L 6 AS 288/13

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 1 AS 224/12
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 AS 288/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Vor Umwandlung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X in einen Zahlungs-anspruch scheitert eine Aufrechnung des Jobcenters mit eigenen Zahlungsansprüchen an der vorausgesetzten Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen.
2. Die Entstehung der gegenseitigen Forderungen aufgrund des Sozialleistungsverhältnisses begründet noch kein Zurückbehaltungsrecht.
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 20. September 2012 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, die Kläger von dem Vergütungsanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 208,68 EUR aus der Rechtsanwaltsgebührenrechnung Nr. 0083.12 vom 19. Mai 2012 freizustellen.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten, die Kläger von der Gebührenforderung ihrer Rechtsanwältin freizustellen.
Die verheirateten Kläger beziehen zusammen mit ihren Kindern seit dem Jahr 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02. Februar 2010 forderte der Beklagte von der Klägerin zu 1. die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 462,82 EUR. Gegenüber dem Kläger zu 2. setzte der Beklagte mit bestandskräftigem Bußgeldbescheid eine Geldbuße zzgl. Gebühren und Auslagen i.H.v. 273,50 EUR fest. In einem Widerspruchsverfahren der Kläger und ihrer Kinder K H , geboren am 1992, A K , geboren am 2000, sowie R K , geboren am 2002, wegen der Höhe der Leistungen half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab (Widerspruchsverfahren W 543/11). Im Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2012 erklärte sich der Beklagte bereit, die den Klägern und ihren Kindern im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 80 % zu erstatten. Zudem wurde die Zuziehung eines Bevollmächtigten als notwendig anerkannt. Beratungshilfe haben die Kläger nach eigenen Angaben nicht in Anspruch genommen. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger machte mit Schreiben vom 19. Mai 2012 die Kosten des Widerspruchsverfahrens geltend und übersandte eine an "C K -H und D K u.a." adressierte Gebührenrechnung (Nr. 0 ), in der unter Nennung der Widerspruchsangelegenheit und der Aufschlüsselung der Gebühren nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) eine Gesamtsumme i.H.v. 521,70 EUR in Rechnung gestellt wurde. Diese setzte sich zusammen aus einer Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG i.V.m. Nr. 1008 VV RVG für fünf Auftraggeber i.H.v.528,00 EUR zzgl. der Pauschale für Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG i.H.v. 20,00 EUR. Hiervon wurde die Quote von 80 v.H. ermittelt zzgl. 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG.
Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) regeln unter Ziffer 3. Abs. 1, dass vor einer Auszahlung von zu erstattenden Kosten im Vorverfahren und außergerichtlichen Kosten in Sozialgerichtsverfahren stets zu prüfen ist, ob gegen den Kläger Forderungen seitens der BA bestehen. Soweit die BA Forderungen gegen den Kostengläubiger hat, ist eine Aufrechnungsmöglichkeit nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu prüfen. Ziffer 3. Abs. 2 sieht vor, dass, sofern eine Aufrechnung in Betracht kommt, diese nicht mit hoheitlichen Mitteln (Verwaltungsakt) erfolgt, sondern mittels einseitiger Willenserklärung.
Dementsprechend wies der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2012 darauf hin, dass noch offene Forderungen gegen die Kläger in einer Gesamthöhe von 533,33 EUR bestünden, wobei auf die Klägerin zu 1. ein Betrag i.H.v. 257,68 EUR und auf den Kläger zu 2. ein Betrag i.H.v. 275,65 EUR entfalle. Des Weiteren enthält das Schreiben die Mitteilung, dass der Anspruch der Kläger auf Kostenerstattung teilweise gegen diese Forderungen aufgerechnet werde. Weil Auslagen und Gebühren für insgesamt fünf Auftraggeber geltend gemacht worden seien, jedoch nur gegen zwei der fünf Auftraggeber offene Forderungen bestünden, werde lediglich jeweils 1/5 der Gebühren (104,34 EUR) mit den offenen Forderungen aufgerechnet. Der Differenzbetrag i.H.v. 313,02 EUR wurde an die Bevollmächtigte überwiesen.
