L 8 SB 4829/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 7568/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4829/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie hält sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Mit Bescheid vom 14.03.2008 stellte das Landratsamt Böblingen - Versorgungsamt in Stuttgart - (LRA) bei der Klägerin wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und chronischen Schmerzsyndroms (GdB 20) sowie wegen eines vegetativen Erschöpfungssyndroms und funktionellen Organbeschwerden (GdB 10) den Gesamt-GdB mit 20 fest.

Am 15.12.2008 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB. Das LRA zog medizinische Befundunterlagen bei (insbesondere Berichte PD Dr. Sch. vom 12.04.2008, Diagnosen: Depressive Episode, chronische Lumboischialgien mit Wurzelreizsymptomatik L5 rechts, Spannungskopfschmerzen; Dr. H./Dr. B. vom 24.07.2008 und 10.10.2008, Diagnose: Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome; Drs. M. und Kollegen vom 09.12.2008, Diagnose: Fibromyalgie; Evangelische Heimstiftung Böblingen vom 24.02.2009). Außerdem legte die Klägerin die ärztliche Bescheinigung der Evangelischen Heimstiftung vom 03.02.2009 sowie den Bericht der Drs. M. und Kollegen vom 27.04.2009 vor. In der eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes, Dr. K., vom 02.06.2009 wurde wegen einer seelischen Störung, Depression, funktioneller Organbeschwerden und chronischen Schmerzsyndroms (GdB 30) sowie einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 10) der Gesamt-GdB mit 30 vorgeschlagen.

Mit Bescheid vom 22.06.2009 stellte das LRA den GdB mit 30 neu sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz erstmals jeweils seit 15.12.2008 fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 21.07.2009 Widerspruch ein, der vom Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2009 zurückgewiesen wurde.

Am 11.11.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie machte zur Begründung (zuletzt) geltend, der GdB sei mit mindestens 60 festzustellen. Die depressive Störung sowie das Fibromyalgiesyndrom bedingten einen Teil-GdB von 50. Auf orthopädischem Gebiet sei ein Teil-GdB von 20 bis 30 angemessen. Die vorliegenden Ganzkörperschmerzen würden ihren Alltag unerträglich erschweren.

Das SG hörte von der Klägerin benannte behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen an. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. teilte in ihrer Stellungnahme vom 22.02.2010 den Behandlungsverlauf, die erhobenen Befunde und die Diagnosen mit. Die geklagten Beschwerden seien als mittelschwer einzuordnen. Sie schätzte den GdB auf 50 ein. Der Hausarzt Dr. K. teilte in seiner Stellungnahme vom 08.03.2010 unter Vorlage von ärztlichen Befundberichten (insbesondere Gutachten des MDK vom 27.10.2008) den Behandlungsverlauf, die Befunde und die Diagnosen mit. Der Schweregrad der Gesundheitsstörungen sei als mittel anzusehen. Er schätzte den Gesamt-GdB auf 50 ein. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. teilte in seiner Stellungnahme vom 28.06.2010 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit. Zu einer Schätzung des GdB sah sich Dr. M. nicht in der Lage.

Das SG zog außerdem die im Rentenrechtsstreit der Klägerin S 10 R 8566/09 erstatteten Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 02.09.2010 sowie nach § 109 SGG erstattete Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. vom 18.05.2011 bei. Dr. H. gelangte in seinem Gutachten zu der Beurteilung, eine neurologische Erkrankung lasse sich nicht nachweisen. Auf psychiatrischem Fachgebiet liege eine depressive Erkrankung vor. Im Übrigen würden die Kriterien für das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erfüllt. Hinweise auf das Vorliegen einer Demenz bzw. eines hirnorganischen Psychosyndroms bestünden nicht. Auffassung, Konzentration, Durchhaltevermögen und Gedächtnis seien intakt. Dr. Ö. diagnostizierte in seinem Gutachten eine schwere depressive Episode, ein Zervicobrachial-Syndrom, rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden bei Fehlhaltung und beginnende degenerative Veränderungen, einen Bandscheibenvorfall C6/7, einen Bandscheibenprolaps C2 bis C4 mit rezidivierenden Cervikobrachialgien, Osteochondrose L5/S1, eine in leichter Feststellung verheilte MHK 5 Fraktur rechts, aktuell Operation MHK 1 rechts mit Gebrauchsminderung der Hand sowie einen Zustand nach rezidivierenden Beinvarizen-Operationen.

Der Beklagte unterbreitete der Klägerin ein Vergleichsangebot dahin, wegen einer seelischen Störung, funktioneller Organbeschwerden und einer somatoformen Schmerzstörung (Teil-GdB 40) sowie einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) den GdB mit 40 seit dem 15.12.2008 festzustellen (Schriftsatz vom 27.10.2011 und versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. G. vom 25.10.2011). Dieses Vergleichsangebot nahm die Klägerin nicht an (Schriftsatz vom 09.11.2011).

