L 11 KR 3057/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 3684/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3057/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12.05.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Leistung zur stationären medizinischen Rehabilitation.

Der 1938 geborene Kläger ist als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.

Bei dem Kläger wurde im März 2011 eine Dekompressionsoperation wegen Wirbelkanalstenose im Bereich LWK 2/3 bis LWK 4/5 durchgeführt. Anschließend erfolgte vom 23.03. bis 09.04.2011 eine Anschlussheilbehandlung (AHB) in der M.-Klinik Freiburg. Ab 2012 litt der Kläger erneut unter zunehmenden Lumboischialgien. Im Juli 2012 erfolgte eine Dekompressionsoperation im Bereich BWK 11/12 sowie eine operative Ausräumung eines Bandscheibenvorfalls LWK 3/4. Vom 31.07. bis 26.08.2012 wurde erneut eine AHB in der M.-Klinik durchgeführt. Bei Entlassung bestanden noch leichte Schmerzen in der LWS und im Gesäß bei Belastung; Unterarmgehstöcke wurden für längere Strecken empfohlen. Die Behandlung mit Krankengymnastik und manueller Therapie sollte fortgesetzt und die Gabe von Analgetika reduziert werden.

Am 18.02.2013 verordnete der behandelnde Orthopäde Dr. G. eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme wegen Schmerzen der LWS beim Stehen, Schmerzen in der linken Leiste und Gleichgewichtsstörungen. Als Rehabilitationsziele wurde angegeben Verbesserung der Beweglichkeit und Schmerzreduktion. In den letzten 12 Monaten seien sechs Einheiten Massage- und 18 Einheiten Bewegungstherapie durchgeführt worden. Der Kläger führte ergänzend aus, er mache ein morgendliches Funktionstraining entsprechend dem Therapieplan der M.-Klinik, außerdem gehe er je nach Tagesform und Schmerzen 1-2 mal wöchentlich ins Sportstudio.

Nach einer Fallberatung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 07.03.2013 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2013 die Gewährung einer stationären Rehabilitation ab. Nur bei dringenden medizinischen Indikationen könne die gesetzliche Wartefrist von vier Jahren außer Acht gelassen werden. Dringende Gründe für eine vorzeitige Maßnahme lägen hier nicht vor. Der MDK empfehle die Intensivierung der bisherigen Therapie, insbesondere Krankengymnastik und Bewegungstherapie und eine schmerztherapeutische Mitbehandlung.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Einholung eines MDK-Gutachtens vom 03.05.2013 mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2013 zurück. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen seien bereits 2011 und 2012 durchgeführt worden. Die Notwendigkeit einer vorzeitigen stationären Rehabilitation seien nicht erkennbar, die Maßnahmen am Wohnort nicht ausgeschöpft. Eine schmerztherapeutische Mitbehandlung sei sinnvoll, zudem sei die Akutdiagnostik und Akutbehandlung noch nicht abgeschlossen.

Hiergegen richtet sich die am 13.08.2013 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Der Kläger habe sämtliche ambulanten Therapiemöglichkeiten mit ärztlicher Behandlung, Bewegungstherapie, Sportstudio, Heimtraining, Aqua-Gymnastik und geräteunterstützter Krankengymnastik ausgenutzt. Hiervon seien die Schmerzen in Schultern, Armen, Beinen und im Rücken aber nicht besser geworden.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ein weiteres Gutachten des MDK vom 04.03.2014 vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte des Klägers. Dr. G. hat mit Schreiben vom 07.01.2014 ausgeführt, aufgrund der Gesamtproblematik halte er nach wie vor eine Rehabilitationsmaßnahme für indiziert. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe Dringlichkeit aus medizinischen Gründen bestanden. Hinsichtlich der LWS habe sich die Situation ein wenig stabilisiert, aktuell sei die Situation überlagert durch eine Bursitis olecrani. Aus einem beigefügten Arztbrief des Neurochirurgen Dr. S. (17.04.2013), der den Kläger auch operiert hatte, ergibt sich, dass dieser bei Symptomen einer L5 oder S1-Reizung keinen chirurgischen Behandlungsansatz sieht und weiteres konservatives Vorgehen mit Rehamaßnahmen empfiehlt. Der Allgemeinarzt Dr. D. sieht nur durch Rehamaßnahmen die Möglichkeit, eine Besserung der Beschwerden zu erreichen. Bei der Vielfalt der Beschwerden und im Hinblick auf die bestehende kardiale Situation solle die Maßnahme stationär durchgeführt werden.

Mit Urteil vom 12.05.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit ein Anspruch auf vorzeitige Gewährung einer stationären Rehabilitation vor Ablauf von vier Jahren bestehen solle. Die Auffassung des MDK sei nachvollziehbar und überzeugend, wonach angesichts des aufgrund der erhöhten Laborwerte (Harnsäure, CRP) bestehenden Verdachts einer bislang nicht diagnostizierten entzündlichen Erkrankung zunächst je nach Befund weitere therapeutische Optionen bestünden, zB harnsäuresenkende Medikation. Auch die Möglichkeiten einer schmerztherapeutischen Behandlung seien nicht in Angriff genommen worden. Im derzeitigen Stadium sei schon die Notwendigkeit einer stationären Maßnahme nicht nachzuvollziehen. Erst recht bestehe keine dringliche Notwendigkeit einer vorzeitigen Maßnahme. Der behandelnde Orthopäde Dr. G. habe ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung Dringlichkeit bestanden habe. Offenbar sehe er aktuell eine derartige Dringlichkeit im Hinblick auf die stabilisierte Situation im Bereich der LWS nicht. Auch die Tatsache, dass der Kläger aktuell zu einer Flugreise in die Türkei in der Lage gewesen sei, spreche gegen derartige Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, dass dem Kläger nur noch über eine stationäre Rehabilitation zu helfen wäre. Der Kläger verspreche sich offensichtlich schon durch den Urlaubsaufenthalt in einem Hotel, das die Möglichkeiten für physiotherapeutische Behandlung und ergotherapeutische Übungen im vorhandenen Hallenbad biete, eine Besserung.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 30.06.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.07.2014 eingelegte Berufung des Klägers. Er wiederholt seine Ausführungen aus dem Klageverfahren und merkt an, dass der Antritt einer Urlaubsreise an der Notwendigkeit eines stationären Rehabilitationsverfahrens nichts ändere. Eine Besserung sei durch den bereits ein Jahr zuvor gebuchten Urlaub jedenfalls nicht eingetreten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 24.07.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ihr bisheriges Vorbringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 12.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2013 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise mit Schreiben vom 17.02.2015 gehört worden.

Gem § 11 Abs 2 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.

Dieser Anspruch wird in § 40 SGB V konkretisiert. Danach erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c besteht, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht, um die in § 11 Abs 2 beschriebenen Ziele zu erreichen (§ 40 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf eine stationäre Rehabilitation setzt nach § 40 Abs 2 Satz 1 SGB V voraus, dass eine ambulante Rehabilitation nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht ausreicht. Aus diesen Vorschriften ergibt sich ein Stufenverhältnis (Urteile des Senats vom 13.03.2012, L 11 KR 1612/11, 28.04.2009, L 11 KR 4828/09 und vom 20.04.2010, L 11 KR 5047/09): Zuerst ist ambulante Krankenbehandlung iSd § 27 SGB V in Anspruch zu nehmen (erste Stufe). Reicht diese nicht aus, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, erbringt die Krankenkasse ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Rehabilitationseinrichtungen oder in wohnortnahmen Einrichtungen (§ 40 Abs 1 SGB V; zweite Stufe). Reichen solche ambulanten Maßnahmen zur Rehabilitation nicht aus, erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs 2a Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht (§ 40 Abs 2 SGB V, dritte Stufe). Leistungen der jeweils höheren Stufe können nur in Anspruch genommen werden, wenn die Leistungen der vorherigen Stufe aus medizinischen Gründen nicht ausreichen. Maßgeblich ist, ob die Erbringung von Leistungen nach den vorrangigen Stufen bei einer prognostischen Beurteilung im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des § 11 Abs 2 SGB V erfolglos sein wird (Senatsurteil vom 13.03.2012, L 11 KR 1612/11). Die Feststellung der Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer beantragten Reha-Maßnahme gehört zu den gerichtlich voll überprüfbaren Anspruchsvoraussetzungen und nicht zu der "Art der Leistung" im Sinne von § 40 Abs 3 Satz 1 SGB V, die die Krankenkasse nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt (Bundessozialgericht (BSG) 25.03.2003, B 1 KR 33/01 R, SozR 4-1500 § 54 Nr 1).

