Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 35 KR 409/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 99/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Anspruch eines Versichterten auf Bewilligung von Lp(a)-Apherese im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 29. Januar 2015 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vom 16. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2015 mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen vorläufig zu versorgen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten; die andere Hälfte trägt der Antragsteller selbst.
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Antragsteller die Versorgung mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen für einen Zeitraum begehrt, der vor der Entscheidung des Senats liegt, fehlt ihm ein Anordnungsgrund i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG; ein eiliges Regelungsbedürfnis ist insoweit nicht zu erkennen.
Für den Zeitraum vom 16. Juni 2015 bis zum Ende des Jahres 2015 ist die Antragsgegnerin dagegen verpflichtet, den Antragsteller vorläufig mit der umstrittenen Lipid-Apherese zu versorgen. Dies ergibt sich aus der vom Senat im vorliegenden Verfahren durchgeführten Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten.
1.) Der Antragsteller hat allerdings bisher keinen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht.
a) Er hat gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf die begehrte ärztliche Behandlung als neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur im Rahmen der Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 1 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung [Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - Method-RL - in der Fassung vom 17. Januar 2006 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006 Nr. 48 (S. 1 523) in Kraft getreten am 1. April 2006, zuletzt geändert am 19. Februar 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 15.05.2015 B7), in Kraft getreten am 16. Mai 2015]. Nach § 1 Abs. 1 und 2 der Anlage I zur Method-RL regelt diese Richtlinie sowohl die Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als auch die Überprüfung und Genehmigung der Behandlungsindikation im Einzelfall. Für die in § 3 der Anlage I zur Method-RL genannten Krankheitsbilder stehen in der vertragsärztlichen Versorgung i.d.R. hochwirksame medikamentöse Standard-Therapien zur Verfügung, sodass Apheresen nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden sollen.
b) Nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Diese Voraussetzungen sind bisher nicht glaubhaft gemacht. Zwar leidet der Antragsteller an einer isolierten Lp(a)-Erhöhung, weil sich nach der Mitteilung seines behandelnden Arztes Dr. R vom Dialyse-Zentrum P vom 21. Juni 2014 die LDL-Cholesterin-Werte mit 93 mg/dl im Normbereich befinden, der Lp(a)-Wert aber mit 1,26 g/l den Grenzwert von 60 mg/dl deutlich überschreitet. Eine medikamentöse Therapie mit CSE-Hemmern werde vom Antragsteller wegen Muskelschmerzen und erhöhten CK-Werten außer einer niedrig dosierten Behandlung mit Inegy10/20 mg nicht toleriert, die aber zur erforderlichen Absenkung des Lp(a)-Wertes nicht ausreichend sei (Stellungnahme Dr. R vom 04. Juni 2014; Stellungnahme der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis am P S Drs. A u.a. vom 07. April 2014). Außerdem bestehe bei ihm eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, weil die Aorta carotis links nach einer Stenose mit einer Patchplastik im November 2008 und die Aorta carotis rechts mit einem Stent habe versorgt werden müssen. Die intima media sei mit gemessenen 1,3 mm rechts und mit 1,1 mm links verdickt und am Abgang der Gefäße seien beidseits Plaques feststellbar. Schließlich bestehe ein Zustand nach einem mittelgradigen kombinierten Aortenklappenvitium mit mechanischem Aortenklappenersatz,e eine geringgradige Mitralinsuffizienz sowie ein arterieller Hypertonus (Stellungnahme Dr. von Ameln u.a., a.a.O.).
Diese ärztlichen Feststellungen belegen zwar das Bestehen der in § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL genannten kardiovaskulären Erkrankungen. Jedoch fehlt es derzeit an nachvollziehbaren klinischen durch bildgebende Verfahren dokumentierten Belegen dafür, dass die festgestellten kardiovaskulären Erkrankungen progredient sind, also fortschreiten. Dafür reichen die bisher vorgelegten ärztlichen Berichte schon deshalb nicht aus, weil sie zu den angegebenen Zeitpunkten einen Zustand, aber keinen Verlauf beschreiben. Insoweit ist die Vorlage mehrerer klinischer Belege bezogen auf unterschiedliche Zeitpunkte erforderlich, die das Voranschreiten der Erkrankung beschreiben und durch bildgebende Verfahren glaubhaftmachen.
c) Der Senat hat davon abgesehen, diese zeitraubenden Ermittlungen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes selbst durchzuführen. Sie sollten aber in der Zukunft möglichst zeitnah von den Beteiligten veranlasst werden, um einen Anspruch des Antragstellers nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen.
2.) a) Denn die Sozialgerichte dürfen sich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in denen Leistungsansprüche eines Versicherten gegen eine gesetzliche Krankenkasse streitig sind, nicht schlechthin auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren beschränken. Drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfGE 79, 69 (74); 94, 166 (216); NJW 2003,1236f.). Sind die Sozialgerichte durch eine Vielzahl von anhängigen entscheidungsreifen Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren; in diesem Fall, der in der Regel vorliegen wird, hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (BVerfG NJW 2003, 1236f.).
b) In diesen Fällen ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 RdNr. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. NZS 2000, 510 ff.). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54 (73)). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193 ( 218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen. Nur durch eine an diesen Grundsätzen orientierte Vorgehensweise bei der Folgeabwägung wird dem vom Gesetzgeber in allen Prozessordnungen vorgesehenen Vorrang des nachgehenden Rechtsschutzes vor dem vorläufigen Rechtsschutz sowie dem sich aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz Rechnung getragen, dass die Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Ausnahme und nicht die Regel sein soll (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 22. Mai 2015, L 9 KR 34/15 B ER).
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Fol-genabwägung ein Anspruch auf sofortige Bewilligung der von ihm begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen zu.
Danach kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auf die Lipid-Apherese-Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlung kann es bei dem multimorbiden Antragsteller mit erheblichen Erkrankungen des Herzens und der peripheren arteriellen Gefäße nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis kommt, weil er als Hochrisikopatient im Moment gegen weitere Stenosen seiner Gefäße nicht ausreichend geschützt ist. So erachtet sein behandelnder Arzt Dr. R als Nephrologe und Lipidologe die Behandlung als dringend, insbesondere um die Gefahr eines Schlaganfalls bei dem inzwischen 80jährigen Antragsteller ausschließen zu können (ärztliche Stellungnahme vom 20. Oktober 2015).
Andererseits droht der Antragsgegnerin im Falle ihres späteren Obsiegens im Hauptsacheverfahren die Nichteinbringlichkeit der für die Versorgung des Antragstellers aufgebrachten Kosten, die im Verwaltungsverfahren (allerdings in Bezug auf eine Immunapherese) mit ca. 1.895,50 EUR pro Behandlung beziffert worden sind. Diese Kosten wären auch bei einer mehrmaligen Behandlung pro Monat überschaubar. Angesichts der zum einen derzeit nicht auszuschließenden Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache und der dem Antragsteller zum anderen drohenden erheblichen Nachteile bei einer Ablehnung der vorläufigen Versorgung ist dieses Kostenrisiko von der Antragsgegnerin hinzunehmen.
3.) Der Senat hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungsgewährung bis zum 31. Dezember 2015 befristet. Eine solche Befristung ist deshalb geboten, weil die begehrte Leistung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Anlage I zur Method-RL im Hauptsacheverfahren grundsätzlich zunächst nur für einen Zeitraum von einem Jahr gewährt werden könnte. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die Leistungspflicht deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf ein halbes Jahr zu beschränken, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden und dem vorläufigen Charakter der Entscheidung Rechnung zu tragen. Die Befristung ist aber auch deshalb geboten, um es der Antragsgegnerin zu ermöglichen, die Feststellung der Fortdauer der Indikation sowie die Ergebnisse der Behandlung der Erkrankung unter Kontrolle zu halten und dadurch den Vorbehalt einer Überprüfung des Anspruchs im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen (Beschluss des Senats vom 30. Oktober 2013, L 9 KR 294/13 B ER, juris). Der Senat hält es in Fällen wie dem vorliegenden aus den dargelegten Gründen für geboten, stattgebende Entscheidungen zu befristen. Dies bedeutet nicht, dass in dem der Befristung folgenden Zeitraum eine Leistungsgewährung ausgeschlossen ist. Hat ein Sozialgericht im Wege einstweiliger Anordnung eine Leistung zugesprochen und haben sich die Verhältnisse nach Überprüfung durch die behandelnden Ärzte nicht geändert, muss die Leistung weiter gewährt werden. Im vorliegenden Fall wird dies davon abhängen, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL für den Zeitraum vor Beginn der Apheresebehandlung klinisch und durch bildgebende Verfahren nachgewiesen werden können und nach Ablauf des Jahres 2015 ein klinisch relevanter Erfolg der Behandlung vorliegt. Nur in diesem fall dürfte der Antragsteller auch einen Anspruch auf weitere Apherese-Behandlungen besitzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Antragsteller die Versorgung mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen für einen Zeitraum begehrt, der vor der Entscheidung des Senats liegt, fehlt ihm ein Anordnungsgrund i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG; ein eiliges Regelungsbedürfnis ist insoweit nicht zu erkennen.
Für den Zeitraum vom 16. Juni 2015 bis zum Ende des Jahres 2015 ist die Antragsgegnerin dagegen verpflichtet, den Antragsteller vorläufig mit der umstrittenen Lipid-Apherese zu versorgen. Dies ergibt sich aus der vom Senat im vorliegenden Verfahren durchgeführten Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten.
1.) Der Antragsteller hat allerdings bisher keinen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht.
a) Er hat gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf die begehrte ärztliche Behandlung als neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur im Rahmen der Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 1 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung [Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - Method-RL - in der Fassung vom 17. Januar 2006 veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006 Nr. 48 (S. 1 523) in Kraft getreten am 1. April 2006, zuletzt geändert am 19. Februar 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 15.05.2015 B7), in Kraft getreten am 16. Mai 2015]. Nach § 1 Abs. 1 und 2 der Anlage I zur Method-RL regelt diese Richtlinie sowohl die Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als auch die Überprüfung und Genehmigung der Behandlungsindikation im Einzelfall. Für die in § 3 der Anlage I zur Method-RL genannten Krankheitsbilder stehen in der vertragsärztlichen Versorgung i.d.R. hochwirksame medikamentöse Standard-Therapien zur Verfügung, sodass Apheresen nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden sollen.
b) Nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Diese Voraussetzungen sind bisher nicht glaubhaft gemacht. Zwar leidet der Antragsteller an einer isolierten Lp(a)-Erhöhung, weil sich nach der Mitteilung seines behandelnden Arztes Dr. R vom Dialyse-Zentrum P vom 21. Juni 2014 die LDL-Cholesterin-Werte mit 93 mg/dl im Normbereich befinden, der Lp(a)-Wert aber mit 1,26 g/l den Grenzwert von 60 mg/dl deutlich überschreitet. Eine medikamentöse Therapie mit CSE-Hemmern werde vom Antragsteller wegen Muskelschmerzen und erhöhten CK-Werten außer einer niedrig dosierten Behandlung mit Inegy10/20 mg nicht toleriert, die aber zur erforderlichen Absenkung des Lp(a)-Wertes nicht ausreichend sei (Stellungnahme Dr. R vom 04. Juni 2014; Stellungnahme der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis am P S Drs. A u.a. vom 07. April 2014). Außerdem bestehe bei ihm eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, weil die Aorta carotis links nach einer Stenose mit einer Patchplastik im November 2008 und die Aorta carotis rechts mit einem Stent habe versorgt werden müssen. Die intima media sei mit gemessenen 1,3 mm rechts und mit 1,1 mm links verdickt und am Abgang der Gefäße seien beidseits Plaques feststellbar. Schließlich bestehe ein Zustand nach einem mittelgradigen kombinierten Aortenklappenvitium mit mechanischem Aortenklappenersatz,e eine geringgradige Mitralinsuffizienz sowie ein arterieller Hypertonus (Stellungnahme Dr. von Ameln u.a., a.a.O.).
Diese ärztlichen Feststellungen belegen zwar das Bestehen der in § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL genannten kardiovaskulären Erkrankungen. Jedoch fehlt es derzeit an nachvollziehbaren klinischen durch bildgebende Verfahren dokumentierten Belegen dafür, dass die festgestellten kardiovaskulären Erkrankungen progredient sind, also fortschreiten. Dafür reichen die bisher vorgelegten ärztlichen Berichte schon deshalb nicht aus, weil sie zu den angegebenen Zeitpunkten einen Zustand, aber keinen Verlauf beschreiben. Insoweit ist die Vorlage mehrerer klinischer Belege bezogen auf unterschiedliche Zeitpunkte erforderlich, die das Voranschreiten der Erkrankung beschreiben und durch bildgebende Verfahren glaubhaftmachen.
c) Der Senat hat davon abgesehen, diese zeitraubenden Ermittlungen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes selbst durchzuführen. Sie sollten aber in der Zukunft möglichst zeitnah von den Beteiligten veranlasst werden, um einen Anspruch des Antragstellers nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen.
2.) a) Denn die Sozialgerichte dürfen sich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in denen Leistungsansprüche eines Versicherten gegen eine gesetzliche Krankenkasse streitig sind, nicht schlechthin auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren beschränken. Drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfGE 79, 69 (74); 94, 166 (216); NJW 2003,1236f.). Sind die Sozialgerichte durch eine Vielzahl von anhängigen entscheidungsreifen Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren; in diesem Fall, der in der Regel vorliegen wird, hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (BVerfG NJW 2003, 1236f.).
b) In diesen Fällen ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 RdNr. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. NZS 2000, 510 ff.). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54 (73)). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193 ( 218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen. Nur durch eine an diesen Grundsätzen orientierte Vorgehensweise bei der Folgeabwägung wird dem vom Gesetzgeber in allen Prozessordnungen vorgesehenen Vorrang des nachgehenden Rechtsschutzes vor dem vorläufigen Rechtsschutz sowie dem sich aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz Rechnung getragen, dass die Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Ausnahme und nicht die Regel sein soll (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 22. Mai 2015, L 9 KR 34/15 B ER).
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Fol-genabwägung ein Anspruch auf sofortige Bewilligung der von ihm begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen zu.
Danach kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auf die Lipid-Apherese-Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlung kann es bei dem multimorbiden Antragsteller mit erheblichen Erkrankungen des Herzens und der peripheren arteriellen Gefäße nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis kommt, weil er als Hochrisikopatient im Moment gegen weitere Stenosen seiner Gefäße nicht ausreichend geschützt ist. So erachtet sein behandelnder Arzt Dr. R als Nephrologe und Lipidologe die Behandlung als dringend, insbesondere um die Gefahr eines Schlaganfalls bei dem inzwischen 80jährigen Antragsteller ausschließen zu können (ärztliche Stellungnahme vom 20. Oktober 2015).
Andererseits droht der Antragsgegnerin im Falle ihres späteren Obsiegens im Hauptsacheverfahren die Nichteinbringlichkeit der für die Versorgung des Antragstellers aufgebrachten Kosten, die im Verwaltungsverfahren (allerdings in Bezug auf eine Immunapherese) mit ca. 1.895,50 EUR pro Behandlung beziffert worden sind. Diese Kosten wären auch bei einer mehrmaligen Behandlung pro Monat überschaubar. Angesichts der zum einen derzeit nicht auszuschließenden Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache und der dem Antragsteller zum anderen drohenden erheblichen Nachteile bei einer Ablehnung der vorläufigen Versorgung ist dieses Kostenrisiko von der Antragsgegnerin hinzunehmen.
3.) Der Senat hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungsgewährung bis zum 31. Dezember 2015 befristet. Eine solche Befristung ist deshalb geboten, weil die begehrte Leistung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Anlage I zur Method-RL im Hauptsacheverfahren grundsätzlich zunächst nur für einen Zeitraum von einem Jahr gewährt werden könnte. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die Leistungspflicht deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf ein halbes Jahr zu beschränken, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden und dem vorläufigen Charakter der Entscheidung Rechnung zu tragen. Die Befristung ist aber auch deshalb geboten, um es der Antragsgegnerin zu ermöglichen, die Feststellung der Fortdauer der Indikation sowie die Ergebnisse der Behandlung der Erkrankung unter Kontrolle zu halten und dadurch den Vorbehalt einer Überprüfung des Anspruchs im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen (Beschluss des Senats vom 30. Oktober 2013, L 9 KR 294/13 B ER, juris). Der Senat hält es in Fällen wie dem vorliegenden aus den dargelegten Gründen für geboten, stattgebende Entscheidungen zu befristen. Dies bedeutet nicht, dass in dem der Befristung folgenden Zeitraum eine Leistungsgewährung ausgeschlossen ist. Hat ein Sozialgericht im Wege einstweiliger Anordnung eine Leistung zugesprochen und haben sich die Verhältnisse nach Überprüfung durch die behandelnden Ärzte nicht geändert, muss die Leistung weiter gewährt werden. Im vorliegenden Fall wird dies davon abhängen, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Anlage I zur Method-RL für den Zeitraum vor Beginn der Apheresebehandlung klinisch und durch bildgebende Verfahren nachgewiesen werden können und nach Ablauf des Jahres 2015 ein klinisch relevanter Erfolg der Behandlung vorliegt. Nur in diesem fall dürfte der Antragsteller auch einen Anspruch auf weitere Apherese-Behandlungen besitzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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