnis der Tests als solches nur beschränkt verwertbar sei und das Gesamtbild eher Ausdruck der bestehenden Angststörung ist. Ein ähnliches Verhalten zeigte sich auch im Rahmen der Exploration, wenn der Gutachter den Kläger unter Druck setzte. Eine ersichtlich geringe Stressbelastung war objektivierbar. Im Gegensatz zu depressiven Störungen führen Panikstörungen außerhalb der jeweiligen Attacken nicht zwingend zu erkennbaren Symptomen, was möglicherweise die abweichende Bewertung durch Prof. Dr. L., der den Fokus auch mehr auf das Anfallsleiden gelenkt hatte, erklärt. Der nachweisbare "Kern" der Angststörung spricht jedoch für eine relevante Krankheitswertigkeit. So waren z.B. die Schilderungen des Klägers insgesamt authentisch und der Kläger vermochte sich auch im Rahmen provozierender Gegenfragen von seinen paranoiden Ängsten, die auch mit der durch Prof. Dr. E. erhobenen Fremdanamnese in das von der Ehefrau beschriebene Bild passten, nicht zu distanzieren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (vgl. BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - juris). Dies ist beim Kläger der Fall, wie von Prof. Dr. Dr. W. dargestellt. Es besteht eine langjährige psychiatrische und psychologische Betreuung, die die psychische Situation nicht hat bessern können.
Bestätigt sieht der Senat das Gutachten durch den Entlassbericht des ZfP Nordbaden vom 30.12.2014. Nachdem von starkem Rückzug bis hin zu teilweise die Fensterläden nicht mehr öffnen, nur noch sporadischem Essen und der Unfähigkeit, wichtige Arztbesuche wahrzunehmen - Prof. Dr. Dr. W. hatte auf das stark sanierungsbedürftige Gebiss hingewiesen - , berichtet worden war, wurde der Kläger nach 2 ½ -monatiger teilstationärer Behandlung zwar in gut stabilisiertem psychischen Zustand in die weitere ambulante Behandlung entlassen. Angesichts des minimalen Niveaus der erreichten Ziele - es gelang ihm, die seit längerem notwendige Zahnbehandlung zu bewältigen, Termine bei seiner Neurologin wahrzunehmen und auch außerhalb der Tagesklinik einige soziale Kontakte wie zu einer Selbsthilfegruppe wieder aufzunehmen - wird hierdurch nicht die Fähigkeit zu einem 6-stündigen beruflichen Leistungsvermögen, sondern allenfalls die Wiederherstellung einer gewissen vorher verloren gegangenen Lebensstruktur bestätigt. Die in diesem Zusammenhang vom Kläger gemachten Angaben, die eine gewisse Unfähigkeit zur Selbstversorgung zeigen, erscheinen auch vor dem Hintergrund glaubhaft und nachvollziehbar, dass im Gutachten von einer Gewichtsabnahme um mehrere Kilogramm von ursprünglich 74 kg auf 66 kg bei einer Körpergröße von 174 cm berichtet wurde und Prof. Dr. Dr. W. den Kläger als fast kachektisch (abgemagert" bzw. "ausgezehrt) beschrieben hat.
Darüber hinaus ist bei bestehender Panikstörung die Wegefähigkeit des Klägers nicht gegeben, weshalb von voller Erwerbsminderung auszugehen ist. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines (hier nicht) vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (BSG, Urteil vom 12.12.2011 – B 13 R 79/11 R –, BSGE 110, 1-8, SozR 4-2600 § 43 Nr. 17, Rn. 18 ff und BSG, Urteil vom 28.08.2002 – B 5 RJ 8/02 R –, juris, jeweils m.w.Nw.).
Ausgehend davon verfügt der Kläger nicht mehr über die erforderliche Mobilität. Auf Grund der Panikstörung ist ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar, worauf Prof. Dr. Dr. W. als auch bereits Prof. Dr. L. in seinem Gutachten vom 14.06.2012 hingewiesen hat. Zwar ist der Kläger im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis und das Fahren mit dem eigenen PKW würde die Einschränkung durch die psychische Angststörung beseitigen. Bedingt durch das daneben bestehende organische Anfallsleiden ist jedoch die Eignung zum Führen eines Pkws Klasse B nach der Verordnung über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (FeV, Anlage 4, Ziff. 6.6 FeV, Epilepsie) bei wesentlichem Risiko von Anfallsrezidiv entfallen. Dem Kläger fehlt damit die zumutbare Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu erreichen.