Hiergegen richtet sich die am 23. Mai 2012 bei dem Sozialgericht Trier (SG) erhobene Klage. Die Kläger vertreten die Auffassung, dass durch die erklärte Aufrechnung ihr Freistellungsanspruch nicht erloschen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei die Aufrechnung eines Befreiungsanspruchs gegen einen Zahlungsanspruch wegen Ungleichartigkeit nicht zugelassen. Die Kläger haben sich auf ein Aufrechnungsverbot aus der Zweckbindung des Kostenerstattungsanspruches berufen. Zudem mangele es an einer Ermächtigungsgrundlage, die Aufrechnung durchzuführen. § 43 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sowie die §§ 51 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) enthielten insoweit abschließende Regelungen. Zudem hätten die Kläger bereits seit Jahren monatliche Zahlungen auf die Forderungen des Beklagten geleistet. Schließlich verletzte die Aufrechnung die Kläger in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie in ihrem Justizgewährungsanspruch. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der Befreiungsanspruch bereits durch die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid erfolgt sei, weshalb lediglich die Zahlung gefordert werden könne. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege nicht vor, weil die Aufrechnung generell in Verfahren mit Bevollmächtigten angewandt werde. Ein Aufrechnungsausschluss gemäß §§ 399, 394 BGB scheide aus.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. September 2012 abgewiesen. Die zulässige Leistungsklage habe in der Sache keinen Erfolg. Die Gebührenforderung der Prozessbevollmächtigten der Kläger i.H.v. 208,68 EUR sei aufgrund einer rechtswirksam vorgenommenen Aufrechnung nach den §§ 387 ff. BGB erloschen. Trotz bereits erfolgter Tilgung von Teilen der Erstattungsforderungen gegen die Kläger seien diese im Zeitpunkt der Aufrechnung höher gewesen als die des Beklagten. Die Voraussetzungen einer Aufrechnung seien vorliegend erfüllt gewesen. Es handele sich bei den Forderungen der Kläger und des Beklagten um gegenseitige Forderungen. Die Forderungen seien als Geldansprüche auch gleichartig. Schließlich seien die Forderungen des Beklagten wirksam und fällig gewesen, weil die ihnen zugrunde liegenden Bescheide jeweils bestandskräftig geworden seien. Schließlich habe der Beklagte die Aufrechnung gegenüber den Klägern schriftlich erklärt. § 43 SGB II sei nicht anwendbar, weil es sich vorliegend um einen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und nicht um Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II handele. Ebenso wenig stehe der Aufrechnung § 51 i.V.m. § 54 SGB I entgegen. Der Beklagte habe die Aufrechnung auch nicht durch Verwaltungsakt erklären müssen. Zwar habe der Große Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass eine Verrechnung nach § 52 SGB I auch durch Verwaltungsakt geregelt werden könne. Für eine Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB sei ein Handeln durch Verwaltungsakt jedoch nicht erforderlich, so dass die öffentlich-rechtliche Aufrechnungserklärung des Beklagten ausreichend gewesen sei. Die Aufrechnung verstoße weder gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch liege eine Verletzung des Art. 3 GG vor. Anhand der vorgelegten Dienstanweisungen sei eine willkürliche Ungleichbehandlung nicht ersichtlich. Ein Auszahlungsanspruch des einbehaltenen Betrages ergebe sich letztlich auch nicht aus § 257 BGB. Offen bleiben könne, ob diese Vorschrift in Fällen der vorliegenden Art überhaupt Anwendung finde, weil sie einer Aufrechnung nicht entgegenstehe. Der Befreiungsanspruch sei bereits durch die Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid erfüllt worden; der konkrete Auszahlungsanspruch durch die Aufrechnung werde hierdurch nicht berührt.
