Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 766/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 83/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Wiederaufnahmeverfahren ist im Verhältnis zum vorangegangenen Verfahren ein neuer Rechtszug.
2. Ein im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO "zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt" muss noch nicht notwendigerweise mandatiert sein.
2. Ein im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO "zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt" muss noch nicht notwendigerweise mandatiert sein.
Der Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin im Beschluss vom 23. Juni 2014 wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 mit Beschluss vom 23. Juni 2014 ausgesprochenen Beiordnung ihrer damaligen Bevollmächtigten.
Im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 begehrte die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten auf Bewilligung einer Kraftfahrzeugbeihilfe. Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 wurde ihr Prozesskostenbeihilfe bewilligt und ihre damalige Bevollmächtigte beigeordnet. Die Berufung wurde mit Urteil vom 9. April 2015 zurückgewiesen. Nach Verkündung des Urteilstenors in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 erklärten sowohl die für die Klägerin erschienene Rechtsanwältin als auch die Beklagtenvertreterin den Verzicht auf Rechtsmittel.
Mit Telefax vom 13. April 2015 hat die Klägerin den Widerruf des durch ihre Bevollmächtigte erklärten Rechtsmittelverzichts erklärt. Ihre frühere Rechtsanwältin hat mit Telefax vom 14. April 2015 vorsorglich den Widerruf des Rechtsmittelverzichts erklärt. Beide haben vorgetragen, dass keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, und dass die Klägerin ihre Bevollmächtigte nicht ermächtigt habe, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären.
Die Klägerin hat mit Telefax vom 14. April 2015 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Dieses Verfahren ist unter dem Az. L 3 AL 83/15 geführt worden ...
Mit Telefax vom 5. Mai 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr "eine Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin wegen des massiven Vertrauensbruchs nicht mehr zumutbar" sei. Sie nehme daher ihre Rechte jetzt selber wahr. Schriftverkehr sei an sie selbst zu richten. Vorsorglich beantrage sie die Aufhebung der Beiordnung der Rechtsanwältin im Verfahren Az. L 3 AL 55/12.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des zugehörigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
II.
1. Die im Verfahren Az. L 3 AL 83/15 beantragte Aufhebung der Anwaltsbeiordnung betrifft nur das Berufungsverfahren Az. L 3 AL 55/12. Denn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG] i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung [(ZPO]). In diesem Sinne ist das Wiederaufnahmeverfahren im Verhältnis zum vorangegangenen Verfahren, hier dem Berufungsverfahren, ein neuer Rechtszug. Dies ergibt sich Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes ist der Begriff des Rechtszuges kostenrechtlich zu verstehen und erfasst jeden Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2004 – IX ZB 565/02 – NJW 2004, 3260 = MDR 2005, 50 = JURIS-Dokument Rdnr. 16, m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2008 – 5 B 204/07, 5 B 204/07 [5 PKH 30/07] – NJW 2008, 3157 = DÖV 2008, 827 = JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung [73. Aufl., 2015], § 119 Rdnr. 30; Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 119 Rdnr. 1, m. w. N.). Gemäß § 35 des Gerichtskostengesetzes (GKG) werden die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen und die Gebühr für eine Entscheidung in jedem Rechtszug hinsichtlich eines jeden Teils des Streitgegenstands nur einmal erhoben. Der zeitliche Rahmen eines Rechtzuges wird für beide Regelungen dahingehend definiert, dass ein Rechtszug mit dem einleitenden Antrag beginnt und mit der abschließenden Entscheidung oder anderweitigen endgültigen Erledigung endet (vgl. zu § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO: BGH, Beschluss vom 25. April 2007 – XII ZB 179/06 – NJW-RR 2007, 1439 = MDR 2007, 1032 = JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.; zu § 35 GKG: Hartmann, Kostengesetze [45. Aufl., 2015], § 35 GKG Rdnr. 5). Daraus wird gefolgert, dass ein Wiederaufnahmeverfahren im Sinne von §§ 578 ff. ZPO, das wegen der ausdrücklichen Regelung in § 578 Abs. 1 ZPO immer ein "durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens" voraussetzt, ein neuer Rechtszug im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, a. a. O., § 119 Rdnr. 51; Geimer, a. a. O., § 119 Rdnr. 29; vgl. auch Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 584 Rdnr. 4).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes handelt es sich bei einem Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG i. V. m. §§ 578 ff. ZPO um einen eigenen Rechtszug im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dies wird jedoch nicht kostenrechtlich, sondern prozessrechtlich damit begründet, dass es sich bei einem Wiederaufnahmeantrag um einen außerordentlichen Rechtsbehelf zur Beseitigung der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 2. März 2004 – B 9 V 7/04 B – JURIS-Dokument Rdnr. 3)
2. Der Antrag auf Aufhebung der Rechtsanwaltsbeiordnung war abzulehnen. Hierbei kann offen bleiben, ob die Klägerin antragsbefugt ist (a). Denn es liegen jedenfalls keine dieses Begehren stützendenden Gründe vor (b).