Hinsichtlich des Eintritts des Leistungsfalls orientiert sich der Senat an den Angaben von Prof. Dr. Dr. W. in seinem Gutachten vom 22.07.2014, der sich offensichtlich an den von Prof. Dr. E. erhobenen Befunden im Gutachten vom 09.01.2014 orientiert. Nachdem die Untersuchung dort jedoch bereits am 10.12.2013 vorgenommen wurde, wird hierdurch der Eintritt des Leistungsfalls markiert.
Die Rente wegen voller Erwerbsminderung war gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI auf 3 Jahre zu befristen. Ein Fall des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI liegt nicht vor. Die Rente, die nicht direkt im Anschluss an die vorher bis 31.05.2010 befristete Rente weitergewährt, sondern wieder gewährt wird, beginnt gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI am 01.07.2014 und endet gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am 30.06.2017.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Streitig ist die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.6.2010
I.
Der 1956 geborene Kläger hat den Beruf des Schriftsetzers erlernt und war nach seinen Angaben in diesem langjährig bis 2004 tätig. Zuletzt war er vom 1.1.2005 bis Mai 2005 bei einer Outsourcing-Firma als Teamleiter im Regalservice eines Supermarkts versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Bei ihm ist seit dem 08.06.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.
Den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 18.12.2006 - wegen Krampfanfällen, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma und Hypertonie - lehnte die Beklagte nach Begutachtung durch Dr. B. am 07.02.2007 zunächst ab (Bescheid vom 27.2.2007, Widerspruchsbescheid vom 30.7.2007). Im dagegen geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG, Az. S 5 R 4138/07) einigten sich die Beteiligten nach erneuter nervenärztlicher Begutachtung (Gutachten Dr. B. vom 02.05.2008 mit ergänzendem psychologischem Leistungsbefund Dr. J. vom 15.05.2008) auf die Gewährung einer Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.06.2008 bis zum 31.05.2010 sowie einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in den Kliniken Dr. Sch. in A ...
Die Rehabilitationsmaßnahme absolvierte der Kläger vom 25.05.2009 bis 15.06.2009. Im Entlassungsbericht vom 19.06.2009 wurde das Leistungsvermögen, ausgehend von einer chronifizierten, dysthymen Reaktionsbildung mit kontraphobischen Anteilen, einer komplexen Angststörung mit Panikattacken und dysfunktionalem Vermeidungsverhalten, einem Persönlichkeitswandel, differenzialdiagnostisch einer akzentuierten Persönlichkeit mit selbstunsicheren, ängstlich-vermeidenden und passiv-aggressiven Zügen, einem symptomatischen Anfallsleiden, einfach und komplex-fokal sowie psychogen überformt mit seltenen großen Anfällen sowie einem Kavernom (Gefäßmissbildung) sowohl im Beruf des Schriftsetzers als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen mit 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag eingeschätzt. Eine differenzierte Beurteilung sei erst nach epileptologischer Differenzialdiagnostik mit eingehender nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung möglich. Dr. H. wertete den Entlassungsbericht in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 21.7.2009 dahingehend, dass bei realistischer Betrachtung gegenwärtig keine ausreichende Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe.
II.
Am 13.01.2010 beantragte der Kläger unter Vorlage von Befundberichten die Weiterzahlung der gewährten Rente.
Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung. Im Gutachten vom 23.06.2010 diagnostizierte Neurologe Dr. W. beim Kläger eine chronifizierte Anpassungsstörung mit dysthymen Anteilen, eine akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden, aggressionsgehemmten und übergenauen Zügen, Angst- und Panikattacken mit Hyperventilation und vegetativen Symptomen, ein einfach- und komplex-fokales, psychogen überlagertes, symptomatisches Anfallsleiden, ein Kavernom rechts parieto-temporal, ohne raumfordernden Effekt und ohne hirnorganische Veränderungen, sowie rezidivierende Spannungskopfschmerzen mit Migräneanteilen, ohne bisher vorgenommene Therapie und ohne funktionelle Einschränkungen. Damit könne er leichte bis mittelschwere Verrichtungen wie auch die erlernte Tätigkeit als Schriftsetzer täglich sechs Stunden und mehr ausführen. Auszuschließen seien Arbeiten in gefahrträchtiger Umgebung, auf Leitern und Gerüsten und gefährdenden Maschinen sowie Tätigkeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögensvermögen sowie an Anpassung und Verantwortung. Die zuletzt ausgeübte Überwachungstätigkeit sei wegen des damit einhergehenden besonderen Zeitdrucks und der ausschließlichen Nachtarbeit im Hinblick auf das bestehende Anfallsleiden nicht mehr leidensgerecht.
