L 3 SB 1982/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 1881/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1982/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. März 2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

3. Die Kosten des auf Antrag des Klägers erhobenen Gutachtens von Dr. A: vom 25. Juni 2013 werden nicht auf die Staatskasse übernommen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Bei dem 1954 geborenen Kläger war seit Oktober 1987 ein GdB von 30 festgestellt. Dem lagen ein Einzel-GdB von 20 für eine Funktionsstörung der Hände, von weiteren 20 für Belastungsbeschwerden und Gefühlsstörungen im Bereich des rechten Kniegelenkes und Unterschenkels sowie ein Einzel-GdB von 10 für Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule zugrunde.

Der Kläger war als Maschinenbautechniker bei der B.-C. Industrielle Messtechnik GmbH tätig. Wegen gesundheitlicher Beschwerden, die von ihm auf Elektrosmogbelastung am Arbeitsplatz zurückgeführt worden waren, gab er seine Beschäftigung auf. Am 5.11.2009 beantragte er die Neufeststellung des GdB, die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und - so wörtlich - "eine Parkerleichterung". Dabei machte er geltend, er leide an Elektrohypersensibilität, MCS (Multiple Chemische Sensibilität), Erschöpfungssyndrom und Fibromyalgie. Ergänzend führte er aus, durch den allgegenwärtigen Elektrosmog seien bei ihm vielfältige Beschwerden und Krankheiten verursacht worden. Er sei dadurch nicht mehr erwerbsfähig und könne am öffentlichen Leben nicht mehr teilnehmen. In dem vom Kläger u.a. vorgelegten Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 22.7.2008 wird ausgeführt, der Kläger leide an multiplen körperlichen Symptomen bei angenommenem Elektrosmog. Der Kläger leide unter Kopfschmerzen, Sehstörung, Augenbrennen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung, Tunnelblick, Koliken, Brennen im Bauch, pelzige Arme, Schulterschmerz, Oberarmbeschwerden, Herzrasen und Schweißausbrüchen.

Nach versorgungsärztlicher Überprüfung der eingereichten medizinischen Unterlagen durch den Versorgungsarzt Dr. E., der unter dem 31.1.2010 für "Allergie, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom" einen Einzel-GdB von 30, für "Funktionseinschränkungen des rechten Kniegelenkes, Gebrauchseinschränkung des rechten Beines" und für "Gebrauchseinschränkung beider Hände" einen Einzel-GdB von jeweils 20 und für "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule" einen solchen von 10 bei einem Gesamt-GdB von 40 annahm, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15.2.2010 demgemäß einen GdB von 40 ab 2.11.2009 fest und lehnte die Zuerkennung von Merkzeichen ab.

Der Kläger legte Widerspruch ein, mit dem er einen GdB von 100 sowie die Merkzeichen "G" und nunmehr auch ausdrücklich "aG" erstrebte. Er machte geltend, sein Leiden sei nicht psychisch bedingt und verwies hierzu auf den Arztbericht der Dr. F., Nervenärztin - Psychotherapie, vom 5.2.2009 und auf das Rentengutachten des Dr. G. vom 13.12.2009. Dr. F. führte aus, nach der Schilderung des Klägers bestehe eine ausgeprägte Elektrosensibilität. Der Kläger solle vorrangig Funkbelastungen meiden, daneben könne die Entgiftung mit Nahrungsergänzungsmitteln und mit gesunder Ernährung unterstützt werden. Dr. G. führte im Gutachten vom 14.12.2009 aus, im Vordergrund stünden überdurchschnittlich viele somatische Beschwerden, so dass eine somatoforme Störung anzunehmen sei. Eine schwere depressive Störung lasse sich testpsychologisch nicht feststellen.

Die Versorgungsärztin H. behielt in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 13.4.2010 die bisherige versorgungsärztliche Einschätzung bei und wies darauf hin, dass die objektivierbaren Befunde keine Funktionseinschränkungen belegten, die eine Schwerbehinderteneigenschaft bedingen könnten. Der Kläger sei durch seine Aktivitäten in der Agenda-Projektgruppe "Elektrosmog" im Amt gut bekannt. Wesentliche Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates oder eine Gehbehinderung hätten nicht beobachtet werden können. Soziale Anpassungsschwierigkeiten seien bei dem sehr aktiven Kläger nicht zu beobachten.

Gestützt hierauf wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.4.2010 zurück. Ein höherer GdB als 40 sei nicht anzunehmen; die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G und aG" lägen nicht vor.

Der Kläger hat am 29.5.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Er hat nochmals betont, dass seine vielfältigen Beschwerden auf Einwirkungen von elektromagnetischen Feldern beruhten. Der Beklagte ignoriere Symptome, deren Ursache man nicht hören, sehen oder riechen könne. Diese würden zu Unrecht als psychisch verursacht hingestellt.

Das SG hat den behandelnden Hausarzt Dr. I.-J. als sachverständigen Zeugen gehört und von diesem weitere ärztliche Unterlagen (u.a. von Dr. Q. vom 12.4.2010, Rentengutachten des Dr. K. vom 30.4.2010) beigezogen. Dr. I.-J. hat unter dem 17.1.2011 ausgeführt, beim Kläger bestehe eine chronische Hauterkrankung mit über den ganzen Körper verteilten, teilweise nässenden und brennenden Rötungen und Hautveränderungen. Ferner liege ein hoher Blutdruck vor, der medikamentös gut eingestellt sei, sowie eine leicht eingeschränkte Nierenfunktion und eine Hyperurikämie ohne typische Gichtanfälle. Anamnestisch bestünden starke Schmerzen im Bereich des rechten Armes und der rechten Schulter, Kopfschmerzen, Schmerzen im linken Knie. Bewegungsmaße nach der Neutral-Null-Methode seien nicht vorhanden. Der Hautarzt Dr. Q. hat im Bericht vom 12.4.2010 ausgeführt, die im April 2009 aufgetretenen Hauterscheinungen seien nach Behandlung 8/09 abgeheilt. Dr. K., Internist, hat im Rentengutachten vom 30.4.2010 folgende Diagnosen gestellt: Hypertonie, Adipositas, Hyperurikämie, Nikotinabusus, Schultersteife rechts, Gallensteinleiden, Aortensklerose (sozialmedizinische Beurteilung: der Kläger könne sowohl seinen Beruf als Maschinenbautechniker als auch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten). Zur Elektrosensibilität hat er ausgeführt, im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms sei ein Zusammenhang zwischen subjektiv beschriebenen Funktionsstörungen und Schädigungen durch Mobil- und Kommunikationsfunk nicht hergestellt worden.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 9.6.2011 gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. L. ein Vergleichsangebot dahingehend unterbreitet, dass der GdB mit 50 ab 2.11.2009 festzustellen sei und die außergerichtlichen Kosten zu einem Viertel erstattet werden. Bei ganzheitlicher Betrachtungsweise seien - so Dr. L. - die Auswirkungen der beim Kläger bestehenden psychovegetativen Beschwerden und die übrigen Gesundheitsstörungen somatischer Art mit einem GdB von insgesamt 50 angemessen bewertet.

Dieses Angebot hat der Kläger unter Hinweis auf seine vielfältigen Beschwerden sowie das Gutachten der Arbeitsamtsärztin Dr. M. vom 17.11.2010, die von einem aufgehobenen Leistungsvermögen sprach, nicht angenommen.

Das SG hat mit Urteil vom 7.3.2012 den Beklagten entsprechend seinem Vergleichsangebot verurteilt, den GdB mit 50 ab 2.11.2009 festzustellen; die im Übrigen auf einen GdB von 100 und das Merkzeichen "aG" gerichtete Klage hat es abgewiesen.

Es hat ausgeführt, es sei auch unter Berücksichtigung des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks nachvollziehbar, dass dieser auf Grund der vielseitigen und teilweise stark ausgeprägten Beschwerden in seinem Alltag und damit in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt sei. Daher könnten die vegetativen Symptome unklarer Ursache als stärker behindernde Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigt werden. Eine schwere Störung, die mit einer schweren Zwangskrankheit vergleichbar wäre, lasse sich aus den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Weiterhin sei die chronische Hauterkrankung mit einem separaten Einzel-GdB zu berücksichtigen, wobei dieser mit 20 angemessen sei. Ferner liege ein chronisches Schmerzsyndrom vor, das mit einem GdB von 20 berücksichtigt werde. Weitere Einzel-GdB-Werte von 20 seien für die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenkes und des rechten Beines sowie für die Gebrauchseinschränkung beider Hände zu berücksichtigen. Für die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule komme allenfalls ein GdB von 10 in Betracht. Gleiches gelte für die leicht eingeschränkte Nierenfunktion. Die Voraussetzungen für das vom Kläger begehrte Merkzeichen "aG" lägen offensichtlich nicht vor. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung jenes Merkzeichen damit begründet habe, dass er auf Grund der elektromagnetischen Strahlung keine längeren Wegstrecken zurücklegen könne, sei dies nach dem Sinn und Zweck des Nachteilsausgleiches "aG" ohne vorhandene Gehbehinderung kein Grund für dessen Feststellung.

Gegen das dem Kläger am 25.4.2012 zugestellte Urteil hat dieser am 11.5.2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat ausgeführt, die erstinstanzliche Entscheidung habe die bei ihm vorliegende ausgeprägte Elektrohypersensibilität als Kriterium einer Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens "aG" nicht in der gebotenen Tragweite berücksichtigt. Tatsache sei, dass diese Erkrankung zwischenzeitlich zu einer vollkommenen Erwerbsminderung geführt habe, weshalb er zwischenzeitlich Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit beziehe. Auf Grund der Vielzahl an Folgen organischer Leiden und Allergien durch die Elektrohypersensibilität müsse der GdB mit 100 bewertet werden. Da er sich ungeschützt wie z.B. in einem PKW, welcher als Schutzraum für ihn anzusehen sei, nicht in der Öffentlichkeit bewegen könne, ohne dass die Strahlenauswirkungen aufträten, lägen auch die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "aG" vor.

Der Senat hat die Akten des Verfahrens des Klägers gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund wegen der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente beigezogen (S 11 R 3395/10). Dr. N. hat in dem vom SG im Rahmen des Rentenverfahrens eingeholten Gutachten vom 4.10.2011ausgeführt, dass beim Kläger eine somatoforme Störung vorliegt, die zu einer Einschränkung der geistig-psychischen Belastbarkeit führt. Der Senat hat sodann auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin, Homöopathie Dr. A: vom 25.6.2013 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Grad der Behinderung mit 100 einzuschätzen sei. Folgende Einzel-GdB-Werte hat er in Ansatz gebracht: Hirnleistungsminderung 80, zentrale vegetative Störungen und Schlafstörungen 50 bis 70, Herz-Kreislauf 40, Hyperreagibilität Bronchialsystem 60, irritabler Darm 60 bis 80, Schließmuskelschwäche 50, Migräne 30 bis 40, Gesichtsfeldausfälle 30, Ausfall des Farbsinnes 10, Tinnitus 20, Myalgie 30 bis 50, Arthralgien 30 bis 40, Hautveränderungen 20 bis 30, MCS 80, Elektrohypersensibilität 100. Hinsichtlich des Merkzeichens "aG" hat der Sachverständige ausgeführt, bei Verlassen des Fahrzeuges könne es beim Kläger in nicht vorhersehbarer Weise nach unterschiedlich kurzer Zeit je nach Belastung zu einer Kaskade von Funktionsstörungen kommen. In diesem Sinne treffe es beim Kläger zu, dass dieser sich wegen der Schwere des Leidens nur mit großer Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeuges bewegen könne bzw. nur mit der Gefahr schwerer und schwerster Gesundheitsstörungen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. März 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 100 und das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet seine angefochtenen Entscheidungen sowie das Urteil des SG für zutreffend und verweist auf die im Berufungsverfahren vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. O. vom 20.11.2012 und des Dr. P. vom 27.9.2013.

Mit Schreiben vom 7.7.2014 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung durch Beschluss zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit eingeräumt worden, sich hierzu zu äußern.

Nachdem der Kläger ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 4.3.2009 (3 LB 59/01) vorgelegt hat, in welchem die elektromagnetische Hypersensibilität als Berufskrankheit anerkannt wurde und der Senat (erneut) die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund geführten medizinischen Akten betreffend den Kläger beigezogen hat, wurde dem Kläger mit Senatsschreiben vom 4.11.2014 mitgeteilt, dass es bei der unter dem 7.7.2014 angekündigten Verfahrensweise verbleibe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 142 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Senat konnte die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, liegen nicht vor.

1. Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die einzelnen medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Ebenso hat das SG die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellter GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) dargelegt. Auf diese Ausführungen wird, auch um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen ist lediglich, dass sich die Ermächtigungsgrundlage der VG, soweit es um die behindertenrechtlichen Feststellungen geht, mit Wirkung ab dem 15.1.2015 durch die Einführung des § 70 Abs. 2 SGB IX geändert hat und dass die jetzige VersMedV bis zu einer der neuen Ermächtigungsgrundlage entsprechenden Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales anzuwenden ist (vgl. § 159 Abs. 7 SGB IX n.F.).

Zur Überzeugung des Senats ist der zwischenzeitlich festgestellte GdB von 50 zutreffend.

Das Erkrankungsbild des Klägers ist durch multiple Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen gekennzeichnet. Diagnostisch sind die körperlichen und psychischen Symptome einer somatoformen Störung nach F45.0 der ICD-10-GM 2015 und dort einer Somatisierungsstörung nach Nr. 48.0 zuzuordnen und entsprechend ihrer funktionellen Auswirkungen nach Nr. 3.7 der VG zu bewerten. Charakteristisch für eine Somatisierungsstörung sind nach der Definition von F45.0 ICD-10-GM 2015 multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die wenigstens 2 Jahre bestehen und für die ein organischer Befund nicht erhoben werden kann. Der Verlauf der Störung ist chronisch und fluktuierend und häufig mit einer langdauernden Störung des sozialen, interpersonalen und familiären Verhaltens verbunden. Hinsichtlich der Diagnose folgt der Senat den Gutachtern Dr. G. und Dr. N. sowie den Versorgungsärzten Dr. O. und Dr. P ... Im Übrigen ist es für die Beurteilung des GdB nicht maßgebend, ob die Beschwerden auf eine Elektrohypersensibilität zurückzuführen sind. Hierbei genügt eine finale Betrachtung, worauf Dr. P. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.9.2013 zu Recht hingewiesen hat.

Nach den VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 - 20, stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Schmerzstörungen) mit einem solchen von 30 - 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 - 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 80 - 100 zu bewerten.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der GdB für die Somatisierungsstörung mit 40 anzunehmen. Bei der Bemessung des GdB ist zu berücksichtigen, dass die beim Kläger vorhandenen körperlichen und psychischen Symptome einer Behandlung - da sich umweltbezogene Einflüsse nicht ausschließen lassen - entzogen sind. Der Kläger hat sich deshalb weitergehend zurückgezogen und führt einen eingeschränkten Lebensstil. Dennoch ist er bspw. in der Lage, Heimwerkerarbeiten durchzuführen, wenngleich die Renovierung eines vermieteten Hauses länger gedauert hatte, aber letztlich von ihm bewältigt werden konnte. Zwar hat Dr. N. auf Grund seiner Untersuchung Hinweise für eine qualitative und quantitative Einschränkung im beruflichen Leistungsvermögen keine Anhaltspunkte finden können (S.15 des Gutachtens), eine Einschränkung der geistigen und psychischen Belastbarkeit hat er dennoch für gegeben erachtet. Der Senat folgt deshalb dem Versorgungsarzt Dr. O. und geht davon aus, dass auf Grund der Somatisierungsstörung eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in allen Lebensbereichen vorliegt, so dass ein Einzel-GdB von 40 als angemessen hoch anzusehen ist. Dabei handelt es sich um den oberen Wert aus der Spanne eines GdB von 30 bis 40 für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Ein höherer GdB als 40 ist aufgrund des von Dr. N. zuletzt erhobenen psychopathologischen Befundes nicht gerechtfertigt. So hat er den Kläger als bewusstseinsklar, mit ausgeglichener Grundstimmung, erhaltener affektiver Resonanzfähigkeit, formal geordnetem Denkablauf beschrieben und auch Störungen von Wahrnehmung und Ich-Erlebnis verneint.

Ein chronisches Schmerzsyndrom hält der Senat - anders als das SG - nicht für gegeben. Sowohl in dem Gutachten von Dr. N. als auch in dem Gutachten von Dr. K. wird eine Schmerzmedikation nicht angegeben und auch kein chronisches Schmerzsyndrom festgestellt, das einer isolierten GdB-Bewertung zugänglich wäre. Die vom Kläger angegebenen organischen Beschwerden sind bereits in der Somatisierungsstörung berücksichtigt.

Nachdem im Gutachten von Dr. K. die Hüft-, Knie- und Sprunggelenke beidseits als frei beweglich beschrieben wurden, kann ein Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem "untere Gliedmaßen" ebenfalls nicht festgestellt werden. Soweit demgegenüber das SG einen Einzel-GdB von 20 für das rechte Kniegelenk und das rechte Bein für angemessen erachtet hatte, beruhte dies auf einem Befundschein des Dr. R. vom 26.1.1988 und bildet somit nicht mehr den aktuellen körperlichen Zustand des Klägers ab.

Das beim Kläger bestehende Hautekzem kann mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden. Insofern folgt der Senat vollumfänglich dem SG. Eine höhere Bewertung der Hauterkrankung kommt nicht in Betracht. Die von Dr. I.-J. beschriebenen chronischen Hautveränderungen mit über den ganzen Körper verteilten, teilweise nässenden und brennenden Rötungen und Hautveränderungen sind durch einen entsprechenden dermatologischen Untersuchungsbefund nicht dokumentiert. Der Hautarzt Dr. Q. hat in seiner Auskunft zuletzt ausgeführt, dass das rezidivierende Ekzem unter symptomatischer Behandlung bei der letztmaligen Untersuchung abgeheilt war. Die Angaben des Dr. I.-J. können deshalb bei der Bewertung des GdB nicht zugrunde gelegt werden.

Das Funktionssystem "obere Gliedmaßen" bewertet der Senat mit einem GdB von höchstens 20. Eine Gebrauchseinschränkung beider Hände, wie sie das SG angenommen hat, hält der Senat allerdings nicht für nachgewiesen. Die anders lautende Bewertung des SG beruht auch hier auf dem Befundschein des Dr. R. aus dem Jahr 1988. Keiner der Gutachter hat seither eine Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der Hände beschrieben, auch nicht der Wahlgutachter Dr. A: und auch nicht der behandelnde Hausarzt Dr. I.-J ... Nunmehr wird vom Kläger eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit beklagt, die ohne Angabe einer messtechnisch überprüfbaren Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von allenfalls 20 bewertet werden kann.

Für die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule sowie für die leicht eingeschränkte Nierenfunktion kann ein Einzel-GdB von jeweils 10 berücksichtigt werden. Ein höherer GdB ist mit Blick auf die aktenkundigen Befunde nicht gerechtfertigt. Insoweit folgt der Senat auch hier den Ausführungen des SG und macht sich diese nach eigener Überprüfung zu eigen.

Weitergehende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht ersichtlich. Der Bluthochdruck ist medikamentös gut eingestellt, wie Dr. I.-J. ausgeführt hat. Leistungsbeeinträchtigungen sind nicht beschrieben, sodass ein GdB von 10 nicht erreicht wird.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte von 40 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche", 20 für das Funktionssystem "Haut" und weiteren 20 für das Funktionssystem "obere Gliedmaßen" und jeweils 10 für die Wirbelsäule (Funktionssystem "Haltungs- und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten") und die Niere (Funktionssystem "Harnorgane") kann ein höherer Gesamt-GdB als 50 nicht gebildet werden.

Soweit Dr. A: in seinem Gutachten zu einem GdB von 100 gekommen ist, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Sowohl die Einzel-GdB-Bewertungen als auch der geschätzte Gesamt-GdB ist nicht anhand konkreter Befunde begründet und lässt eine Orientierung an den VG nicht erkennen. Seine Beurteilung kann deshalb nicht zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden. Eine anhaltende schwere Hirnleistungsminderung ist nicht durch entsprechende detaillierte und aussagekräftige neuropsychologische Testungen und Verlaufsbeobachtungen belegt. Eine GdB-relevante Herzleistungsminderung oder höhergradige Herzrhythmusstörungen sind nicht durch entsprechende kardiologische Untersuchungen verifiziert. Auch eine von Dr. A: angenommene bronchiale Hyperreagibilität mit Serien schwerer Anfälle ist nicht durch entsprechende akutedizinische Behandlungsberichte belegt. Ferner ist eine erhebliche Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes in Verbindung mit dem irritablen Darm nicht dokumentiert, ebenso wenig ist ein Funktionsverlust des Afterschließmuskels fachproktologisch bestätigt. GdB-relevante anhaltende Gesichtsfeldausfälle sind durch entsprechende Untersuchungen ebenfalls nicht belegt.

