S 62 (41,50) SO 296/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
62
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 62 (41,50) SO 296/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Der Bescheid vom 11.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008 wird aufgehoben. 2.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 10.12.2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren. Hinsichtlich des Zeitraums von der Antragstellung bis zum 09.12.2009 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3.Die Beklagte hat dem Kläger vier Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Pflegegeld als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII).

Der im Jahre 1999 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an multiplen Behinderungen im orthopädischen Bereich unklarer Ursache. Im Einzelnen bestehen eine doppelbogige Skoliose der Wirbelsäule, Fehlstellungen der unteren Extremitäten (operativ versorgte Kniegelenks-Luxation beidseits, Beinlängendifferenz von 2,5 cm, Hüftgelenksverdrehung beidseits sowie Fußfehlstellungen) und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung und Belastbarkeitsminderung der Ellenbogen. Der Kläger ist aufgrund dieser Behinderungen sowohl in seiner Gehfähigkeit als auch im Bereich der Körperpflege, Ernährung und Mobilität eingeschränkt. Aufgrund der Skoliose ist er mit einem Korsett versorgt.

Der Kläger stammt aus Polen, er reiste im Jahr 2007 mit seiner Familie nach Deutschland ein. Die Familie bewohnt eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, sie ist während des Verfahrens einmal umgezogen, jedoch nur eine Straße weiter (zunächst XXX, jetzt XXX). Zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezieht die Familie seit der Einreise nach Deutschland Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II). Im Jahre 2012 schaffte sich die Familie erstmals ein Kfz an, es handelte sich um einen VW Golf, Baujahr 2003, mit einer Laufleistung von 168.000 km, der Kaufpreis betrug 2.300,- EUR. Dieses Fahrzeug wurde im Jahr 2013 gestohlen, als Ersatz schaffte sich die Familie einen Mazda 323, Baujahr 2000, mit einer Laufleistung von 170.000 km an, der Kaufpreis betrug 1.300,- EUR. Dieses Fahrzeug wurde mittlerweile durch einen Ford Focus, Baujahr 2004, ersetzt, den die Familie im Jahr 2014 zum Preis von 1.300,- EUR anschaffte und weiter benutzt.

Der Kläger besuchte zunächst die XXX Grundschule in XXX (XXX). Da die Familie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über ein Auto verfügte, transportierte die Mutter ihn mit dem Fahrrad zur Schule. Dies geschah in der Weise, dass sie ihn auf den Gepäckträger setzte und das Fahrrad dann zur Schule schob. Der Fußweg vom XXX bis zur Schule beträgt 9 min.

Ab dem Jahr 2010 besucht der Kläger das XXX -Gymnasium in XXX. Der Transport zur Schule erfolgte zunächst in der Weise, dass die Mutter ihn auf dem Gepäckträger sitzend zur S-Bahn-Station schob, von dort mit ihm mit der S-Bahn nach XXX und anschließend mit dem Bus zur Schule fuhr. Seit der Anschaffung des Pkw im Jahr 2012 bringt sie ihn mit dem Auto zur Schule. Anfangs begleitete sie ihn noch in die Schule, seit dem Jahr 2014 setzt sie ihn vor der Schule ab. Die Fahrzeit mit dem Auto vom XXX in XXX zum XXXGymnasium in XXX beträgt 14 min. Der Kläger ist mit einem doppelten Satz Schulbücher ausgestattet, so dass er diese nicht immer von der Schule nach Hause und zurück transportieren muss.

Die nächstgelegene Schule vom Wohnort des Klägers ist das XXX Gymnasium in XXX. Die Entfernung vom XXX beträgt 3 km und die Fahrzeit mit dem Auto 7 min. Der Kläger beantragte nach dem Wechsel zum Gymnasium XXX im Jahr 2010 die Übernahme der Fahrkosten bei der Stadt XXX Diese lehnte das mit Bescheid vom 13.09.2010 ab, da Fahrtkosten erst ab einer Entfernung von 3,5 km übernommen werden könnten und maßgeblich der Weg zur nächstgelegenen Schule sei, der unterhalb dieser Grenze liege. Zwar komme aufgrund der Behinderung auch bei kürzeren Entfernungen eine Übernahme von Fahrtkosten in Betracht. Der Kläger und seine Mutter könnten jedoch aufgrund der Behinderung öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzen und dies sei ihnen auch möglich. Es entstünden daher gar keine Fahrtkosten, die übernommen werden könnten.

Der Kläger erhält seit November 2007 aufgrund seiner Behinderung eine Krankengymnastik. Die Behandlungen fanden zunächst in der Praxis XXX in XXX statt. Die Mutter fuhr ihn mit dem Fahrrad dort hin, die Fahrzeit beträgt 19 min. Seit Anfang des Jahres 2009 wird der Kläger in der Praxis XXX behandelt XXX. Die Entfernung beträgt einen Kilometer und der Fußweg 5 min. Die Behandlung dauerte jeweils 20 min. Der Kläger ist im Zeitraum 01.01.2009 bis 31.08.2013 (56 Monate) insgesamt 157 mal dort behandelt worden, durchschnittlich also dreimal pro Monat. Seit dem 01.09.2013 erhält er keine Krankengymnastik mehr.

