L 10 U 3014/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 46/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3014/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.07.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls streitig, in erster Linie jedoch die Zulässigkeit des Widerspruchs gegen die insoweit ablehnende Entscheidung der Beklagten.

Der am 1952 geborene Kläger war zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Ereignisses in der Justizvollzugsanstalt (JVA) R. inhaftiert. Am 09.01.2011, einem Sonntag, beklagte der Kläger Schmerzen am großen Zeh, worauf er am Abend im Krankenrevier behandelt und sodann stationär aufgenommen wurde.

Am 28.02.2011 fertigte der Kläger einen Unfallbericht, in dem er hierauf Bezug nahm und ausführte, bei der am 09.01.2011 bemerkten Verletzung am linken Zeh habe es sich um einen "Nagelstich oder Eisenstab", in den er getreten sei, gehandelt. Er wisse nicht genau, wie es zu diesem Unfall gekommen sei. Bemerkt habe er es erst am Morgen des 09.01.2011. Er vertrat die Auffassung, einen Arbeitsunfall erlitten zu haben.

Gegen das Schreiben der Beklagten vom 22.03.2011, mit dem diese den Kläger darauf hingewiesen hatte, dass ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen sei, weil er eine Verletzung bei der Arbeit nur vermute, erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.07.2011 Einwendungen, worauf die Beklagte mit Bescheid vom 28.07.2011 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte. Mit Schreiben vom 28.07.2011 übersandte sie diesen Bescheid an die JVA R. mit der Bitte, dem Kläger den beigefügten Bescheid auszuhändigen. Dieses Schreiben ging bei der JVA R. am 01.08.2011 ein. Der Bescheid wurde dem Kläger am 02.08.2011 - so die telefonische Information seitens der JVA R. gegenüber der Beklagten - ausgehändigt.

Am 05.08.2011 beantragte der Kläger die Vorführung zur Rechtsantragstelle des Amtsgerichts R. und begründete diesen Antrag damit, Rechtsbeistand in beiliegender Angelegenheit zu benötigen. Er führte dann unter Nr. 1 bis 4 die Unfallanzeige vom 28.02.2011, die Nachricht der Beklagten vom 22.03.2011, sein Schreiben vom 13.07.2011 und den "Bescheid über die Ablehnung" vom 28.07.2011 auf (vgl. Bl. 47 SG-Akte).

Am 01.07.2012 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 28.07.2011 Widerspruch und machte geltend, sich zunächst auf die Verfolgung von Ansprüchen gegen die JVA R. beschränkt zu haben. Er, der Bevollmächtigte, habe erst mit Schreiben der JVA R. vom 14.06.2012 erfahren, dass die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall bereits unter dem 28.07.2011 abgelehnt worden sei. Der Widerspruch sei rechtzeitig erhoben, da keine wirksame Bekanntmachung des Bescheids erfolgt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung als unzulässig zurück, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid sei dem Kläger durch die JVA R. am 02.08.2011 persönlich ausgehändigt worden, so dass die Widerspruchsfrist am 02.09.2011 geendet habe.