Gegen das am 23. Januar 2013 zugestellte Urteil haben die Kläger am 25. Februar 2013, einem Montag, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung der vom Landessozialgericht zugelassenen Berufung (Beschluss vom 5. Juli 2013) haben sie ausgeführt, der mit der Klage geltend gemachte Freistellungsanspruch sei nicht durch Aufrechnung erloschen. In seinem Urteil vom 9. (richtig: 8.) September 2009 (B 1 KR 9/09 R) habe das Bundessozialgericht klargestellt, dass zu den erstattungsfähigen Aufwendungen auch die Lasten aus der Eingehung von Verbindlichkeiten gehörten und hierzu ausdrücklich Bezug genommen auf § 257 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bestehe der Aufwendungsanspruch, der als Befreiungsanspruch geltend gemacht werde, inhaltlich in der Verpflichtung des Befreiungsschuldners, den Befreiungsgläubiger von der Inanspruchnahme durch den Drittgläubiger zu befreien bzw. freizustellen (BGH, Urteil vom 11. April 1984 – VIII ZR 302/82 - Rn. 42). Es handele sich um eine Form der Naturalrestitution. Der durch das SG Trier aufgestellte Rechtssatz, dass die Erfüllung des Befreiungsanspruchs allein schon mit der Erklärung des Befreiungsschuldners eintrete, er werde den Befreiungsgläubiger von der eingegangenen Verbindlichkeit befreien, widerspreche somit der ständigen Rechtsprechung des BGH zum Inhalt des Befreiungsanspruchs. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sei die Aufrechnung eines Befreiungsanspruchs gegen einen Zahlungsan-spruch wegen Ungleichartigkeit der Forderungen nicht zugelassen (zuletzt BGH, Urteil vom 09. Juli 2009 – IX ZR 135/08). Mit der Argumentation, dass sich ein Aufrechnungsverbot bereits aus der Zweckbindung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X ergebe, habe sich das Sozialgericht in keiner Weise auseinandergesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betreffe ein Kostenfestsetzungsbescheid in einem weiterverstandenen Sinn eine "Sozialleistung". Der Anspruch auf Erstattung der Kosten sei ebenso wie der sozialrechtliche Herstellungsanspruch eine Korrektur des rechtswidrigen Handels eines Leistungsträgers. Aus dieser Zweckbindung des Kostenerstattungsanspruchs ergebe sich ein Aufrechnungsverbot. Denn der Zweck des Aufwendungsersatzes als Entschädigungsleistung sei verfehlt, wenn der Erstattungsanspruch nicht ausgezahlt werde und der Leistungsempfänger den Verbindlichkeiten gegenüber seinem Bevollmächtigten weiterhin ausgesetzt sei. Ebenso unberücksichtigt geblieben sei, dass die Aufrechnung gegen den Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X aufgrund von § 394 BGB ausscheide. Durch die Aufrechnung gegen den Kostenerstattungsanspruch sei zudem der Justizgewährungsanspruch verletzt. Über die Gewährung von Beratungshilfe oder Prozesskostenhilfe sei der Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet. Schließlich habe das Sozialgericht nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die Aufrechnung hinsichtlich der Klägerin zu 1. nicht umgesetzt und die Forderung nicht entsprechend gemindert habe. Nach der Aufrechnungserklärung des Beklagten mit dem anwaltlichen Gebührenanspruch i.H.v. 104,34 EUR seien von der Klägerin zu 1. weiterhin monatlich 20,00 EUR vom Kindergeld zur Tilgung der Erstattungsforderung einbehalten worden. Ausweislich der vorgelegten Auflistung über einbehaltene Kindergeldzahlungen habe die Klägerin einen Betrag von 26,72 EUR zu viel zurückgezahlt. Der Beklagte habe die Aufrechnung des anwaltlichen Gebührenanspruchs i.H.v. 104,34 EUR nicht durchgeführt. Vielmehr habe er vor Durchführung der Aufrechnung die Forderung durch Ausbuchung eines Betrages i.H.v. 140,00 EUR um 140,00 EUR erhöht.