Daraufhin hörte das SG die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugin an. Dr. K. teilte in ihrer Stellungnahme vom 29.12.2011 den Behandlungsverlauf, die Diagnose und Befunde mit. Sie schätzte wegen einer chronifizierten Depression den Teil-GdB auf 50 und den Gesamt-GdB ebenfalls auf 50 ein.

Der Beklagte sah unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Adam-Becker vom 02.02.2012 keine Möglichkeit, das Vergleichsangebot zu erweitern.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.10.2012 verurteilte das SG den Beklagten, bei der Klägerin den GdB mit 40 seit 15.12.2008 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das SG führte zur Begründung aus, eine Verschlimmerung sei auf psychiatrischem Fachgebiet eingetreten, die mit einem GdB von 40 zu berücksichtigen sei. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Weitere Gesundheitsstörungen, die zu einer Erhöhung des GdB führten, seien nicht nachgewiesen. Eine höhere Bewertung des GdB sei aufgrund der Stellungnahmen von Dr. K. und Dr. H. nicht gerechtfertigt. Insgesamt ergebe sich kein höherer GdB als 40.

In Ausführung des Gerichtsbescheides des SG vom 18.10.2012 stellte das LRA mit Bescheid vom 12.11.2012 bei der Klägerin den GdB mit 40 seit dem 15.12.2008 fest.

Gegen den der Klägerin am 25.10.2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Klägerin am 21.11.2012 eingelegte Berufung. Sie hat zur Begründung geltend gemacht, sie sei der Auffassung, dass entgegen der Ansicht des SG bei ihr die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft vorlägen. Die Begründung des SG sei nicht nachvollziehbar. Sie gehe davon aus, dass für Ihre Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet ein höherer Teil-GdB als 40 anzuerkennen sei. Ihr sei im Rentenrechtsstreit nach weiteren Ermittlungen eine auf drei Jahre befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt worden. In der Zeit vom 13.12.2012 bis 12.02.2013 habe sie sich im Rudolf-Sophien-Stift in stationärer Behandlung befunden. Eine Besserung sei nicht eingetreten. Die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen hätten sich verschlechtert.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2012 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2009 in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 12. November 2012 zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit 50 seit dem 15. Dezember 2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Neue medizinische Unterlagen, die eine andere Bewertung rechtfertigten, lägen nicht vor.

Der Senat hat vom der Klinik Rudolf-Sophien-Stift Stuttgart die Entlassungsberichte vom 12.02.2013 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 13.12.2012 bis 12.02.2013 sowie ohne Datum über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 20.01.2014 bis 24.03.2014 beigezogen (Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, Belastungsinkontinenz - Stressinkontinenz -, psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Abhängigkeitssyndrom, sonstige Hyperlipidämien, essenzielle Hypertonie nicht näher bezeichnet und ohne Angabe einer hypertensiven Krise, sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen). Außerdem hat der Senat Dr. M. zu Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin sowie Dr. R., R.-S.-St., schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. M. hat in seiner Stellungnahme vom 28.05.2013 den Behandlungsverlauf mitgeteilt und die Beweisfrage, ob im Verlaufe seiner Behandlung bei der Klägerin seit Juni 2010 eine nicht nur vorübergehende Veränderung des Gesundheitszustandes auf seinem Fachgebiet eingetreten ist, verneint. Wegen eines aufgetretenen schnellenden Daumen rechts sei eine Spaltung des ersten Strecksehnenfaches durchgeführt worden. Dr. R. hat in seiner Stellungnahme vom 17.10.2014 den Behandlungsverlauf seit März 2014 und die Befunde mitgeteilt. Die Klägerin habe am 03.06.2014 berichtet, sie habe Pankreaskrebs.

Weiter hat der Senat aus der Gerichtsakte der Klägerin im Rentenrechtsstreit L 4 R 1270/12 die schriftliche sachverständige Zeugenaussage der Dr. K. vom 11.10.2012, das Gutachten des Dr. Sch. vom 05.11.2013 sowie den Bericht des Rudolf-Sophien-Stifts zur Vorlage bei Gericht vom 19.03.2014 als Beiakte zur Senatsakte genommen. Dr. K. teilte in ihrer Stellungnahme vom 11.10.2012 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen (mittelgradige depressive Episode bei Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und sensitiven Zügen) mit. Dr. Sch. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 05.11.2013 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Klägerin habe nicht unerhebliche vegetative Antwortverzerrungen und instruktionswidrige Anstrengungsminderleistung gezeigt. Diese Auffälligkeiten seien am ehesten dem Begriff der Aggravation zuzuordnen.

Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. R. vom 29.10.2013, Dr. K. vom 27.02.2014 und Dr. G. vom 23.09.2014 weiter entgegen getreten.

Auf schriftliche Nachfrage des Berichterstatters vom 23.10.2014, ob eine Erkrankung an Pankreas-Krebs festgestellt wurde und durch welchen Arzt, hat sich die Klägerin trotz Erinnerung vom 10.12.2014 nicht geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neufeststellung des GdB mit über 40.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Das SG hat weiter zutreffend und ausführlich unter Darstellung der nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) einschlägigen GdB-Bewertungsvorgaben begründet, dass eine eingetretene Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigungen keinen höheren GdB als 40 bedinge. Eine Verschlimmerung sei insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet eingetreten, die - unter Berücksichtigung einer depressiven Erkrankung und der Fibromyalgie - mit einem GdB von 40 zu berücksichtigen sei. Es sei insgesamt von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, für die ein GdB von 40 berücksichtigt werden könne. Das Vorliegen einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten sei nach den Gutachten von Dr. Ö. sowie Dr. H. nicht nachgewiesen. Eine höhere Bewertung des GdB als 40 sei auch nicht aufgrund der Stellungnahmen von Dr. K. und Dr. H. gerechtfertigt, wodurch ebenfalls keine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten nachgewiesen werde. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Die Bewertung des GdB mit 20 durch Dr. K. sei ohne nähere Begründung und fachfremd erfolgt. Die Angaben des Dr. M. führten nicht zur Annahme mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt. Es sei vielmehr von Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen auszugehen, die keinen höheren GdB als 10 bedingten. Weitere Gesundheitsstörungen, die zu einer Erhöhung des GdB führten, seien nicht ersichtlich und nicht nachgewiesen. Insgesamt ergebe sich kein höherer GdB als 40. Der Senat gelangt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis. Er nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids in vollem Umfang Bezug, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:

Hinsichtlich der psychischen Erkrankung ist nach den im Verlaufe des Rechtsstreites zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen zur Überzeugung des Senates nicht belegt, dass die Klägerin an schweren psychischen Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) leidet, die nach den VG Teil B 3.7 einen Einzel-GdB von 50 (oder höher) rechtfertigen. Auch nach den vom Senat durchgeführten Ermittlungen und den von ihm beigezogenen Unterlagen aus dem Rentenrechtsstreit der Klägerin L 4 R 12070/12 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg lassen sich schwere psychische Störungen nicht nachzuweisen. Solche lassen sich weder der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der Dr. K. vom 11.10.2012, noch dem Gutachten des Dr. Sch. vom 05.11.2013 oder dem Bericht des Rudolf-Sophien-Stifts vom 19.03.2014 entnehmen. Dies gilt auch für die vom Senat beigezogenen Entlassungsberichte des R.-S.-St. über die stationären Behandlungen der Klägerin vom 13.12.2012 bis 12.02.2013 und 20.01.2014 bis 23.03.2014. Der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. R., R.-S.-St., vom 17.10.2014 lässt sich vielmehr eher eine Besserung der psychischen Erkrankung der Klägerin (verbesserte Stimmung) entnehmen. Schwere psychische Störungen beschreibt Dr. R. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 17.10.2014 nicht. Nach den Beschreibungen von Dr. R. ist das formale Denken der Klägerin geordnet. Fragen hinsichtlich Wahn, Halluzinationen oder Ich-Störungen hat die Klägerin glaubhaft verneint. Eine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht nicht. Eine Zwangssymptomatik beschreibt Dr. R. nicht. Dem entspricht im Wesentlichen auch der von Dr. Sch. in seinem Gutachten vom 05.11.2013, der von Dr. K. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage im Rentenrechtsstreit vom 11.10.2012, der im Bericht des Rudolf-Sophien-Stift zur Vorlage bei Gericht vom 19.03.2014 sowie der in den vom Senat beigezogenen Entlassungsberichten beschriebene psychopathologische Befund. Außerdem nimmt die Klägerin nach den Mitteilungen von Dr. R. in seiner Stellungnahme vom 17.10.2014 gelegentlich Arzttermine nicht wahr, was gegen einen höheren Leidensdruck der Klägerin spricht. Dass die Nichtwahrnehmung von Arztterminen gerade durch die psychische Erkrankung der Klägerin zu erklären ist, beschreibt Dr. R. nicht. Auch nach dem Ergebnis der vom Senat im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen ist auf psychiatrischem Gebiet ein Einzel-GdB von 50 (oder höher) - entgegen der eigenen Einschätzung der Klägerin - damit nicht gerechtfertigt.

Dass bei der Klägerin eine Erkrankung an Pankreaskrebs vorliegt, wie sie nach der Beschreibung von Dr. R. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 17.10.2014 am 03.06.2014 behauptet hat, ist nicht belegt. Eine hierauf gerichtete Nachfrage des Berichterstatters vom 23.10.2014 hat die Klägerin trotz Erinnerung nicht beantwortet. Weitere Ermittlungen hierzu sind dem Senat damit nicht möglich.

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen bei der Klägerin keine Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Einzel-GdB von 20 erreichen. Hinsichtlich der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule der Klägerin ist eine Verschlimmerung nicht belegt. Dr. M. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG bestätigt, dass bei der Klägerin funktionelle Defizite der Wirbelsäule kaum vorliegen und dass die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule radiologisch unauffällig ist, wie das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend dargestellt hat. Dem entspricht auch der von Drs. M. und Kollegen im Befundbericht vom 27.04.2009 beschriebene Befund der Wirbelsäule. Nach dem Befundbericht des PD Dr. Sch. vom 15.12.2009 erbrachte eine durchgeführte Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule bei der Klägerin für die von der Klägerin geklagten häufigen Rückenschmerzen keinen erklärenden Befund. Die von Dr. Ö. in seinem im Rentenrechtsstreit S 10 R 8566/09 erstatteten Gutachten vom 18.05.2011 fachfremd gestellten Diagnosen (insbesondere rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden, rezidivierenden Cervikobrachialgien) bestätigt der behandelnde Orthopäde Dr. M. damit nicht. Die von Dr. Ö. außerdem diagnostizierten degenerativen Veränderungen sind für die Bewertung des GdB nicht von entscheidender Bedeutung. Entscheidend sind nach den vom SG zutreffend dargestellten Bewertungsgrundsätzen der VG vielmehr die funktionellen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden, die nach den Angaben von Dr. M. allenfalls leichtgradig sind. Dass bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet eine Verschlimmerung eingetreten ist, wie sie zur Begründung ihrer Berufung geltend gemacht hat, trifft nicht zu. Vielmehr hat Dr. M. in der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 28.05.2013 eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin seit seiner Auskunft an das SG vom 28.06.2010 verneint. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin auf orthopädischem Gebiet ist auch sonst nicht ersichtlich. Damit kann bei der Klägerin hinsichtlich der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach den VG Teil B 18.9 weiterhin lediglich von einem Einzel-GdB von 10 ausgegangen werden. Dass bei der Klägerin ein aufgetretener schnellender Daumen, der durch eine Spaltung des ersten Strecksehnenfachs therapiert worden ist, eine dauerhafte GdB-relevante Funktionsbehinderung hinterlassen hat, lässt sich den zu den Akten gelangten Unterlagen nicht entnehmen und wird von der Klägerin im Übrigen auch nicht (substantiiert) geltend gemacht. Dass bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet sonst Funktionsbeeinträchtigungen (insbesondere hinsichtlich der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten) bestehen, ist nicht belegt und wird von der Klägerin im Übrigen auch nicht substantiiert geltend gemacht.

Soweit in den zu den Akten gelangten Berichten des R.-S.-St. eine Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz) diagnostiziert ist, ist eine solche Gesundheitsstörung der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen fachärztlich nicht belegt. Unabhängig davon rechtfertigt nach den VG Teil B 12.2.4 eine relative Harninkontinenz (leichter Harnabgang bei Belastung) einen Einzel-GdB von 0 bis 10. Eine stärker ausgeprägte Inkontinenz (z. B. Stressinkontinenz Grad II-III) oder gar eine völlige Harninkontinenz, die einen Einzel-GdB von 20 und mehr rechtfertigen, ist nicht diagnostiziert. Entsprechendes gilt auch für eine in den Berichten des Rudolf-Sophien-Stifts diagnostizierte essentielle Hypertonie der Klägerin. Ein Bluthochdruck mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung, der nach den VG Teil B 9.3 einen Einzel-GdB von 20 bis 40 rechtfertigt, ist bei der Klägerin nicht belegt. Eine Inkontinenz oder einen Bluthochdruck hat die Klägerin im Verlauf des Rechtsstreites auch nicht als zu berücksichtigende Behinderung geltend gemacht.

Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP bzw. der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Hiervon ausgehend ist die Neufeststellung eines höheren GdB als 40 seit dem 15.12.2008 bei der Klägerin nicht gerechtfertigt. Der Einzel-GdB von 40 für die psychische Erkrankung der Klägerin ist wegen der allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden weiteren Gesundheitsstörungen der Klägerin nicht zu erhöhen.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der für die Entscheidung relevante Sachverhalt durch die vom SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen sowie die zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen geklärt. Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin nicht aufgezeigt.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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