Der Kläger beantragte nach der Einreise zunächst Pflegeleistungen bei seiner Pflegeversicherung. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 30.08.2007 mit, dass ein Leistungsanspruch erst nach fünf Jahren Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung bestehe. Da er ab dem 21.05.2007 pflegeversichert sei, könne er erst im Mai 2012 Leistungen nach dem SGB XI beantragen.

Der Kläger beantragte am 22.01.2008 Pflegegeld nach dem SGB XII bei der Beklagten. Diese führte am 31.03.2008 einen Hausbesuch bei dem Kläger durch und ermittelte dann einen Pflegebedarf von 18 min pro Tag. Dieser setzt sich zusammen aus 1 min Hilfebedarf beim Stuhlgang, 1 min beim Transfer in die Badewanne und 16 min aufgrund der notwendigen Begleitung zur Krankengymnastik, die zweimal wöchentlich durchgeführt werde. Die Behandlungszeit betrage 30 min und die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Praxis XXX in XXX 25 min (ergibt 55 min pro Behandlung, d.h. 110 min pro Woche = 16 min pro Tag).

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 11.04.2008 ab. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I analog § 15 SGB XI lägen bei dem Kläger nicht vor, so dass er keinen Anspruch auf Pflegegeld habe. Es seien auch keine Pflegebeihilfen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu gewähren, da die gelegentlichen Hilfeleistungen dies nicht rechtfertigten, zumal die Leistung vorrangig der Aufrechterhaltung der Pflegebereitschaft ehrenamtlicher Pflegepersonen diene.

Der Kläger legte gegen den Bescheid am 08.05.2008 Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass der Pflegebedarf höher zu bewerten sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nur ein geringer Pflegebedarf bestehe, der im Wesentlichen auf der Begleitung zur Krankengymnastik beruhe. Man müsse davon ausgehen, dass auch bei einem gleichaltrigen gesunden Kind ein altersgemäßer Pflegeaufwand bestehe. Der festgestellte behinderungsbedingte Mehraufwand von täglich 18 min rechtfertige keine Pflegebeihilfe gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Ein Anspruch auf Pflegegeld bestehe erst recht nicht, da die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht erfüllt seien.

Der Kläger hat am 27.10.2008 Klage erhoben. Diese begründet er damit, dass einen Anspruch auf Pflegegeld nach dem SGB XII habe, da die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorlägen. Bei der Bemessung der Pflegezeit sei auch die Fahrzeit zur Schule zu berücksichtigen, da er aufgrund der Behinderung auf die Begleitung durch seine Mutter angewiesen sei. Wenn kein Anspruch auf Pflegegeld bestehe, müsse die Beklagte ihn neu bescheiden, da sie das in § 65 Abs. 1 SGB XII eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe.

Der Kläger hat während des Klageverfahrens im Jahr 2012 erneut einen Antrag auf Pflegegeld bei seiner Pflegekasse gestellt. Der MDK ermittelte in seinem Gutachten vom 03.09.2012 einen Pflegebedarf von 26 min pro Tag. Der Antrag wurde daraufhin mit Bescheid der AOK vom 10.09.2012 abgelehnt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 11.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 25.02.2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren,

hilfsweise die Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen XXX. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und ganz überwiegend auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 11.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2008 erweist sich als rechtswidrig, denn der Kläger hat schon mit seinem Hauptantrag teilweise Erfolg (1.). Soweit der Hauptantrag abgewiesen werden musste, ist der Hilfsantrag des Klägers begründet (2.).

1. Der Hauptantrag des Klägers ist hinsichtlich des Zeitraums ab dem 10.12.2009 begründet, denn der Kläger hat ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Der Anspruch des Klägers beruht auf § 64 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift erhalten Pflegebedürftige, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (erheblich Pflegebedürftige), ein Pflegegeld in Höhe des Betrages nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Elften Buches. Nach § 64 Abs. 4 SGB XII ist bei pflegebedürftigen Kindern der infolge Krankheit oder Behinderung gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Pflegebedarf maßgebend.

Der Kläger erfüllt ab dem 10.12.2009 (Vollendung des 10. Lebensjahres) diese Voraussetzungen, denn ab diesem Zeitpunkt weicht sein Pflegebedarf so stark vom dem eines gleichaltrigen gesunden Kindes ab, dass die Pflegestufe I erreicht wird.

Die erforderliche Mindestpflegezeit für die Pflegestufen wird in § 64 SGB XII nicht ausdrücklich definiert. Nach § 61 Abs. 6 SGB XII sind jedoch die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien) entsprechend anzuwenden und diese verweisen in Teil D 4.0 auf die Regelung des § 15 Abs. 3 SGB XI, die somit auch für die Abgrenzung der Pflegestufen nach § 64 Abs. 1-3 SGB XII relevant ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.08.2013 – L 7 SO 2971/09; Meßling in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 64 SGB XII, Rn. 25). Damit ist für die Pflegestufe I die Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI maßgeblich. Danach muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.