Darüber hinaus können stationäre Leistungen zur Rehabilitation nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich (§ 40 Abs 3 Satz 4 SGB V).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger derzeit keinen Anspruch auf die Gewährung einer Maßnahme zur stationären Rehabilitation nach § 40 Abs 2 Satz 1 SGB V hat. Das SG hat zutreffend und mit überzeugender Begründung gestützt auf die Gutachten des MDK ausgeführt, dass angesichts der nicht abgeschlossenen Diagnostik und der bislang nicht begonnenen Schmerztherapie schon keine Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation nachzuvollziehen ist. Soweit der Hausarzt Dr. D. eine stationäre Maßnahme aufgrund der kardialen Situation für notwendig hält, ist dies nicht nachvollziehbar. Aus dem von Dr. D. dem SG übersandten Befundbericht des Kardiologen Dr. W. vom 16.07.2013 ist zu entnehmen, dass bei bekannter koronarer Herzkrankheit "erfreuliche Untersuchungsbefunde" vorliegen: keine Belastungskoronarinsuffizienz bis 150 Watt bei unverändert guter linksventrikulärer Funktion. Gründe, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht vorgetragen, so dass weitere Ausführungen zu diesem Punkt entbehrlich sind und der Senat insoweit die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 153 Abs 2 SGG).

Davon abgesehen, dass bereits eine ambulante Behandlung ausreichend ist, steht der hier begehrten Leistung auch § 40 Abs 3 Satz 4 SGB V entgegen. Die letzte Rehabilitationsmaßnahme endete am 26.08.2012. Vor Ablauf von vier Jahren kommt die Gewährung einer erneuten Rehabilitationsmaßnahme daher nur in Betracht, wenn vorzeitige Leistungen aus medizinischen Gründen dringend erforderlich wären. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers ist ohne die Gewährung sofortiger stationärer Rehabilitation nicht zu erwarten. Auch die behandelnden Ärzte des Klägers, die eine vorzeitige Rehabilitation befürworten, geben für eine besondere Dringlichkeit keine nachvollziehbare Begründung. Aus der Aussage des Orthopäden Dr. G. lässt sich im Gegenteil sogar eher schließen, dass er aktuell – anders als zum Zeitpunkt der Antragstellung – eine besondere Dringlichkeit nicht mehr sieht. Der Senat stützt sich daher auf die plausible und nachvollziehbare Beurteilung des MDK, der wiederholt ausgeführt hat, dass aus den vorliegenden Befunden keine besondere Dringlichkeit für eine erneute stationäre Maßnahme zu entnehmen ist.

Der Kläger kann die Gewährung der begehrten stationären Reha-Maßnahme auch nicht nach dem Leistungsrecht eines anderen Rehabilitationsträgers beanspruchen. Nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX oblag der Beklagten als erstangegangenem Reha-Träger die Prüfung aller weiter in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen, da sie keine fristgerechte Zuständigkeitsklärung unternommen hatte und damit im Außenverhältnis umfassend zuständig war (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 35). Im Ergebnis ergibt sich jedoch auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX kein Anspruch des Klägers, denn eine Leistungsgewährung nach rentenrechtlichen Vorschriften scheidet aus, da der Kläger als Bezieher einer Altersrente nach § 12 Abs 1 Nr 2 SGB VI insoweit von Teilhabeleistungen ausgeschlossen ist. Für eine Leistungsgewährung nach sonstigen Vorschriften bestehen ersichtlich keine Anhaltspunkte.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Befundberichte, Arztauskünfte und MDK-Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved