L 22 R 928/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 R 6230/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 928/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Zuschuss zu den Beiträgen zur Krankenversicherung nach § 106 SGB VI für den in Frankreich lebenden und bei der CMU de base krankenversicherten Kläger.

Der im Oktober 1944 geborene Kläger war in Deutschland beschäftigt und zuletzt während der Ausübung seiner Beschäftigung in Deutschland bei der TK freiwillig gesetzlich versichert. Er schied aus dem Arbeitsleben nach Inanspruchnahme von Altersteilzeit mit Beginn der vereinbarten Freistellungsphase aus. Zum 1. September 2002 nahm er sodann unter Aufgabe seines Wohnsitzes in der Bundesrepublik seinen Wohnsitz in der Republik Frankreich. Dort übte er keine Tätigkeit aus und hat eine französische Rente zu keinem Zeitpunkt erhalten. Seine freiwillige gesetzliche Versicherung bei der TK hielt er bis zum 31. Januar 2005 aufrecht. Ab 1. Februar 2005 versicherte er sich im Rahmen der Couverture maladie universelle (CMU) de base, der französischen gesetzlichen Einwohnerversicherung im Basistarif, bei der regionalen gesetzlichen Primärkasse (CPAM). Wegen seiner Einkommenshöhe war er in der Kasse als Beitragszahler und nicht als beitragsfreies Mitglied erfasst. Daneben hat er eine private Zusatzversicherung (bei der Alptis) abgeschlossen.

Am 11. Juni 2007 beantragte er bei der Beklagten Rente und am 15. Juni 2007 den Zuschuss zur Krankenversicherung. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 12. Oktober 2007 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit ab 1. November 2007. Sie lehnte mit Bescheid vom 18. März 2008 den Antrag auf Zuschussgewährung nach § 106 SGB VI ab für den Zeitraum ab 1. November 2007 bis laufend. Der Kläger sei aufgrund einer ausländischen Krankenversicherung pflichtversichert.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 21. März 2008. Er sei in Frankreich freiwillig versichert und privat zusatzversichert. Er reichte die Bescheinigung vom 20. Februar 2008 der CPAM du Gard über die Weiterversicherung in der CMU de base ein. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2008 zurück.

Seine am 17. Oktober 2008 erhobene Klage stützte der Kläger weiter darauf, dass er bei der CMU freiwillig versichert sei. Wegen des Dekrets 2007-371 vom 21. März 2007 habe Frankreich nicht erwerbstätige EU-Ausländer von der CMU ausgeschlossen. Diesen werde mit dem Runderlass von November 2007 die Möglichkeit gegeben, in der CMU zu verbleiben. Dies bedeute eine freiwillige Versicherung. Auf Nachfrage der Beklagten stellte die TK die Versicherung des Klägers in der gesetzlichen KVdR seit 1. November 2007 fest. Auf Antrag des Klägers befreite die TK den Kläger mit Bescheid vom 29. Juli 2009 rückwirkend ab 1. November 2007 von der bundesdeutschen gesetzlichen Krankenversicherung.

Im Klageverfahren reichte die Beklagte die Stellungnahme der französischen Regierung an die EU-Verwaltungskommission vom 15. Dezember 2000 über die Einführung und den Charakter der CMU de base und die Stellungnahmen der CLEISS vom 16. Dezember 2004 und vom 4. Mai 2010 ein. Wegen deren Inhalt wird gemäß § 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage mit Urteil vom 8. August 2011 zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Gründe des Urteils wird gemäß §§ 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin Bezug genommen.

Mit seiner Berufung vom 1. September 2011 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Seine Mitgliedschaft in der CMU ab Februar 2005 sei rechtswidrig gewesen. Ebenso sei die Befreiung von der deutschen Krankenversicherung durch die TK rechtswidrig gewesen. Daraus ergebe sich, dass der Kläger freiwillig in der CMU versichert sei. Diese stelle eine reine Auffangversicherung dar mit einem Anteil von lediglich 2,9% der Bevölkerung. Eine Pflichtmitgliedschaft in der CMU gebe es nicht, denn diese werde auf Antrag begründet.

Nach dem der Kläger mit der Berufung zugleich die Zulage nach § 249a SGB V geltend gemacht hatte, gewährte die Beklagte durch den Bescheid vom 25. April 2012, welchen sie ausdrücklich außerhalb des Verfahrens erließ, die Zulage. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2015 erklärte der Kläger, dass er die im Wege der Klageänderung geltend gemachte Zulage nicht weiter gerichtlich verfolge.