Bei der Formulierung "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" handelt es sich um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, gemeint ist "täglich im Wochendurchschnitt" (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2003 - B 3 P 5/02 R). Es kommt also auf den Pflegebedarf pro Tag an, der auf der Grundlage des in einer Woche durchschnittlich anfallenden Hilfebedarfs zu ermitteln ist.

Ab dem 10.12.2009 beträgt der Pflegebedarf des Klägers mindestens 97 min pro Tag, davon entfallen 52 min auf die Grundpflege, ab dem 01.09.2013 reduziert sich der Pflegebedarf auf mindestens 94 min pro Tag, davon entfallen 49 min auf die Grundpflege. Damit liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I durchgehend seit dem 10.12.2009 vor.

Die Bemessung der erforderlichen Pflegezeiten erfolgt auf der Grundlage der Begutachtungs-Richtlinien nach § 17 SGB XI, die nach § 61 Abs. 6 SGB XII entsprechend anzuwenden sind. Für die Ganzkörperwäsche ist als Orientierungswert in Teil F der Richtlinien ein Zeitaufwand von 20 bis 25 Minuten vorgesehen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen XXX in seinem Gutachten vom 17.03.2012 wird der Kläger normalerweise einmal pro Tag in der Badewanne, im Wasser sitzend, geduscht, im Sommer wegen des starken Schwitzens unter dem Korsett zeitweilig auch zweimal täglich. Die Häufigkeit der Ganzkörperwäsche resultiert hier also aus der Korsettversorgung und ist daher als notwendig anzuerkennen. Der Kläger könne wegen der schmerzhaften Rotationseinschränkungen der Armbeweglichkeit die rückwärtigen Körperpartien nicht erreichen und sich nicht beidhändig die Haare waschen. Aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung könnten auch die Füße nicht selbständig gewaschen werden. Insofern sei eine Teilübernahme des Waschens durch die Mutter erforderlich. Der größere Teil des Waschvorganges könne jedoch von dem Kläger selbst vorgenommen werden, so dass mit 10 min pro Tag nur knapp die Hälfte des in den Richtlinien vorgesehen Zeitaufwandes zu berücksichtigen sei. Dies ist absolut plausibel, so dass sich die Kammer insoweit den Ausführungen des Sachverständigen anschließt.

Für die Zahnpflege ist in den Begutachtungs-Richtlinien ein Zeitaufwand von 5 Minuten pro Tag vorgesehen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. XXX kann sich der Kläger die untere Zahnreihe selbst putzen, für den Oberkiefer sei die Hilfe der Mutter notwendig. Dies sei auch nachvollziehbar, da hier ein erhöhter Pflege- und Kontrollaufwand vorliege. Es müsse daher ein Zeitaufwand von 2 min berücksichtigt werden, was bei zweimaligen Zähneputzen pro Tag zu insgesamt 4 min Hilfebedarf pro Tag führt. Die Kammer folgt auch diesen Ausführungen des Sachverständigen, die sie für schlüssig und überzeugend hält.

Für die mundgerechte Zubereitung einer Hauptmahlzeit (einschließlich des Bereitstellens eines Getränkes) ist in den Begutachtungs-Richtlienen ein Zeitaufwand von 2 bis 3 Minuten vorgesehen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen kann der Kläger mit der linken Hand selbständig Speisen zum Mund führen und ohne Verschütten aus einer Tasse trinken. Er werde für den Aufenthalt in der Schule mit Broten und Obst ausgestattet, die er dort selbständig verzehre. Dies sei ihm auch beim Frühstück und beim Abendessen möglich. Aufgrund der schmerzhaften Belastungsminderung insbesondere des rechten Arms bestehe jedoch ein Hilfebedarf beim Zerteilen von harten Speisen (also z.B. beim Schneiden von Fleisch). Hierfür sei beim Mittag- und Abendessen jeweils ein Zeitaufwand von 1 min zu berücksichtigen, insgesamt also 2 min pro Tag. Die Kammer folgt auch diesen Ausführungen des Sachverständigen, die sie für schlüssig und überzeugend hält.

Für das Ankleiden des Oberkörpers und das Auskleiden des Oberkörpers ist in den Begutachtungs-Richtlinien ein Zeitaufwand von 5 bis 6 Minuten bzw. 2 bis 3 Minuten vorgesehen. Bei dem Kläger besteht nach den Feststellungen des Sachverständigen aufgrund der schmerzhaften Bewegungseinschränkung, insbesondere bei den Rotationsbewegungen und der Überkopfhaltung des rechten Armes, und der Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule ein Hilfebedarf bei der Bekleidung des Oberkörpers. Allenfalls ein Unterhemd oder ein lockeres T-Shirt könnten selbst angezogen werden. Der Hilfebedarf bestehe auch beim Auskleiden am Abend einschließlich der Versorgung mit einem Schlafanzug. Für das Ankleiden sei ein Zeitaufwand von 5 min und für das Auskleiden von 3 min zu berücksichtigen. Für die Korsettversorgung hat der Sachverständige zusätzlich einen Zeitaufwand von 2 min pro Tag berücksichtigt, da diese Verrichtung in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ankleiden und Auskleiden stehe. Der Kläger könne sich das Korsett nicht selbst anlegen, da hierfür eine Drehbewegung des Oberkörpers bzw. der Arme und ein hoher Kraftaufwand erforderlich seien. Es sei daher für das An- und Ablegen insgesamt ein Tagesbedarf von 2 Minuten zu berücksichtigen. Auch dies deckt sich mit den Begutachtungs-Richtlinien, wonach der Gutachter bei der Feststellung des Zeitaufwandes für das An- und Ablegen von Prothesen, Orthesen, Korsetts und Stützstrümpfen aufgrund einer eigenen Inaugenscheinnahme den Zeitaufwand individuell zu messen habe. Den Ausführungen des Sachverständigen ist daher nach Auffassung der Kammer insoweit ebenfalls zu folgen.

Für den Transfer in die bzw. aus der Badewanne ist nach den Begutachtungsrichtlinien ein Zeitaufwand von je 1 min anzusetzen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Huesmann besteht bei dem Kläger aufgrund der Bewegungseinschränkung und der Instabilität der unteren Extremitäten sowohl ein Einsteigen als auch beim Aussteigen aus der Badewanne eine erhöhte Sturzgefahr, so dass eine Abstützung seitens der Hilfsperson notwendig sei. Dafür sei ein Zeitraum von jeweils einer halben Minute zu berücksichtigen, insgesamt also eine Minute pro Tag. Die Kammer folgt auch diesen Ausführungen des Sachverständigen, die sie für schlüssig und überzeugend hält.

Nach Teil F der Begutachtungs-Richtlinien (Orientierungswerte) sind als pflegeerschwerende Faktoren u.a. Fehlstellungen der Extremitäten und starke therapieresistente Schmerzen zu berücksichtigen. Der Sachverständige weist in seinem Gutachten darauf hin, dass bei dem Kläger eine zögerliche, etwas ängstliche Durchführung der Untersuchungsverrichtungen zur Vermeidung von Schmerzen zu beobachten gewesen sei. Dies sei bei allen Verrichtungen der Fall gewesen, die mit Bewegungen der Extremitäten verbunden gewesen seien, also bei der Körperpflege und beim An- und Auskleiden. Der Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen sei daher um 10% zu erhöhen, so dass weitere 2 min pro Tag anzuerkennen seien. Dies erscheint der Kammer plausibel, so dass sie den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit folgt.

Der Sachverständige gelangt damit auf der Grundlage der Begutachtungs-Richtlinien zu einem Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 29 min pro Tag, der nach Auffassung der Kammer überzeugend begründet ist. Die Richtigkeit der Feststellungen wird letztlich auch bestätigt durch das Gutachten des MDK vom 03.09.2012, das einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 26 min pro Tag dokumentiert, zu dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Huesmann bestehen nur graduelle Unterschiede. Der MDK berücksichtigt zusätzlich 2 min für die Hilfe beim Kämmen und 3 min für die Analhygiene nach Stuhlgang, wohingegen der Sachverständige dort keinen Hilfebedarf mehr gesehen hat. Demgegenüber wird im Gutachten des MDK nicht der Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung von Mahlzeiten aufgeführt, obwohl dies unter dem Punkt Umfang der pflegerischen Versorgung und Betreuung genannt ist. Die Korsettversorgung fließt im Gutachten des MDK in die Hilfe beim An- und Auskleiden ein, die entsprechend höher bewertet wird. Letztlich beruhen die Unterschiede zwischen den beiden Gutachten darauf, dass der Sachverständige die Hilfe bei der Ganzkörperwäsche etwas höher bewertet und zusätzlich die pflegeerschwerenden Faktoren berücksichtigt hat. Dies entspricht jedoch den Vorgaben in den Begutachtungs-Richtlinien (s.o.), so dass der Pflegebedarf jedenfalls nicht geringer zu bewerten ist, als in dem Gutachten des Sachverständigen.

Der Sachverständige XXX hat in seinem Gutachten zusätzlich noch 17 min pro Tag für die Begleitung zur Krankengymnastik berücksichtigt. Nach Teil D 4.3 Nr. 15 der Begutachtungs-Richtlinien gehört zum Bereich Mobilität auch die Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Es sind jedoch nur solche Maßnahmen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig sind und das persönliche Erscheinen des Antragstellers erfordern. Berücksichtigungsfähige Maßnahmen sind das Aufsuchen von Ärzten zu therapeutischen Zwecken oder die Inanspruchnahme vertragsärztlich verordneter Therapien. Dazu gehört auch die Krankengymnastik, die der Kläger seit dem Jahr 2008 erhält. Die Begleitung ist auch erforderlich, denn der Kläger ist in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und daher außerhalb von geschlossenen Räumen auf eine Begleitperson angewiesen. Er hat gegenüber dem Sachverständigen XXX angegeben, dass er nicht richtig gehen könne, nach 100 Metern bekomme er Beinschmerzen. Dementsprechend geht der Sachverständige in seinem Gutachten unter dem Punkt Gehen davon aus, dass sich der Kläger zwar innerhalb der Wohnung ohne Hilfsmittel selbständig bewegen könne. Beim Benutzen der Badewanne und auch beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei demgegenüber Hilfe erforderlich, da aufgrund der Bewegungseinschränkung und Instabilität der unteren Extremitäten eine erhöhte Sturzgefahr bestehe. Die Mutter des Klägers hat dies in der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2015 so beschrieben, dass der Oberkörper steif sei und er auch seine Beine nicht richtig bewegen könne. Dies führe zu einer Beeinträchtigung des Gleichgewichts, so dass er jederzeit umfallen könne. Aufgrund dieser Einschränkung der Gehfähigkeit und der damit verbundenen Sturzgefahr ist der Kläger außerhalb von geschlossenen Räumen auf eine Begleitperson angewiesen.

Nicht zu folgen vermochte die Kammer den Ausführungen des Sachständigen im Hinblick auf den zeitlichen Umfang der Hilfe. Für die Bemessung des zeitlichen Umfangs des Pflegebedarfs ist von der zeitlichen und örtlichen Gebundenheit der Pflegeperson auszugehen; d.h. maßgebend ist die Zeit, die die Pflegeperson ausschließlich für die Abwicklung einer Hilfeleistung benötigt und während der sie keiner anderen Tätigkeit - etwa auch keiner solchen im Bereich der allgemeinen Haushaltsführung - nachgehen kann. Bei Arztbesuchen und der Inanspruchnahme von ärztlich verordneten Therapien ist demnach nicht nur die Wegezeit, sondern auch die Zeit für die Behandlung und ggf. die Wartezeit einzubeziehen (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.1998 – B 3 P 17/97 R). Der Sachverständige geht in seinem Gutachten davon aus, dass die Krankengymnastik zweimal pro Woche in der Praxis XXX in XXX stattgefunden habe. Die Mutter habe den Kläger mit dem Fahrrad transportiert und für den Weg jeweils 30 min gebraucht. Daraus ergebe sich ein Zeitaufwand von 120 min pro Woche, was 17 min pro Tag entspreche. Diese Annahmen des Sachverständigen sind in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Zunächst sind die Behandlungen ab dem Jahr 2009 nicht mehr in der Praxis XXX, sondern in der Praxis XXX durchgeführt worden, die sich unmittelbarer Umgebung der Wohnung des Klägers befindet. Der Fußweg dauert 5 min, so dass sich einschließlich der Behandlung von 20 min insgesamt ein Zeitaufwand von lediglich 30 min pro Termin ergibt. Der Kläger ist auch nicht zweimal pro Woche behandelt worden, sondern im Zeitraum 01.01.2009 bis 31.08.2013 (56 Monate) insgesamt 157 mal, durchschnittlich also dreimal pro Monat. Seit dem 01.09.2013 erhält er keine Krankengymnastik mehr. Im Zeitraum 01.01.2009 bis 31.08.2013 ergibt sich damit ein Zeitaufwand von 90 min pro Monat, d.h. 3 min pro Tag. Damit werden die Voraussetzungen der Pflegestufe I durch die Begleitung zur Krankengymnastik entgegen den Annahmen des Sachverständigen nicht erreicht.

Nach Auffassung der Kammer ist jedoch ab dem 10.12.2009 (Vollendung des 10. Lebensjahres) auch die Begleitung auf dem Schulweg im Rahmen der Bemessung der Pflegezeit nach dem SGB XII zu berücksichtigen. Nach Teil D 4.3 Nr. 15 der Begutachtungs-Richtlinien ist das Aufsuchen von Behörden oder anderen Stellen, die das persönliche Erscheinen des Antragstellers notwendig machen, zu berücksichtigen. Weitere Hilfen – z.B. die Begleitung zur Bushaltestelle auf dem Weg zu Werkstätten für behinderte Menschen, Schulen, Kindergärten oder im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit, beim Aufsuchen einer Tages- oder Nachtpflegeeinrichtung sowie bei Spaziergängen oder Besuchen von kulturellen Veranstaltungen – bleiben unberücksichtigt. Demnach kann die Begleitung auf dem Schulweg nach den Maßstäben des SGB XI nicht anerkannt werden. Demgegenüber ist nach § 61 Abs. 1 SGB XII auch der Hilfebedarf bei anderen Verrichtungen zu berücksichtigen und dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch im Rahmen des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII, wenn sich der Hilfebedarf den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität zurechnen lässt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.08.2013 – L 7 SO 2971/09; Krahmer/Sommer, in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 64, Rn. 7; Meßling, in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 64, Rn. 26; H. Schellhorn, in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2011, § 64, Rn. 7).

Bei der Begleitung auf dem Schulweg handelt sich nach Auffassung der Kammer um eine andere Verrichtung i.S.v. § 61 Abs. 1 SGB XII. Die anderen Verrichtungen werden gesetzlich nicht näher definiert, der Begriff ist nach Auffassung der Kammer weit auszulegen. Es gehören alle Tätigkeiten dazu, die der Sicherung sozialer Bereiche des Lebens dienen, hierunter fallen vor allem Kommunikation, Freizeitgestaltung und Bildung (vgl. Meßling in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 61, Rn. 88). Der Schulbesuch dient der allgemeinen Bildung des Klägers und da er noch schulpflichtig ist, lässt sich auch die Notwendigkeit des Schulbesuches nicht bestreiten. Der Kläger ist auch auf eine Begleitung auf dem Schulweg angewiesen. Dies ergibt sich zwar nicht allein aus dem Umstand, dass er die Schultasche nicht tragen kann, denn er ist mit einem doppelten Satz Schulbücher ausgestattet und muss diese daher nicht von der Schule nach Hause und zurück mitnehmen. Der Kläger ist jedoch in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und daher aus diesem Grund auf eine Begleitung angewiesen (s.o.). Die Begleitung auf dem Schulweg ist dem Bereich der Mobilität zuzuordnen, denn es handelt sich um eine Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Vor diesem Hintergrund ist dieser Hilfebedarf im Rahmen des Pflegegeldes nach § 64 SGB XII berücksichtigungsfähig.

In zeitlicher Hinsicht ist die Begleitung auf dem Schulweg mit mindestens 20 min pro Tag zu veranschlagen. Bei der Vollendung des 10. Lebensjahres am 10.12.2009 besuchte der Kläger noch die XXXGrundschule in XXX. Da die Familie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über ein Auto verfügte, transportierte die Mutter ihn mit dem Fahrrad zur Schule. Dies geschah in der Weise, dass sie ihn auf den Gepäckträger setzte und das Fahrrad dann zur Schule schob. Der Fußweg vom XXX bis zur Schule beträgt 9 min. Daraus errechnet sich bei vier Wegen pro Schultag und fünf Schultagen ein Hilfebedarf pro Woche von 180 min, d.h. 26 min pro Tag.

Im Jahr 2010 wechselte der Kläger dann auf das XXX Gymasium in XXX. Der Transport zur Schule erfolgte zunächst in der Weise, dass die Mutter ihn auf dem Gepäckträger sitzend zur S-Bahn-Station schob, von dort mit ihm mit der S-Bahn nach XXX und anschließend mit dem Bus zur Schule fuhr. Seit der Anschaffung des Pkw im Jahr 2012 bringt sie ihn mit dem Auto zur Schule. Anfangs begleitete sie ihn noch in die Schule, seit dem Jahr 2014 setzt sie ihn vor der Schule ab. Die Fahrzeit mit dem Auto vom XXX in XXX zum XXX in XXX beträgt 14 min. Bei vier Wegen pro Tag und fünf Schultagen ergibt sich daraus ein täglicher Hilfebedarf von 40 Minuten.

Die Kammer kann im vorliegenden Verfahren offen lassen, ob die tatsächliche Fahrzeit zum XXX Gymnasium in XXX oder fiktiv die Fahrzeit zur nächstgelegenen Schule in XXX zugrunde zu legen ist. Für die Berücksichtigung der tatsächlichen Fahrzeit nach XXX spricht, dass in Nordrhein-Westfalen freie Schulwahl besteht. Wenn den Eltern also das Recht eingeräumt wird, ihr Kind auf einer anderen Schule anzumelden, dann könnte dies dafür sprechen, dass auch die tatsächliche Fahrzeit bei der Ermittlung des Pflegebedarfes nach dem SGB XII zu berücksichtigen ist. Jedenfalls ist der Sozialhilfeträger nach der Rechtsprechung des BSG an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Erfüllung der Schulpflicht eines behinderten Kindes in einer Schule bzw. über eine bestimmte Schulart gebunden (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 10/12 R). Gleiches könnte daher für die Entscheidung von Eltern gelten, ihr Kind an einer bestimmten Schule anzumelden.

Letztlich bedarf dies jedoch im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen der Pflegestufe I auch dann noch, wenn man fiktiv auf den Schulweg zur nächstgelegenen Schule abstellt. Es handelt sich dabei um das XXX Gymnasium in XXX. Die Entfernung vom XXX beträgt 3 km und die Fahrzeit mit dem Auto 7 min. Daraus errechnet sich bei vier Wegen pro Tag und fünf Schultagen ein täglicher Hilfebedarf von 20 min.

Die Kammer hat diesen Hilfebedarf jedoch erst ab der Vollendung des 10. Lebensjahres des Klägers am 10.12.2009 berücksichtigt, denn nach § 64 Abs. 4 SGB XII ist bei pflegebedürftigen Kindern der infolge Krankheit oder Behinderung gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Pflegebedarf maßgebend. Die Begleitung auf dem Schulweg kann daher erst im Rahmen der Hilfe zur Pflege berücksichtigt werden, wenn bei einem gesunden Kind eine solche Begleitung nicht mehr erforderlich ist. Dies ist nach Auffassung der Kammer ab der Vollendung des 10. Lebensjahres der Fall. Die Kammer hat sich dabei typisierend an der Regelung in § 828 Abs. 2 BGB orientiert. Danach ist ein Minderjähriger bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres für einen Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, grundsätzlich nicht verantwortlich. Aus dieser Vorschrift lässt sich nach Auffassung der Kammer ablesen, dass der Gesetzgeber Kinder bis zu diesem Alter nicht für fähig hält, die Gefahren des Straßenverkehrs richtig einzuschätzen. Daher ist eine Begleitung zur Schule bis zu diesem Alter jedenfalls dann notwendig, wenn auf dem Schulweg solche Gefahren zu bewältigen sind. Dies deckt sich mit der Einschätzung vieler Eltern, die ihre Kinder bis zum Ende der Grundschulzeit nicht alleine zur Schule fahren lassen. Diese tatsächlichen Gegebenheiten können nach Auffassung der Kammer bei der Beantwortung der Frage, bis zu welchem Alter bei einem gesunden Kind eine Begleitung auf dem Schulweg erforderlich ist, nicht außer Acht gelassen werden.

