L 9 AS 5160/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3971/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 5160/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24. November 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab Januar 2011 bis einschließlich Juni 2011 durch Zahlung von 2.190,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.01.2011 streitig.

Der am 1961 geborene Kläger bezog in der Zeit vom 01.12.2008 bis zum 30.11.2009 Leistungen von dem Beklagten. Am 17.05.2010 und am 28.05.2010 stellte er zunächst Anträge auf Fortzahlung der Leistungen, teilte dem Beklagten aber mit Schreiben vom 23.07.2010 mit, vorläufig davon abzusehen, einen Weiterbewilligungsantrag ab Juni 2010 zu stellen, da er überraschend Zahlungseingänge zu verbuchen habe. Mit Bescheid vom 16.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2010 lehnte der Beklagte den Antrag vom 17.05.2010 ab, da der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen habe.

Der Kläger sah sich in der Folge als erwerbsgemindert an und wandte sich an das Landratsamt O. - S. -, welches ihm unter dem 12.10.2009 die Antragsformulare für Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) übersandte und darauf hinwies, dass Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII antragsabhängig seien und ab dem 1. des Monats, in dem der Antrag eingehe, gewährt werden könnten. Ein ausgefüllter Leistungsantrag ging am 05.07.2011 bei dem Landratsamt O. - S. - ein. Der Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wurde durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg mit Bescheid vom 19.05.2011 wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen abgelehnt. Mit Bescheid vom 05.07.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.10.2011 lehnte das Landratsamt O. - S. - den Antrag auf Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel SGB XII ab, da der Kläger weder die Altersgrenze erreicht habe noch erwerbsgemindert sei. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens teilte die DRV Baden-Württemberg mit, der Kläger erfülle die in § 41 Abs. 3 SGB XII genannten Voraussetzungen nicht, weil er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) (S 11 SO 3930/11) erhoben und ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12.12.2012 vorgetragen, es gehe ihm im Wesentlichen nicht um aktuelle Zeiträume, sondern um das erste Halbjahr 2011 (01.01.2011 bis 30.06.2011); in dieser Zeit habe er aufgrund seines zweiten Unfalls wesentlich niedrigere Einkünfte erzielt. Die Vorsitzende wies den Kläger darauf hin, dass in dem anhängigen Klageverfahren nicht über den Anspruch auf SGB II-Leistungen entschieden werde; der Ausgang dieses Verfahrens habe auf diese Leistungen keine Auswirkungen. Ein Anspruch auf SGB XII-Leistungen bestehe aufgrund des über dreistündigen Leistungsvermögens des Klägers nicht. Die Beteiligten erklärten den Rechtstreit daraufhin übereinstimmend für erledigt.

Am 17.12.2012 hat der Kläger erneut Klage zum SG erhoben und vorgetragen, laut der Gerichtsverhandlung vom 12.12.2012 seien die Leistungen nach dem SGB II vorrangig zu gewähren. Er beantrage, ab Dezember 2010 bis einschließlich Juni 2011 Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II in Höhe von 2.190,00 EUR nebst acht Prozentpunkten Zins über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2011 für entgangene Leistungen (6 x 365,00 EUR). Er sei durch Krankheit und Unfall gezwungen gewesen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen. Den Antrag habe er am 26.12.2010 gestellt.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, da in Bezug auf den streitigen Zeitraum bislang keine Entscheidung getroffen worden sei und auch ein Antrag vom 26.12.2010 nicht vorliege. Zwar sei in dem Verfahren vor dem SG (S 11 SO 3930/11) vereinbart worden, dass der Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII in einen Antrag auf Arbeitslosengeld II umgewandelt werden solle, eine Bescheidung dieses Antrags sei aber bislang nicht erfolgt. Die Bescheidung hänge von einer Zustimmung des Klägers zur Gewährung von Akteneinsicht in die SGB XII-Leistungsakte ab, die bislang nicht erteilt worden sei. Selbst unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch kein Leistungsanspruch, da das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit zur Bedarfsdeckung ausgereicht habe (zur Berechnung im Einzelnen vgl. Bl. 39/40 der SG-Akte).

Mit Beschluss vom 16.06.2014 hat das SG den Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Die hiergegen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Beschwerde (L 3 AS 3043/14 B) ist mit Beschluss vom 15.10.2014 zurückgewiesen worden.

Nach entsprechendem Hinweis hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 24.11.2014 die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Soweit der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit von Dezember 2010 bzw. Januar 2011 bis einschließlich Juni 2011 begehre, sei statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 4, 56 SGG, nicht aber die reine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG. Die isolierte Leistungsklage sei nach § 54 Abs. 4 SGG nur zulässig, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehe habe. Dies sei hier nicht der Fall. Der Beklagte könne und müsse über das begehrte Arbeitslosengeld II nach dem SGB II durch Verwaltungsakt entscheiden, da die Parteien in einem Subordinationsverhältnis zueinander stünden. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage sei ebenfalls unzulässig. Diese setze voraus, dass ein anfechtbarer Verwaltungsakt ergangen sei. Eine Aussetzung nach § 114 Abs. 2 SGG komme nicht in Betracht. Der Beklagte habe nicht nur bislang keinen Widerspruchsbescheid erlassen, er habe nicht einmal über den angeblichen Leistungsantrag des Klägers vom 26.12.2010 entschieden. Aus welchen Gründen ein Bescheid bislang nicht ergangen sei, etwa weil der Beklagte den Zugang eines Leistungsantrags bestreite oder weil der Kläger möglicherweise im Antragsverfahren nicht ausreichend mitwirke, sei für die (Un-)zulässigkeit der Anfechtungs- und Leistungsklage ohne Belang. Da die Klage bereits hinsichtlich der Hauptforderung keinen Erfolg habe, gelte dies entsprechend für den von der Hauptforderung abhängigen Zinsanspruch.

Gegen den am 27.11.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.12.2014 Berufung eingelegt. Die Entscheidungsgründe seien falsch. Es seien vom Gericht erhebliche Rechtsfehler gemacht worden; zumindest hätte eine mündliche Verhandlung stattfinden müssen. Tatsache sei, dass das Verfahren S 11 SO 3930/11 am 12.12.2012 eingestellt worden sei. Der Beklagte sei zu diesem Verfahren beigeladen worden. Danach sei das Verfahren dann auf das jetzige Aktenzeichen abgewandelt worden im gegenseitigem Einvernehmen mit dem Beklagtenvertreter. Bis zur mündlichen Verhandlung am 12.12.2012 sei zwischen den Behörden streitig gewesen, welcher Leistungsträger zuständig sei. Der Beklagte sei verpflichtet, nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II, § 17 SGB I mitzuwirken. Dieser Verpflichtung sei der Beklagte bis heute nicht nachgekommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24. November 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit von Januar 2011 bis Juni 2011 2.190 EUR (6 x 365,00 EUR) nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 1. Januar 2011 für entgangene Leistungen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Einsichtnahme in die Akten des Landkreises O. - S. - hat der Beklagte vorgetragen, ein SGB-XII-Antrag sei erstmals am 05.07.2011 durch den Kläger gestellt worden. Für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 liege dagegen kein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II und auch kein Antrag auf Leistung nach dem SGB XII vor, der in einen Antrag nach dem SGB II umgedeutet werden könnte. Mit der Antragstellung am 05.07.2011 könne - auch nach einer Umdeutung der Antragstellung - nämlich frühestens ab 01.07.2011 eine Leistungsgewährung erfolgen. Der Beklagte sehe daher keine Möglichkeit, seine Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligen wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, des Landratsamts O. - S. - sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 24.11.2014 ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2010 bis 30.06.2011 durch Zahlung von 2.190,00 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG ist unzulässig, da sie voraussetzt, dass ein Verwaltungsakt ergangen ist. Der Beklagte hat über die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 01.12.2010 bis 30.06.2011 bislang nicht durch Verwaltungsakt (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) entschieden. Eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG kommt nicht in Betracht, da der Beklagte nicht nur keinen Widerspruchsbescheid erlassen, sondern auch über den angeblichen Leistungsantrag des Klägers vom 26.12.2010 nicht entschieden hat. Aus welchen Gründen ein Bescheid noch nicht ergangen ist, etwa weil der Beklagte den Eingang eines Antrags beim Sozialhilfeträger, der nach § 28 SGB X auch als Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wirken könnte, bestreitet, oder weil der Kläger im Antragsverfahren nicht ausreichend mitwirkt, ist für die (Un-) zulässigkeit der Anfechtungs- und Leistungsklage ohne Belang.

Die durch den Kläger erhobene echte Leistungsklage ist ebenfalls unzulässig; diese wäre nur dann die zutreffende Klageart, wenn mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, begehrt wird und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hätte (§ 54 Abs. 5 SGG). Voraussetzung für die echte Leistungsklage ist ein Gleichordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, das gleichzeitig eine (einseitige) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten - und damit eine Klage nach § 54 Abs. 4 SGG- ausschließt. Hauptanwendungsfall für die echte Leistungsklage ist der sog. Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21.08.1996, 3 RK 2/96, Urteil vom 17.04.1996, 3 RK 19/95, Juris). Im Verhältnis zum leistungsbegehrenden Bürger ist die Verwaltung jedoch grundsätzlich befugt, das Rechtsverhältnis einseitig zu regeln. Ein Verwaltungsakt hat in der Regel dann zu ergehen, soweit nach der Konzeption des Gesetzes ein Subordinationsverhältnis zwischen Sozialleistungsträger und Bürger vorliegt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, Anh. zu § 54 Rdnr. 4; Castendiek in Lüdtke, Hrsg., SGG, 4. Aufl., 2012, § 54 Rdnr. 133 ff). Im vorliegenden Fall konnte und musste der Beklagte über die begehrten Leistungen durch Verwaltungsakt entscheiden, da ein Subordinationsverhältnis vorliegt; die Voraussetzungen für eine echte Leistungsklage sind nicht gegeben.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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