a) In Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums wird die Auffassung vertreten, dass nach § 48 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nur der beigeordnete Anwalt, nicht aber die von ihm betreute Partei die Entpflichtung und Beiordnung eines anderen Anwalts beantragen kann und somit der Antragstellerin hier bereits die Antragsbefugnis fehlen würde (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. November 1993 – 6 WF 102/93 – JURIS-Dokument; OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2002 – 9 WF 232/00 – FamRZ 2002, 89; Geimer, a. a. O., § 121 Rdnr. 34).
Nach anderer Auffassung ist auch die Partei selbst berechtigt, die Entpflichtung des ihr beigeordneten Anwalts und die Beiordnung eines anderen Anwalts zu beantragen, wenn hierfür ein wichtiger Grund besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. August 2001 – 8 PKH 10/00, 8 C 20/00 – JURIS-Dokument Rdnr. 1; BFH, Beschluss vom 19. März 2013 – XI S 2/13 [PKH] – JURIS-Dokument Rdnr. 7; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Januar 2003 – 4 W 66/03 – JURIS-Dokument Rdnr. 8, OLG Celle, Beschluss vom 5. Februar 2007 – 6 W 2/07 – JURIS-Dokument Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO [73. Aufl., 2015], 121 Rndr. 1; Hüßtege, in; Thomas/Putzo, ZPO [33. Aufl., 2012], § 78c Rdnr. 5; Motzer, in: Münchener Kommentar zur ZPO [3. Aufl., 2008], § 121 Rdnr. 21; Wittenstein, in: Bahrenfuss, FamFG, [2. Aufl., 2013], § 78 Rdnr. 18).
Die Frage der Antragsbefugnis kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben (ebenso bereits Sächs. LSG, Beschluss vom 30. März 2015 – L 3 AS 973/13 B ER – [n. v.]), weil der Antrag in der Sache keinen Erfolg hat.
b) Die Anwaltsbeiordnung im Prozesskostenhilfebeschluss vom 23. Juni 2014 erfolgte ordnungsgemäß. Gründe für eine rückwirkende Aufhebung sind nicht gegeben.
(1) Die Beiordnung eines Rechtsanwalts erfolgt im Prozesskostenhilfeverfahren nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO). Wenn, wie im Verfahren vor dem Landessozialgericht, eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (vgl. § 121 Abs. 2 ZPO). Vorliegend hat die Klägerin persönlich am 10. Juli 2012 die Beiordnung der zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwältin beantragt und somit von ihrem Wahlrecht gebraucht gemacht. Die Beiordnung ist mit Beschluss vom 23. Juni 2014 erfolgt.
(2) Ein formaler Mangel, der eine Aufhebung der Beiordnungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen könnte, lag bei der Entscheidung über die Anwaltsbeiordnung nicht vor.
Soweit die Klägerin unter Verweis auf § 73 Abs. 6 SGG geltend macht, dass für die beigeordnete Rechtsanwältin keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, kommt es hierauf zum Zeitpunkt der Anwaltsbeiordnung nicht an. Denn ein im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO "zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt" muss noch nicht notwendigerweise mandatiert sein. In diesem Sinne hat bereits das Reichsgericht entschieden. Es hat ausgeführt, dass der Zweck der Beiordnung, die – vorläufige unentgeltliche – Wahrnehmung der Rechte der armen Partei, regelmäßig dadurch erfüllt werde, dass sich der beigeordnete Rechtsanwalt bereit hält, mit der Partei einen Dienstvertrag abzuschließen, um nach seinem Zustandekommen für sie tätig zu werden (vgl. RG, Urteil vom 26. November 1926 – III 536/25 – RGZ 115, 60 [62]). Den Rechtsanwalt würden schon mit seiner Beiordnung Fürsorgepflichten treffen. So sei er verpflichtet, auf die Auftragserteilung durch die Partei hinzuwirken sowie das zur Wahrung von Fristen Notwendige zu veranlassen, ehe er in vertragliche Beziehungen mit der Partei getreten ist (vgl. RG, Urteil vom 26. November 1926, a. a. O., S. 62 f.). Dieser Entscheidung folgend hat der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden, dass die Beiordnung selbst noch nicht einen Vertrag oder ein Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und der Partei begründe. Die Partei müsse den beigeordneten Anwalt mit ihrer Vertretung noch beauftragen und ihm für sein Auftreten eine Vollmacht erteilen. Erst dann entstehe ein Vertragsverhältnis zwischen Partei und Rechtsanwalt. Der beigeordnete Rechtsanwalt habe allerdings schon vor Erteilung dieses privatrechtlichen Auftrages gewisse Fürsorge-, Belehrungs- und Betreuungspflichten, die jedoch nicht auf Vertrag beruhten (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 22. Juni 1959 – III ZR 52/58 – BGHZ 30, 226 [228 f.] = JURIS-Dokument Rdnr. 7; BGH, Urteil vom 1. März 1973 – III ZR 188/71 – BGHZ 60, 255 [258] = JURIS-Dokument Rdnr. 8).