Die Beklagte lehnte den Weiterzahlungsantrag mit Bescheid vom 02.07.2010 ab (Bl. 391 VA).
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und verwies auf verstärkte nervenärztliche Beschwerden mit monatlich mehrmaligen epileptischen Anfällen. Aufgrund schwerwiegender Depressionen sei er oft tagelang nicht ansprechbar, orientierungslos und leide unter Panikattacken. Daher könne er auch öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen. Er legte ein Attest des behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 20.07.2010 sowie Befundberichte der Epilepsie-Ambulanz an der Klinik für Neurologie der Universität M. vom 31.03.2011 und vom 07.05.2011 vor.
Nach ergänzenden Stellungnahmen des Dr. W. vom 15.10.2010 und 22.06.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2011 zurück.
III.
Dagegen hat der Kläger am 12.08.2011 Klage zum SG erhoben und unter Vorlage eines weiteren Attestes des behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 21.07.2011 auf seine umfangreichen psychischen Veränderungen, insbesondere Angst- und Panikattacken sowie weiterhin bestehende epileptische Anfälle verwiesen.
Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Kardiologe Dr. P. sah nach Echokardiographie und Langzeit-EKG keinen behandlungsbedürftigen Befund und hielt leichte Tätigkeiten ohne Einschränkung für durchführbar (Auskunft vom 26.10.2011). Der Psychiater Dr. St. berichtete von einer rezidivierenden depressiven Störung (damals mit schwerer Ausprägung), einer langzeitabstinenten Alkoholabhängigkeit, Grand-mal-Epilepsie sowie ungelöstem Trennungskonflikt. Die kognitive Beeinträchtigung habe zugenommen. Mittlerweile bestünden verstärkte Schwierigkeiten bezüglich Tagesstrukturierung und Alltagsbewältigung. Trotz der antiepileptischen Behandlung habe der Kläger etwa 3-4 Anfälle pro Woche. Leichte Berufstätigkeiten könnten nur deutlich unter 3 Stunden pro Tag verrichtet werden (Auskunft vom 03.11.2011). Auch der Arzt für Allgemeinmedizin St. hielt den Kläger wegen Konzentrationsstörungen und häufigen epileptischen Anfällen mit Inkontinenz nur noch für 3 Stunden täglich regelhaft belastbar (Auskunft vom 11.12.2011). Die Neurologin PD Dr. W. teilte unter dem 20.11.2011 mit, dass der neurologische Befund während des gesamten Untersuchungszeitraums unauffällig gewesen sei. Die Diplom-Psychologin N. berichtete von einer depressiven Stimmungslage, teilweise zeitliche und örtliche Desorientierung sowie Störung bei Arbeitsabläufen (Auskunft vom 10.12.2011).
Das SG hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten mit neuropsychologischer Zusatzbegutachtung eingeholt. Im Zusatzgutachten vom 14.06.2012 schloss der Diplom-Psychologe Sc. aus dem Widerspruch zwischen stark unterdurchschnittlichen Testergebnissen und dem Auftreten des Klägers auf starke Tendenzen zur Aggravation, die mitunter auch sehr bewusstseinsnah in Erscheinung getreten seien. Es könne hinsichtlich des kognitiven Leistungsvermögens, wie im Entlassungsbericht der Kliniken Dr. Sch. bereits ausgeführt, von einem wesentlich größeren Potenzial ausgegangen werden.
Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 14.06.2012 mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 14.11.2012 diagnostizierte Prof. Dr. L. Verdacht auf fokale Epilepsie mit seltenen psychomotorischen Anfällen ohne Generalisierungstendenz, rezidivierende depressive Episoden, derzeit im Sinne einer leichten depressiven Verstimmung, eine Persönlichkeitsstörung mit akzentuierter Persönlichkeit und anankastischen Zügen sowie ein Kavernom rechts-parieto-temporal bislang ohne Nachweis einer raumfordernden Wirkung und ohne nachgewiesene pathologische Folgezustände. Der Kläger beschreibe Symptome, die an psychomotorische Anfälle erinnerten, wobei die Anfallsfrequenz und die Anfallslänge jeweils unterschiedlich geschildert würden. Es bestehe der dringende Verdacht auf psychogene, eher bewusstseinsnah ablaufende Anfälle und – wenn überhaupt – selten auftretende organische Anfälle. Zahlreiche darüber hinausgehende Symptome mit beklagten motorischen und sensiblen Störungen seien als Aggravation zu werten. Im Rahmen der selten auftretenden vermuteten psychomotorischen Anfälle ohne Bewusstseinsverlust und Sturz sei von einer qualitativen, nicht aber von einer quantitativen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auszugehen. Auszuschließen seien alle Tätigkeiten, die zu einer potenziellen Gefährdung führen könnten wie das Arbeiten an laufenden Maschinen oder das Besteigen von Leitern, die aktive Teilnahme am Straßenverkehr oder Tätigkeiten in allen Bereichen, in denen ein Sturz zu einer potenziellen Lebensgefährdung führen könne. Vermieden werden sollten darüber hinaus Schicht- und Nachtarbeiten sowie Tätigkeiten, die mit einer starken nervlichen Belastung verbunden seien. Eine Gehstrecke von 500 Metern könne in einem adäquaten Zeitaufwand zurückgelegt werden. Wegen des Verdachts auf seltene psychomotorische Anfälle könne der Kläger nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen. Aufgrund der klaustrophobischen Symptomatik könne die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hauptverkehrszeit problematisch werden. Bei der berichteten klaustrophobischen Fehlhaltung, bei der allerdings differenzialdiagnostisch auch eine aggravatorische Symptomatik möglich sei, seien dicht belegte Transportmittel wie überbesetzte Busse in den Morgenstunden zu meiden.
Der Kläger hat dadurch eine rentenrelevanten Einschränkung der Wegefähigkeit bestätigt gesehen. Er hat ergänzend eine weitere Stellungnahme seines behandelnden Psychiaters Dr. St. vom 10.01.2013 sowie einen erneuten Befundbericht der Epilepsie-Ambulanz an der Klinik für Neurologie der Universität M. vom 01.12.2012 vorgelegt. Dr. St. hielt den Vorwurf der Aggravation nicht für gerechtfertigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13.3.2013 abgewiesen. Der Kläger habe über den 31.05.2010 hinaus keinen Anspruch auf weitere Gewährung von Erwerbsminderungsrente, weil - gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. L. unter Berücksichtigung der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung durch Dipl.-Psych. Sc. keine quantitative Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vorliege. Dieser habe überzeugend dargelegt, dass die selten auftretenden vermuteten psychomotorischen Anfälle ohne Bewusstseinsverlust und Stürze das Leistungsvermögen des Klägers nur in qualitativer Hinsicht beeinträchtigten. Er habe aufgezeigt, dass zahlreiche darüber hinausgehende Symptome mit beklagten motorischen und sensiblen Störungen als Aggravation zu werten seien. Hinsichtlich der Verdachtsdiagnose einer fokalen Epilepsie mit seltenen psychomotorischen Anfällen ohne Generalisierungstendenz bestehe die Option, dass durch eine operative Entfernung des Kavernoms und/oder eine Intensivierung der medikamentösen Behandlung eine wesentliche Verringerung der Anfallsfrequenz herbeigeführt werden könne. Der Kläger könne auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit, die zur Erwerbsfähigkeit gehöre, liege nicht vor. Eine rentenrelevante Erwerbsminderung setze danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren könne. Es sei zwar nicht auszuschließen aber auch auf Grund der aggravatorischen Symptomatik auch nicht als gesichert anzusehen, dass der Kläger eine klaustrophobische Fehlhaltung habe, weshalb er nicht mehr in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptverkehrszeit zu benutzen. Die Erhebung objektiv gesicherter medizinischer Erkenntnisse habe der Kläger durch sein belegt aggravatorisches Auftreten selbst vereitelt. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit lasse sich nicht zweifelsfrei belegen. Ein Anspruch auf teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme für den Kläger ausgehend von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit als Teamleiter im Regalservice nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob eine Beschäftigung weiter leidensgerecht sei, müsse er sich angesichts der Wertigkeit dieser Tätigkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten und somit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen, ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe. Seinen Ausbildungsberuf als Schriftsetzer habe er nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern aufgrund von Streitigkeiten am letzten Arbeitsplatz aufgegeben.
