L 7 AS 632/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 2726/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 632/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist nach § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht zu prüfen, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Wenn der Gegner das Rechtsmittel zurücknimmt und bis dahin dem anderen Beteiligten, der PKH beantragt hat, keine Kosten entstanden sind, die die PKH abdecken würde, entfällt das Privileg nach § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO.
Wenn der andere Beteiligte, der PKH beantragt hat, selbst ein Rechtsmittel (z.B. Anschlussberufung) eingelegt hat, sind die Erfolgsaussichten dieses Rechtsmittels nunmehr getrennt zu prüfen.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 5. August 2014 wird als unzulässig verworfen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger und Berufungsführer begehrt die Übernahme von Kosten für die Reparatur eines Gartenzauns in Höhe von 59,10 EUR und Nichtanrechnung von 600,- EUR, die er Anfang 2005 von seiner Mutter erhalten hatte.

Der 1957 geborene Kläger bezog seit Anfang 2005 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Seit Dezember 2009 erhält er wegen fehlender Erwerbsfähigkeit laufende Grundsicherung nach §§ 41 ff SGB XII. Der Kläger führte hunderte von Verfahren an den Sozialgerichten.

Streitig ist der Bescheid vom 16.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2010. Darin wurde die beantragte Übernahme der Kosten von 59,10 Euro, sowie die durch Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X geltend gemachte Nichtberücksichtigung von (fiktivem) Einkommen aus der Überlassung von Garagen gegen Naturalleistungen (Gesamtbetrag von 1.890,- EUR) und die Nichtanrechnung von Zahlungen der Mutter des Klägers von insgesamt 600,- EUR von Januar 2005 bis Mitte 2005 als Einkommen abgelehnt.

Mit Beschluss vom 29.05.2013 wurde vom Amtsgericht M-Stadt eine Betreuung des Klägers für den Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Gerichten und Behörden angeordnet.

Auf die fristgemäße Klage, die vom Betreuer übernommen wurde, verurteilte das Sozialgericht - nach Anhörung der Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheids - den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 05.08.2014, dem Kläger 1.890,- EUR zu bezahlen. Es sei keine fiktive Garagenmiete als Einkommen anzurechnen. Im Übrigen wurde die Klage bezüglich der 59,10 EUR und der Zuwendungen der Mutter des Klägers von 600,- EUR abgewiesen. Dem Beklagten wurden vier Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Die Berufung wurde im Tenor nicht zugelassen. Laut Rechtsmittelbelehrung sei die Berufung unzulässig.

Die Betreuung des Klägers wurde vom Landgericht T-Stadt nach einem weiteren Gutachten mit Beschluss vom 05.08.2014, dem Betreuer zugestellt am 11.08.2014 aufgehoben. Der Gerichtsbescheid war dem Betreuer bereits am 09.08.2014 zugestellt worden. Nach Auskunft des Betreuers habe er den Gerichtsbescheid am 18.08.2014 an den Kläger weitergeleitet. Der Kläger bestreitet dies.

Der Beklagte hat am 29.08.2014 gegen den Gerichtsbescheid Berufung eingelegt. Der Kläger hat am 11.09.2014 (Donnerstag) Anschlussberufung eingelegt und die Übernahme von 59,10 EUR sowie die Nichtanrechnung der 600,- EUR begehrt. Der Beklagte hat seine Berufung am 22.10.2014 zurückgenommen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid vom 5. August 2014 abzuändern und den Bescheid vom 16.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2010 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger weitere 659,10 Euro zu gewähren. Der Kläger beantragt hilfsweise die Aufhebung des Gerichtsbescheids und Zurückverweisung an das Sozialgericht.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Berufungsgrenzwert wird nicht erreicht und die Berufungsfrist wurde vom Kläger nicht eingehalten. Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht erfolgt nicht, weil die Voraussetzungen nach § 159 SGG (Klageabweisung ohne Sachentscheidung, wesentlicher Verfahrensmangel mit erheblichem Beweisaufnahmebedarf) nicht vorliegen.

Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geldleistung gerichtet ist, 750,- EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Durch Rücknahme der Beklagtenberufung ist nur mehr die Berufung des Klägers rechtshängig. Der Kläger begehrt um 659,10 EUR höhere Leistungen. Es geht dabei nicht um Leistungen für mehr als ein Jahr. Damit ist die Berufung nicht statthaft.

Die Berufung wurde auch nicht vom Sozialgericht zugelassen. Eine Berufungszulassung muss im Urteil im Tenor oder in den Entscheidungsgründen ausdrücklich erfolgen. Die Entscheidungsgründe enthalten keine Zulassungsentscheidung nach § 144 Abs. 2 SGG, sondern die (unzutreffende) Annahme einer kraft § 144 Abs. 1 SGG zulässigen Berufung.

Der Kläger war im Klageverfahren durch seinen Betreuer gesetzlich vertreten, §§ 1896, 1902 BGB, § 53 ZPO. Gemäß § 287 Abs. 1 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) endet die Betreuung mit Zustellung des Aufhebungsbeschlusses an den Betreuer, hier am 11.08.2014. Ein Ausnahmefall nach § 287 Abs. 2 FamFG lag nicht vor. Damit war die Zustellung des Gerichtsbescheids am 09.08.2014 an den Betreuer wirksam. Das muss der Kläger gegen sich gelten lassen. Weil der Gerichtsbescheid eine für den Kläger zutreffende Rechtsmittelbelehrung zur Nichtzulassungsbeschwerde enthielt, bleibt es bei der einmonatigen Berufungsfrist, §§ 151, 66 SGG. Fristablauf war am 09.09.2014, der Berufungseingang war erst am 11.09.2014 (Donnerstag) und damit verspätet.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG sind nicht ersichtlich. Mit Zustellung an seinen damaligen gesetzlichen Vertreter war dem Kläger Kenntnis vom Gerichtsbescheid zuzurechnen, § 166 Abs. 1 BGB. Das Berufungsgericht hat auch keine Zweifel daran, dass der vormalige Betreuer dem Kläger den Gerichtsbescheid am 18.08.2014 und damit deutlich vor Ablauf der Berufungsfrist zugesandt hat. Der Kläger hat schlicht den Überblick über seine Unterlagen verloren. So hat er am 22.06.2015 beim Berufungsgericht bemängelt, die Seiten 37 bis 65 der sozialgerichtlichen Akte nie erhalten zu haben. Das Schreiben auf Seite 63 dieser Akte stammte vom Kläger selbst. Im Parallelverfahren L 7 AS 219/15 erklärte der Kläger, dass es Sache des Gerichts sei, den Streitgegenstand zuzuordnen, obwohl ihm der dort strittige Gerichtsbescheid selbst am 11.03.2015 zugestellt worden war. Der fehlende Überblick über die eigenen Unterlagen ist kein Wiedereinsetzungsgrund.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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