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 20. September 2012 aufzuheben und sie von dem Vergütungsanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 208,68 EUR aus der Rechtsanwaltsgebührenrechnung Nr. 0083.12 vom 19. Mai 2012 freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Anspruch der Kläger gegen den Beklagten auf Zahlung von weiteren 208,68 EUR sei durch die Aufrechnung erloschen. Die Voraussetzungen einer Aufrechnung seien erfüllt. Es handele sich um gegenseitige Forderungen. Die Forderungen seien als Ansprüche auf Geld gleichartig. Die Kläger seien durch die Kostenübernahmeerklärung dem Grunde nach bereits von ihrer Verbindlichkeit aus der Gebührenrechnung befreit worden. Der Aufrechnung stehe weder § 43 SGB II noch § 51 i.V.m. § 54 SGB I entgegen. Mangels Zweckgebundenheit des Erstattungsanspruchs scheide ein Aufrechnungsausschluss auch aus diesem Grund aus. Zudem bestehe kein Aufrechnungsausschluss gemäß §§ 399, 394 BGB, weil die Abtretung von Vergütungsforderungen grundsätzlich nicht zulässig sei. Das Erstattungskonto der Klägerin zu 1. sei tatsächlich mit Forderungen der Kinder i.H.v. 20,64 EUR, i.H.v. 65,30 EUR sowie i.H.v. 45,12 EUR belastet worden. Diese Umbuchung habe jedoch keine Auswirkungen auf die streitgegenständliche Aufrechnung. Als die Aufrechnung i.H.v. 104,34 EUR durchgeführt worden sei, habe noch eine Restforderung i.H.v. 257,68 EUR bestanden. Selbst ohne die Umbuchung i.H.v. 140,00 EUR hätte sich die offene Forderung noch auf 117,68 EUR belaufen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist als Berufung (§ 145 Abs. 5 SGG) begründet.
Das Sozialgericht Trier hat die Klage zu Unrecht abgewiesen und einen weitergehenden Freistellungsanspruch der Kläger verneint.
Die Kläger verfolgen ihr Begehren zutreffend mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Danach kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Vorliegend begehren die Kläger die Freistellung von weiteren Kosten in Höhe von 208,68 EUR, die der Beklagte insgesamt als der Höhe nach als angemessen anerkannt hat und bezüglich derer die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt wurde (vgl. § 63 Abs. 2 SGB X). Der gleichzeitigen Erhebung einer Anfechtungsklage bedurfte es nicht, weil die Aufrechnung, gegen die sich die Kläger wenden, auch der äußeren Form nach nicht durch Verwaltungsakt, sondern - entsprechend den internen Richtlinien des Beklagten - als schlicht-öffentliche Erklärung erfolgt ist. Dies konnte auch aus objektiver Empfängersicht so verstanden werden, weil weder Form (keine Bezeichnung als Bescheid, fehlende Rechtsbehelfsbelehrung) noch Formulierung der Aufrechnung auf eine Regelung durch Verwaltungsakt hinweisen.
Die danach zulässige Klage ist begründet.
Die Kläger sind aktivlegitimiert, weil sie Inhaber der Forderung gegenüber dem Beklagten sind. Grundsätzlich steht der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes für ein isoliertes Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 SGB X nur dem Widerspruchsführer gegenüber dem Beklagten zu (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. Februar 2010 – B 11 AL 24/08 R -, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2012 – L 19 AS 312/12 B -, juris; Hessisches LSG, Urteil vom 29. Oktober 2012 – L 9 AS 601/10 -, juris; LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 – L 34 AS 53/12 -, juris; Becker, Hauck/Noftz, SGB X, § 63 Rn. 42; Gierke, Antragsbefugnis im Kostenfestsetzungsverfahren, SGb 2012, 141, 142). Die Kläger haben den geltend gemachten Anspruch weder an ihre Bevollmächtigte abgetreten noch ist ein Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 Beratungshilfegesetz (BerGH), der auch Kostenerstattungsansprüche nach § 63 SGB X für die Vertretung in einem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren erfasst (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Mai 2014 – L 11 AS 1360/12 NZB -, juris; Gierke, a.a.O., S. 141), eingetreten.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach erstattet der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen. Der Beklagte hat insofern entschieden, dass die Kosten des Vorverfahrens mit einer Quote von 80% dem Grunde nach zu erstatten sind (vgl § 63 Abs 1 S 1, Abs 2 und 3 S 1 SGB X). Zu den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zählen gemäß § 63 Abs. 2 SGB X regelmäßig die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, was der Beklagte ebenso anerkannt hat wie die Angemessenheit der Höhe der Gebührenforderung.
Unerheblich ist, dass den Klägern bislang keine Kosten entstanden sind, die erstattet werden könnten, weil noch keine Zahlung an die Bevollmächtigten geleistet wurde (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2013 – L 7 AS 1139/12 -, juris). Außer einer ordnungsgemäßen, den Anforderungen des § 10 Abs. 2 RVG entsprechenden Abrechnung, die durch das Schreiben der Bevollmächtigten vom 19. Mai 2012 nebst beigefügter Gebührenrechnung vom gleichen Tag erfolgt ist, sind keine weitergehenden Anforderungen an einen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 60/13 R -, juris).
Die geltend gemachte Erstattungsforderung hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren ist nicht durch Aufrechnung entsprechend § 389 BGB erloschen. Die entsprechende Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff BGB, soweit die §§ 51, 52, 57 Abs. 2 SGB I nichts anderes vorgeben, ist in der Rechtsprechung geklärt (BSG, Urteil vom 25. August 1961 – 1 RA 233/59 –, BSGE 15, 36; Urteil vom 15. Dezember 1994 – 12 RK 69/93 -, BSGE 75, 283). Auch dass die Aufrechnung gegen den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt erfolgt ist, steht ihrer Wirksamkeit nicht entgegen. Soweit das Bundessozialgericht bisher für Sozialleistungsansprüche davon ausgegangen war, dass die Aufrechnung nach § 51 SGB I bzw. die Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1978 – 4 RJ 47/77 –, BSGE 45, 271; Urteil vom 27. März 1996 – 14 REg 10/95 –, BSGE 78, 132), betrifft dies die streitgegenständliche Aufrechnung ebenso wenig wie die Entscheidung des Großen Senats (Beschluss vom 31. August 2011 – GS 2/10BSGE 109, 81) zur Verrechnung gemäß § 52 SGB I. Dass er mit seiner Entscheidung nicht von Entscheidungen des BGH (Beschluss vom 22.3.2004 - NotZ 16/03 -, juris), des BVerwG (BVerwGE 66, 218 ff; 132, 250 ff.) oder des BFH (BFHE 149, 482, 489 f; 178, 306 ff.), die bei der einseitigen Ausübung der Aufrechnung die Rechtsnatur als öffentlich-rechtliche Willenserklärung bestimmen, abweicht, stellt der Große Senat des BSG ausdrücklich fest.
Jedenfalls bleibt die Aufrechnung als solche materiell-rechtlich unabhängig davon wirksam, ob sie als öffentlich-rechtliche Willenserklärung oder als Verwaltungsakt hätte ergehen müssen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Oktober 2012 – L 9 AS 601/10 -, juris unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2009 – B 7 AL 43/07 R -).
Die von dem Beklagten mit Schreiben vom 22. Mai 2012 erklärte Aufrechnung führte gleichwohl nicht zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs, weil es an der erforderlichen Aufrechnungslage mangelt. Neben einer wirksamen Aufrechnungserklärung erfordert die Aufrechnung eine Aufrechnungslage, die gemäß § 387 BGB vorliegt, wenn der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende gleichartige Leistung bewirken kann. Die Forderung des aufrechnenden Leistungsträgers (Gegenforderung) muss entstanden und fällig sein, während die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar sein muss.