Unabhängig davon ist zwar gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 ZPO die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Auch hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 1 ZPO). Dies gilt jedoch nicht, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 2 ZPO).
(3) In Bezug auf das Aufhebungsbegehren in der Sache kann schließlich dahingestellt bleiben, ob derjenige, dem Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, in einem Verfahren ohne Vertretungszwang, wie dem vorliegenden gemäß § 73 Abs. 1 SGG, ohne konkreten Anlass die Aufhebung der Anwaltsbeiordnung verlangen kann, um das Verfahren wieder selbst führen zu können, oder ob wie bei dem Antrag auf Beiordnung eines neuen Rechtsanwaltes eine Situation vorliegen muss, die auch eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, veranlasst hätte, sich von dem bisherigen Rechtsanwalt zu trennen. Denn für beide Fälle fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Aufhebungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit.
Im Übrigen wäre das von der Klägerin vorgetragene gestörte Vertrauensverhältnis zu ihrer früheren Rechtsanwältin kein ausreichender Anlass für eine rückwirkende Aufhebung der Anwaltsbeiordnung. Denn die Störungen traten erst auf, als der Klägerin der von ihrer damaligen Rechtsanwältin erklärte Rechtsmittelverzicht bekannt wurde. Diese Kenntnis erlangte sie aber erst nach dem Abschluss des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 mit Beschluss vom 23. Juni 2014 ausgesprochenen Beiordnung ihrer damaligen Bevollmächtigten.
Im Verfahren Az. L 3 AL 55/12 begehrte die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten auf Bewilligung einer Kraftfahrzeugbeihilfe. Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 wurde ihr Prozesskostenbeihilfe bewilligt und ihre damalige Bevollmächtigte beigeordnet. Die Berufung wurde mit Urteil vom 9. April 2015 zurückgewiesen. Nach Verkündung des Urteilstenors in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 erklärten sowohl die für die Klägerin erschienene Rechtsanwältin als auch die Beklagtenvertreterin den Verzicht auf Rechtsmittel.
Mit Telefax vom 13. April 2015 hat die Klägerin den Widerruf des durch ihre Bevollmächtigte erklärten Rechtsmittelverzichts erklärt. Ihre frühere Rechtsanwältin hat mit Telefax vom 14. April 2015 vorsorglich den Widerruf des Rechtsmittelverzichts erklärt. Beide haben vorgetragen, dass keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, und dass die Klägerin ihre Bevollmächtigte nicht ermächtigt habe, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären.
Die Klägerin hat mit Telefax vom 14. April 2015 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Dieses Verfahren ist unter dem Az. L 3 AL 83/15 geführt worden ...
Mit Telefax vom 5. Mai 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr "eine Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin wegen des massiven Vertrauensbruchs nicht mehr zumutbar" sei. Sie nehme daher ihre Rechte jetzt selber wahr. Schriftverkehr sei an sie selbst zu richten. Vorsorglich beantrage sie die Aufhebung der Beiordnung der Rechtsanwältin im Verfahren Az. L 3 AL 55/12.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des zugehörigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
II.