IV.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 19.3.2013 zugestellte Urteil hat er am 17.4.2013 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die Wegefähigkeit nicht vorliege. Bei der Zurücklegung von Wegstrecken habe er massive Orientierungsschwierigkeiten. Eine aktive Teilnahme am Straßenverkehr sei ihm bei psychomotorischen Anfällen nicht möglich. Öffentliche Verkehrsmittel könne er aufgrund seiner Klaustrophobie nicht benutzen. Darüber hinaus bestehe Berufsschutz. Seinen Beruf als Schriftsetzer habe er wegen beginnender epileptischer Anfälle aufgegeben, dies aber nicht richtig zugeordnet. Epileptische Anfälle träten 2-3 mal pro Woche auf.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31. Mai 2010 hinaus bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat bei Prof. Dr. E., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin K. das Gutachten vom 9.1.2014 eingeholt. Dieser stellte auf neurologischem Gebiet Gleichgewichtsstörungen, ein Kavernom im temporookzipalen Gehirn und epileptische Anfälle fest. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei von einer wiederkehrenden depressiven Störung mit depressiven Episoden, zum Zeitpunkt der Untersuchung leicht bis mittelgradig auszugehen. Es gebe überzeugende Hinweise auf eine klaustrophobische Symptomatik, während der Untersuchungssituation hätten sich allerdings keine Hinweise auf Orientierungsschwierigkeiten im zeitlichen oder räumlichen Sinne ergeben. Diese Erkrankungen seien auch unter Anlegung eines strengen Maßstabes vorhanden, allerdings bestehe eine Tendenz zur Aggravation. Eine einfache leichte berufliche Tätigkeit sei allenfalls 2 Stunden arbeitstäglich möglich. Die Gründe hierfür lägen in der fehlenden Initiative und Antriebskraft des Klägers, der sich über viele Jahre Krankheit in einem geschwächten und in seinem Potenzial reduzierten Zustand befinde.
Weiter hat der Senat das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. vom 22.07.2014 eingeholt. Er diagnostizierte beim Kläger auf neurologischem Gebiet relativ häufige komplex-fokale Anfälle verursacht durch ein rechts temporo-occipitales Cavernom. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine Panikstörung mit auch Zügen einer generalisierten Angststörung auf dem Boden einer selbstunsicher-ängstlichen Persönlichkeitsstörung, darüber hinaus rezidivierende depressive Episoden, derzeit lediglich vom Charakter einer leichtgradigen Störung (Dysthymie). Bei der neurologischen Untersuchung habe der Kläger einen deutlich untergewichtigen Eindruck vermittelt, ausgeprägte vegetative Stigmata mit livider Verfärbung der Hände, Kniegelenke und Füße gezeigt, das Gebiss sei deutlich sanierungsbedürftig erschienen, der Blutdruck war erhöht. In psychischer Hinsicht sei die Situation durchaus widersprüchlich. Während sich in den Testverfahren erhebliche Hinweise auf eine Aggravation gezeigt haben, seien solche während der psychopathologischen Exploration und auch der neurologischen Untersuchung nicht zu erkennen gewesen. Es zeige sich das Bild einer zwanghaften, selbst unsicher-ängstlichen Persönlichkeit mit zumindest derzeit bei weitem im Vordergrund stehenden Angstsymptomen, während depressive Symptome allenfalls untergeordnet erkennbar seien. Sobald der Kläger etwas unter Druck gerate, zeige er auch erhebliche Merkfähigkeitsprobleme. Es stelle sich die Frage, ob über die nicht zu verkennende Verdeutlichungstendenz hinaus der nachweisbare "Kern" der Angststörung so gravierend sei, dass hieraus auch eine quantitative Leistungseinschränkung resultiere. Nach Abwägung der Pro- und Kontra-Argumente sei hinreichend bewiesen, dass der Kläger inzwischen an einer erheblich krankheitswertigen Panikstörung leide, die auch mit einer quantitativen Leistungseinschränkung verbunden sei. Wegen der massiv eingeschränkten Stressbelastung und den auftretenden Panikreaktionen bei Publikumskontakt seien lediglich Tätigkeiten ohne jeglichen Zeitdruck und unter Vermeidung von Publikumskontakt zumutbar. Aufgrund der bestehenden Anfallsproblematik seien außerdem Tätigkeiten zu vermeiden, die die Benutzung von Leitern sowie Arbeiten an schnell laufenden Maschinen beinhalteten. Tätigkeiten könne der Kläger in einem zeitlichen Umfang von 3-4 Stunden arbeitstäglich ausüben. Die Wegefähigkeit erscheine nicht eingeschränkt. Problematisch sei allerdings die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der offensichtlich vorliegenden, durchaus wahnhaft anmutenden Symptomatik bei Benutzung von Zug und Bus. Das Führen eines Pkw sei dem Kläger aufgrund der bestehenden Anfallssymptomatik nicht möglich. Mindestens seit Januar 2014 liege die Symptomatik vor.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der Stellungnahme von Dr. N. vom 8.8.2014 entgegengetreten. Aus dem Gutachten könne eine wesentliche Befundverschlechterung nicht nachvollzogen werden. Wie auch zu früheren Untersuchungszeitpunkten hätten sich Hinweise für erhebliche Antwortverzerrungen ergeben. Die erhebliche Diskrepanz zwischen objektiven Befunden, beschriebener Anamnese und ansonsten unauffälliger Psychopathologie könne eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nicht belegen.