Der Kläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2008 in der Form der folgenden Bescheide, insbesondere derjenigen vom 25. April 2012 und 29. Oktober 2013, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen Beitragszuschuss gemäß § 106 SGB VI ab dem 1. November 2007 zu gewähren und für die Zeit vom 1. November 2007 bis 31. Dezember 2011 in Höhe von insgesamt 3.358,10 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 30. April 2015 in Höhe von insgesamt 3.842,32 EUR nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 155 Abs. 3, 4 SGG erklärt (die Beklagte mit Schreiben vom 18.03.2014, der Kläger mit Schreiben vom 28.08.2014).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Niederschrift sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind, gemäß §§ 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann entsprechend dem Willen der Beteiligten gemäß § 155 Abs. 3, 4 SGG auf mündliche Verhandlung allein durch seinen Berichterstatter entscheiden, weil die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft. Der Sachverhalt enthält keine strittigen oder weiter aufzuklärenden Umstände. Die rechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung des Sachverhalts sind durch die Rechtsprechung des BSG vom 27. Mai 2014, u.a. B 5 RE 8/14 R, geklärt.

Die Berufung wurde fristgerecht eingelegt und ist ausweislich der geltend gemachten Zahlungsforderung statthaft. Die Klage ist zulässig.

Gegenstand des Rechtsstreites ist eine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, wobei sich die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2008 in der Form der folgenden Bescheide, insbesondere derjenigen vom 25. April 2012 und 29. Oktober 2013, richtet und die Verpflichtungsklage auf Zahlung des Zuschusses nach § 10 SGB VI.

Der Kläger hat indes in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin und der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2008 in der Form der folgenden Bescheide, insbesondere derjenigen vom 25. April 2012 und 29. Oktober 2013, sind entgegen der Auffassung des Klägers rechtmäßig. Ihm steht kein Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für seine Krankenversicherung nach § 106 Abs 1 Satz 1 SGB VI zu.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 106 Abs 1 Satz 1 SGB VI sind nicht erfüllt. Es ist jedenfalls der Ausschlussgrund des § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Art 1 Nr 33 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007 (BGBl I 554) verwirklicht.

Gemäß § 106 Abs 1 Satz 1 SGB VI erhalten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung.

Der Kläger gehört zwar zu dem berechtigten Personenkreis im Sinne der Vorschrift, weil er seit dem 1. November 2007 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht (Bescheid vom 12.10.2007). Hingegen ist er bei der CPAM du Gard im Rahmen der CMU de base nicht freiwillig gegen Krankheit versichert. Die Versicherung wird im Rahmen einer gesetzlichen Versicherungspflicht durchgeführt, die zugleich den Ausschusstatbestand nach § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI erfüllt.

Krankenversicherungsunternehmen im Sinne der Vorschrift des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI sind alle (deutschen oder ausländischen) Versicherungsunternehmen, die eine Krankenversicherung durchführen und nicht Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung sind, mögen sie im Übrigen privat oder öffentlich-rechtlich organisiert sein (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 30 mwN). Zwar ist offensichtlich, dass die CPAM du Gard nicht Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ist. Sie ist als regionale Primärkasse der französischen gesetzlichen Krankenversicherung öffentlich-rechtlich organisiert und unterliegt der Aufsicht des französischen Staates. Sie führt keine private, sondern eine öffentliche Krankenversicherung iS des § 106 Abs 1 Satz 1 SGB VI durch und zwar auch beim Kläger, nämlich die CMU de base. Der Umstand, dass eine französische Krankenversicherung vorliegt ist wegen der europarechtlichen Vorgaben wie ein deutscher Sachverhalt zu behandeln.

Nach Art 10 Abs 1 der im November 2007 noch in Kraft befindlichen VO (EWG) Nr 1408/71, die im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich Anwendung findet, dürfen die Geldleistungen bei Alter, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten ein Anspruch besteht, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Daher kann weder die Entstehung noch die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die in dieser Bestimmung genannten Leistungen allein deshalb verneint werden, weil der Betroffene nicht im Gebiet des Mitgliedstaats wohnt, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 38 mwN). Zu den Geldleistungen bei Alter iS der Art 1 Buchst t und Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 zählt auch ein im Recht eines Mitgliedstaates vorgesehener Zuschuss zu den Aufwendungen zur Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 38 mwN). Die Rechtslage hat sich durch die zwischenzeitlich in Kraft getretene EU-VO 883/2004 (Art 7) in der Sache nichts geändert.