1. Die im Verfahren Az. L 3 AL 83/15 beantragte Aufhebung der Anwaltsbeiordnung betrifft nur das Berufungsverfahren Az. L 3 AL 55/12. Denn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG] i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung [(ZPO]). In diesem Sinne ist das Wiederaufnahmeverfahren im Verhältnis zum vorangegangenen Verfahren, hier dem Berufungsverfahren, ein neuer Rechtszug. Dies ergibt sich Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes ist der Begriff des Rechtszuges kostenrechtlich zu verstehen und erfasst jeden Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2004 – IX ZB 565/02 – NJW 2004, 3260 = MDR 2005, 50 = JURIS-Dokument Rdnr. 16, m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2008 – 5 B 204/07, 5 B 204/07 [5 PKH 30/07] – NJW 2008, 3157 = DÖV 2008, 827 = JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung [73. Aufl., 2015], § 119 Rdnr. 30; Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 119 Rdnr. 1, m. w. N.). Gemäß § 35 des Gerichtskostengesetzes (GKG) werden die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen und die Gebühr für eine Entscheidung in jedem Rechtszug hinsichtlich eines jeden Teils des Streitgegenstands nur einmal erhoben. Der zeitliche Rahmen eines Rechtzuges wird für beide Regelungen dahingehend definiert, dass ein Rechtszug mit dem einleitenden Antrag beginnt und mit der abschließenden Entscheidung oder anderweitigen endgültigen Erledigung endet (vgl. zu § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO: BGH, Beschluss vom 25. April 2007 – XII ZB 179/06 – NJW-RR 2007, 1439 = MDR 2007, 1032 = JURIS-Dokument Rdnr. 11, m. w. N.; zu § 35 GKG: Hartmann, Kostengesetze [45. Aufl., 2015], § 35 GKG Rdnr. 5). Daraus wird gefolgert, dass ein Wiederaufnahmeverfahren im Sinne von §§ 578 ff. ZPO, das wegen der ausdrücklichen Regelung in § 578 Abs. 1 ZPO immer ein "durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens" voraussetzt, ein neuer Rechtszug im Sinne von § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, a. a. O., § 119 Rdnr. 51; Geimer, a. a. O., § 119 Rdnr. 29; vgl. auch Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung [30. Aufl., 2014], § 584 Rdnr. 4).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes handelt es sich bei einem Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG i. V. m. §§ 578 ff. ZPO um einen eigenen Rechtszug im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dies wird jedoch nicht kostenrechtlich, sondern prozessrechtlich damit begründet, dass es sich bei einem Wiederaufnahmeantrag um einen außerordentlichen Rechtsbehelf zur Beseitigung der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 2. März 2004 – B 9 V 7/04 B – JURIS-Dokument Rdnr. 3)
2. Der Antrag auf Aufhebung der Rechtsanwaltsbeiordnung war abzulehnen. Hierbei kann offen bleiben, ob die Klägerin antragsbefugt ist (a). Denn es liegen jedenfalls keine dieses Begehren stützendenden Gründe vor (b).
a) In Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums wird die Auffassung vertreten, dass nach § 48 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nur der beigeordnete Anwalt, nicht aber die von ihm betreute Partei die Entpflichtung und Beiordnung eines anderen Anwalts beantragen kann und somit der Antragstellerin hier bereits die Antragsbefugnis fehlen würde (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. November 1993 – 6 WF 102/93 – JURIS-Dokument; OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2002 – 9 WF 232/00 – FamRZ 2002, 89; Geimer, a. a. O., § 121 Rdnr. 34).
Nach anderer Auffassung ist auch die Partei selbst berechtigt, die Entpflichtung des ihr beigeordneten Anwalts und die Beiordnung eines anderen Anwalts zu beantragen, wenn hierfür ein wichtiger Grund besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. August 2001 – 8 PKH 10/00, 8 C 20/00 – JURIS-Dokument Rdnr. 1; BFH, Beschluss vom 19. März 2013 – XI S 2/13 [PKH] – JURIS-Dokument Rdnr. 7; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Januar 2003 – 4 W 66/03 – JURIS-Dokument Rdnr. 8, OLG Celle, Beschluss vom 5. Februar 2007 – 6 W 2/07 – JURIS-Dokument Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO [73. Aufl., 2015], 121 Rndr. 1; Hüßtege, in; Thomas/Putzo, ZPO [33. Aufl., 2012], § 78c Rdnr. 5; Motzer, in: Münchener Kommentar zur ZPO [3. Aufl., 2008], § 121 Rdnr. 21; Wittenstein, in: Bahrenfuss, FamFG, [2. Aufl., 2013], § 78 Rdnr. 18).
Die Frage der Antragsbefugnis kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben (ebenso bereits Sächs. LSG, Beschluss vom 30. März 2015 – L 3 AS 973/13 B ER – [n. v.]), weil der Antrag in der Sache keinen Erfolg hat.
b) Die Anwaltsbeiordnung im Prozesskostenhilfebeschluss vom 23. Juni 2014 erfolgte ordnungsgemäß. Gründe für eine rückwirkende Aufhebung sind nicht gegeben.
(1) Die Beiordnung eines Rechtsanwalts erfolgt im Prozesskostenhilfeverfahren nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO). Wenn, wie im Verfahren vor dem Landessozialgericht, eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (vgl. § 121 Abs. 2 ZPO). Vorliegend hat die Klägerin persönlich am 10. Juli 2012 die Beiordnung der zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwältin beantragt und somit von ihrem Wahlrecht gebraucht gemacht. Die Beiordnung ist mit Beschluss vom 23. Juni 2014 erfolgt.
(2) Ein formaler Mangel, der eine Aufhebung der Beiordnungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen könnte, lag bei der Entscheidung über die Anwaltsbeiordnung nicht vor.
Soweit die Klägerin unter Verweis auf § 73 Abs. 6 SGG geltend macht, dass für die beigeordnete Rechtsanwältin keine schriftliche Vollmacht vorgelegen habe, kommt es hierauf zum Zeitpunkt der Anwaltsbeiordnung nicht an. Denn ein im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO "zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt" muss noch nicht notwendigerweise mandatiert sein. In diesem Sinne hat bereits das Reichsgericht entschieden. Es hat ausgeführt, dass der Zweck der Beiordnung, die – vorläufige unentgeltliche – Wahrnehmung der Rechte der armen Partei, regelmäßig dadurch erfüllt werde, dass sich der beigeordnete Rechtsanwalt bereit hält, mit der Partei einen Dienstvertrag abzuschließen, um nach seinem Zustandekommen für sie tätig zu werden (vgl. RG, Urteil vom 26. November 1926 – III 536/25 – RGZ 115, 60 [62]). Den Rechtsanwalt würden schon mit seiner Beiordnung Fürsorgepflichten treffen. So sei er verpflichtet, auf die Auftragserteilung durch die Partei hinzuwirken sowie das zur Wahrung von Fristen Notwendige zu veranlassen, ehe er in vertragliche Beziehungen mit der Partei getreten ist (vgl. RG, Urteil vom 26. November 1926, a. a. O., S. 62 f.). Dieser Entscheidung folgend hat der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden, dass die Beiordnung selbst noch nicht einen Vertrag oder ein Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und der Partei begründe. Die Partei müsse den beigeordneten Anwalt mit ihrer Vertretung noch beauftragen und ihm für sein Auftreten eine Vollmacht erteilen. Erst dann entstehe ein Vertragsverhältnis zwischen Partei und Rechtsanwalt. Der beigeordnete Rechtsanwalt habe allerdings schon vor Erteilung dieses privatrechtlichen Auftrages gewisse Fürsorge-, Belehrungs- und Betreuungspflichten, die jedoch nicht auf Vertrag beruhten (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 22. Juni 1959 – III ZR 52/58 – BGHZ 30, 226 [228 f.] = JURIS-Dokument Rdnr. 7; BGH, Urteil vom 1. März 1973 – III ZR 188/71 – BGHZ 60, 255 [258] = JURIS-Dokument Rdnr. 8).
Unabhängig davon ist zwar gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 ZPO die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Auch hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 1 ZPO). Dies gilt jedoch nicht, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 2 ZPO).
(3) In Bezug auf das Aufhebungsbegehren in der Sache kann schließlich dahingestellt bleiben, ob derjenige, dem Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, in einem Verfahren ohne Vertretungszwang, wie dem vorliegenden gemäß § 73 Abs. 1 SGG, ohne konkreten Anlass die Aufhebung der Anwaltsbeiordnung verlangen kann, um das Verfahren wieder selbst führen zu können, oder ob wie bei dem Antrag auf Beiordnung eines neuen Rechtsanwaltes eine Situation vorliegen muss, die auch eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, veranlasst hätte, sich von dem bisherigen Rechtsanwalt zu trennen. Denn für beide Fälle fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Aufhebungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit.
Im Übrigen wäre das von der Klägerin vorgetragene gestörte Vertrauensverhältnis zu ihrer früheren Rechtsanwältin kein ausreichender Anlass für eine rückwirkende Aufhebung der Anwaltsbeiordnung. Denn die Störungen traten erst auf, als der Klägerin der von ihrer damaligen Rechtsanwältin erklärte Rechtsmittelverzicht bekannt wurde. Diese Kenntnis erlangte sie aber erst nach dem Abschluss des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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