Prof. Dr. Dr. W. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.8.2014 hierzu an seiner Leistungsbeurteilung festgehalten und darauf verwiesen, dass er die paranoid geschilderten Ängste als wesentlichen Aspekt der Erkrankung des Klägers sehe. Aufgrund der objektivierbaren, ersichtlich geringen Stressbelastbarkeit während der Exploration sei er zu der Überzeugung einer krankheitswertigen und auch leistungseinschränkenden Panikstörung gelangt. Im Zweifelsfall könne das Ergebnis der damals geplanten teilstationären Aufnahme im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (ZfP) noch ergänzend erfragt werden.
Der Senat hat den Entlassungsbericht des ZfP über die teilstationäre Behandlung vom 21. Oktober bis 12.12.2014 beigezogenen (Bericht vom 30.12.2014). Als Diagnosen werden dort eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome, psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom, lokalisationsbezogene symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen, intrakranielles Hämangiom und benigne essentielle Hypertonie beschrieben. Im Vorfeld der Aufnahme habe sich der Kläger zuhause sehr zurückgezogen, sei nicht mehr in der Lage gewesen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder auch nur wichtige Arzttermine wahrzunehmen. Im Verlauf der tagesklinischen Behandlung habe er sich ganz allmählich stabilisieren können. Es sei ihm gelungen eine seit längerem notwendige Zahnbehandlung zu bewältigen, Termine bei seiner Neurologin wahrzunehmen und Termine zur weiterführenden Diagnostik fraglicher Absencen zu vereinbaren. Nach und nach habe er außerhalb der Tagesklinik einige soziale Kontakte wieder aufgenommen, beispielsweise zu einer Selbsthilfegruppe. Zur Aufrechterhaltung seiner Tagesstruktur wurde dem Kläger der regelmäßige Besuch der Tagesstätte der Caritas sowie die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe der Klinik empfohlen. In gut stabilisiertem psychischen Zustand sei er entlassen worden.
Beratungsarzt Dr. N. von der Beklagten vertrat die Auffassung, dass sich eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens daraus nicht zweifelsfrei ableiten lasse (Stellungnahme vom 13.03.2015).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der Kläger kann zwar nicht die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.05.2010 hinaus beanspruchen, jedoch hat er wieder Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls am 10.12.2013.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 02.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2011, mit dem die Beklagte die beantragte Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.06.2010 abgelehnt hat.
Die bis 31.05.2010 befristet gewesene Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte mit dem Ablauf der Frist geendet (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Das bedeutet, dass für eine Weitergewährung der Rente die Voraussetzungen erneut geprüft werden und vorliegen müssen. Dies ist im Falle des Klägers erst ab 10.12.2013 (Untersuchung bei Prof. Dr. E.) nachgewiesen.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI (in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, BGBl I, 1827) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).
Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 29.04.2015 in Bezug auf den Eintritt des Versicherungsfalls am 10.12.2013.
Der Kläger ist auch im Sinne der obigen gesetzlichen Regelung ab 10.12.2013 (wieder) erwerbsgemindert. Er kann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwar noch mehr als 3 Stunden aber weniger als 6 Stunden und mehr arbeiten. Der Senat schöpft seine Überzeugung aus den nervenärztlichen Gutachten von Prof. Dr. E. und Prof. Dr. Dr. W. im Zusammenhang mit dem Entlassungsbericht über die teilstationäre Behandlung im ZfP N. vom 30.12.2014. Danach ist zur Überzeugung des Senats eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit ab 10.12.2013 nachgewiesen. Beim Kläger bestehen leistungsrelevante Gesundheitsstörungen nur auf nervenärztlichem Gebiet. Die anderen Befunde, wie etwa eine Hypertonie sind nur von untergeordneter Bedeutung. Auf nervenärztlichem Gebiet liegt eine Komorbidität organischer - durch Anfallsleiden und Kavernom - und psychischer Störungsanteile vor. Dabei hat die beim Kläger bestehende Panikstörung mittlerweile erheblichen Krankheitswert, der die zeitliche Leistungseinschränkung zu begründen vermag. Die Panikattacken werden vom Kläger seit vielen Jahren beschrieben und ziehen sich seit der Begutachtung bei Dr. B. am 07.02.2007 durch alle Gutachten. Sie äußern sich in einer paranoiden Vorstellung, dass andere Menschen ihn in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachteten und sich deren Gespräche auf ihn beziehen, in Angstattacken im Zusammenhang mit Klingeln an der Haustür oder Telefonklingeln. Zwar ist der psychopathologische Befund von Prof. Dr. Dr. W. nicht auffällig beschrieben in dem Sinne, dass Aufmerksamkeit und Konzentration während der mehr als 3-stündigen Exploration nicht erkennbar gestört, die affektive Schwingungsfähigkeit gut erhalten und auch der Antrieb nicht ersichtlich beeinträchtigt war. Zudem zeigten sich in den Selbstbeurteilungsskalen und auch in einem spezifischen Beschwerdenvalidierungstest erhebliche Hinweise auf eine Aggravation, wie auch schon in den Vorgutachten aufgefallen war. Dies sind Umstände, die im Regelfall nicht zur Überzeugungsbildung für eine quantitative Leistungseinschränkung führen können. Prof. Dr. Dr. W. hat sich in seinem Gutachten hiermit jedoch ausführlich auseinander gesetzt und kann diese Widersprüche auf Grund seiner Beobachtungen in der Untersuchung nachvollziehbar im Kontext mit der Erkrankung deuten. So waren die depressiven Symptome, worauf Schwingungsfähigkeit und Antrieb hindeuten, allenfalls untergeordnet erkennbar und nicht leitend für seine Leistungsbeurteilung. Die deutlich unter der Erwartungsnorm liegenden und somit auffälligen Testergebnisse, die üblicherweise demonstrativ-aggravatorische Züge im Sinne eines Rentenwunsches erkennen lassen, beruhten nach seiner Einschätzung nicht auf einer bewussten Antwortverzerrung. Der Gutachter beobachtete bei der Durchführung der Tests vielmehr, dass der Kläger zunächst ein gutes Engagement zeigte, jedoch regelmäßig gegen Ende der jeweiligen Testschritte in deutliche Hektik geriet, vegetative Begleiterscheinungen zeigte und sich andauernd die Hände an der Hose rieb. Dies deutete er dahingehend, dass das Ergebnis der Tests als solches nur beschränkt verwertbar sei und das Gesamtbild eher Ausdruck der bestehenden Angststörung ist. Ein ähnliches Verhalten zeigte sich auch im Rahmen der Exploration, wenn der Gutachter den Kläger unter Druck setzte. Eine ersichtlich geringe Stressbelastung war objektivierbar. Im Gegensatz zu depressiven Störungen führen Panikstörungen außerhalb der jeweiligen Attacken nicht zwingend zu erkennbaren Symptomen, was möglicherweise die abweichende Bewertung durch Prof. Dr. L., der den Fokus auch mehr auf das Anfallsleiden gelenkt hatte, erklärt. Der nachweisbare "Kern" der Angststörung spricht jedoch für eine relevante Krankheitswertigkeit. So waren z.B. die Schilderungen des Klägers insgesamt authentisch und der Kläger vermochte sich auch im Rahmen provozierender Gegenfragen von seinen paranoiden Ängsten, die auch mit der durch Prof. Dr. E. erhobenen Fremdanamnese in das von der Ehefrau beschriebene Bild passten, nicht zu distanzieren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (vgl. BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - juris). Dies ist beim Kläger der Fall, wie von Prof. Dr. Dr. W. dargestellt. Es besteht eine langjährige psychiatrische und psychologische Betreuung, die die psychische Situation nicht hat bessern können.
Bestätigt sieht der Senat das Gutachten durch den Entlassbericht des ZfP Nordbaden vom 30.12.2014. Nachdem von starkem Rückzug bis hin zu teilweise die Fensterläden nicht mehr öffnen, nur noch sporadischem Essen und der Unfähigkeit, wichtige Arztbesuche wahrzunehmen - Prof. Dr. Dr. W. hatte auf das stark sanierungsbedürftige Gebiss hingewiesen - , berichtet worden war, wurde der Kläger nach 2 ½ -monatiger teilstationärer Behandlung zwar in gut stabilisiertem psychischen Zustand in die weitere ambulante Behandlung entlassen. Angesichts des minimalen Niveaus der erreichten Ziele - es gelang ihm, die seit längerem notwendige Zahnbehandlung zu bewältigen, Termine bei seiner Neurologin wahrzunehmen und auch außerhalb der Tagesklinik einige soziale Kontakte wie zu einer Selbsthilfegruppe wieder aufzunehmen - wird hierdurch nicht die Fähigkeit zu einem 6-stündigen beruflichen Leistungsvermögen, sondern allenfalls die Wiederherstellung einer gewissen vorher verloren gegangenen Lebensstruktur bestätigt. Die in diesem Zusammenhang vom Kläger gemachten Angaben, die eine gewisse Unfähigkeit zur Selbstversorgung zeigen, erscheinen auch vor dem Hintergrund glaubhaft und nachvollziehbar, dass im Gutachten von einer Gewichtsabnahme um mehrere Kilogramm von ursprünglich 74 kg auf 66 kg bei einer Körpergröße von 174 cm berichtet wurde und Prof. Dr. Dr. W. den Kläger als fast kachektisch (abgemagert" bzw. "ausgezehrt) beschrieben hat.
Darüber hinaus ist bei bestehender Panikstörung die Wegefähigkeit des Klägers nicht gegeben, weshalb von voller Erwerbsminderung auszugehen ist. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines (hier nicht) vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (BSG, Urteil vom 12.12.2011 – B 13 R 79/11 R –, BSGE 110, 1-8, SozR 4-2600 § 43 Nr. 17, Rn. 18 ff und BSG, Urteil vom 28.08.2002 – B 5 RJ 8/02 R –, juris, jeweils m.w.Nw.).
Ausgehend davon verfügt der Kläger nicht mehr über die erforderliche Mobilität. Auf Grund der Panikstörung ist ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten nicht zumutbar, worauf Prof. Dr. Dr. W. als auch bereits Prof. Dr. L. in seinem Gutachten vom 14.06.2012 hingewiesen hat. Zwar ist der Kläger im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis und das Fahren mit dem eigenen PKW würde die Einschränkung durch die psychische Angststörung beseitigen. Bedingt durch das daneben bestehende organische Anfallsleiden ist jedoch die Eignung zum Führen eines Pkws Klasse B nach der Verordnung über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (FeV, Anlage 4, Ziff. 6.6 FeV, Epilepsie) bei wesentlichem Risiko von Anfallsrezidiv entfallen. Dem Kläger fehlt damit die zumutbare Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu erreichen.
Hinsichtlich des Eintritts des Leistungsfalls orientiert sich der Senat an den Angaben von Prof. Dr. Dr. W. in seinem Gutachten vom 22.07.2014, der sich offensichtlich an den von Prof. Dr. E. erhobenen Befunden im Gutachten vom 09.01.2014 orientiert. Nachdem die Untersuchung dort jedoch bereits am 10.12.2013 vorgenommen wurde, wird hierdurch der Eintritt des Leistungsfalls markiert.
Die Rente wegen voller Erwerbsminderung war gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI auf 3 Jahre zu befristen. Ein Fall des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI liegt nicht vor. Die Rente, die nicht direkt im Anschluss an die vorher bis 31.05.2010 befristete Rente weitergewährt, sondern wieder gewährt wird, beginnt gemäß § 101 Abs. 1 SGB VI am 01.07.2014 und endet gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am 30.06.2017.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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