Gegen die Berücksichtigung der Begleitung auf dem Schulweg im Rahmen der Hilfe zur Pflege lässt sich auch nicht einwenden, dass der Kläger nach der Schülerfahrkostenverordnung (SchfkVO) des Landes Nordrhein-Westfalen einen Anspruch auf eine kostenlose Beförderung zur Schule gehabt hätte. Der entsprechende Antrag des Klägers bei der Stadt Unna wurde mit Bescheid vom 13.09.2010 abgelehnt. Der Kläger und seine Mutter könnten aufgrund der Behinderung öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzen und dies sei ihnen auch möglich. Es entstünden daher gar keine Fahrtkosten, die übernommen werden könnten. Der Nachrang der Sozialhilfe kann somit hier nicht eingreifen, denn nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei § 2 Abs. 1 SGB XII nicht um eine isolierte Ausschlussnorm; entscheidend für den Nachrang ist nicht das Bestehen anderer Leistungsansprüche, sondern grundsätzlich erst der Erhalt dieser anderen Leistungen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R). Darüber hinaus steht die Ablehnung auch in Übereinstimmung mit § 12 SchfkVO wonach nur die Kosten für die wirtschaftlichste Beförderung übernommen werden. Nach Abs. 4 der Vorschrift ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in der Regel die wirtschaftlichste Beförderung; sie hat grundsätzlich Vorrang vor den anderen Beförderungsarten. Ein Anspruch auf einen Schülerspezialverkehr besteht daher nach § 14 Abs. 1 SchfkVO nur, wenn die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich ist. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, da er mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Dementsprechend hätte der Antrag auch abgelehnt werden müssen, wenn der Kläger eine Schule in XXX besucht hätte, dies ergibt sich auch aus der Stellungnahme des Fachbereiches Schule der Beklagten vom 23.04.2015. Danach muss zunächst ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegen, der bei dem Kläger nicht gegeben ist, und eine Nutzung des ÖPNV darf nicht möglich sein.

Der festgestellte Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von mindestens 52 min pro Tag ab dem 10.12.2009 und mindestens 49 min pro Tag ab dem 01.09.2013 durch den Wegfall der Begleitung zur Krankengymnastik ist auch unter Berücksichtigung des § 64 Abs. 4 SGB XII in voller Höhe anzurechnen. Nach dieser Vorschrift ist bei pflegebedürftigen Kindern der infolge Krankheit oder Behinderung gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Pflegebedarf maßgebend. Nach Teil D 4.0 III 9 der Begutachtungs-Richtlinien besteht bei 10jährigen Kindern kein Hilfebedarf mehr im Bereich der Grundpflege, so dass der Hilfebedarf des Klägers allein auf dessen Behinderung zurückzuführen ist.

Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht nach den übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen und des MDK ein Hilfebedarf von 45 min pro Tag. Insgesamt ergibt sich daraus ein Pflegebedarf des Klägers von mindestens 97 min pro Tag ab dem 10.12.2009, davon entfallen 52 min auf die Grundpflege und mindestens 94 min pro Tag ab dem 01.09.2013, davon entfallen 49 min auf die Grundpflege. Damit liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I durchgehend seit dem 10.12.2009 vor.

Der Kläger erfüllt auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bezug von Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII werden Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Der Kläger und seine Eltern beziehen zur Sicherung des Lebensunterhaltes Leistungen nach dem SGB II, so dass kein Einkommen zur Verfügung steht. Es ist auch kein Vermögen vorhanden, als solches kommen hier nur die seit dem Jahr 2012 angeschafften Pkw in Betracht. Diese sind jedoch aufgrund ihres Wertes von weniger als 7.500,- EUR nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II geschützt und daher auch im Rahmen einer Leistungsbewilligung nach dem SGB XII nicht als Vermögen zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 8/9b SO 11/06 R). Darüber hinaus liegt der Wert jeweils auch unter dem Vermögensfreibetrag nach dem SGB XII i.H.v. 2.600,- EUR.

2. Der Hilfsantrag des Klägers ist hinsichtlich des Zeitraums von der Antragstellung bis zum 09.12.2009 begründet, denn insoweit war die Beklagte zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Hinsichtlich dieses Zeitraums ist der Hauptantrag des Klägers nicht begründet, so dass die Klage insoweit abgewiesen werden musste. Der Kläger erfüllte bis zum 09.12.2009 nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I, da sein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege nicht mehr als 45 min pro Tag betrug. Dies folgt schon daraus, dass die Begleitung auf dem Schulweg nach Auffassung der Kammer bis zu diesem Zeitpunkt nicht angerechnet werden kann, da sie – jedenfalls bei typisierender Betrachtungsweise – auch bei einem gesunden Kind erforderlich wäre (s.o.). Demnach bestand lediglich ein Pflegebedarf von 32 min pro Tag. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bei Kindern unter 10 Jahren auch ein "natürlicher Pflegebedarf" besteht, der von der ermittelten Pflegezeit abzuziehen wäre. Dementsprechend waren die Voraussetzungen der Pflegestufe I bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt.

Für diesen Personenkreis, dessen Pflegebedarf unterhalb der Pflegestufe I liegt (sog. Pflegestufe 0) sieht das Gesetz in § 65 Abs. 1 SGB XII angemessene Beihilfen (sog. "kleines Pflegegeld", vgl. dazu Meßling, in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 65, Rn. 26) vor, die der Kläger mit seinem Hilfsantrag geltend macht. Die angemessenen Beihilfen sind Gegenstand des Verfahrens, da die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden ausdrücklich auch über diese Leistung entschieden hat.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 SGB XII, denn er ist pflegebedürftig (s.o.), die Pflege erfolgt zuhause und es liegen auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bezug von Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII vor (s.o.). Die Gewährung von angemessenen Beihilfen gem. § 65 Abs. 1 SGB XII steht im Ermessen des zuständigen Leistungsträgers (offen gelassen vom BSG, Urteil vom 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R). Die Beklagte hat das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

Soweit die Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)). Der Versicherte bzw. Leistungsberechtigte hat Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Hingegen entsteht ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung nur aufgrund der Bewilligungsentscheidung (§ 40 Abs. 2 SGB I). Darüber hinaus kann im Einzelfall ein Rechtsanspruch auf die Leistung ausnahmsweise bei einer "Ermessensreduzierung auf Null" bestehen, bei der es nur ein ermessensgerechtes Ergebnis gibt (vgl. zu einem solchen Fall BSG, Urteil vom 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R)

Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG; "Rechtmäßigkeit-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

Als Ermessensfehler kommt nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsacheninstanzen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 2 U 10/10 R).

Wenn der eine Sozialleistung regelnde Verwaltungsakt wegen Ermessensnicht- oder -fehlgebrauchs rechtswidrig ist, darf das Gericht nur den Verwaltungsakt aufheben und den Träger zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen, nicht aber eigene Ermessenserwägungen anstellen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Leistungsträgers setzen (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 2 U 10/10 R).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erweisen sich die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerhaft, so dass die Beklagte zu verurteilen war, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von angemessenen Beihilfen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in dem Ausgangsbescheid vom 11.04.2008 mit der Begründung ab, dass die Leistung vorrangig der Aufrechterhaltung der Pflegebereitschaft ehrenamtlicher Pflegepersonen diene. Das ist zwar zutreffend, doch verkennt die Beklagte dabei vollkommen, dass die Eltern des Klägers auch ehrenamtliche Pflegepersonen sind und somit zum Adressatenkreis der Vorschrift gehören. Wenn die Beklagte damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die Eltern ja ohnehin verpflichtet sind, die Pflege und Betreuung der Kinder zu übernehmen, dann wäre auch dies ermessensfehlerhaft. Denn das Bestehen einer Unterhaltspflicht schließt die Gewährung von angemessenen Beihilfen nach § 65 Abs. 1 SGB XII nicht aus (vgl. Meßling, in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 65, Rn. 27). Es wäre vielmehr darzulegen gewesen, dass im konkreten Einzelfall die Gewährung von angemessenen Beihilfen nicht erforderlich ist, um die Pflegebereitschaft aufrecht zu erhalten, und daher die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers ausgehen müsse. Ein solcher Fall könnte z.B. gegeben sein, wenn die wirtschaftliche Situation der Pflegeperson weitere finanzielle Leistungen nicht erforderlich macht. Dies ist jedoch bei den Eltern des Klägers nicht der Fall, da sie zur Sicherung des Lebensunterhaltes Leistungen nach dem SGB II beziehen.

Der Ermessenfehler ist in dem Widerspruchsbescheid vom 02.10.2008 nicht geheilt worden. Darin führt die Beklagte aus, dass der festgestellte behinderungsbedingte Mehraufwand von täglich 18 min keine Pflegebeihilfe gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII rechtfertige. Auch diese Erwägung ist ermessenfehlerhaft, denn der Anwendungsbereich der Vorschrift ist ja nur eröffnet, wenn der Pflegebedarf weniger als 46 min pro Tag beträgt und somit kein Pflegegeld zu gewähren ist. Angemessene Beihilfen kommen nur in Betracht, wenn ein geringer Pflegebedarf besteht, so dass sich die Leistung mit diesem Argument nicht ablehnen lässt. Darüber hinaus ist die Beklagte bei ihrer Entscheidung von falschen Voraussetzungen ausgegangen, da der Pflegebedarf auch ohne Berücksichtigung der Begleitung auf dem Schulweg ca. ein halbe Stunde pro Tag ausmacht (s.o.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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