Unter Berücksichtigung dieser im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich zu berücksichtigenden Vorgaben ist ausreichend, wenn das ausländische Krankenversicherungsunternehmen, bei dem der Rentenbezieher versichert ist, der Aufsicht des Mitgliedstaates oder gleichgestellten Staates unterliegt, in dem das Krankenversicherungsunternehmen seinen Sitz hat (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 39 mwN). Ansonsten liefe die von Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 (bzw Art 7 EU-VO 883/2004) gewährleistete Exportierbarkeit einer Geldleistung im Alter bei Rentenbeziehern, die in einem anderen Mitgliedstaat oder gleichgestellten Staat wohnen und bei einem dort ansässigen Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, letztlich wegen ihrer Wohnsitznahme leer (BSG ebd).

Zudem ist der Ausschlussgrund des § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI verwirklicht. Gemäß § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI in der mit Wirkung vom 1. Mai 2007 geltenden – und damit für den hier maßgeblichen Zeitraum ab November 2007 relevanten – Fassung des Art 1 Nr 33 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 erhalten Rentenbezieher den Zuschuss nicht, wenn sie gleichzeitig in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind.

Die französische CMU de base ist eine ausländische gesetzliche Krankenversicherung, die den Kläger als Pflichtmitglied erfasst. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der Angaben der französischen Regierung gegenüber dem EU-Verwaltungsausschuss nach VO (EWG) Nr 1408/71 und den Angaben der CLEISS im Vergleich mit den im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Merkmalen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung.

Die CMU de base ist zunächst eine gesetzliche Krankenversicherung. Wesentliche Kriterien dafür sind im Sinne des § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI, dass es eine "Versicherung" u a gegen das Risiko der "Krankheit" ist, also, bei Eintritt eines Versicherungsfalls Kosten für Leistungen erbringt, an denen sich die Versicherten beteiligen müssen, wofür sie Beiträge (Prämien) von den Versicherten erhebt (vgl zu den genannten Maßstäben: BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 45). Dies ist im Falle der für den Kläger bei der CPAM durchgeführten CMU de base der Fall. Sie gewährt die auch im SGB V vorgesehenen Leistungen bei Krankheit, wie ambulante, stationäre oder zahnärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Heil- und Hilfsmittel, Arzneien und bei Schwangerschaft und Geburt. Die CMU de base ist auch eine "gesetzliche" Krankenversicherung. Sie ist - wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung - gesetzlich geregelt. Die CMU de base ist schließlich auch eine soziale Krankenversicherung (vgl. zu diesen Kriterien BSG ebd).

Dies ergibt sich sowohl aus dem Vortrag des Klägers wie auch aus den Darstellungen der französischen Regierung und der CLEISS zum Charakter und zu den Leistungen und zur Beitragserhebung durch die CMU de base. Insofern ist es unerheblich, dass für Versicherte bis zu einer besonderen Einkommensgrenze die Beitragspflicht entfällt. Dies ist jedenfalls beim Kläger nicht der Fall. Nach diesen Ausführungen ist die CMU de base - ebenso wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung - keine Einrichtung eines staatlichen Gesundheitswesens mit Versorgungscharakter (vgl BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 45 mwN).

Die französische Regierung teilte mit ihrer Aufzeichnung vom 15. Dezember 2000 der EU-Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer mit, dass am 1. Januar 2000 das Gesetz Nr. 99-641 vom 27. Juli 1999 in Kraft getreten sei und die Einwohnerkrankenversicherung (CMU) eingeführt habe. Die Aufzeichnung betraf nur die CMU de base, d.h. die wohnbedingte Versicherung im allgemeinen System. Mit dem Gesetz werde eine Pflichtversicherung im allgemeinen System der sozialen Sicherheit für Personen eingeführt, die keinen anderweitig erworbenen Anspruch auf Sachleistungen aus einer Kranken- und Mutterschaftsversicherung und einen festen und ordnungsgemäßen Wohnsitz in Frankreich hätten. Die auf dem Wohnkriterium beruhende Versicherungspflicht sei gegenüber der erwerbsgebunden Versicherungspflicht nachrangig und zugleich gebietsgebunden, unterliege aber keinerlei Staatsangehörigkeitsvoraussetzung und gelte daher für Gemeinschaftsangehörige wie für französische Staatsangehörige gleichermaßen (S. 1 der Aufzeichnung). Wer nach dem 1. Januar 2000 in Frankreich eingereist sei, müsse sich in der Einwohnerversicherung versichern, wenn er sich ohne Versicherungsschutz in Frankreich niedergelassen hat, selbst wenn er beschließe, nach seiner Wohnsitzname eine Privatversicherung abzuschließen (S. 6). "Das allgemeine französische System ist ein Pflichtversicherungssystem, ob die Versicherungszugehörigkeit nun durch Erwerbstätigkeit oder Wohnen entsteht und es kann [ ] keine Rede davon sein, sie als freiwillig zu bezeichnen. Der Rentner, der die eine oder andere der obigen Bedingungen erfüllt, hat in der Frage der Versicherung oder Nichtversicherung im allgemeinen wohnbedingten System (Einwohnerversicherung – CMU) keinerlei Wahl." (S. 6)

Die CLEISS teilte mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 mit, dass das französische System vorsehe, dass jeder, der sich dauerhaft und regelmäßig in Frankreich aufhalte, und nicht bereits aufgrund anderweitiger Ansprüche in einer Pflichtversicherung krankenversichert sei, verpflichtet sei, bei der CMU Grundversorgung die Mitgliedschaft zu beantragen, damit die Kosten der gesundheitlichen Versorgung übernommen würden.

Aus diesen übereinstimmenden Ausführungen der französischen Regierung und der CLEISS ergibt sich, dass es sich bei der CMU de base um eine Krankenversicherung im Sinne der VO (EWG) Nr 1408/71 handelt. Sie hat daher einen vergleichbaren Leistungsumfang wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung. Zudem handelt es sich um eine gesetzliche Versicherung, weil Einbeziehung und Leistungsumfang bei Eintritt des versicherten Risikos sowie Beitragspflichten gesetzlich vorgegeben werden. Nach den Ausführungen der CLEISS vom 16. Dezember 2004 besteht auch für diejenigen, die nicht wegen geringfügigen Einkommens davon befreit sind, Beitragspflicht. Aus der Möglichkeit der Befreiung von den Beiträgen und der Orientierung der Beiträge an den Einnahmen und nicht am Krankheitsrisiko ergibt sich der soziale Charakter der CMU de base.

Die bezeichneten Ausführungen sind überzeugend. Sie haben höchste Autorität, weil sie von der französischen Regierung in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass des Gesetzes an die EU-Verwaltungskommission gerichtet wurden, so dass kein Zweifel besteht, es könnte der gesetzgeberische Wille unzutreffend wiedergegeben worden sein. Die CLEISS als Verbindungsstelle Frankreichs für die europäischen Belange in der Sozialversicherung hat als höchstes Exekutivorgan für den Abgleich der Sozialversicherung im EU-System ebenfalls eine herausgehobene Kompetenz für die von ihr geäußerten Angaben. Ihre Aussagen zum Charakter der CMU de base decken sich mit denen der französischen Regierung. Daher sind Zweifel an der Richtigkeit der rechtlichen Angaben, die CLEISS gegenüber der Beklagten geäußert hat, nicht von relevantem Wert.

Der Versicherungsschutz, den die CMU de base vermittelt, hat auch einen das versicherte Risiko im Wesentlichen, wenn auch nicht vollständig abdeckenden Umfang. So leistet die CMU de base 70 Prozent der Honorarkosten für Ärzte und Zahnärzte, 60 Prozent anderer medizinischer Leistungen und Untersuchungen, 80 Prozent der Kosten des Krankenhausaufenthalts und zwischen 15 und 65 Prozent der Arzneikosten (Angaben der Französischen Botschaft in Berlin - Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 31.08.2009).

