Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 54/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 28/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 135/15 B (NZB - verworfen)
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2014 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt (zuletzt noch) die Anerkennung einer bei ihm bestehenden Krankheit gemäß § 9 Abs. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) wie eine Berufskrankheit (Wie-BK).
Der 1951 geborene Kläger, gelernter Bau- und Möbeltischler und langjährig als Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeiten bzw. als Auslieferungsmonteur mit tragender Tätigkeit beschäftigt gewesen, beantragte am 24. November 2010 bei der Beklagten im Hinblick auf eine bei ihm am 14. Juli 2010 während der Auslieferung eines Sideboards – vgl. Unfallanzeige vom 16. Juli 2010 - zu Tage getretene Erkrankung seiner rechten Schulter, laut Zwischenbericht des Klinikums vom 28. Juli 2010 ein subadronales Schmerzsyndrom bei AC-Gelenkarthrose mit Ruptur der Supraspinatussehne sowie Luxation der langen Bizepssehne, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV – BK 2101: Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) bzw. einer Wie-BK.
Zuvor war das Ereignis vom 14. Juli 2010 mit Bescheid vom 23. August 2010 als Arbeitsunfall anerkannt worden; eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit war abgelehnt worden. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 03. September 2010 war mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2010 zurückgewiesen worden. Das anschließende Klageverfahren beim Sozialgericht Berlin (SG) zum gerichtlichen Aktenzeichen S endete nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Orthopäden Dr. W vom 15. Januar 2013, wonach ein beim Kläger bestehender Zustand nach Rotatorenmanschettennaht und subacromialer Erweiterung der rechten Schulter bzw. ein Zustand nach subacromialer Erweiterung der linken Schulter, ein Zustand nach operativer Refixation der langen Bizepssehne rechts und beidseitige Schultereckgelenksarthrose degenerative, möglicherweise durch unzählige beruflich ausgeübte Hebebewegungen verursachte Erkrankungen und keine Folgen des Unfalls vom 14. Juli 2010 waren, mit einer Klagerücknahme.
Die Beklagte lehnte nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 25. Februar 2011 mit Bescheid vom 11. März 2011 die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers (Arthrose im Bereich des rechten Schultergelenks, Riss der Armhebesehne (Supraspinatussehne) und Teilriss der Sehne des langen Bizepskopfes) als BK, insbesondere auch als Wie-BK ab. Mit Bescheid vom 28. März 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2101 ab.
Der Kläger erhob am 14. April 2011 Widerspruch. Derartige Schulterverletzungen seien seit langem im Hinblick auf aufgetretene BKen umstritten. Insbesondere werde die auch hier vorliegende Ruptur der Rotatorenmanschette häufig mit dem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten und anderer Belastungen des Schulterbereichs in Verbindung gebracht. Man sei in medizinischer Hinsicht mehr und mehr der Auffassung, dass eine jahrelange berufliche Belastung in dieser Hinsicht verantwortlich für die eingetretenen Verletzungen sein könne. Es lägen hierüber Dissertationen vor. Der Kläger sei über Jahrzehnte hinweg als Auslieferungsmonteur für Möbel tätig gewesen. Zu dieser Tätigkeit gehöre es, ständig mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten auch über mehrere Stockwerke konfrontiert zu sein. Die Lasten könnten bei Einzelteilen, die nicht beim Endkunden montiert würden, sondern als Gesamtstück angeliefert würden, aber auch bei einzelnen Montageteilen, leicht Gewichte um die 100 kg erreichen. Der Kläger reichte zur Untermauerung seines Vorbringens einen ärztlichen Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation bzgl. einer ganztägig ambulanten Heilmaßnahme vom 01. bis zum 30. August 2011 ein (Diagnosen: Rotatorenmanschettenläsion, Impingement linke Schulter; Rotatorenmanschettenläsion rechte Schulter; chronisch rezidivierendes Dorsolumbal-Syndrom; Nikotinabusus ca. 45 pack years).
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdiensts zur Arbeitsplatzexposition vom 19. Juli 2011 ein, wonach die BK 2101 repetitive Bewegungen vor allem im Hand-/ Armbereich mit langdauernder und hoher Bewegungsfrequenz voraussetze, was beim Kläger nicht ersichtlich sei, und eine Wie-BK seitens des Präventionsdiensts nicht beurteilt werden könne.
Die Beklagte wies den auf Anerkennung einer Wie-BK gerichteten Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2011 mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2011 als unbegründet zurück. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. März 2011 betreffend die BK 2101 wies die Beklagte ebenfalls mit einem Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2011 zurück.
Der Kläger hat sein Begehren nach der Anerkennung einer BK 2101 und Wie-BK mit der am 23. Januar 2012 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er hat an seinem vorprozessualen Vorbringen festgehalten. Ferner hat er ausgeführt, das Bayerische Landessozialgericht (LSG) habe in einem Urteil vom 21. Juni 2006 – L 2 U 390/04 – noch nicht die für eine Anerkennung als Wie-BK erforderlichen medizinischen Erkenntnisse anzunehmen vermocht. Zwischenzeitlich lägen jedoch entsprechende Erkenntnisse vor. Hierfür sei auf die bereits im Vorverfahren in Bezug genommenen medizinischen Dissertationen von Denis Schaffhauser ("Der Rotatorenmanschettendefekt – eine Berufskrankheit") und von Katrin Ochs ("Die Rotatorenmanschettenruptur – eine Berufserkrankung?") zu verweisen. Beide Dissertationen kämen zum Schluss, dass ein Zusammenhang mit einer langjährigen Belastung und dem Eintritt einer entsprechenden defekten Rotatorenmanschette und einer Rotatorenmanschettenruptur bestehe. Beide Dissertationen täten sich schwer damit, die Erkrankung einer der BKen nach der Anlage 1 zur BKV zuzuordnen und schlügen eine Überarbeitung der BK-Liste oder eine Anerkennung über § 9 Abs. 2 SGB VII vor. Davon abgesehen sei auf die Situation der Anerkennung als BK im europäischen und außereuropäischen Ausland zu verweisen. Hierfür sei auf einen Artikel von Kathrin Scheele Bezug zu nehmen, wonach in Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Polen, Portugal und Spanien die entsprechende Erkrankung als BK anerkannt sei.
Das SG hat vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die unter dem 07. November 2012 gefertigte Stellungnahme beigezogen, wonach das BMAS die Fragestellung der Verursachung einer Ruptur der Rotatorenmanschette durch das Heben und Tragen schwerer Lasten bisher nicht geprüft habe und eine Prüfung auch nicht beabsichtigt sei. Insofern lägen keine entsprechenden medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII vor.
Der Kläger hat eine Stellungnahme des Direktors des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Technischen Universität Prof. Dr. Svom 16. September 2013 zum Stand der medizinischen Forschung und Wissenschaft zum Thema Ruptur der Rotatorenmanschette aufgrund von Belastungen im Arbeitsverhältnis vorgelegt, an welcher sich auch der Landesgewerbearzt in Wiesbaden Prof. Dr. Bbeteiligt hat. Beide Professoren hätten vor einigen Jahren zusammen eine Fallkontrolle zum vorliegenden Thema durchgeführt. Dies sei wohl die einzige bevölkerungsbezogene arbeitsepidemiologische Studie zum Zusammenhang zwischen beruflichen Tätigkeiten und Rotatorenmanschettenrupturen, welche bisher in Deutschland durchgeführt worden sei. Eingedenk neuerer wissenschaftlicher Arbeiten zur Ätiologie von Schultererkrankungen (Impingement-Syndrom, Tendinosen, Rotatorenmanschettensyndrom) werde deutlich, dass mit Kraftausübung verbundene Tätigkeiten ebenso wie Tätigkeiten mit dem Arm auf oder über Schulterniveau ("Überschulterarbeit") mit einem erheblich erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden seien. Darüber hinaus bestehe auch für Tätigkeiten, die mit häufigen Abduktionen im Schultergelenk verbunden seien, für langdauernde Teilkörpervibrationen sowie für repetitive Tätigkeiten ein erheblich erhöhtes Schulter-Erkrankungsrisiko. Die Erkrankung könne nach folgenden Expositionsvoraussetzungen anerkannt werden: 1. Repetitive und anstrengende Schulterbewegungen in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last. 2. Statisches Anheben des Oberarms um etwa 60° und mehr. In der Zusammenschau sei beim Vorliegen einer hinreichenden beruflichen Exposition die berufliche Verursachung speziell einer Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette (meist einer Supraspinatus-Ruptur) unabhängig von der Lokalisation im Bereich des Sehnenansatzes wahrscheinlich zu machen.
Die Beklagte hat sich bzgl. des Schreibens der beiden Professoren dahingehend eingelassen, dass es den Anforderungen an den Nachweis gesicherter Erkenntnisse im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII nicht gerecht werde, zumal sich dort auf epidemiologische Studien beschränkt werde, ohne die Pathophysiologie zu erfassen. Laut derzeitigem Sachstand der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gebe es keine gesicherten Erkenntnisse im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII für Erkrankungen im Bereich der Schulter in Bezug auf schwere körperliche Tätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeit. Die Verursachung bestimmter Erkrankungsbilder durch die berufliche Tätigkeit werde in der medizinischen Literatur zwar diskutiert. Gesicherte Erkenntnisse fehlten jedoch bislang. Es bestehe lediglich Forschungsbedarf. Gerade für die Einwirkungs- und Ursachenbeziehung gebe es keine gesicherten arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse. Dass eben keine gesicherten neuen Erkenntnisse vorlägen, werde auch durch das Schreiben der beiden Professoren vom 16. September 2013 aus dem Blickwinkel der begrenzten epidemiologischen Betrachtung in Bezug auf Rotatorenmanschettendefekte durch das (An-) Heben und Tragen schwerer Lasten bestätigt. Das Odds ratio (Quotenverhältnis) betrage hier lediglich 1,8. Nähere Abwägungen, weshalb bereits bei diesem Risikowert von einer erhöhten Gefährdung eines besonderen Personenkreises i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII ausgegangen werden könne, seien den Ausführungen nicht zu entnehmen; diese sei auch nicht Gegenstand der Studie von Prof. Dr. Sgewesen. Bei Überkopfarbeiten sei lediglich ein Odds ratio von 2,0 statistisch festgestellt worden; die maßgebenden Voraussetzungen der Studie und Untersuchung (genaues Studiendesign), der Faktoren und mögliche Störfaktoren seien jedoch nicht ausreichend bekannt und festgestellt. Auffallend sei auch das riesige breite Spektrum der angeführten Expositionskategorie mit 3.195 bis 64.057 Stunden. Welche Unwägbarkeiten sich dahinter verbürgen, werde nicht diskutiert. Sehr langjährige Arbeit mit handgeführten vibrierenden Geräten, welche die Studie von Prof. Dr. S auch untersucht habe, liege beim Kläger nicht vor. Das Schreiben der Professoren vom 16. September 2013 sei lediglich einer von mehreren Bausteinen der derzeitigen Diskussion.
Das SG hat die KIage – mit Zustimmung der Beteiligten im Wege schriftlicher Entscheidung – mit Urteil vom 15. Januar 2014 abgewiesen. Die Anerkennung einer BK 2101 scheitere bereits am fehlenden Vorliegen eines geeigneten Krankheitsbilds. Auch könne die Rotatorenmanschettenruptur nicht als Wie-BK anerkannt werden. Die beiden vorgelegten Dissertationen lägen zeitlich bereits vor der letzten Änderung der BKV aufgrund der Zweiten Verordnung vom 11. Juni 2009 und könnten so von vornherein nicht für neuere gesicherte Erkenntnisse herhalten. Davon abgesehen ergebe sich aus den Dissertationen lediglich, dass keine Einigkeit über den Zusammenhang bestehe, bzw. werde nur ein Zusammenhang ohne konkrete Bestimmung der Belastung sowie des betroffenen Personenkreises angenommen. Auch das Schreiben der beiden Professoren vom 16. September 2013 ergebe keine gesicherten neueren Erkenntnisse. Allein epidemiologische Studien reichten für die Annahme der BK-Reife noch nicht aus, zumal die in Bezug genommenen Studien teilweise ganz andere Belastungen als beim Kläger zu Grunde legten. Ein abgrenzbarer Personenkreis, wie jedoch zwingend für eine BK, werde gerade nicht herausgearbeitet.
Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Januar 2014 zugestellte Urteil am 28. Februar 2014 Berufung eingelegt. Er hält an seinem bisherigen Vorbringen fest und verweist auf die Stellungnahme der beiden Professoren. An der Anerkennung der BK 2101 hält er laut Schriftsatz vom 13. Mai 2014 nicht mehr fest.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2011 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm mit der Rotatorenmanschettenerkrankung eine Berufskrankheit i.S.v. § 9 Abs. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und an ihrem bisherigen Vorbringen fest.
Der Senat hat weitere Stellungnahmen des BMAS vom 15. Juli 2014 und 02. September 2014 eingeholt, wonach weiterhin keine entsprechenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII vorlägen bzw. keine Aussage darüber möglich sei, ob es sich bei der Stellungnahme der beiden Professoren um eine Einzelmeinung handele. Ferner ist eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 13. Januar 2015 eingeholt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltliche Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 ist in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2011 rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Rotatorenmanschettenerkrankung als BK i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII. An der Feststellung einer bei ihm vorliegenden BK 2101 hält der Kläger ausdrücklich nicht mehr fest.
Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung besteht nicht. Die Voraussetzungen der hierfür einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage aus § 9 Abs. 2 SGB VII liegen nicht vor.
§ 9 Abs. 2 SGB VII bestimmt, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK anzuerkennen haben, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt als Voraussetzung für die Bezeichnung von Krankheiten als BK durch Rechtsverordnung, dass diese nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen, d.h. die gruppentypische bzw. –spezifische Risikoerhöhung in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der BKV für die Regelung einer bestimmten BK noch nicht ausreichten. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist dann als erfüllt anzusehen, wenn hinreichende Feststellungen in Form medizinischer Erkenntnisse dafür getroffen sind, dass eine Personengruppe, zu welcher der Versicherte zu zählen ist, durch die Arbeit Einwirkungen ausgesetzt war, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt kommt (Einwirkungshäufigkeit) und die geeignet war, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen (generelle Geeignetheit). Das Erfordernis einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf das allgemeine Auftreten einer Krankheit innerhalb dieser Gruppe. Die gruppenspezifische Risikoerhöhung muss sich in jedem Fall letztlich aus "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" ergeben (vgl. etwa zur Vorgängerregelung des § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R –, zitiert nach juris Rn. 22).
Hierfür genügt es nicht, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur sogenannten BK-Reife verdichtet haben. Dies ist (nur dann) der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (LSG Bayern, Urteil vom 21. Juni 2006 – L 2 U 390/04 -, zitiert nach juris Rn. 27; vgl. auch BSG a.a.O.). Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (vgl. BSG a.a.O.). Dieser generelle Ursachenzusammenhang muss für eine bestimmte, nicht in der BK-Liste verzeichnete Erkrankung feststehen. Es genügt hingegen nicht, wenn der ursächliche Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Einwirkung und der Erkrankung aufgrund der Beweiswürdigung im Einzelfalls als hinreichend wahrscheinlich angesehen wird (Römer, in: Hauck, Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, Bd. 1, Stand März 2013, K § 9 Rn. 38a, 39). Dabei müssen der Unfallversicherungsträger bzw. das Gericht einen stärkeren Grad der Überzeugung belegen, als dem Verordnungsgeber in § 9 Abs. 1 SGB VII abverlangt wird, welchem – anders als dem Unfallversicherungsträger bzw. dem Gericht – ein sozialpolitischer Spielraum zusteht (Römer, a.a.O., Rn. 39).
Derartige neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die bereits zu einer herrschenden Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich geführt hätten, liegen für die Rotatorenmanschettenruptur nicht vor.
Die Rotatorenmanschette liegt zwischen dem Oberarmkopf und dem knöchern-bindegewebigen Schulterdach, gebildet von der Schulterhöhe (Acromion), dem Rabenschnabelfortsatz und einem straffen Band, das dazwischen verläuft. Sie bildet eine Sekundärpfanne zwischen Oberarmkopf und Schulterhöhe und kontrolliert die Roll-Schulterhöhe, hält den relativ großen Oberarmkopf in korrekter Stellung zur vergleichsweise kleinen Pfanne und kontrolliert die Roll-Gleit-Bewegungen des Oberarmkopfes. Die Rotatorenmanschette unterliegt in hohem Maße der Degeneration, die zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit führt. Die Degeneration beginnt bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. In der Altersgruppe der über 40-jährigen nehmen die "Partialrupturen" zu: es bestehen inkomplette, meist gelenkseitige Teildefekte und Ausdünnungen des Sehnengewebes. Zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen auf und jenseits des 60. Lebensjahres steigt dann die Wahrscheinlichkeit für einen Rotatorenmanschettendefekt rasch an und erreicht bis zu 100%. Neben dem traumatischen Riss können Rupturen entstehen durch lokale Minderdurchblutung im Bereich der Sehnenansätze am Oberarmkopf und durch einen zunehmenden Verschleiß der Sehnen durch Abrieb im Engpass des subakromialen Raumes. Dabei handelt sich um eine Störung der Gleitbewegung zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach. Jede Veränderung des subakromialen Raumes kann zu einem Engpass des Schultergelenkes führen mit degenerativen Erscheinungen der Rotatorenmanschette einschließlich Teilrupturen, Kalkeinlagerungen und vorzeitigem Verschleiß des Schultereckgelenkes. Dabei ist durchaus von einer Korrelation zwischen Degeneration und körperlicher Beanspruchung auszugehen (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 410 f.).
Hieran gemessen kann das Vorliegen neuer Erkenntnisse zur Erkrankung an einer Rotatorenmanschettenruptur – auch etwa bei Kraftfahrern mit Be- und Entladetätigkeiten bzw. Auslieferungsmonteuren mit tragender Tätigkeit wie dem Kläger - nicht festgestellt werden. Insbesondere haben sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse – soweit man von deren Vorliegen ausgeht – zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bereits zur BK-Reife verdichtet. Eine herrschende Meinung im orthopädisch-chirurgischen Fachbereich hat sich insoweit zur Überzeugung des Senats noch nicht gebildet.
Die vom Kläger in Bezug genommene Dissertation von Denis Schaffhauser ergibt – abgesehen von ihrer wohl mittlerweile fehlenden Aktualität - letztlich nur statistisch signifikante Hinweise auf eine Mehrbelastung der Patienten aus dem Baugewerbe und der Land- und Forstwirtschaft gegenüber den Gruppen Verkehr und Handel und Dienstleistungen/ Sonstige. Ziel dieser - eine vorangegangene epidemiologische Studie lediglich weiterführenden - Studie war es, anhand eines Fragebogens die Dauer der Berufsausübung in Jahren, die Arbeitsbelastung und die Art der körperlichen Betätigungen von 472 Patienten zu erfragen und zu analysieren, wobei die Fragen darauf gerichtet waren, ob im Baugewerbe und der Land- und Forstwirtschaft mehr belastende Tätigkeiten verrichteten werden mussten als in anderen Berufsbereichen und welche speziellen Tätigkeiten auffällige Ergebnisse liefern würden. Es konnten schließlich 270 beantwortete Fragebögen ausgewertet werden. Es handelt sich mithin lediglich in der Tat um eine rein epidemiologische Studie, welche – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – keine hinreichenden Schlüsse auf einen Ursachenzusammenhang zwischen konkreten Einwirkungen, welchen typischerweise eine abgrenzbare Berufsgruppe ausgesetzt ist, und einer Rotatorenmanschettenerkrankung zulässt.
Dass gegenwärtig keine Einigkeit über die beruflichen Ursachen etwa einer Rotatorenmanschettenruptur besteht und viele verschiedene Faktoren wie Überkopfarbeiten, Vibrationen, repetitive bzw. gleichförmige Tätigkeiten diskutiert werden, ergibt sich aus der ebenfalls vom Kläger in Bezug genommenen Dissertation von Kathrin Ochs aus dem September 2008.
Eine BK-Reife im oben beschriebenen Sinne lässt sich auch nicht der Stellungnahme von Prof. Dr. S und Prof. Dr. B vom 16. September 2013 entnehmen. Diese Stellungnahme referiert im Wesentlichen wiederum rein epidemiologische Studien und nimmt im Schwerpunkt auf eine Fallkontrollstudie von Prof. Dr. S aus dem Jahr 2011 in Bezug. Eine Fall-Kontroll-Studie ist etwa laut Wikipedia – Die freie Enzyklopädie - eine Form der epidemiologischen Studien in der Medizin. Es handelt sich um eine retrospektive Untersuchung einer Stichprobe, die aus erkrankten Personen besteht (Fall), und einer Stichprobe, die aus gesunden Personen besteht (Kontrolle). Bei beiden Gruppen wird nun ermittelt, ob in der Vergangenheit eine Exposition gegenüber potenziellen Risikofaktoren vorlag. Ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen bedeutet eine Korrelation zwischen Risikofaktor und Erkrankung. Keinesfalls kann man allerdings ohne Weiteres auf eine Ursache-/ Wirkungsbeziehung schließen. So ist die Stellungnahme der beiden Professoren von vornherein nicht geeignet, eine BK-Reife für berufsbedingte Rotatorenmanschettenrupturen zu vermitteln.
Es fehlt – hierauf weist die Beklagte nachvollziehbar hin – auch an pathophysiologischen Erwägungen, die eine Einwirkungskausalität hinreichend plausibel machen. Offen bleibt zunächst, wie die Professoren in ihrer Stellungnahme vom 16. September 2013 von den in der Fallkontrollstudie aus dem Jahre 2011 wahrscheinlich gemachten Fakten darauf schließen, dass gerade repetitive und anstrengende Schulterbewegungen in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last bzw. statisches Anheben des Oberarms um etwa 60° oder mehr geeignete Expositionsvoraussetzungen darstellten. Zudem wird die Pathophysiologie mit der die unterschiedlichsten Bewegungs- bzw. Belastungsabläufe erfassenden, recht vagen Umschreibung ("anstrengende Schulterbewegungen", "in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last", "etwa 60°") nicht hinreichend plausibel. Warum allein schon das statische Anheben des Oberarms ab etwa 60° schädlich und inwiefern hier eine Abgrenzung gegen die Normalbevölkerung möglich sein soll, erschließt sich ebenfalls nicht. Offen bleibt mithin insgesamt, wie hier eine berufsgruppenspezifische Gefahrerhöhung gegenüber der Normalbevölkerung bestehen soll.
Davon abgesehen erfasst die Studie eine Belastungsbandbreite von 77 bis 9.038 Stunden Lastenhandhabungen, ohne bzgl. der Häufigkeit der Rotatoranmanschettenrupturen genauer nach der jeweiligen Einzel- und Gesamt-Belastungsdosis und Art der Belastung zu differenzieren. Hinzukommt, dass im Bereich der Handhabungen schwerer Lasten nur ein auf das 1,8-fache erhöhtes Risiko für eine Supraspinatussehnenruptur eruiert wurde. Zwar ergab die Studie offensichtlich ein auf das 2,0-fach erhöhtes Risiko bei 3.195 bis 64.057 Stunden Überschulterarbeit und bei Personen mit 16- bis 51-jähriger Arbeit mit handgeführten vibrierenden Geräten ein auf das 3,2-fach erhöhtes Risiko, jedoch fehlt auch hier eine eingehendere Differenzierung zwischen den jeweiligen Gesamt-Dosen und eine plausible Abgrenzung zu den Schulterbelastungen in der Normalbevölkerung. Bei alldem fehlt auch eine Differenzierung nach dem Alter der Probanden, welche angesichts der signifikant mit dem Alter wachsenden Epidemiologie geboten erscheint, um ein Berufs- von einem – die Allgemeinbevölkerung betreffendes - bloßes Altersrisiko abzugrenzen.
Auch soweit Prof. Dr. S und Prof. Dr. Bin ihrer Stellungnahme vom 16. September 2013 betonen, dass die Studie aus dem Jahr 2011 die einzige bevölkerungsbezogene arbeitsepidemiologische Studie zum Zusammenhang zwischen beruflichen Tätigkeiten und Rotatorenmanschettenrupturen ist, welche bisher in Deutschland durchgeführt wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich insoweit bereits eine dem Kläger günstige herrschende Meinung der orthopädisch-chirurgischen Fachwelt gebildet hat. Aus der vom Senat eingeholten abschließenden Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 13. Januar 2015 ergibt sich ebenfalls nichts für eine – ggf. zwischenzeitlich – etablierte, auf einschlägigen Studien fußende herrschende medizinisch-wissenschaftlich Meinung zum Ursachenzusammenhang berufsbedingter Rotatorenmanschettenrupturen.
Dementsprechend erscheint es auch plausibel, dass nach den Auskünften des BMAS vom 07. November 2012, 15. Juli 2014 und 02. September 2014 zum Thema der berufsbedingten (Verursachung der) Rotatorenmanschettenruptur keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen und Beratungen im Sachverständigenbeirat hierzu nicht beabsichtigt sind.
Nach alldem zeigt sich zwar bzgl. der berufsbedingten Rotatorenmanschettenruptur Forschungsbedarf, jedoch noch keine BK-Reife.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt (zuletzt noch) die Anerkennung einer bei ihm bestehenden Krankheit gemäß § 9 Abs. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) wie eine Berufskrankheit (Wie-BK).
Der 1951 geborene Kläger, gelernter Bau- und Möbeltischler und langjährig als Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeiten bzw. als Auslieferungsmonteur mit tragender Tätigkeit beschäftigt gewesen, beantragte am 24. November 2010 bei der Beklagten im Hinblick auf eine bei ihm am 14. Juli 2010 während der Auslieferung eines Sideboards – vgl. Unfallanzeige vom 16. Juli 2010 - zu Tage getretene Erkrankung seiner rechten Schulter, laut Zwischenbericht des Klinikums vom 28. Juli 2010 ein subadronales Schmerzsyndrom bei AC-Gelenkarthrose mit Ruptur der Supraspinatussehne sowie Luxation der langen Bizepssehne, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV – BK 2101: Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) bzw. einer Wie-BK.
Zuvor war das Ereignis vom 14. Juli 2010 mit Bescheid vom 23. August 2010 als Arbeitsunfall anerkannt worden; eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit war abgelehnt worden. Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 03. September 2010 war mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2010 zurückgewiesen worden. Das anschließende Klageverfahren beim Sozialgericht Berlin (SG) zum gerichtlichen Aktenzeichen S endete nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Orthopäden Dr. W vom 15. Januar 2013, wonach ein beim Kläger bestehender Zustand nach Rotatorenmanschettennaht und subacromialer Erweiterung der rechten Schulter bzw. ein Zustand nach subacromialer Erweiterung der linken Schulter, ein Zustand nach operativer Refixation der langen Bizepssehne rechts und beidseitige Schultereckgelenksarthrose degenerative, möglicherweise durch unzählige beruflich ausgeübte Hebebewegungen verursachte Erkrankungen und keine Folgen des Unfalls vom 14. Juli 2010 waren, mit einer Klagerücknahme.
Die Beklagte lehnte nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 25. Februar 2011 mit Bescheid vom 11. März 2011 die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers (Arthrose im Bereich des rechten Schultergelenks, Riss der Armhebesehne (Supraspinatussehne) und Teilriss der Sehne des langen Bizepskopfes) als BK, insbesondere auch als Wie-BK ab. Mit Bescheid vom 28. März 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2101 ab.
Der Kläger erhob am 14. April 2011 Widerspruch. Derartige Schulterverletzungen seien seit langem im Hinblick auf aufgetretene BKen umstritten. Insbesondere werde die auch hier vorliegende Ruptur der Rotatorenmanschette häufig mit dem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten und anderer Belastungen des Schulterbereichs in Verbindung gebracht. Man sei in medizinischer Hinsicht mehr und mehr der Auffassung, dass eine jahrelange berufliche Belastung in dieser Hinsicht verantwortlich für die eingetretenen Verletzungen sein könne. Es lägen hierüber Dissertationen vor. Der Kläger sei über Jahrzehnte hinweg als Auslieferungsmonteur für Möbel tätig gewesen. Zu dieser Tätigkeit gehöre es, ständig mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten auch über mehrere Stockwerke konfrontiert zu sein. Die Lasten könnten bei Einzelteilen, die nicht beim Endkunden montiert würden, sondern als Gesamtstück angeliefert würden, aber auch bei einzelnen Montageteilen, leicht Gewichte um die 100 kg erreichen. Der Kläger reichte zur Untermauerung seines Vorbringens einen ärztlichen Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation bzgl. einer ganztägig ambulanten Heilmaßnahme vom 01. bis zum 30. August 2011 ein (Diagnosen: Rotatorenmanschettenläsion, Impingement linke Schulter; Rotatorenmanschettenläsion rechte Schulter; chronisch rezidivierendes Dorsolumbal-Syndrom; Nikotinabusus ca. 45 pack years).
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdiensts zur Arbeitsplatzexposition vom 19. Juli 2011 ein, wonach die BK 2101 repetitive Bewegungen vor allem im Hand-/ Armbereich mit langdauernder und hoher Bewegungsfrequenz voraussetze, was beim Kläger nicht ersichtlich sei, und eine Wie-BK seitens des Präventionsdiensts nicht beurteilt werden könne.
Die Beklagte wies den auf Anerkennung einer Wie-BK gerichteten Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2011 mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2011 als unbegründet zurück. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. März 2011 betreffend die BK 2101 wies die Beklagte ebenfalls mit einem Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2011 zurück.
Der Kläger hat sein Begehren nach der Anerkennung einer BK 2101 und Wie-BK mit der am 23. Januar 2012 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er hat an seinem vorprozessualen Vorbringen festgehalten. Ferner hat er ausgeführt, das Bayerische Landessozialgericht (LSG) habe in einem Urteil vom 21. Juni 2006 – L 2 U 390/04 – noch nicht die für eine Anerkennung als Wie-BK erforderlichen medizinischen Erkenntnisse anzunehmen vermocht. Zwischenzeitlich lägen jedoch entsprechende Erkenntnisse vor. Hierfür sei auf die bereits im Vorverfahren in Bezug genommenen medizinischen Dissertationen von Denis Schaffhauser ("Der Rotatorenmanschettendefekt – eine Berufskrankheit") und von Katrin Ochs ("Die Rotatorenmanschettenruptur – eine Berufserkrankung?") zu verweisen. Beide Dissertationen kämen zum Schluss, dass ein Zusammenhang mit einer langjährigen Belastung und dem Eintritt einer entsprechenden defekten Rotatorenmanschette und einer Rotatorenmanschettenruptur bestehe. Beide Dissertationen täten sich schwer damit, die Erkrankung einer der BKen nach der Anlage 1 zur BKV zuzuordnen und schlügen eine Überarbeitung der BK-Liste oder eine Anerkennung über § 9 Abs. 2 SGB VII vor. Davon abgesehen sei auf die Situation der Anerkennung als BK im europäischen und außereuropäischen Ausland zu verweisen. Hierfür sei auf einen Artikel von Kathrin Scheele Bezug zu nehmen, wonach in Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Polen, Portugal und Spanien die entsprechende Erkrankung als BK anerkannt sei.
Das SG hat vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die unter dem 07. November 2012 gefertigte Stellungnahme beigezogen, wonach das BMAS die Fragestellung der Verursachung einer Ruptur der Rotatorenmanschette durch das Heben und Tragen schwerer Lasten bisher nicht geprüft habe und eine Prüfung auch nicht beabsichtigt sei. Insofern lägen keine entsprechenden medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII vor.
Der Kläger hat eine Stellungnahme des Direktors des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Technischen Universität Prof. Dr. Svom 16. September 2013 zum Stand der medizinischen Forschung und Wissenschaft zum Thema Ruptur der Rotatorenmanschette aufgrund von Belastungen im Arbeitsverhältnis vorgelegt, an welcher sich auch der Landesgewerbearzt in Wiesbaden Prof. Dr. Bbeteiligt hat. Beide Professoren hätten vor einigen Jahren zusammen eine Fallkontrolle zum vorliegenden Thema durchgeführt. Dies sei wohl die einzige bevölkerungsbezogene arbeitsepidemiologische Studie zum Zusammenhang zwischen beruflichen Tätigkeiten und Rotatorenmanschettenrupturen, welche bisher in Deutschland durchgeführt worden sei. Eingedenk neuerer wissenschaftlicher Arbeiten zur Ätiologie von Schultererkrankungen (Impingement-Syndrom, Tendinosen, Rotatorenmanschettensyndrom) werde deutlich, dass mit Kraftausübung verbundene Tätigkeiten ebenso wie Tätigkeiten mit dem Arm auf oder über Schulterniveau ("Überschulterarbeit") mit einem erheblich erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden seien. Darüber hinaus bestehe auch für Tätigkeiten, die mit häufigen Abduktionen im Schultergelenk verbunden seien, für langdauernde Teilkörpervibrationen sowie für repetitive Tätigkeiten ein erheblich erhöhtes Schulter-Erkrankungsrisiko. Die Erkrankung könne nach folgenden Expositionsvoraussetzungen anerkannt werden: 1. Repetitive und anstrengende Schulterbewegungen in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last. 2. Statisches Anheben des Oberarms um etwa 60° und mehr. In der Zusammenschau sei beim Vorliegen einer hinreichenden beruflichen Exposition die berufliche Verursachung speziell einer Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette (meist einer Supraspinatus-Ruptur) unabhängig von der Lokalisation im Bereich des Sehnenansatzes wahrscheinlich zu machen.
Die Beklagte hat sich bzgl. des Schreibens der beiden Professoren dahingehend eingelassen, dass es den Anforderungen an den Nachweis gesicherter Erkenntnisse im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII nicht gerecht werde, zumal sich dort auf epidemiologische Studien beschränkt werde, ohne die Pathophysiologie zu erfassen. Laut derzeitigem Sachstand der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gebe es keine gesicherten Erkenntnisse im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII für Erkrankungen im Bereich der Schulter in Bezug auf schwere körperliche Tätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeit. Die Verursachung bestimmter Erkrankungsbilder durch die berufliche Tätigkeit werde in der medizinischen Literatur zwar diskutiert. Gesicherte Erkenntnisse fehlten jedoch bislang. Es bestehe lediglich Forschungsbedarf. Gerade für die Einwirkungs- und Ursachenbeziehung gebe es keine gesicherten arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse. Dass eben keine gesicherten neuen Erkenntnisse vorlägen, werde auch durch das Schreiben der beiden Professoren vom 16. September 2013 aus dem Blickwinkel der begrenzten epidemiologischen Betrachtung in Bezug auf Rotatorenmanschettendefekte durch das (An-) Heben und Tragen schwerer Lasten bestätigt. Das Odds ratio (Quotenverhältnis) betrage hier lediglich 1,8. Nähere Abwägungen, weshalb bereits bei diesem Risikowert von einer erhöhten Gefährdung eines besonderen Personenkreises i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII ausgegangen werden könne, seien den Ausführungen nicht zu entnehmen; diese sei auch nicht Gegenstand der Studie von Prof. Dr. Sgewesen. Bei Überkopfarbeiten sei lediglich ein Odds ratio von 2,0 statistisch festgestellt worden; die maßgebenden Voraussetzungen der Studie und Untersuchung (genaues Studiendesign), der Faktoren und mögliche Störfaktoren seien jedoch nicht ausreichend bekannt und festgestellt. Auffallend sei auch das riesige breite Spektrum der angeführten Expositionskategorie mit 3.195 bis 64.057 Stunden. Welche Unwägbarkeiten sich dahinter verbürgen, werde nicht diskutiert. Sehr langjährige Arbeit mit handgeführten vibrierenden Geräten, welche die Studie von Prof. Dr. S auch untersucht habe, liege beim Kläger nicht vor. Das Schreiben der Professoren vom 16. September 2013 sei lediglich einer von mehreren Bausteinen der derzeitigen Diskussion.
Das SG hat die KIage – mit Zustimmung der Beteiligten im Wege schriftlicher Entscheidung – mit Urteil vom 15. Januar 2014 abgewiesen. Die Anerkennung einer BK 2101 scheitere bereits am fehlenden Vorliegen eines geeigneten Krankheitsbilds. Auch könne die Rotatorenmanschettenruptur nicht als Wie-BK anerkannt werden. Die beiden vorgelegten Dissertationen lägen zeitlich bereits vor der letzten Änderung der BKV aufgrund der Zweiten Verordnung vom 11. Juni 2009 und könnten so von vornherein nicht für neuere gesicherte Erkenntnisse herhalten. Davon abgesehen ergebe sich aus den Dissertationen lediglich, dass keine Einigkeit über den Zusammenhang bestehe, bzw. werde nur ein Zusammenhang ohne konkrete Bestimmung der Belastung sowie des betroffenen Personenkreises angenommen. Auch das Schreiben der beiden Professoren vom 16. September 2013 ergebe keine gesicherten neueren Erkenntnisse. Allein epidemiologische Studien reichten für die Annahme der BK-Reife noch nicht aus, zumal die in Bezug genommenen Studien teilweise ganz andere Belastungen als beim Kläger zu Grunde legten. Ein abgrenzbarer Personenkreis, wie jedoch zwingend für eine BK, werde gerade nicht herausgearbeitet.
Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Januar 2014 zugestellte Urteil am 28. Februar 2014 Berufung eingelegt. Er hält an seinem bisherigen Vorbringen fest und verweist auf die Stellungnahme der beiden Professoren. An der Anerkennung der BK 2101 hält er laut Schriftsatz vom 13. Mai 2014 nicht mehr fest.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2011 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm mit der Rotatorenmanschettenerkrankung eine Berufskrankheit i.S.v. § 9 Abs. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und an ihrem bisherigen Vorbringen fest.
Der Senat hat weitere Stellungnahmen des BMAS vom 15. Juli 2014 und 02. September 2014 eingeholt, wonach weiterhin keine entsprechenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII vorlägen bzw. keine Aussage darüber möglich sei, ob es sich bei der Stellungnahme der beiden Professoren um eine Einzelmeinung handele. Ferner ist eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 13. Januar 2015 eingeholt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltliche Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 ist in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2011 rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Rotatorenmanschettenerkrankung als BK i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII. An der Feststellung einer bei ihm vorliegenden BK 2101 hält der Kläger ausdrücklich nicht mehr fest.
Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung besteht nicht. Die Voraussetzungen der hierfür einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage aus § 9 Abs. 2 SGB VII liegen nicht vor.
§ 9 Abs. 2 SGB VII bestimmt, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK anzuerkennen haben, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt als Voraussetzung für die Bezeichnung von Krankheiten als BK durch Rechtsverordnung, dass diese nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen, d.h. die gruppentypische bzw. –spezifische Risikoerhöhung in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der BKV für die Regelung einer bestimmten BK noch nicht ausreichten. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist dann als erfüllt anzusehen, wenn hinreichende Feststellungen in Form medizinischer Erkenntnisse dafür getroffen sind, dass eine Personengruppe, zu welcher der Versicherte zu zählen ist, durch die Arbeit Einwirkungen ausgesetzt war, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt kommt (Einwirkungshäufigkeit) und die geeignet war, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen (generelle Geeignetheit). Das Erfordernis einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf das allgemeine Auftreten einer Krankheit innerhalb dieser Gruppe. Die gruppenspezifische Risikoerhöhung muss sich in jedem Fall letztlich aus "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" ergeben (vgl. etwa zur Vorgängerregelung des § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R –, zitiert nach juris Rn. 22).
Hierfür genügt es nicht, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur sogenannten BK-Reife verdichtet haben. Dies ist (nur dann) der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (LSG Bayern, Urteil vom 21. Juni 2006 – L 2 U 390/04 -, zitiert nach juris Rn. 27; vgl. auch BSG a.a.O.). Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (vgl. BSG a.a.O.). Dieser generelle Ursachenzusammenhang muss für eine bestimmte, nicht in der BK-Liste verzeichnete Erkrankung feststehen. Es genügt hingegen nicht, wenn der ursächliche Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Einwirkung und der Erkrankung aufgrund der Beweiswürdigung im Einzelfalls als hinreichend wahrscheinlich angesehen wird (Römer, in: Hauck, Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, Bd. 1, Stand März 2013, K § 9 Rn. 38a, 39). Dabei müssen der Unfallversicherungsträger bzw. das Gericht einen stärkeren Grad der Überzeugung belegen, als dem Verordnungsgeber in § 9 Abs. 1 SGB VII abverlangt wird, welchem – anders als dem Unfallversicherungsträger bzw. dem Gericht – ein sozialpolitischer Spielraum zusteht (Römer, a.a.O., Rn. 39).
Derartige neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die bereits zu einer herrschenden Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich geführt hätten, liegen für die Rotatorenmanschettenruptur nicht vor.
Die Rotatorenmanschette liegt zwischen dem Oberarmkopf und dem knöchern-bindegewebigen Schulterdach, gebildet von der Schulterhöhe (Acromion), dem Rabenschnabelfortsatz und einem straffen Band, das dazwischen verläuft. Sie bildet eine Sekundärpfanne zwischen Oberarmkopf und Schulterhöhe und kontrolliert die Roll-Schulterhöhe, hält den relativ großen Oberarmkopf in korrekter Stellung zur vergleichsweise kleinen Pfanne und kontrolliert die Roll-Gleit-Bewegungen des Oberarmkopfes. Die Rotatorenmanschette unterliegt in hohem Maße der Degeneration, die zu einer herabgesetzten mechanischen Belastbarkeit führt. Die Degeneration beginnt bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt. In der Altersgruppe der über 40-jährigen nehmen die "Partialrupturen" zu: es bestehen inkomplette, meist gelenkseitige Teildefekte und Ausdünnungen des Sehnengewebes. Zwischen dem 50. und dem 60. Lebensjahr treten die meisten Rotatorenmanschettenschäden mit Krankheitsmerkmalen auf und jenseits des 60. Lebensjahres steigt dann die Wahrscheinlichkeit für einen Rotatorenmanschettendefekt rasch an und erreicht bis zu 100%. Neben dem traumatischen Riss können Rupturen entstehen durch lokale Minderdurchblutung im Bereich der Sehnenansätze am Oberarmkopf und durch einen zunehmenden Verschleiß der Sehnen durch Abrieb im Engpass des subakromialen Raumes. Dabei handelt sich um eine Störung der Gleitbewegung zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach. Jede Veränderung des subakromialen Raumes kann zu einem Engpass des Schultergelenkes führen mit degenerativen Erscheinungen der Rotatorenmanschette einschließlich Teilrupturen, Kalkeinlagerungen und vorzeitigem Verschleiß des Schultereckgelenkes. Dabei ist durchaus von einer Korrelation zwischen Degeneration und körperlicher Beanspruchung auszugehen (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 410 f.).
Hieran gemessen kann das Vorliegen neuer Erkenntnisse zur Erkrankung an einer Rotatorenmanschettenruptur – auch etwa bei Kraftfahrern mit Be- und Entladetätigkeiten bzw. Auslieferungsmonteuren mit tragender Tätigkeit wie dem Kläger - nicht festgestellt werden. Insbesondere haben sich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse – soweit man von deren Vorliegen ausgeht – zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bereits zur BK-Reife verdichtet. Eine herrschende Meinung im orthopädisch-chirurgischen Fachbereich hat sich insoweit zur Überzeugung des Senats noch nicht gebildet.
Die vom Kläger in Bezug genommene Dissertation von Denis Schaffhauser ergibt – abgesehen von ihrer wohl mittlerweile fehlenden Aktualität - letztlich nur statistisch signifikante Hinweise auf eine Mehrbelastung der Patienten aus dem Baugewerbe und der Land- und Forstwirtschaft gegenüber den Gruppen Verkehr und Handel und Dienstleistungen/ Sonstige. Ziel dieser - eine vorangegangene epidemiologische Studie lediglich weiterführenden - Studie war es, anhand eines Fragebogens die Dauer der Berufsausübung in Jahren, die Arbeitsbelastung und die Art der körperlichen Betätigungen von 472 Patienten zu erfragen und zu analysieren, wobei die Fragen darauf gerichtet waren, ob im Baugewerbe und der Land- und Forstwirtschaft mehr belastende Tätigkeiten verrichteten werden mussten als in anderen Berufsbereichen und welche speziellen Tätigkeiten auffällige Ergebnisse liefern würden. Es konnten schließlich 270 beantwortete Fragebögen ausgewertet werden. Es handelt sich mithin lediglich in der Tat um eine rein epidemiologische Studie, welche – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – keine hinreichenden Schlüsse auf einen Ursachenzusammenhang zwischen konkreten Einwirkungen, welchen typischerweise eine abgrenzbare Berufsgruppe ausgesetzt ist, und einer Rotatorenmanschettenerkrankung zulässt.
Dass gegenwärtig keine Einigkeit über die beruflichen Ursachen etwa einer Rotatorenmanschettenruptur besteht und viele verschiedene Faktoren wie Überkopfarbeiten, Vibrationen, repetitive bzw. gleichförmige Tätigkeiten diskutiert werden, ergibt sich aus der ebenfalls vom Kläger in Bezug genommenen Dissertation von Kathrin Ochs aus dem September 2008.
Eine BK-Reife im oben beschriebenen Sinne lässt sich auch nicht der Stellungnahme von Prof. Dr. S und Prof. Dr. B vom 16. September 2013 entnehmen. Diese Stellungnahme referiert im Wesentlichen wiederum rein epidemiologische Studien und nimmt im Schwerpunkt auf eine Fallkontrollstudie von Prof. Dr. S aus dem Jahr 2011 in Bezug. Eine Fall-Kontroll-Studie ist etwa laut Wikipedia – Die freie Enzyklopädie - eine Form der epidemiologischen Studien in der Medizin. Es handelt sich um eine retrospektive Untersuchung einer Stichprobe, die aus erkrankten Personen besteht (Fall), und einer Stichprobe, die aus gesunden Personen besteht (Kontrolle). Bei beiden Gruppen wird nun ermittelt, ob in der Vergangenheit eine Exposition gegenüber potenziellen Risikofaktoren vorlag. Ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen bedeutet eine Korrelation zwischen Risikofaktor und Erkrankung. Keinesfalls kann man allerdings ohne Weiteres auf eine Ursache-/ Wirkungsbeziehung schließen. So ist die Stellungnahme der beiden Professoren von vornherein nicht geeignet, eine BK-Reife für berufsbedingte Rotatorenmanschettenrupturen zu vermitteln.
Es fehlt – hierauf weist die Beklagte nachvollziehbar hin – auch an pathophysiologischen Erwägungen, die eine Einwirkungskausalität hinreichend plausibel machen. Offen bleibt zunächst, wie die Professoren in ihrer Stellungnahme vom 16. September 2013 von den in der Fallkontrollstudie aus dem Jahre 2011 wahrscheinlich gemachten Fakten darauf schließen, dass gerade repetitive und anstrengende Schulterbewegungen in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last bzw. statisches Anheben des Oberarms um etwa 60° oder mehr geeignete Expositionsvoraussetzungen darstellten. Zudem wird die Pathophysiologie mit der die unterschiedlichsten Bewegungs- bzw. Belastungsabläufe erfassenden, recht vagen Umschreibung ("anstrengende Schulterbewegungen", "in Abhängigkeit von der Armposition und der gehandhabten Last", "etwa 60°") nicht hinreichend plausibel. Warum allein schon das statische Anheben des Oberarms ab etwa 60° schädlich und inwiefern hier eine Abgrenzung gegen die Normalbevölkerung möglich sein soll, erschließt sich ebenfalls nicht. Offen bleibt mithin insgesamt, wie hier eine berufsgruppenspezifische Gefahrerhöhung gegenüber der Normalbevölkerung bestehen soll.
Davon abgesehen erfasst die Studie eine Belastungsbandbreite von 77 bis 9.038 Stunden Lastenhandhabungen, ohne bzgl. der Häufigkeit der Rotatoranmanschettenrupturen genauer nach der jeweiligen Einzel- und Gesamt-Belastungsdosis und Art der Belastung zu differenzieren. Hinzukommt, dass im Bereich der Handhabungen schwerer Lasten nur ein auf das 1,8-fache erhöhtes Risiko für eine Supraspinatussehnenruptur eruiert wurde. Zwar ergab die Studie offensichtlich ein auf das 2,0-fach erhöhtes Risiko bei 3.195 bis 64.057 Stunden Überschulterarbeit und bei Personen mit 16- bis 51-jähriger Arbeit mit handgeführten vibrierenden Geräten ein auf das 3,2-fach erhöhtes Risiko, jedoch fehlt auch hier eine eingehendere Differenzierung zwischen den jeweiligen Gesamt-Dosen und eine plausible Abgrenzung zu den Schulterbelastungen in der Normalbevölkerung. Bei alldem fehlt auch eine Differenzierung nach dem Alter der Probanden, welche angesichts der signifikant mit dem Alter wachsenden Epidemiologie geboten erscheint, um ein Berufs- von einem – die Allgemeinbevölkerung betreffendes - bloßes Altersrisiko abzugrenzen.
Auch soweit Prof. Dr. S und Prof. Dr. Bin ihrer Stellungnahme vom 16. September 2013 betonen, dass die Studie aus dem Jahr 2011 die einzige bevölkerungsbezogene arbeitsepidemiologische Studie zum Zusammenhang zwischen beruflichen Tätigkeiten und Rotatorenmanschettenrupturen ist, welche bisher in Deutschland durchgeführt wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich insoweit bereits eine dem Kläger günstige herrschende Meinung der orthopädisch-chirurgischen Fachwelt gebildet hat. Aus der vom Senat eingeholten abschließenden Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 13. Januar 2015 ergibt sich ebenfalls nichts für eine – ggf. zwischenzeitlich – etablierte, auf einschlägigen Studien fußende herrschende medizinisch-wissenschaftlich Meinung zum Ursachenzusammenhang berufsbedingter Rotatorenmanschettenrupturen.
Dementsprechend erscheint es auch plausibel, dass nach den Auskünften des BMAS vom 07. November 2012, 15. Juli 2014 und 02. September 2014 zum Thema der berufsbedingten (Verursachung der) Rotatorenmanschettenruptur keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen und Beratungen im Sachverständigenbeirat hierzu nicht beabsichtigt sind.
Nach alldem zeigt sich zwar bzgl. der berufsbedingten Rotatorenmanschettenruptur Forschungsbedarf, jedoch noch keine BK-Reife.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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