S 1 KR 518/14 ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 518/14 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wenn über den im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens geltend gemachten Anspruch bereits
bestandskräftig entschieden worden ist und eine Rücknahme des Ablehnungsbescheides nur unter den
Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X möglich ist, liegt regelmäßig kein Anordnungsanspruch vor.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung eines höheren Krankengeldes.

Der bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller ist seit dem 22.08.2013 arbeitsunfähig krank. Seit dem 01.09.2013 erhält er von der Antragsgegnerin Krankengeld in Höhe von 45,22 Euro kalendertäglich brutto und 39,66 Euro netto. Gegen die Höhe des bewilligten Krankengeldes erhob der Antragsteller am 10.10.2013 Widerspruch und machte geltend, es müssten bei der Berechnung andere Kalendermonate zugrunde gelegt werden. Mit Bescheid vom 20.03.2014, dem Antragsteller zugestellt am 22.03.2014, wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück.

Am 24.04.2014 beantragte der neue Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Überprüfung des Bescheides vom 02.10.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2014 (nach § 44 SGB X). Dieser Antrag wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25.08.2014 abgelehnt, wogegen am 24.09.2014 Widerspruch erhoben wurde.

Am 17.11.2014 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Lübeck den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt und geltend gemacht, ihm fehlten monatlich ca. 300,00 Euro, was zunehmend zu einer finanziellen Not geworden sei. Er erhalte deutlich weniger Krankengeld, weil in den von der Antragsgegnerin berücksichtigten Monaten, insbesondere in den Monaten Juni und Juli 2013, aufgrund der bereits kurzfristigen Arbeitsunfähigkeit nicht Provisionen haben erzielt werden können, die zuvor regelmäßig erzielt worden seien.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, dem Antragsteller nach dem Gesetz korrekt berechnetes Krankengeld zu gewähren, konkret unter Berücksichtigung des Monats Juli 2013 oder unter Berücksichtigung der über das Kalenderjahr 2013 erworbenen Provisionen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Sie wendet ein, dem Antragsteller sei es zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und es müsse auch berücksichtigt werden, dass sich der Antragsteller in Privatinsolvenz befinde, weshalb durch eine erhöhte Krankengeldzahlung gegebenenfalls nur Dritte begünstigt würden. Es liege auch ein Anordnungsanspruch nicht vor, denn die streitgegenständliche Entscheidung sei nicht rechtswidrig.

Mit Bescheid vom 27.11.2014 hat die Antragsgegnerin sodann den Widerspruch gegen den eine Überprüfung nach § 44 SGB X ablehnenden Bescheid vom 25.08.2014 zurückgewiesen.

Zum Entscheidungszeitpunkt haben die Gerichts- und die Verwaltungsakte vorgelegen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch unbegründet. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die vorläufige Gewährung eines höheren Krankengeldes.

Rechtsgrundlage für den vorläufigen Rechtsschutz in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.

Danach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, NVWZ 2005, 927) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb abzulehnen.

So aber liegt der Fall hier, denn ein Anordnungsanspruch liegt bereits deshalb nicht vor, weil die Antragsgegnerin bestandskräftig über die Höhe des Krankengeldes entschieden hat (Bescheid vom 02.10.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2014). Dieser Bescheid ist dem Antragsteller am 22.03.2014 zugegangen und er hätte mithin bis zum 22.04.2014 (Dienstag) dagegen Klage erheben müssen. Diese Frist hat er versäumt und erst am 24.04.2014 einen Antrag auf Überprüfung eines bestandskräftigen nichtbegünstigenden Verwaltungsakt nach § 44 SGB X gestellt. Bei dem Bescheid, gegen den der Antragsteller sich nunmehr richtet, handelt es sich um den diese Rücknahme ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.10.2013, nunmehr in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2014.

Hat aber ein Leistungsträger bestandskräftig und damit bindend eine Entscheidung getroffen, die nur unter den besonderen Voraussetzungen nach § 44 SGB X zurückgenommen werden kann, fehlt es regelmäßig an dem Anordnungsanspruch in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Dies folgt bereits daraus, dass gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO für eine einstweilige Anordnung des Gerichts die Tatsachen für das Bestehen eines Anordnungsanspruches darzulegen und glaubhaft zu machen haben. Die sogenannte Glaubhaftmachung ist der mildeste Beweismaßstab des Sozialrechts. Eine Tatsache ist dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Demgegenüber kommt eine Rücknahme einer bestandskräftigen Entscheidung nach § 44 SGB X erst dann in Betracht, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Für einen derartigen Rücknahmeanspruch reicht eine Glaubhaftmachung nicht aus. Vielmehr obliegt dem Antragsteller die volle Beweislast für die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Entscheidung. Denn es geht nicht um den originären Anspruch auf ein höheres Krankengeld, da über diesen bereits bestandskräftig entschieden worden ist, sondern allein um die Rechtswidrigkeit jener Bescheide.

Auch wenn es also regelmäßig ausreicht, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden kann, so gilt dies nicht, wenn über den Anspruch bereits bestandskräftig entschieden worden ist und eine Rücknahme lediglich unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X in Betracht kommt.

Bereits wegen des fehlenden Anordnungsanspruches war deshalb der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Es kann deshalb dahinstehen, ob auch ein Anordnungsgrund nicht vorliegt. Dies dürfte jedoch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Antragsgegnerin, der Antragsteller befinde sich in Privatinsolvenz, gegeben sein, da in diesen Fällen tatsächlich eine erhöhte Krankengeldzahlung eher den Gläubigern zu Gute kommt, als dem Antragsteller.

Nach allem war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Vorsitzende der 1. Kammer

gez. Direktor des Sozialgerichts
Rechtskraft
Aus
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