Die CMU de base ist zudem eine Pflichtversicherung iS des § 106 Abs 1 Satz 2 SGB VI. Bei der Beurteilung von Ansprüchen der Auslandsrentner hat die Rechtsprechung wiederholt u a hinsichtlich der Prüfung einer gesetzlichen Pflichtversicherung den möglicherweise anders gelagerten Verhältnissen im Ausland Rechnung getragen. Insoweit wird lediglich vorausgesetzt, dass die ausländische gesetzliche Krankenversicherung wenigstens annähernd mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar ist (vgl BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 47 mwN). Dies erscheint sachgerecht. Nach dieser Rechtsprechung können nicht "eins zu eins" die bundesdeutschen Verhältnisse zur vergleichenden Bewertung mit dem ausländischen Versicherungssystem zugrunde gelegt werden. So hat das BSG bei der Bewertung der schweizerischen OKPV unter dem Gesichtspunkt der Pflichtversicherung im Hinblick auf den in der Bundesrepublik grundsätzlich kraft Gesetzes eintretenden Versicherungsschutz ausgeführt, dass der Unterschied unwesentlich sei und einer Bewertung der OKPV als einer mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung annähernd vergleichbaren Versicherung unter dem Gesichtspunkt der Pflichtversicherung nicht entgegenstehe (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 5 RE 8/14 R, RdNr 50). Denn sowohl Pflichtversicherung als auch Versicherungspflicht bewirken, dass die von ihnen erfassten Personen verbindlich einer Versicherung zugeführt werden. Die Versicherer müssen in ihrem örtlichen Tätigkeitsbereich jede versicherungspflichtige Person aufnehmen. Dieser Kontrahierungszwang bewirkt, dass Alters-, Geschlechts-, Gesundheits- oder ethnische Selektionen ausgeschlossen sind und damit jede versicherungspflichtige Person tatsächlich einen Versicherungsschutz erhält (BSG ebd RdNr 51). Dass eine Versicherungspflicht auch von der eigenen Meldung des Versicherungspflichtigen abhängen kann, ist selbst der deutschen Krankenversicherung nicht fremd, wie sich aus der Ausgestaltung der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ergibt (§ 8 KSVG), wonach die Versicherungspflicht erst mit dem Tag beginnt, an dem die Meldung des Versicherten eingeht, anderenfalls frühestens mit dem Tag des Bescheides, durch die die Künstlersozialkasse die Versicherungspflicht feststellt. Auch hinsichtlich der Beendigung der Pflichtversicherung ist der bundesdeutschen Krankenversicherung das voluntative Element nicht fremd, weil sie unter bestimmten Voraussetzungen die Befreiung kennt, die der Kläger selbst auch in Anspruch genommen hat. Die Möglichkeit der Ausschöpfung derartiger Möglichkeiten ändern am Pflichtcharakter der deutschen wie auch einer ausländischen Krankenversicherung, die versicherungspflichtig ausgestaltet ist, nichts.

Nach den Angaben der französischen Regierung beinhaltet die CMU de base die Einbeziehung des von ihr erfassten Personenkreises durch eine verbindliche Versicherungspflicht. Dass dazu eine Meldung des Versicherten und ggf eine förmliche Feststellung – um einen Konflikt mit einer vorrangigen Versicherung auszuschließen – erforderlich sein mag, macht die Versicherung nicht zu einer freiwilligen. Jeder Gesetzgeber darf erwarten, dass sich die Normadressaten an die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten selbst dann halten, wenn Sanktionsmechanismen nicht vorgesehen sind.

Die Versicherung des Klägers bei der CMU de base nach Aufgabe seiner deutschen freiwilligen Versicherung Anfang 2005 erfolgte daher nicht freiwillig, sondern wegen der gesetzlich statuierten Pflicht als legaler Wohnsitzinhaber in Frankreich ohne anderweitigen Versicherungsschutz bei Krankheit. Ob und inwieweit diese Pflichtversicherung rechtswidrig durchgeführt wurde, weil der Kläger wegen des in Deutschland fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses als Beschäftigter EU-rechtlich anders zu behandeln gewesen wäre, ändert nichts am Charakter als gesetzliche und nicht freiwillige Versicherung: eine rechtswidrige Pflichtversicherung erlangt nicht den Charakter einer freiwilligen Versicherung. Dies gilt um so mehr, als die französische Regierung einen freiwilligen Charakter der Versicherung in der CMU de base ausdrücklich ausgeschlossen hat. Insoweit ist zudem zu bedenken, dass die CMU eine freiwillige Zusatzversicherung kennt: die CMU complémentaire. Diese hat einen von der CMU de base verschiedenen, nämlich freiwilligen und ergänzenden Charakter, weshalb die französische Regierung in ihrer Aufzeichnung vom 15. Dezember 2000 die CMU complémentaire ausdrücklich ausklammerte. Der Kläger hat keinen Versicherungsschutz über die CMU complémentaire; vielmehr hat er insofern eine private Zusatzversicherung (bei der Alptis) abgeschlossen, die seinen gesetzlichen Versicherungsschutz bei der CMU de base ergänzt.

Für den Rechtsstreit ist indes nicht der Zeitraum vor dem Rentenbeginn relevant, sondern der Zeitraum seit dem 1. November 2007. CLEISS führt insofern nachvollziehbar aus, dass mit Eintritt des Rentenbezuges des Klägers und der (rückwirkenden) Befreiung von der deutschen KVdR die Versicherung im Rahmen der CMU de base nicht mehr wegen einer Beschäftigten-Eigenschaft des Klägers rechtswidrig sein konnte. So wie die Befreiung von der Versicherungspflicht durch die TK für die Beteiligten bindend wurde, weshalb es auf eine Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung nicht mehr ankommt, bindet die Einbeziehungsbestätigung der CPAM vom 20. Februar 2008 über die Mitgliedschaft der Klägers in der CMU de base die Beteiligten. Insofern kommt es schlicht auf den Charakter der Versicherung und nicht die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidungen an. Auch der Vertrauensschutz, den der Kläger mit seinem über fünfjährigen legalen Aufenthalt genießt und nach EU-Recht jegliche Benachteiligung gegenüber Inländern im Sozialrecht, auch hinsichtlich der Frage der Einbeziehung von Ausländern in die inländische gesetzliche Krankenversicherung, ausschließt (Art 16 und 7 RL 2004/38/EG), was offensichtlich durch den Runderlass vom 23. November 2007 in Frankreich sicher gestellt wurde, ändert den Charakter der gesetzlichen Einwohnerversicherung nicht und transformiert diesen nicht zu einem freiwilligen, zumal die Versicherung der CMU de base (anders als die CMU complémentaire) einen freiwilligen Versicherungsschutz – nach den Angaben der französischen Regierung – überhaupt nicht vorsah. Auch dass der Kläger in der CMU de base als Beitragszahler ("cotisant") und nicht als beitragsbefreites Mitglied oder Mitglied, für das der Arbeitgeber die Beiträge abführt, erfasst ist, macht die Versicherung nicht zu einer freiwilligen.

Die CMU de base ist nicht mit der Versicherung nach § 193 Abs 3 des deutschen VVG vergleichbar. Ebenso wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ist die CMU de base eine vorrangige Versicherung, die als wesentlicher Teil der gesetzlichen Krankenversicherung die gesamte Wohnbevölkerung erfasst. Darauf stellt ausdrücklich die französische Regierung ab. Demgegenüber stellt sich die Versicherung nach § 193 Abs 3 VVG als Auffangversicherung dar, die lediglich den Teil der Wohnbevölkerung betrifft, der keine andere Absicherung im Krankheitsfall hat (BSG ebd RdNr 54 mwN) und zum größten Teil von der gesetzlichen Versicherung ausgeschlossen oder von dieser befreit ist. Dass die CMU de base anderen Versicherungsgrundlagen gegenüber nachrangig ist und sie insofern Auffangfunktion hat, macht sie nicht zu einer privaten Auffangversicherung im eben zitierten Verständnis des BSG. Denn auch die bundesdeutsche gesetzliche Krankenversicherung kennt innerhalb ihres Systems vor- und nachrangige Versicherungspflichttatbestände mit einem Vorrang der Versicherungspflicht wegen Beschäftigung, wie dies im französischen Versicherungssystem ausweislich der Darstellung durch die französische Regierung und selbst des Klägers auch der Fall ist.

Schon Name ("universelle") und Funktion der CMU de base machen deutlich, dass es sich um einen wesentlichen Teil der gesetzlichen Versicherung und nicht um eine davon unabhängige, private Auffangversicherung handelt. Die CMU de base soll als universelle, lediglich am legalen Wohnsitz orientierte Versicherung einen flächendeckenden Versicherungsschutz gewährleisten. Mit 4,8 Mio Versicherten (Stand 2006 – nach den vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen der Französischen Botschaft – Anlage zum Schreiben vom 31.08.2009) erfüllt sie diese Aufgabe auch in einem erheblichen Umfang. Sie entspricht damit der Regelung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, die als echte Pflichtversicherung ausgestaltet ist und dieselbe Schutzfunktion übernimmt.

Der Bewertung der CMU de base als Pflichtversicherung kann schließlich nicht entgegengehalten werden, ein derartiges Ergebnis komme schon deswegen nicht in Betracht, weil für Auslandsrentner zweifellos kein Beitragsanteil nach § 249a SGB V zu tragen ist und damit in derartigen Fällen ein Anspruch auf Beteiligung der Beklagten an den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung gänzlich ausgeschlossen sei (BSG ebd RdN 55 ff unter ausführlicher Würdigung auch der europarechtlichen Aspekte). Die Zulage nach § 249a SGB V erhält der Kläger inzwischen.

§ 106 Abs 1 SGB VI ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich zu beanstanden (BSG ebd RdNr 61 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 SGG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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