L 7 KA 75/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 349/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 75/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2012 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. -

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt seit dem Jahre 1993 als Fachärztin für Kinderheilkunde an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie wendet sich gegen einen Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Quartale III/05 bis II/06; die Beteiligten streiten darüber, ob die EBM-Nr. 04001 auch bei der Behandlung von Patienten mit Aufmerksamkeitsstörungen (HKS, ADS, ADHS) ansetzbar war.

In der Zeit vom 1. April 2005 bis zum 31. Dezember 2007 enthielt der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM, hier "EBM 2000plus") die Gebührenordnungsposition 04001, die folgenden Wortlaut hatte:

"04001, Koordination der hausärztlichen Betreuung bei Patienten mit mindestens einer der nachfolgenden Indikationen:

- Hemiparese, spastische Di- oder Tetraplegie, Mehrfachbehinderung, - Komplexe zerebrale Dysfunktion bei Krankheiten der ICD-10-Codierungen: G10, G11, G12, G13, G80, zerebrale Anfallsleiden oder neurodegenerative bzw. metabolische bzw. muskuläre Systemerkrankung (Hervorhebung hier), - Chronische Psychose (Manie, Depression, Schizophrenie), - Autismus, - Mukoviszidose, - Erworbene und/oder angeborene schwere geistige und/oder körperliche Behinderung, - Palliativmedizinische Betreuung, - Chronische Niereninsuffizienz (Patienten mit einer dauerhaften endogenen Kreatinin-Clearance von unter 20 ml/min)

Obligater Leistungsinhalt:

- Kontinuierliche Betreuung, - Anleitung und Führung der Bezugs- und Betreuungspersonen, - Mindestens 2 Arzt-Patienten-Kontakte im Behandlungsfall,

einmal im Behandlungsfall 835 Punkte

Die Berechnung der Leistung nach der Nr. 04001 setzt die Angabe der ICD-10-Klassifikation voraus. Die Leistung nach der Nr. 04001 ist im Behandlungsfall nicht neben den Leistungen nach den Nrn. 04002, 04210 und 04211 berechnungsfähig."

Im Rahmen der Behandlung ihrer Patienten mit Aufmerksamkeitsstörungen rechnete die Klägerin, die u.a. zur Behandlung ihrer ADHS-Patienten eine Ergotherapeutin und eine Psychologin beschäftigt, in den streitbefangenen Quartalen regelmäßig die EBM-Nr. 04001 in folgender Häufigkeit ab:

Quartal Fallzahl gesamt Anzahl EBM-Nr. 04001 III/2005 605 211 IV/2005 667 284 I/2006 734 284 II/2006 711 328

Die Beklagte führte für die Quartale III/05 bis II/06 eine zeitgestützte Plausibilitätsprüfung nach § 106a SGB V durch, weil die Klägerin die Aufgreifkriterien im Rahmen der Quartalszeit- und der Tageszeitprofile jeweils überschritten hatte.

In seiner Sitzung am 20. April 2009 stellte der Plausibilitätsausschuss fest, dass die Überschreitung im Wesentlichen durch die Erbringung von Leistungen durch die bei der Klägerin angestellten Ergotherapeutin bzw. Psychologin begründet sei. Dagegen sei die Abrechnung der EBM-Nr. 04001 bei Vorliegen der Diagnose ADHS nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe diese Leistung nahezu in allen Fällen bei der Diagnose "einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung" (F90.0), ergänzt durch Diagnosen wie "Störung des Sozialverhaltens", "Anpassungsstörung" bzw. "Lese- und Rechtschreibstörung" abgerechnet. ADHS sei als neurologische Krankheit zu werten und nicht als metabolische Systemerkrankung, wie sie in der Leistungslegende unter der EBM-Nr. 04001 aufgeführt sei.

Mit Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 26. Mai 2009 kürzte die Beklagte die Honorare der Klägerin für die Quartale III/2005 bis II/2006 im Wege sachlich-rechnerischer Berichtigung um sämtliche Leistungen nach der EBM-Nr. 04001 und teilte der Klägerin mit, dass Ihr Honorarkonto mit dem Rückforderungsbetrag i.H.v. 18.785,44 Euro netto belastet werde:

Quartal Anzahl EBM-Nr. 04001 Gesamte Vergütung der GO-Nr. 04001 EBM III/05 211 4.376,92 Euro IV/05 284 5.312,88 Euro I/06 284 4.035,72 Euro II/06 328 5.506,64 Euro Summe brutto 19.232,16 Euro Summe netto (abzüglich Verwaltungsgebühr) 18.785,57 Euro

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2010 zurück. Die EBM-Nr. 04001 sei bei der Diagnose ADHS nicht abrechenbar, weil es sich bei dieser Erkrankung nicht um eine metabolische Systemerkrankung mit komplexer zerebraler Dysfunktion handele. Die Wissenschaft gehe nach derzeitigem Stand davon aus, dass bei ADHS-Patienten eine Fehlregulation des Botenstoffwechsels im Gehirn vorliege, wovon die Aufmerksamkeit und die Motorik der Patienten betroffen seien. Allerdings handele es sich bei dieser Erkrankung nicht um eine metabolische Stoffwechselerkrankung im Sinne der Leistungslegende nach der EBM-Nr. 04001. ADHS sei vielmehr als neurologische Krankheit und nicht als Stoffwechselstörung im Sinne der Leistungslegende der EBM-Nr. 04001 einzustufen. Die Klägerin habe bei ihrer Abrechnung im Hinblick auf den falschen Ansatz der EBM-Nr. 04001 auch grob fahrlässig gehandelt, weshalb eine Neufestsetzung des Honorars im Wege der Schätzung gerechtfertigt sei, wobei die Beklagte sich dafür entschieden habe, die gesamte Vergütung für die fehl angesetzte EBM-Nr. 04001 zurückzufordern.

Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen angeführt, ADHS sei eine metabolische Systemerkrankung im Sinne der EBM-Nr. 04001. ADHS werde als ein neurobiologisch heterogenes Störungsbild mit zentraler Dysfunktion in Regelkreisen zwischen präfrontalem Kortex, parietooccipitalem Kortex, Basalganglien und Cerebellum auf dem Boden einer Neurotransmitterstörung im dopaminergen System gesehen. Das noradrenerge und das serotoninerge System seien ebenfalls betroffen. Die Zusammenarbeit und hirnorganische Abstimmung der Hirnzentren untereinander sei gestört und führe zu Fehlleistungen. Patienten, die an ADHS erkrankt seien, benötigten in der Regel eine multimodale Intervention. Zu deren Durchführung sei eine intensive, kontinuierliche und langfristige Betreuung nötig mit wiederholter Beratung der Bezugs- und Betreuungspersonen und regelmäßigen Kontrollterminen, um alle therapeutischen Maßnahmen effektiv durchführen, überwachen und gegebenenfalls anpassen zu können. Die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen Mediatoren-Stoffwechselstörung und Stoffwechselstörung sei konstruiert und entspreche nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnis. Mediatoren-Stoffwechselstörungen stellten lediglich einen Unterfall der metabolischen Störung dar. Der Begriff der metabolischen Systemkrankheit sei nicht eindeutig auf eine bestimmte Erkrankung oder Erkrankungsgruppe festgelegt und weise eine gewisse Unschärfe auf. Die von der Beklagten befürwortete restriktive Auslegung gehe aus dem Wortlaut der Leistungslegende nicht hervor und werde dem vorliegenden Fall nicht gerecht. Ausschlaggebend sei allein der Umstand, dass ADHS mit einem veränderten Stoffwechsel im Gehirn im Sinne einer Mitursächlichkeit in Verbindung stehe. Insofern stehe die Annahme einer multifaktoriellen Störung dem Vorliegen einer metabolischen Systemerkrankung nicht entgegen. Es handele sich bei ADHS auch um eine Systemerkrankung, da das Organsystem Gehirn beeinträchtigt sei, weil mehrere Hirnteile betroffen seien. Es liege auch eine komplexe Dysfunktion vor, die vom Schweregrad her mit den anderen in der EBM-Nr. 04001 genannten Erkrankungen zu vergleichen sei. Die Klägerin habe überdies den obligaten Leistungsinhalt der EBM-Nr. 04001 in allen Abrechnungsfällen erfüllt. Eine Koordination der hausärztlichen Betreuung sei jeweils erfolgt. Ihr sei im Hinblick auf die Ansetzung der EBM-Nr. 04001 jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten, zumal es zahlreiche fachliche Empfehlungen gebe, die eine Abrechnung der EBM-Nr. 04001 bei ADHS befürworten. Die von der Beklagten vorgenommene pauschalierte Schadensschätzung sei daher unzulässig.

Mit Urteil vom 27. Juni 2012 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zu Recht habe die Beklagte die Leistungen nach der EBM-Nr. 04001 für sämtliche Fälle gekürzt, in denen die Klägerin als Diagnose eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0), ggf. ergänzt durch Diagnosen wie Störung des Sozialverhaltens (F91), Anpassungsstörung (F43.2) bzw. Lese- und Rechtschreibstörung (F81.0) angeben habe. Hyperkinetische Störungen im Sinne der ICD-Gruppe F90 (HKS bzw. ADHS) gehörten nicht zu den in der EBM-Nr. 04001 aufgeführten Erkrankungen. Sie seien dort nicht ausdrücklich erwähnt und stellten entgegen der Ansicht der Klägerin auch keine metabolische Systemerkrankung dar. Der Wortlaut der Regelung sei insofern nicht eindeutig: Ob es sich bei ADHS dem Wortsinn nach um eine metabolische Systemerkrankung handele, die eine komplexe zerebrale Dysfunktion bedinge, lasse sich nicht hinreichend sicher beantworten, da die Begriffe – was seitens der Klägerin selbst eingestanden werde – unscharf und nicht näher definiert seien. Hinzu komme, dass die genaue Ätiologie der Erkrankung nach wie vor ungeklärt sei und dass das Störungsbild nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen sei, sondern dass mehrere Komponenten an der Verursachung beteiligt seien. Für eine eindeutige Einordnung als metabolische Systemerkrankung könne es insofern entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ausreichen, dass Störungen im Stoffwechsel des Gehirns für die Erkrankung mitursächlich seien. Vor diesem Hintergrund spreche die Systematik der Regelungen des EBM unter Einbeziehung des dort in Bezug genommenen ICD-10 gegen eine Eingruppierung von ADHS als "metabolische Systemerkrankung". Nach der insoweit seit 2005 unveränderten Systematik des ICD-10 seien die hyperkinetischen Störungen (F90) nicht den Stoffwechselstörungen (E80 bis E90) zugeordnet, sondern dem Abschnitt "Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend" (F90 bis F98). Gegen eine Einordnung der hyperkinetischen Störungen als metabolische Systemerkrankung spreche überdies, dass in der seit dem 1. Januar 2008 für Neuropädiater geltenden und der hier streitbefangenen vergleichbaren Regelung in der EBM-Nr. 04433 die "Aufmerksamkeitsstörungen (F90)" explizit aufgeführt seien, und zwar gesondert neben den metabolischen Erkrankungen. Angesichts der Häufigkeit der ADHS-Erkrankung von Kindern und Jugendlichen sei zudem davon auszugehen, dass der Bewertungsausschuss die EBM-Nr. 04001 klarer gefasst hätte, wenn er ADHS in den Anwendungsbereich von EBM-Nr. 04001 hätte einbeziehen wollen; er hätte es dann nicht bei dem unscharfen und der ICD-10-Systematik nicht entsprechenden Begriff der metabolischen Systemerkrankung belassen. Schließlich spreche gegen eine Einbeziehung von ADHS in die EBM-Nr.04001 in systematischer Hinsicht, dass auch der EBM 2000plus an anderer Stelle, nämlich in den EBM-Nrn. 14313 und 14314, ausdrücklich die schwere hyperkinetische Störung mit Störung des Sozialverhaltens (F90.1) als psychiatrische Erkrankung ansehe.

Gegen das ihr am 6. Juli 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. Juli 2012 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor: Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts reiche es für eine Zuordnung von ADHS zur EBM-Nr. 04001 aus, dass eine metabolische Systemerkrankung gegeben sei; das zusätzliche Vorliegen einer "komplexen zerebralen Dysfunktion" sei nicht erforderlich. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Gebührenordnungsposition sei ein Rückgriff auf systematische Auslegung ausgeschlossen. Auf ICD-10-Kodierungen nehme EBM-Nr. 04001 nicht entscheidend Bezug; der Begriff der "metabolischen Systemerkrankung" sei weiter als die vorhandenen ICD-10-Klassifizierungen. Für die Auslegung einer Regelung des EBM 2000plus (Nr. 04001) dürfe ferner aus methodischen Gründen nicht auf eine Regelung des EBM 2008 (Nr. 04433) Bezug genommen werden. Auch Mutmaßungen in Bezug auf mögliche Intentionen des Normgebers verböten sich. Für die Klärung der aufgeworfenen medizinischen Fragen bedürfe es der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zu Recht habe das Sozialgericht eine systematische Auslegung vorgenommen, weil die Regelung in EBM-Nr. 04001 in Gestalt des Begriffs der metabolischen Systemerkrankung nicht eindeutig sei. Die EBM-Änderung zum 1. Januar 2008 bestätige eindeutig, dass der Bewertungsausschuss Aufmerksamkeitsstörungen im Rahmen von Nr. 04001 EBM 2000plus nicht als metabolische Systemerkrankung angesehen habe. Die ICD-10-Klassifizierung spiele im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin deshalb eine entscheidende Rolle, weil die Abrechnung der Nr. 04001 ausdrücklich die Angabe einer solchen fordere.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Nach Auffassung der Beigeladenen zu 1) sei die EBM-Nr. 04001 nicht im Rahmen der ADHS-Erkrankung abrechenbar gewesen. Nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand handele es sich bei ADHS um ein multifaktoriell bedingtes Krankheitsbild, bei dem unterschiedliche Faktoren zusammenwirkten und verschiedene Ursachenquellen das Krankheitsbild bedingten. Eine neurobiologische Funktionsstörung im Sinne einer metabolischen Systemerkrankung könne zum jetzigen Zeitpunkt und insbesondere im streitbefangenen Abrechnungszeitraum nicht regelhaft angenommen werden. Die Berechnungsfähigkeit der EBM-Nr. 04001 im Rahmen der Behandlung eines Patienten mit ADHS sei gemäß der Leistungslegende nur gerechtfertigt bei gleichzeitigem Vorliegen einer metabolischen Systemerkrankung, die als Diagnose zu dokumentieren sei.

Der Beigeladene zu 2) ist der Ansicht, dass es sich bei ADHS nicht um eine komplexe zerebrale Dysfunktion handele. Eine solche setze voraus, dass das gesamte Gehirn und nicht nur einzelne Abschnitte betroffen seien, wie etwa bei der Phenylketonurie und der hepatischen Enzephalopathie. Bei ADHS seien zwar mehrere Botenstoffsysteme, aber nur einzelne Abschnitte des Gehirns (Frontalhirn und Striatum) betroffen. Darüber hinaus fehle es bei einer Behandlung von ADHS in der eigenen Praxis an der in der Leistungsbeschreibung geforderten Koordinationsfunktion. Bei den in den Spiegelstrichen aufgeführten Indikationen handele es sich sämtlich um schwere chronische Krankheiten, die teils multiple fachärztliche Mit- und Weiterbehandlungen erforderten und daher eine Koordination im therapeutischen, familiären, sozialen und Betreuungsumfeld erforderten. Diese Koordination stelle die eigentliche hausärztliche Leistung dar, die mit der EBM-Nr. 04001 vergütet werden solle. Soweit ADHS in eigener Kinderarztpraxis diagnostiziert und multimodal (auch – wie hier – durch angestellte Therapeuten) behandelt und die Aufklärung und Beratung der Eltern und/oder Erzieher selbst übernommen werde, finde keine Koordination statt. Die Leistungen seien dann vielmehr obligater Inhalt der psychotherapeutischen Gebührenordnungspositionen und des gesamten Behandlungskomplexes.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn bei ADHS handelt es sich auch zur Überzeugung des Senats um keine "metabolische Systemerkrankung" im Sinne der vom 1. April 2005 bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Gebührenordnungsposition 04001 des Einheitlichen Bewertungsmaßstab ("EBM 2000plus"). 1. Rechtsgrundlage der von der Beklagten durch den angefochtenen Bescheid vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a SGB Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetztes vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots –, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). In wessen Verantwortungsbereich die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit fällt, ist unerheblich; einzige tatbestandliche Voraussetzung ist die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X) eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. August 2013, B 6 KA 50/12 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17). 2. Auch zur Überzeugung des Senats waren die Honorarbescheide der Klägerin für die streitigen Quartale III/2005 bis II/2006 rechtswidrig, soweit die Klägerin infolge der Behandlung ihrer Patienten mit Aufmerksamkeitsstörungen (im Wesentlichen: ADHS) regelhaft die EBM-Nr. 04001 abrechnete, so dass die Beklagte die bereits ergangenen Honorarbescheide sachlich-rechnerisch berichtigen durfte. Weder handelt es sich bei ADHS um eine metabolische Erkrankung (unten c) noch um eine Systemerkrankung (unten d). a) Bei Ermittlung des Bedeutungsgehalts von EBM-Nr. 04001 berücksichtigt der Senat, dass der Auslegung von auf dem SGB V basierenden Vertragswerken durch die Sozialgerichte enge Grenzen gesetzt sind. Es entspricht ständiger Rechtsprechung zur Auslegung von Leistungsbestimmungen des EBM, dass in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. April 2004, B 6 KA 19/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18; Urteile des Senats vom 1. August 2012, L 7 KA 73/09, zitiert nach juris, dort Rdnr. 33 und vom 26. September 2012, L 7 KA 150/09, zitiert nach juris, dort Rdnr. 63). Dies gründet sich im Wesentlichen darauf, dass das Vertragswerk als abschließende Regelung dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der Vertragspartner dient und es vorrangig deren Aufgabe ist, Unklarheiten zu beseitigen. Grundsätzlich dürfen daher Leistungsbestimmungen des EBM weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden.

b) Hinreichendes Verständnis vom fallentscheidenden Begriff der metabolischen Systemerkrankung konnte der Senat auch ohne die von der Klägerin angeregte Einholung eines Sachverständigengutachtens entwickeln; insbesondere durch seine ehrenamtlichen ärztlichen Beisitzer ist der Senat fachlich befähigt, eigenständig medizinisches Begriffsverständnis zu entwickeln. c) ADHS kann schon nicht als "metabolische" Erkrankung begriffen werden. aa) Als metabolisch ist eine den Stoffwechsel (Metabolismus) betreffende, durch Stoffwechselprozesse entstandene Erkrankung zu bezeichnen. Stoffwechselkrankheiten sind im Allgemeinen Erkrankungen des gesamten Organismus; hierunter fallen üblicherweise etwa das metabolische Syndrom, Diabetes, Gicht oder die Milchzuckerintoleranz im Erwachsenenalter (vgl. http://www.bio-pro.de/magazin/thema/04617/index.html?lang=de). Es liegt auf der Hand, dass ADHS nicht den gesamten Stoffwechsel betrifft und mit keiner der exemplarisch genannten Erkrankungen verwandt ist. bb) Bestätigt wird dies im Besonderen durch die Klassifikation der "Stoffwechselkrankheiten" im ICD-10. Bei diesem Klassifikationswerk (Version 2015, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, deutsche Version herausgegeben vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Auftrage des Bundesministeriums für Gesundheit), handelt es sich um das wichtigste, weltweit anerkannte und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Der Senat misst ihm besondere Verbindlichkeit zu, denn an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und ärztlich geleitete Einrichtungen sowie Krankenhäuser sind nach §§ 295 Abs. 1 Satz 2, 301 Abs. 2 Satz 1 SGB V verpflichtet, im Rahmen ihrer Abrechnung Diagnosen nach ICD-10 zu verschlüsseln. Stoffwechselkrankheiten sind im ICD-10 dem Kapitel IV (E00 bis E90, Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten) zugeordnet; hierunter fallen Krankheiten der Schilddrüse, Diabetes mellitus, sonstige Störungen der Blutglukose-Regulation und der inneren Sekretion des Pankreas, Krankheiten sonstiger endokriner Drüsen, Mangelernährung, sonstige alimentäre Mangelzustände, Adipositas und sonstige Überernährung sowie Stoffwechselstörungen im engeren Sinne. ADHS oder Aufmerksamkeitsstörungen sind nicht im Kapitel IV klassifiziert. cc) ADHS dagegen ist im ICD-10 Version 2015 dem Kapitel V "Psychische und Verhaltensstörungen" zugeordnet (Gruppe F90 bis F98, Überschrift: "Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend"). ADHS (oder, allgemeiner, Aufmerksamkeitsstörungen) ist somit keine Stoffwechselerkrankung im Sinne des ICD-10. Zwar liegt bei ADHS nach allgemeiner Meinung eine Neurotransmitterstörung vor, mithin ein gestörter Stoffwechsel im Gehirn. Gleichwohl kann zur Überzeugung des Senats einschließlich seiner ärztlichen Beisitzer nicht jede Krankheit mit Stoffwechselbezug der Hauptkategorie einer "metabolischen" (System-) Erkrankung zugeordnet werden. d) Zugleich ist ADHS auch keine "Systemerkrankung" (synonym: systemische Erkrankung). Unter einer solchen versteht man eine Krankheit, die ein gesamtes Organsystem befällt und nicht auf eine einzige Körperregion beschränkt bleibt. Ein typisches Beispiel ist die Multiple Sklerose, die nicht nur einen bestimmten Nerv angreift, sondern das gesamte Nervensystem schädigt. Ebenfalls zu den Systemerkrankungen gezählt werden Störungen, die zwar nicht ein Organsystem spezifisch angreifen, aber den gesamten Organismus als System beeinflussen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Diabetes mellitus. Bei http://flexikon.doccheck.com/de/System¬erkrankung sind als Beispiele von Systemerkrankungen angeführt: • Diabetes mellitus • Leukämie • Anämien • Sarkoidose • Psoriasis (Schuppenflechte) • Rheuma • Fibromyalgie • Amyotrophe Lateralsklerose • Multiple Sklerose • Progressive Muskeldystrophie • Duchenne-Muskeldystrophie • Morbus Parkinson • familiäre Hypercholesterinämie • Sichelzellenanämie • Sklerodermie • Neurodermitis • Morbus Crohn • Systemischer Lupus erythematodes • Mukoviszidose • Arteriosklerose • (diabetische) Polyneuropathie • Osteoporose • Hypertonie • Hyperkinetisches Herzsyndrom (Herzprobleme haben ihren Ursprung in einer Überaktivität des vegetativen Nervensystems, hier speziell des Sympathikus) • Gicht • diverse Blutgerinnungsstörungen • Autoimmunerkrankungen • Allergien • genetische Störungen mit Auswirkungen auf das Bindegewebe im gesamten Körper • Chorea Huntington

Wikipedia bezeichnet als systemische Erkrankungen ("synonym: Systemerkrankung") "alle Krankheiten, die sich auf ein gesamtes Organsystem auswirken, wie etwa das Blut (Leukämie, Anämien), das Zentrale Nervensystem oder die Muskulatur als Ganzes. In weiterem Sinne werden auch solche Erkrankungen als systemisch oder generalisiert bezeichnet, die sich mehr oder weniger unspezifisch auf den gesamten Körper auswirken wie Diabetes mellitus, Rheuma, Psoriasis, Sarkoidose, Systemischer Lupus Erythematodes, Sklerodermie oder Mukoviszidose. Den systemischen Erkrankungen stehen die lokalisierten Erkrankungen gegenüber, bei denen ein Organ oder ein Teil eines Organes von der Erkrankung betroffen sind." Der Duden definiert Systemerkrankung als "Erkrankung eines ganzen Systems des Organismus". Hieran gemessen liegt auf der Hand, dass es sich bei ADHS oder Aufmerksamkeitsstörungen nicht um Systemerkrankungen handelt, denn es ist kein System erkrankt, sondern nur das Organ Gehirn in Gestalt einer Neurotransmitterstörung (geringere Verfügbarkeit von Dopamin im synaptischen Spalt, vgl. Stellungnahme der Vorstandes der Bundesärztekammer zur ADHS, Langfassung August 2005, Seite 21). "Insbesondere diejenigen neuronalen Netzwerke, die an der Steuerung von Aufmerksamkeit, Motorik und Impulskontrolle beteiligt sind und wesentlich durch katecholaminerge Neurotransmittersysteme, vor allem den dopaminergen Stoffwechsel reguliert werden, dürften die entscheidenden neurobiologischen Grundlagen der ADHS darstellen" (ebd. S. 24). Damit ist indessen keine systemische Erkrankung (des Gehirns) im oben definierten Sinne beschrieben; das Gehirn ist kein "Organsystem". e) Die Beklagte war danach berechtigt, das Honorar der Klägerin in den streitgegenständlichen Quartalen zu reduzieren. Die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen setzt grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Kassenärztliche Vereinigung – was hier nicht geschehen ist – den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechnungssammelerklärung aufhebt; nur diese gravierende Rechtsfolge setzt voraus, dass unrichtige Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig erfolgt sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2006, B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 28). f) Von ihrem Kürzungsermessen hat die Beklagte in rechtlich beanstandungsfreier Weise Gebrauch gemacht, indem sie die Honorare der Klägerin für die Quartale III/2005 bis II/2006 im Wege sachlich-rechnerischer Berichtigung um sämtliche Leistungen nach der EBM-Nr. 04001 kürzte. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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