Am 04.01.2013 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und bestritten, dass ihm der ablehnende Bescheid am 02.08.2011 ausgehändigt worden sei. Allerdings sei zutreffend, dass ein JVA-Beamter ihm den angefochtenen Bescheid an einem nicht mehr festzustellenden Datum übergeben habe. Er habe sich daraufhin zu einem für Unfallsachen zuständigen JVA-Beamten begeben und diesem erklärt, gegen den Bescheid Einspruch erheben zu wollen. Er habe den Einspruch schriftlich abgesetzt und dem Beamten das eigenhändig unterzeichnete Schriftstück zum Versand übergeben. Amtspflichtgemäßes Handeln unterstellt, sei der Widerspruch durch die zuständige JVA-Poststelle an die Beklagte versandt worden. Sollte sein Einspruch wider Erwarten bei der Beklagten nicht eingegangen sein, werde sich die Generalstaatsanwaltschaft mit den Vorgängen befassen müssen. Die Zustellung sei im Übrigen unwirksam. Diese hätte nicht in der JVA erfolgen dürfen, weil die Zustellung an den "Gegner" (Unfallverursacher) gegen § 178 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) verstoße. Die Vorschriften des Sozialgesetzbuch (SGB) über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten sei demgegenüber nachrangig.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.07.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagten habe den Widerspruch des Klägers zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Am 18.07.2014 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.07.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2012 zu verurteilen, den Vorfall vom 06./09.01.2011 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Der Senat entscheidet ohne Beiladung des Landes Baden-Württemberg. Denn entgegen der Auffassung des Klägers muss das streitige Rechtsverhältnis zwischen einem Versicherten und einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung - hier: Vorliegen eines Arbeitsunfalles - auch gegenüber dem "Unternehmer" im Grundsatz (also von der Ausnahme des § 108 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch abgesehen) nicht einheitlich festgestellt werden (BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 27/10 R in SozR 4-2700 § 109 Nr. 1). Ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG liegt somit nicht vor, eine Beiladung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG hält der Senat für nicht tunlich.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Beklagte hat den am 03.07.2012 eingelegten Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 28.07.2011 mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2012 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Widerspruch war wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig. Da der Bescheids vom 28.07.2011 mit Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig wurde, hat das SG zu Recht keine Sachentscheidung getroffen.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen nach denen die Einhaltung der Widerspruchsfrist zu beurteilen ist, im Einzelnen dargelegt und im Hinblick auf § 84 Abs. 1 SGG, wonach der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, einzureichen ist, dargelegt, dass diese Regelung an den Rechtsbegriff der "Bekanntgabe" anknüpft und eine förmliche Zustellung des Verwaltungsakts nicht vorschreibt. Ausgehend von der Mitteilung der JVA R. , wonach der in Rede stehende Bescheid dem Kläger am 02.08.2011 übergeben wurde, ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 28.07.2011 dem Kläger am 02.08.2011 bekannt gegeben wurde und die Widerspruchsfrist mithin am 03.08.2011 begann und mit Ablauf des 02.09.2011 endete (vgl. § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG), weshalb der bei der Beklagten am 01.07.2012 eingegangene Widerspruch verspätet war. Zutreffend dargestellt hat das SG darüber hinaus, dass die Einwände des Klägers gegen die Wirksamkeit der "Zustellung" ins Leere gehen, da die Beklagte zur Bekanntgabe des Bescheids vom 28.07.2011 gerade nicht die Zustellung wählte und den in Rede stehenden Bescheid statt dessen mit einfachem Brief an die JVA R. zur Aushändigung an den Kläger übersandte. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Mit der Aushändigung des Bescheides an den Kläger erfolgte somit die Bekanntgabe an den Adressaten (§ 37 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Damit wurde der Bescheid vom 28.07.2011 gemäß § 39 Abs. 1 SGB X wirksam.

Im Übrigen wäre der Widerspruch des Klägers auch unter Zugrundelegung seines Vorbringens, wonach ihm der Bescheid vom 28.07.2011 nicht am 02.08.2011 übergeben worden sei, verspätet gewesen. Denn unter dem 05.08.2011 beantragte der Kläger bereits seine Vorführung zur Rechtsantragstelle des Amtsgerichts R. , die er seiner Begründung zufolge für die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes in seiner Unfallangelegenheit benötigte. Da er diese Angelegenheit unter Nennung u.a. seiner Unfallanzeige vom 28.02.2011 und insbesondere des Bescheids vom 28.07.2011 näher konkretisierte, ist offenkundig, dass dem Kläger zumindest zu diesem Zeitpunkt der Bescheid vom 28.07.2011 vorlag und damit bekannt gegeben war. Die auf dieser Grundlage dann jedenfalls am 05.09.2011 endende Widerspruchsfrist war mit dem am 01.07.2012 eingelegten Widerspruch damit gleichermaßen versäumt.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch im Falle der vom Kläger - wie dargelegt zu Unrecht - angenommenen Zustellungsmängel diese gemäß § 9 Landesverwaltungszustellungsgesetz geheilt wären.

Gründe, die es erfordert hätten, dem Kläger wegen Versäumung der Widerspruchsfrist gemäß § 67 SGG Wiedereinsetzung in der vorigen Stand zu gewähren, liegen nicht vor. Das SG hat diesbezüglich zutreffend ausgeführt, dass keinerlei Beweise für die Behauptung des Klägers vorliegen, er habe einen selbst verfassten Widerspruch einem Beamten der JVA zur Weiterleitung übergeben. Auch insoweit nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug. Sein Vorbringen hat der Kläger weder nach Zeitpunkt, Ort und näheren Umstanden noch hinsichtlich des Inhalts des Schriftstücks näher substantiiert. Auch hat er lediglich vorgebracht, sich "zu einem für Unfallsachen zuständigen JVA-Beamten" begeben zu haben, ohne die Person namentlich zu benennen. Tatsächlich erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.07.2011 Einwendungen. Allerdings bezogen sich diese Einwendungen auf das Hinweisschreiben der Beklagten vom 22.03.2011, nicht aber auf den später ergangenen Bescheid vom 28.07.2011.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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