L 3 SB 5/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 12 SB 623/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 5/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Streit.

Auf den Erstantrag des Klägers nach dem Schwerbehindertenrecht vom 10. Oktober 2001 zuerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2002 einen GdB von 20 und legte hierbei ihrer Entscheidung die folgenden Gesundheitsstörungen zu Grunde:

- Bluthochdruck, arterielle Verschlusskrankheit - Degenerative Wirbelsäulenveränderungen - Kopfschmerzen - Psychische Minderbelastbarkeit.

Auf den Neufeststellungsantrag vom 10. Oktober 2007 hin erließ die Beklagte am 19. März 2008 einen Neufeststellungsbescheid, mit welchem sie einen GdB von 30 feststellte und die folgenden Gesundheitsstörungen berücksichtigte:

- Bluthochdruck, arterielle Verschlusskrankheit - Psychische Minderbelastbarkeit, Hirnleistungsstörung, Verletzungsfolgen - Degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen - Kopfschmerzen

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchbescheid vom 21. Oktober 2008). In dem auf Zuerkennung eines höheren GdB als 30 betriebenen Klagverfahren hat die Beklagte sodann nach Auswertung der vom Sozialgericht eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers mit Neufeststellungsbescheid vom 16. September 2009 unter Berücksichtigung der bereits im Vorbescheid genannten Gesundheits¬störungen einen GdB von 50 festgestellt.

Aufgrund einer bereits am 31. August 2009 getroffenen Beweisanordnung hat das Sozialgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. nach Untersuchung des Klägers am 26. Januar 2010 erstellt hat. Dort hat der Kläger angegeben, seit einem auf das Jahr 1995 datierten Verkehrsunfall unter ungeklärten Muskelkrämpfen und diffusem Schwindel sowie unter einer nahezu vollständigen Amnesie bis zum Jahr 2002 zu leiden. Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, die diesbezüglichen Angaben seien wechselhaft, zum Teil widersprüchlich. Auffällig sei auch die inadäquate Affektivität, welche die Schilderung eines solch gravierenden Symptoms begleite. Hinweise auf altersvorauseilende Einschränkungen der kognitiven und mnestischen Funktionen hätten sich auch nicht gezeigt. Die in der körperlichen Untersuchung beklagten krampfartigen Schmerzen blieben wenig einfühlbar, erschienen aggraviert und von kurzer Dauer. In der Zusammenschau seien die Beschwerden des Klägers am ehesten mit einer leichtergradig ausgeprägten überwiegend motorischen Polyneuropathie vom axonalen Schädigungstyp zu erklären. Die Sensibilität sei nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich der angegebenen Gedächtnisstörung habe sich herausgestellt, dass der Kläger mehr erinnern könne als zunächst vorgetragen, so dass der Eindruck einer nicht unerheblichen Aggravation entstanden sei. Die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms könne insoweit nicht gestellt werden. Eine wesentliche Hirnteilleistungsstörung sei nicht feststellbar. Der Kläger habe keine gravierenden psychischen Auffälligkeiten, insbesondere nicht im Sinne von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gezeigt. Auch die Annahme einer erheblichen Somatisierungsstörung sei nicht gerechtfertigt, ärztliche Behandlungen nehme der Kläger nur in geringem Umfang in Anspruch und es fehle die Einengung auf die körperliche Symptomatik. Unter Berücksichtigung der Aggravationsneigung sei die seelische Störung des Klägers als leichtere Störung zu qualifizieren und rechtfertige keinen höheren Teil-GdB als 20. Wesentliche organische Befunde auf anderen Fachgebieten hätten sich nicht gefunden, so dass auch der Gesamt-GdB mit 20 zu bewerten sei. Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 9. September 2010 ihren Bescheid vom 16. September 2009 für die Zukunft zurückgenommen und ab 15. September 2010 (erneut) einen GdB von 30 festgestellt.

Mit Urteil vom 6. April 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die gerichtliche Sachverständige Dr. L. habe überzeugend festgestellt, dass beim Kläger eine undifferenzierte Somatisierungsstörung mit funktionellen Organbeschwerden geringer Auswirkung bestehe, die als leichtere psychovegetative oder psychische Störung mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sei. Eine stärker behindernde Störung, welche einen höheren GdB rechtfertigen würde, liege nicht vor. Die beim Kläger des Weiteren vorliegende geringgradige Polyneuropathie bedinge keine schwerwiegenden motorischen Ausfälle. Die vom Kläger beklagten weiteren Funktionseinschränkungen der Hände und Beine seien nicht nachgewiesen und könnten nicht durch entsprechende Befunde bestätigt werden. Es könne dabei dahinstehen, ob der GdB 20 betrage, wie von Dr. L. vorgeschlagen, oder aber 30, wie von der Beklagten festgestellt. Ein höherer GdB als 30 liege jedenfalls nicht vor.

Der Kläger hat gegen das ihm am 15. April 2011 zugestellte Urteil am 16. Mai 2011, einem Montag, Berufung eingelegt, mit welcher er geltend macht, bei ihm liege ein GdB von 80, mindestens jedoch von 50 vor. Das Gutachten der Dr. L. berücksichtige die Schwindelanfälle und die schmerzhaften Krämpfe, unter denen er, der Kläger, leide, nicht ausreichend. Die Muskelkrämpfe, die insbesondere auch die Kiefermuskulatur beträfen, seien nicht ausreichend diagnostiziert, hier hätte das Sozialgericht weitere Sachaufklärung betreiben müssen. Die Gutachterin sei ihm gegenüber nicht objektiv gewesen, was aus dem Vorwurf der Aggravation folge.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts vom 6. April 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2010 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm einen GdB von 80, wenigstens aber von 50 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und ist der Auffassung, ein höherer GdB als 30 lasse sich nicht rechtfertigen.

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 hat der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt mit der Begründung, die Berufung sei ohne Aussicht auf Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten und von den behandelnden Ärzten ohne entsprechende Befunderhebung zum Teil bescheinigten Beschwerden in Form von Krämpfen am ganzen Körper hätten weder bei der umfangreichen Untersuchung in der Neurologischen Poliklinik des Universitätsklinikums H.- E. noch bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. L. objektiviert werden können und könnten deshalb in die Feststellung des Grades der Behinderung nicht einfließen. Aus dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren ergebe sich nichts Neues. Es erschöpfe sich im Wesentlichen in der Kritik an dem Gutachten der Sachverständigen Dr. L., ohne andererseits Anhaltspunkte für objektiv feststellbare, deshalb zu berücksichtigende und zu einem höheren Grad der Behinderung führende Funktionsbeeinträchtigungen aufzuzeigen.

Der Kläger hat hierzu nochmals Stellung genommen und die Kritik an Dr. L. wiederholt. Des Weiteren trägt er nunmehr erstmals vor, seit 2010 mehrere Herzinfarkte bzw. Schlaganfälle erlitten zu haben. Zur Begründung hierfür bezieht er sich insbesondere einen Bericht über eine Magnetresonanztomographie (MR) des Neurocraniums vom 24. Februar 2012, in welchem es heißt, es gebe einzelne kleine Glianarben. In einem Befundbericht der Klinik für Neurochirurgie der Medizinischen Hochschule H1 vom 22. März 2012, welchen der Kläger gleichfalls vorgelegt hat, heißt es dazu, die MRT-Aufnahmen zeigten keinen auffälligen Befund, aus neurochirurgischer Sicht bestehe kein Handlungsbedarf. In einem weiteren Arztbrief der A. Klinik B. vom 20. September 2012 heißt es, für die geschilderte Schwindel- und muskuläre Symptomatik lasse sich keine organische Ursache finden. Es sei an eine Somatisierungsstörung zu denken. Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt, aus welchen sich keine Veränderungen des Gesundheits¬zustandes des Klägers im Vergleich zu diesen und den übrigen bereits vorliegenden Befunden ergeben.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten (2 Bände) und der Verwaltungsakte der Beklagten, welche dem Senat vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss zurückweisen, weil er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Der Kläger ist hierzu gehört worden (Verfügung vom 20. März 2015, zugestellt am 31. März 2015 und vom 22. April 2015, zugestellt am 30. April 2015).

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30 nicht zu. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Senat sieht nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung aus den in dem Urteil des Sozialgerichts vom 6. April 2011 dargelegten Gründen und aus den Gründen des die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses vom 10. Oktober 2011 als unbegründet zurückgewiesen wird. Der Senat teilt, wie sich bereits aus dem Beschluss vom 10. Oktober 2011 ergibt, die Kritik des Klägers an dem Gutachten der Dr. L. nicht. Im Übrigen erschöpft sich der Vortrag des Klägers in erster Linie in der Geltendmachung einer angeblich fehlenden Qualifikation der Gutachterin, ohne andererseits Anhaltspunkte für objektiv feststellbare, deshalb zu berücksichtigende und zu einem höheren Grad der Behinderung führende Funktionsbeeinträchtigungen aufzuzeigen. Dass es insoweit nicht auf eine Diagnose einer möglicherweise bestehenden Erkrankung des Klägers ankommt, sondern auf die objektiv vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen, ergibt sich auch bereits aus dem angefochtenen Urteil und aus dem genannten Beschluss des Senats. Schließlich gibt es hier – außer der bloßen Behauptung des Klägers, die indes in keinem der eingeholten oder vorgelegten Befunde bestätigt wird – keinerlei Anhalt für einen durchgemachten Schlaganfall oder einen Herzinfarkt, geschweige denn für die für die Feststellung von einen höheren GdB rechtfertigenden verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen nach einem solchen Ereignis. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved