L 5 R 886/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 3109/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 886/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.Juli 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht.

Die Klägerin schloss im April 2002 ihre Ausbildung zur Dentalhygienikerin erfolgreich ab. Mit Schreiben vom 05.01.2005 beantragte sie bei der Beklagten, ihren sozialversicherungsrechtlichen Status als Dentalhygienikerin bei mehreren Zahnärzten, darunter auch dem Beigeladenen zu 1., festzustellen. Hierzu übersandte sie den Dienstleistungsvertrag über freie Mitarbeit vom 01.02.2005, den sie mit den Zahnärzten Dr. E., Dr. I. und Dr. G. abgeschlossen hatte und auch den Vertrag über freie Mitarbeit vom 22.02.2005 mit dem Beigeladenen zu 1. Die Klägerin legte der Beklagten auch einen Aufgabenkatalog vor, aus dem hervorgeht, dass sie unter anderem für die Anfertigung von Röntgenaufnahmen zuständig ist sowie auch für die Erstellung von Provisorien.

Nach Anhörung aller Beteiligten erließ die Beklagte den Bescheid vom 04.08.2005, in dem sie die Tätigkeit der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. und den anderen Zahnärzten als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wertete. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26.08.2005 Widerspruch ein. Dieser wurde zurückgewiesen mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2006. Die Beklagte stützte ihre Begründung im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin vertraglich verpflichtet sei, ihre Leistungen in den Praxisräumen des Beigeladenen zu 1. zu erbringen. Damit sei sie auch zeitlich an die Öffnungszeiten der Praxis gebunden. Von einer überwiegend freien Zeiteinteilung wie bei einer selbständigen Unternehmerin könne daher nicht ausgegangen werden. Sie trage auch kein eigenes unternehmerisches Risiko. Vielmehr wurde mit ihr für ihre Tätigkeit ein Stundenhonorar von 50,00 bzw. 55,00 Euro vereinbart, das sie von dem Beigeladenen zu 1. erhielt.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 14.11.2006 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Klägerin hat ausgeführt, dass ihre Tätigkeit völlig unabhängig sei vom übrigen Praxisbetrieb des Beigeladenen zu 1. Die Behandlung durch die Klägerin erfolge ohne das Beisein des Arztes, Terminvereinbarungen für die Dentalhygienebehandlungen würden zwar über das gemeinsam genutzte Sekretariat der Praxis vorgenommen, seien aber unabhängig von den Zahnarztbehandlungen. Die Klägerin betätige sich auf eigene Rechnung und auf eigene Gefahr, die Höhe ihrer Einnahmen bestimme sie durch ihre Arbeitsleistung. Da die Patienten frei entscheiden könnten, ob sie eine Behandlung vornehmen lassen wollen, liege es an der Klägerin, die Patienten von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen, daher trage sie ein erhebliches unternehmerisches Risiko.

Die Klägerin sei nicht nur für den Beigeladenen zu 1., sondern insgesamt für vier Zahnarztpraxen tätig gewesen. Dass die Behandlungen jeweils im Behandlungszimmer der Zahnärzte stattgefunden haben, bedeute nicht, dass die Klägerin in das Unternehmen des jeweiligen Zahnarztes eingegliedert gewesen sei. Es liege in der Natur der Sache, dass zahnmedizinische sowie dentalhygienische Behandlungen in einer Praxis durchgeführt werden, um so den Patienten entgegenzukommen und selbst einen größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.

Für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit spreche auch, dass die Klägerin keine klassischen Arbeitgeberleistungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder sonstige Gratifikationen oder Zuschläge für Über- oder Mehrarbeit gezahlt würden. Sie habe auch keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub.

In der mündlichen Verhandlung vom 17.07.2008 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie ca. 20 % der Patienten selbst akquiriert habe, die übrigen Patienten seien aus dem Kreis der Patienten der Zahnarztpraxen hervorgegangen. Die Rechnung über die Dentalhygienebehandlung sei regelmäßig vom Zahnarzt gestellt worden, weil nur so eine reibungslose Abrechnung mit den privaten Krankenversicherungen gewährleistet sei. Die gesetzlichen Krankenversicherungen erstatteten diese Behandlungskosten ohnehin nicht. Ein - vertraglich zulässiger - Vertretungsfall sei bisher noch nicht eingetreten gewesen. Im Krankheitsfalle würden die Termine verlegt werden. Ein zeitlicher Zusammenhang der Tätigkeit als Dentalhygienikerin mit den Leistungen des jeweiligen Zahnarztes bestehe in aller Regel nicht, weil die Behandlung des Zahnarztes und eine unmittelbar anschließende dentalhygienische Behandlung ebenso ungünstig sei wie der umgekehrte Ablauf.

Das Sozialgericht München hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 17.07.2008. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass aufgrund der individuellen Vertragsgestaltung die Klägerin keine selbständige Tätigkeit ausübe. Dies liege unter anderem daran, dass allein der Beigeladenen zu 1. ein unternehmerisches Risiko habe. Der Klägerin werde ein Stundenhonorar von 50,00 bzw. 55,00 Euro gezahlt. Sie habe damit praktisch keinen Einfluss auf die Einkommenshöhe, die sie allenfalls dadurch steigern könnte, dass sie mehr Stunden leiste. Auch ergebe sich aus dem von der Klägerin mitgeteilten Jahreseinkommen, dass die jährlichen Umsätze für die Dentalhygienepatienten beim Beigeladenen zu 1. jeweils mehr als doppelt so hoch waren wie die entsprechenden Honorare der Klägerin. Auch die Arbeitsmittel waren vom Beigeladenen zu 1. zu stellen.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.11.2008 Berufung eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 12.11.2008 hat der Klägervertreter geltend gemacht, dass bei der Klägerin weder eine persönliche Abhängigkeit bestehe, noch das unternehmerische Risiko allein beim Beigeladenen zu 1. liege. Sie sei auch nicht in die betriebliche Organisation des Beigeladenen zu 1. integriert. Die Klägerin könne sich jederzeit eigene Räumlichkeiten suchen und dort ihre Tätigkeit ausführen. Es stünde ihr frei, die entsprechenden Geräte selbst zu beschaffen. Es würden darüber hinaus keine klassischen Arbeitgeberleistungen wie Lohnfortzahlung, Weihnachtsgeld und Urlaub bezahlt. Gegen eine selbständige Tätigkeit spreche zwar die Nichtbeschäftigung von Hilfskräften, die Klägerin sei jedoch nicht verpflichtet, jeden Auftrag höchstpersönlich auszuführen, sondern sie sei berechtigt, sich der Hilfe von Gehilfen zu bedienen. Der 16. Senat des Landessozialgerichts hat am 06.03.2009 einen Erörterungstermin durchgeführt und daraufhin gemäß der Geschäftsverteilung den Rechtsstreit abgegeben an den 5. Senat.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.07.2008 sowie den Bescheid vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Dentalhygienikerin für den Beigeladenen Dr. A. selbständig und nicht versicherungspflichtig beschäftigt ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, dass die Klägerin zwar der Wahl ihres Arbeitsortes frei sei, dies jedoch in der Praxis nicht gelebt werde. Ebenso habe sie keine eigenen Geräte angeschafft. Im Übrigen hat die Beklagte Bezug genommen auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts München vom 17.07.2008.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts, die Akte des Sozialgerichts München sowie die Akte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch in der Sache nicht erfolgreich. Die Tätigkeit der Klägerin beim Beigeladenen zu 1. stellt ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis dar.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2006, wonach eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. festgestellt worden ist. Die Beklagte ist in dem von der Klägerin eingeleiteten Anfrageverfahren nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als zuständige Behörde unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls gemäß § 7a Abs. 2 SGB IV zu der zutreffenden Feststellung gelangt, dass die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. abhängig beschäftigt ist.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Dies ist der Fall, wenn der Beschäftigte in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das Unternehmerrisiko, dem spiegelbildlich eine Unternehmenschance gegenübersteht, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr. vgl. BSG Urteil vom 28.05.2008 - B 12 KR 13/07 R; Bayer. LSG Urteil vom 13.07.2005 - L 5 KR 187/04). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Ausgangspunkt sind die vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten; weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Ausgestaltungen ab, so sind diese maßgeblich, soweit dies rechtlich zulässig ist.

Für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin beim Beigeladenen zu 1. sprechen zwar die Umstände, dass die Klägerin kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhält und sie auch grundsätzlich frei über ihre Termine mit den zu behandelnden Patienten verfügen kann. Allerdings sprechen erhebliche Gründe gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit spricht insbesondere, dass die Klägerin lediglich einen Stundenlohn von 50,00 bzw. 55,00 Euro erhielt, während die Einnahmen aus der von ihr zu verrichtenden Tätigkeit etwa 150,00 Euro pro Stunde betrugen. Die Differenz zwischen beiden Beträgen floss dem Beigeladenen zu 1. zu. Die Klägerin rechnete auch nicht selbst mit den Patienten ab. Die Abrechnung erfolgte regelmäßig im Verhältnis Patient-Zahnarzt. Sie trat also nie selbst als Vertragspartnerin nach Außen auf. Darüber hinaus nutzte die Klägerin die Arbeitsmittel des Beigeladenen zu 1., musste also keine eigenen Behandlungsstühle anschaffen, keine eigenen Behandlungsräume anmieten, kein eigenes Personal beschäftigen und dergleichen mehr. Ihre Einnahmen konnte sie allenfalls dadurch steigern, dass sie mehr Stunden arbeitete, da ihr Stundenlohn mit dem Beigeladenen zu 1. fest vereinbart war. Ein unternehmerisches Risiko ist in dieser Fallgestaltung nicht erkennbar.

Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die vertraglichen Vereinbarungen der Klägerin mit dem Beigeladenen zu 1. regelmäßig auch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis angetroffen werden können. Der einzige Unterschied ist die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1. an die Klägerin kein Urlaubs-/Weihnachtsgeld und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall leistet und kein bezahlter Urlaub gewährt wird. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Klägerin sich selbst um ihre Altersversorgung bemühen muss sowie um eine Krankenversicherung und dergleichen mehr, und sie von ihren Einnahmen auch die entsprechenden Steuern abführen muss, verbleibt letztendlich eine Vergütung, die sich von der eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses einer Dentalhygienikerin jedenfalls nicht wesentlich unterscheidet.

Ist die Tätigkeit einer Dentalhygienikerin zu beurteilen, ist das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) zu beachten. Danach sind die Tätigkeiten der Klägerin wie Erhebung der Parodontalbefunde, postoperative Nachsorge, Fissurenversiegelung, Erstellung von Provisorien, Anfertigung von Röntgenaufnahmen etc Aufgaben, die ein Zahnarzt an dafür qualifiziertes Prophylaxe-Personal mit abgeschlossener Ausbildung wie u.a. eine Dentalhygienikerin delegieren kann (§ 1 Abs. 5 ZHG). Damit ist klargestellt, dass es sich bei diesen Tätigkeiten um Ausübung der Zahnheilkunde handelt, die nur von einem approbierten Zahnarzt ausgeübt werden darf (§ 1 Abs. 1 ZHG). Zulässig ist lediglich die bereits genannte Delegation an qualifiziertes Personal, damit an Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Zahnarzt stehen. Eine selbständige Leistungserbringung durch eine Dentalhygienefachkraft verstößt insoweit damit bereits gegen das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde.

Nach dem Urteil des FG Nürnberg vom 14.11.2002 (II 179/2000, zitiert nach juris) erbringt ein seine Leistungen nicht gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse bzw. gegenüber Privatpatienten auf ärztliche Verordnung hin, sondern gegenüber den Zahnärzten auf Stunden-Honorar-Basis abrechnender Dentalhygieniker keine nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Umsätze. Dies beruhe darauf, dass die Leistungen des Dentalhygienikers ihrer Art nach nicht von der Sozialversicherung finanziert werden. Dass die Berufsausübung ein wohl arbeitsrechtlich verstandenes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Zahnarzt und Dentalhygieniker vorsehe, war hier für das FG nicht entscheidungserheblich (aaO Rn. 23). Zwar kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass eine Zahnhygienetechnikerin ihre Leistungen als selbständige Tätigkeit erbringt, jedoch ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Im Berufenet der Bundesagentur für Arbeit wird unter der Rubrik "Existenzgründung" darauf hingewiesen, dass Dentalhygieniker z.B. in der Gesundheitserziehung und der Gesundheitsvorsorge auf selbständiger Basis tätig sein können, z.B. als Berater/innen von Schulen und Kindergärten. Eine wie in dem hier zu entscheidenden Fall ausgeübte Tätigkeit wird dort nicht erwähnt.

Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erweist sich daher die Tätigkeit der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. als ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 S.1 SGB IV.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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