Mit den jeweils auf Zahlung gerichteten Forderungen des Beklagten aus dem gegen die Klägerin zu 1. gerichteten bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 2. Februar 2010 bzw. den Kläger zu 2. betreffenden Bußgeldbescheid vom 13. September 2009 konnte nicht gegen den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren aufgerechnet werden, weil es sich zwar um gegenseitige Forderungen handelt, es jedoch an der von § 387 BGB vorausgesetzten Gleichartigkeit der Forderungen mangelt.
Weil die Kläger die Gebührenrechnung gegenüber ihrer Prozessbevollmächtigten bislang nicht beglichen haben, ist nicht von einem Zahlungs- sondern von einem Freistellungsanspruch der Kläger gegen den Beklagten in geltend gemachter Höhe auszugehen (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2009 – L 1 AL 13/08 -, juris; Urteil vom 17. Oktober 2013 – L 7 AS 1139/12 -, juris; nachgehend BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 60/13 R -, juris; BGH, Urteil vom 22. März 2011 – VI ZR 63/10 -, juris).
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X umfasst auch den von den Klägern geltend gemachten Anspruch auf Freistellung von der Gebührenforderung ihrer Rechtsanwältin. § 63 SGB X regelt als Rechtsfolge die Pflicht der Behörde, dem Bürger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. § 63 SGB X trifft eine Regelung zur Kostenerstattung, wenn ein erfolgreiches Vorverfahren nach dem SGB X durchgeführt worden ist und sich kein Rechtsstreit anschließt. Ohne die Vorschrift würde eine materielle Regelung über die Pflicht zur Erstattung der Kosten und deren Festsetzung in dieser Konstellation fehlen (vgl. Mutschler in Kasseler Komm, § 63 Rn. 2 f., Stand Dezember 2014). Da der Kostenerstattungsanspruch aber nicht von einer tatsächlich geleisteten Zahlung abhängen kann, muss es ausreichen, wenn der Erstattungsgläubiger – wie hier – einer Honorarforderung des Rechtsanwalts tatsächlich ausgesetzt ist (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2009, a.a.O.).
Auch das Bundessozialgericht ist - allerdings ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den von der Vorinstanz als Grundlage des Befreiungsanspruchs angenommenen § 257 BGB - in seinem Urteil vom 2. Dezember 2014 (- B 14 AS 60/13 R –, juris) betreffend die Erstattung von Kosten im Vorverfahren von einem Freistellungsanspruch ausgegangen. Anderenfalls wären die Voraussetzungen des § 99 Abs. 3 SGG zu erörtern gewesen, weil es sich bei einem Freistellungsanspruch im Vergleich zu einem Zahlungsanspruch um ein aliud handelt.
Der ursprünglich entstandene Freistellungsanspruch hat sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch nicht vor Erklärung der Aufrechnung durch Erfüllung in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. Der Befreiungsanspruch wandelt sich dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Befreiungsgläubiger seinerseits den Drittgläubiger befriedigt (vgl. Toussaint in: jurisPK-BGB § 257, 7. Aufl. 2014, Rn 9). Durch die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid entsteht demgegenüber kein Zahlungsanspruch; ebenso wenig kann dadurch die Freistellung bewirkt werden.
Offen bleiben kann insoweit, ob es sich bei Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X um einen Schadenersatzanspruch gegen die sich nicht rechtmäßig verhaltende Behörde nach einem erfolgreichen Widerspruch (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Oktober 2012, a.a.O; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2013, a.a.O., jeweils unter Bezugnahme auf Roos, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 63 Rn 8) oder um einen Aufwendungsersatz handelt (in diesem Sinne wohl BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 – B 11 AL 24/08 R -, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2012 – L 19 AS 312/12 B -, juris; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Februar 2010 – 3 K 4247/09 -, juris zu dem § 63 SGB nachgebildeten § 77 EStG) weil der Bürger - unabhängig von dem Verschulden der Behörde – Kosten der Rechtsberatung aufwenden muss, um sich gegen ein rechtswidriges Handeln der Behörde zu wehren (vgl. Mutschler, a.a.O., Rn. 2a). Im Falle eines Aufwendungsersatzanspruchs setzt der Freistellungsanspruch die Eingehung einer Verbindlichkeit als Aufwendung voraus. Demgegenüber kann sich ein "unmittelbarer" bzw. "primärer" Freistellungsanspruch auch – wenn der Schaden in der Belastung mit einer Verbindlichkeit besteht – als Inhalt eines Schadensersatzanspruchs nach dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) ergeben (vgl. Toussaint, a.a.O., Rn. 21).
Sowohl bei dem Freistellungsanspruch gemäß § 257 BGB als auch bei der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB steht es dem Befreiungsschuldner frei, wie er die Freistellung konkret bewirkt. In Betracht kommen außer der schuldbefreienden Leistung an den Drittgläubiger (§ 267 Abs. 1 Satz 1 BGB) etwa die Aufrechnung (§ 387 BGB) oder andere Erfüllungssurrogate wie eine befreiende Schuldübernahme gemäß § 414 BGB (vgl Toussaint, a.a.O., Rn 8). Entscheidend ist nur, dass das geschuldete Ergebnis, Befreiung von der Verbindlichkeit eintritt (vgl. Krüger, Münchener Komm zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 257, Rn 4). Daran fehlt es jedoch bei der bloßen Erklärung, die Kosten zu übernehmen, weil der Prozessbevollmächtigte nach wie vor die Vergütung von seinen Mandanten fordern kann.
Bestand der Befreiungsanspruch somit noch im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung, scheitert die Aufrechnung des Beklagten daran, dass der geltend gemachte Befreiungsanspruch und die Erstattungsforderungen nicht gleichartig sind. Mit einem Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit kann wegen fehlender Gleichartigkeit nicht gegen einen Zahlungsanspruch aufgerechnet werden (vgl BGH, Urteil vom 28. Juni 1983 – VI ZR 285/81 -, juris; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZR 135/08 -, juris).
Schließlich kann sich der Beklagte gegenüber dem Befreiungsanspruch nicht mit Erfolg auf ein Zurückbehaltungsrecht aus seinem fälligen Zahlungsanspruch gegen die Befreiungsgläubiger berufen. § 273 BGB verlangt als Voraussetzung für die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, dass der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Gegenanspruch gegen den Gläubiger hat. Das Erfordernis der Konnexität der Ansprüche ist nach der Zweckbestimmung des § 273 weit auszulegen. Es genügt, dass zwischen den Ansprüchen ein natürlicher, wirtschaftlicher Zusammenhang aufgrund eines innerlich zusammenhängenden, einheitlichen Lebensverhältnisses besteht, so dass es dem Gebot von Treu und Glauben widerspräche, wenn der eine Anspruch ohne den anderen geltend gemacht und durchgesetzt werden könnte (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - IX ZR 130/10 -, juris). Im Falle des Befreiungsanspruchs sind sowohl die Interessen der Kläger als auch der beauftragten Prozessbevollmächtigten gegen das Interesse des Beklagten an der Erfüllung seiner Erstattungsforderungen abzuwägen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass die gegenseitigen Forderungen aufgrund des Sozialleistungsverhältnisses zwischen den Beteiligten entstanden sind, stehen die Erstattungsansprüche und der Befreiungsanspruch im vorliegenden Fall jedoch in keinem Zusammenhang, welcher eine isolierte Durchsetzung des einen Anspruchs ohne Rücksicht auf den Gegenanspruch unbillig erscheinen ließe.
Der Befreiungsanspruch steht den Klägern in geltend gemachter Höhe zu. Die Kläger können jeweils (nur) den ihrer Beteiligung entsprechenden Bruchteil der Anwaltskosten in Höhe von jeweils 104,34 EUR erstattet verlangen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2003 – VIII ZB 100/02 -, juris; in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R-, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved