S 2 KR 1206/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 2 KR 1206/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.113,09 EUR nebst 5% Zinsen seit 20.10.2010 zu bezahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 1.113,09 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Krankenhausabrechnung.

Die bei der Beklagten 50jährige Versicherte wurde zur Durchführung einer Herzkatheter Untersuchung im Zeitraum 15. April 2010 bis 18. April 2010 in der klägerischen Klinik stationär behandelt. Die Klägerin stellte der Beklagten für die stationäre Behandlung am 22. April 2010 2.202,51 EUR in Rechnung. Zur Überprüfung der Verweildauer forderte die Beklagte mit Schreiben vom 5. Mai 2010 die Klägerin auf, den Einweisungsschein zu übermitteln, der die Beklagte am 14. Mai 2010 erreichte. Der Rechnungsbetrag wurde zunächst von der Beklagten beglichen, am 20. Oktober 2010 dann aber wieder verrechnet und nur der unstreitige Teilbetrag in Höhe von 1.089,42 EUR überwiesen.

Am 10. Juni 2010 beauftragte die Beklagte den MDK, die Verweildauer zu überprüfen. Mit Schreiben vom 21. Juni 2010 beanstandete die Klägerin, dass das Prüfverfahren nicht innerhalb der 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeleitet worden sei. Diese Frist sei bereits am 5. Juni 2010 abgelaufen gewesen, da die Abrechnungsdaten am 23. April 2010 elektronisch übermittelt worden seien. Mit Schreiben vom 27. Juli 2010 teilte die Beklagte mit, dass die Fälligkeit der Rechnung an die Vollständigkeit der nach § 301 SGB V zu übermittelnden Daten abhänge. Der Einweisungsschein sei aber erst am 14. Mai 2010 bei der Beklagten eingegangen, so dass die 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c SGB V erst am 24. Juni 2010 abgelaufen sei. Damit sei das Prüfverfahren beim MDK rechtzeitig eingeleitet worden.

Am 17. Oktober 2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hinsichtlich des noch ausstehenden Betrages in Höhe von 1.113,05 EUR Klage erhoben. Die Beklagte sei verpflichtet die Rechnung in vollem Umfang zu bezahlen. Da sie das MDK-Prüfverfahren nicht rechtzeitig innerhalb der 6-Wochenfrist eingeleitet habe, sei sie mit medizinischen Einwänden gegen die Rechnung ausgeschlossen. Der Einweisungsschein gehöre nicht zu den nach § 301 SGB V zu übermittelnden Daten. Insoweit müsse nur die Einweisungsdiagnose verschlüsselt mitgeteilt werden, was auch erfolgt sei. Darüber hinaus gehöre die Herzkatheder Untersuchung nicht zu den ambulant möglichen Operationen der Anlage 1 zum ambulanten OP-Katalog.

Der Prozessbevollmächtigte beantragt zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.113,09 EUR nebst 5% Zinsen seit dem 20.10.2010 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum einen sei der Rechnungsdatensatz der Klägerin erst am 27. April 2010 bei der Beklagten eingegangen und zum anderen gehöre auch der Einweisungsschein zu den nach § 301 SGB V zu übermittelnden Unterlagen. Da dieser aber erst am 14. Mai 2010 eingegangen sei, sei die MDK-Beauftragung noch innerhalb der 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c SGB V erfolgt. Im Übrigen sei die Übermittlung des Einweisungsscheines auch nach dem Hamburger Vertrag gem. §112 SGB V vorgesehen. Der Beklagten müsse vor Einschaltung des MDK die Möglichkeit eingeräumt werden, die Notwendigkeit einer grundsätzlich ambulant möglichen Maßnahme zu überprüfen. Dazu habe sie hier den Einweisungsschein benötigt.

Im laufenden Verfahren hat die Beklagte dann das MDK-Gutachten vom 22. Juni 2012 vorgelegt, das zu dem Ergebnis kommt, dass eine sekundäre Fehlbelegung für einen Tag vorliege. Nach Auffassung der Beklagte stehe damit der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten und die Protokolle des Erörterungstermins vom 8. Mai 2014 und der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Leistungsklage ist statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, recherchiert nach juris) zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen weiteren Vergütungsanspruch in Höhe von 1.113,09 EUR, der ab 20. Oktober 2010 mit 5% zu verzinsen ist.

Streitbefangen ist hier nicht mehr der Anspruch auf Zahlung des Behandlungsfalles der Versicherten, da diese Forderung von der Beklagten bereits nach Vorliegen der notwendigen Abrechnungsdaten vollständig beglichen wurde. In Streit steht aktuell, ob die Beklagte berechtigt war, zu einem späteren Zeitpunkt mit einem entsprechenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus diesem Behandlungsfall gegen spätere unstreitige Forderungen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen in Höhe der Klageforderung aufzurechnen. Eine solche Aufrechnung ist nach § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 387 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich möglich; vorliegend ist das Gericht aber zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagten ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nach § 69 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 812 BGB nicht zusteht, da die Beklagte mit medizinischen Einwänden in Bezug auf die Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ausgeschlossen ist.

Rechtsgrundlage für einen Vergütungsanspruch aus der Behandlung der Versicherten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V , § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 9 As. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) i.V.m. mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 sowie den am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Vertrag gemäß §112 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, der zwischen der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern e.V. (KGMV) und u.a. der AOK Mecklenburg-Vorpommern geschlossen wurde. Da die streitgegenständliche Behandlung in der klägerischen Klinik in K. und damit im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt wurde, ist gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 SGB V der dort gültige Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung maßgeblich. Nach dieser Vorschrift ist der Vertrag für Krankenkassen und im Land zugelassene Krankenhäuser unmittelbar verbindlich. Nach Auffassung der Kammer kommt es damit nicht auf den offiziellen Sitz der Klägerin an sondern in welchem Bundesland das Krankenhaus zugelassen ist, in dem die stationäre Behandlung durchgeführt wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R, recherchiert nach juris).

Vorliegend hat die vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus stattgefunden. Offen bleiben kann hier die Frage, ob die stationäre Behandlung in vollem Umfang medizinisch auch erforderlich war, da die Beklagte den MDK nicht innerhalb der 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c SGB V eingeschalten hat und damit mit medizinischen Einwänden ausgeschlossen ist. Auch das Gericht ist in diesem Fall nicht befugt, medizinische Ermittlungen zur Notwendigkeit der stationären Behandlung durchzuführen oder bereits erhobene Beweismittel zu verwerten (so die ständige Rechtsprechung des BSG vgl. u.a. Urteil vom 16.5.2012 – B 3 KR 14/11 R, recherchiert nach juris).

Zu Recht verweist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass die 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c SGB V grundsätzlich mit dem Eingang der elektronisch übermittelten Daten nach § 301 SGB V beginnt. Nach dem Sachvortrag der Beklagten sind diese Daten am 27. April 2010 bei ihr eingegangen. Damit ist die 6-Wochenfrist zur Einschaltung des MDK am 8. Juni 2010 abgelaufen. Der MDK ist aber erst am 10. Juni 2010 mit einer Überprüfung der Verweildauer beauftragt worden und damit nach Ablauf der in § 275 Abs. 1c SGB V genannten Frist.

Die Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, dass der Einweisungsschein zu den nach § 301 SGB V zu übermittelnden Daten gehört und damit die Frist erst am 14. Mai 2010 zu laufen begonnen hat. So wird der Einweisungsschein als solcher nicht explizit in § 301 SGB V aufgeführt. Hier wird nur die Übermittlung der Einweisungsdiagnose erwähnt, die die Klägerin auch übermittelt hat. Zwar wurde die Einweisungsdiagnose wohl fehlerhaft übermittelt, dieser Umstand ist aber hier unerheblich, da es nicht auf die Richtigkeit der übermittelten Daten sondern nur auf die Vollständigkeit der Daten ankommt. Auch das BSG hat in seiner Entscheidung vom 16.5.2012 (vgl. B 3 KR 14/11 R Rd. 19, recherchiert nach juris) festgestellt, dass in § 301 SGB V die Auflistung der zu übermittelnden Daten enumerativ und abschließend ist.

Das BSG hat lediglich für den Fall, dass eine Maßnahme im Regelfall ambulant durchzuführen ist, aus § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V und dem für Krankenhausbehandlung allgemein geltenden Grundsatz "ambulant vor stationär" (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) geschlossen, dass Krankenhäuser auch gehalten sind, in diesen Fällen darzulegen, aus welchen Gründen das Behandlungsziel nicht mit den ambulanten Möglichkeiten erreicht werden konnte. Andernfalls werde die Krankenhausrechnung weder fällig noch beginne die Frist des § 275 Abs. 1c SGB V zu laufen (vgl. BSG, Urteil vom 21.3.2013 – B 3 KR 28/12 R, Rd. 16, recherchiert nach juris, sowie Terminbericht Nr. 14/15 vom 21. 4.2015 zu B 1 KR 10/15 R).

Nach Auffassung der Kammer liegt ein solcher Ausnahmefall hier aber nicht vor. Die streitige Herzkatheter Untersuchung ist zwar im Katalog ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115 b SGB V im Krankenhaus enthalten, dort allerdings in der Anlage 2. Diese Anlage beinhaltet die ambulant durchführbaren Operationen und sonstigen stationsersetzenden Eingriffe gem. § 115 b SGB V. Demgegenüber sind in Anlage 1 die Leistungen enthalten, die in der Regel ambulant erbracht werden.

Nach Meinung der Kammer kann die oben genannte Rechtsprechung des BSG nur auf Operationen/sonstige Behandlungsmaßnahmen der Anlage 1 angewendet werden, die in der Regel ambulant durchzuführen sind.

Würde diese Rechtsprechung auch auf die ärztlichen Maßnahmen ausgedehnt werde, die in Anlage 2 aufgezählt werden, hätte dies weitreichende Konsequenzen, da eine Vielzahl von ärztlichen Behandlungsmaßnahmen existieren, die sowohl ambulant als auch stationär durchführbar sind. Insoweit wird insbesondere auf den Bereich der psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen verwiesen, die grundsätzlich immer sowohl ambulant als auch stationär möglich sind. Würde man die vom BSG eingeführte Ausnahmeregelung ganz allgemein auf alle Behandlungsmaßnahmen ausdehnen, die sowohl ambulant als auch stationär durchführbar sind, könnten Krankenkassen in all diesen Fällen weitere medizinische Begründungen anfordern, ohne den MDK mit einer Prüfung zu beauftragen. Diese Vorgehensweise würde aber gegen den in § 275 Abs. 1c SGB V festgelegten Beschleunigungsgrundsatz verstoßen und auch zu Unsicherheiten führen, wann dann konkret alle Daten nach § 301 SGB V vorliegen und damit die Frist des § 275 Abs. 1c SGB V zu laufen beginnt. Gerade bei der Vielzahl der Krankenhausabrechnungen ist aber insoweit die klare und eindeutige Regelung des § 301 SGB V vorzuziehen.

Damit gehört der Einweisungsschein, selbst wenn er dazu gedient hat, die medizinischen Voraussetzungen einer stationären Behandlung zu begründen, nicht zu den gemäß § 301 SGB V vorzulegenden Daten.

Auch der Umstand, dass nach dem Hamburger Vertrag gemäß § 112 SGB V die Übermittlung des Einweisungsscheins vorgeschrieben ist, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Dies gilt insbesondere, da, wie bereits ausgeführt, für die hier streitige Behandlung nicht der Hamburger Vertag gemäß § 112 SGB V anzuwenden ist sondern der entsprechende Vertag für das Land Mecklenburg-Vorpommern, der keine entsprechende Verpflichtung vorsieht.

Damit ist die Beklagte mit medizinischen Einwänden gegen die Krankenhausabrechnung ausgeschlossen, da der MDK nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1c SGB V mit einem Prüfauftrag betraut wurde.

Nach Satz 1 der Vorschrift ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung zu Art und Umfang der Leistung zeitnah durchzuführen und nach Satz 2 der Vorschrift spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen anzuzeigen. Diese Frist wurde vorliegend nicht eingehalten, da die Abrechnungsunterlagen spätestens am 27. April 2010 vollständig vorlagen und damit die Frist zur Einschaltung des MDK am 8. Juni 2010 ablief. Die Einschaltung des MDK erfolgte aber erst mit Schreiben vom 10. Juni 2010. Unter diesen Umständen ist auch das Gericht daran gehindert, das noch während des laufenden Verfahrens eingeholte MDK-Gutachten zu berücksichtigen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 16.5.2012 a.a.O.).

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 17 des Vertrag gemäß §112 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung für Mecklenburg-Vorpommern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat die Kosten zu tragen, da sie in vollem Umfang unterlegen ist. Der Streitwert wird in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs gemäß § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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