Keine andere Beurteilung folgt aus dem vom Kläger vorgelegten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein. Dort wurde bei einem bei der Bundeswehr tätigen Radarmechanikermeister eine elektromagnetische Hypersensibilität als Dienstunfall wegen Berufskrankheit anerkannt und mit einer MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 100 entschädigt. Weder hat der Kläger eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt, noch liegt bei ihm eine elektromagnetische Hypersensibilität vor, wie oben ausgeführt worden ist.

2. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" liegen nicht vor.

Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).

Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbAwV)).

Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten, ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (zuletzt in Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO). Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 HalbSatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO).

Der zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 ( VersMedV) mit den in ihrer Anlage 2 normierten VG ließen sich bislang im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens "aG" entnehmen. Die in den VG enthaltenen Regelungen zu - unter anderem - diesem Merkzeichen waren als unwirksam anzusehen, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlte. Eine solche Ermächtigung fand sich weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.6.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 1.7.2011 noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (vgl. Beschluss des Senats vom 15.12.2014 - L 3 SB 3922/13, Urteil des Senats vom 28.5.2013 - L 3 SB 5383/12 - juris). Dies hat sich zwar mit Wirkung ab 15.1.2015 mit Einführung des § 70 Abs. 2 SGB IX geändert. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Jedoch hat der Gesetzgeber von dieser Verordnungsermächtigung noch keinen Gebrauch gemacht. Allerdings hat der Gesetzgeber ebenfalls mit Wirkung ab 15.1.2015 in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung erlassen. Danach sollen, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Der Senat lässt es offen, ob der Gesetzgeber damit wirksam und in Übereinstimmung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen für die mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassene VersMedV - quasi nachträglich - eine Verordnungsermächtigung hat schaffen können (für eine ausreichende Rechtsgrundlage in Bezug auf die Feststellung des Merkzeichens "aG" siehe LSG, Urteil vom 22.5.2015 - L 8 SB 70/13 - juris, Rn. 42, LSG Urteil vom 21.4.2015 - L 6 SB 3121/14 - juris, Rn. 273). Der Senat stellt daher auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien ab, zumal ein Abstellen auf die VG zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen würde, denn die dort geregelten Kriterien entsprechen jenen des Straßenverkehrsrechts und eine Erweiterung bzw. Konkretisierung der gleichgestellten behinderten Menschen findet sich dort nur in Bezug auf innere Erkrankungen wie Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz oder wie Atemerkrankungen mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades.

Der Kläger ist nicht außergewöhnlich gehbehindert, insbesondere ist sein Restgehvermögen nicht wie bei einem doppeloberschenkelamputierten Menschen eingeschränkt. Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ist bei den vom BSG aufgestellten strengen Vorgaben nicht zu begründen. Eine wesentliche Gangstörung ist nicht belegt.

Die Beurteilung von Dr. A:, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" erfüllt seien, vermag nicht zu überzeugen. Der Sachverständige nennt lediglich die bekannten Befindlichkeitsstörungen (z.B. Sehstörungen, Verdauungsstörungen, Orientierungsstörungen, Hauterscheinungen) und hält damit eine Einschränkung der Mobilität für gegeben. Damit lässt sich jedoch die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht begründen, worauf Dr. P. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.9.2013 in überzeugender Weise hingewiesen hat.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG. Die Kosten des nach § 109 Abs. 1 SGG erhobenen Gutachtens von Dr. A: konnten nicht auf die Staatskasse übernommen werden. Dieses Gutachten hat den Rechtsstreit nicht wesentlich gefördert; seiner Beurteilung hat sich der Senat in keinem Punkt anzuschließen vermocht.

4. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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