Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AS 1162/15 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 424/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden Grundrechte Rechnung zu tragen.
Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung desto intensiver ist die rechtliche Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung desto intensiver ist die rechtliche Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer I des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 ab dem 1. August 2015 dahingehend abgeändert, dass der Antragstellerin zu 1) eine Regelleistung in Höhe von 142,88 EUR zu gewähren ist.
III. Ziffern II und III des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 werden für die Zeit ab dem 1. August 2015 aufgehoben.
IV. Ziffer IV des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 wird aufgehoben.
V. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
VI. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 01.05.2015 streitig.
Die 1975 geborene Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin zu 1 (Bf zu 1) besitzt die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Ihr 2000 geborener Sohn, der Antragsteller, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner zu 2 (Bf zu 2) besitzt sowohl die US-amerikanische Staatsangehörigkeit als auch die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs von Großbritannien. Sie lebten bis Februar 2015 in London. Nach eigenen Angaben reisten die Bf am 23.02.2015 nach Deutschland ein und wohnten zunächst in A-Stadt bei einem Freund. Mitte Mai 2015 wurden sie von der Landeshauptstadt A-Stadt in einer Notunterkunft untergebracht, die sie, nach Aktenlage, Anfang Juni wieder verlassen mussten. Zwischenzeitlich lebten sie in verschiedenen Pensionen, zuletzt gab die Bf zu 1) an, dass sie sich in einer Notunterkunft in P. befinde.
Am 27.05.2015 beantragten die Bf Leistungen nach dem SGB II beim Antragsgegner, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Bg). Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 29.05.2015 abgelehnt, da die Bf vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen seien. Mit nicht unterschriebenem Telefax vom 29.05.2015 legte die Bf zu 1) Widerspruch gegen diesen Bescheid ein.
Ebenfalls am 29.05.2015 beantragten die Bf beim Sozialgericht München, den Bg im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihnen umgehend Leistungen zu gewähren. Die Bf zu 1) legte ihre Aufenthaltskarte vor, nach der ihr als Familienangehörige eines EU-Staatsangehörigen gemäß § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/ EU (FreizügG/EU) die Erwerbstätigkeit gestattet ist. Sie gab weiter an, dass ihr Sohn in L. die Mittelschule besuche und dass sie entweder in der Bahnhofsmission oder in einer günstigen Pension übernachte. Sie verfüge über kein Vermögen im In- oder Ausland. Der Bf zu 2) erhalte von seinem Vater monatlich 500 $ Kindesunterhalt. Die Bf zu 1) beziehe noch aus dem Vereinigten Königreich Work and Child Tax Credit in Höhe von wöchentlich 153 £. Diese Leistung könne sie jedoch nicht mehr erhalten, wenn sie dauerhaft in Deutschland bleiben würde. Außerdem erhalte sie für Internetdienstleistungen von einem Kunden monatlich ca. 200 EUR.
Mit Beschluss vom 16.06.2015 verpflichtete das Sozialgericht den Bg, der Bf zu 1) ab dem 15.06.2015 bis zum 31.08.2015 eine Regelleistung in Höhe von monatlich 285,72 EUR sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 300 EUR vorläufig zu gewähren. Der Bg wurde weiter verpflichtet, dem Bf zu 2) für die Zeit vom 15.06.2015 bis zum 31.08.2015 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 129,68 EUR vorläufig zu gewähren. Unter Ziffer IV des Tenors wurde der Bg dem Grunde nach vorläufig verpflichtet, den Bf ein Kautionsdarlehen für eine angemessene Unterkunft zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass die Bf hilfebedürftig seien. Das Vorliegen eines Aufenthaltsrechtes zur Arbeitsuche lasse sich nicht positiv feststellen. Ob den Bf wegen des Schulbesuchs des Bf zu 2) ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zustehe, könne dahin stehen. Da es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um Leistungen zur Existenzsicherung handele, werde der Bg im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II in tenorierter Höhe zu gewähren. Wegen der Kosten der Unterkunft und Heizung ging das Sozialgericht von einem Bedarf in Höhe von monatlich 600 EUR aus, da die Bf zu 1) angegeben habe, dass sie eine Wohnung für 550 EUR anmieten könne. Außerdem sei die Gewährung eines Kautionsdarlehens erforderlich, um die Wohnung anmieten zu können.
Am 24.06.2015 hat der Bg gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bf würden nicht bestritten. Nach Auffassung des Bg sei aber ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch nicht gegeben und der Beschluss des Sozialgerichts daher aufzuheben. Unabhängig von der ausländerrechtlichen Problematik seien die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht gegeben, da der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland fehlen würde. Die Bf seien ohne festen Wohnsitz und ihr derzeitiger Aufenthalt unbekannt. Es fehle an der Hilfebedürftigkeit der Bf. Der Unterkunftsbedarf sei nicht nachgewiesen. Das Sozialgericht habe pauschal einen Betrag in Höhe von 600 EUR als hypothetischen Unterkunftsbedarf zu Grunde gelegt. Außerdem ist der Bg der Meinung, dass die Bf wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.
Die Bf haben am 29.06.2015 ebenfalls Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 eingelegt und beantragt, dass ihnen höhere Leistungen in Höhe von je 425 EUR für Unterkunft und Heizung gewährt werden. Sie hätten bisher noch keine Wohnung finden können. Sie seien auf eine Unterbringung in Hotels/ Pensionen angewiesen. Beispielhaft werde eine Aufstellung der Kosten zwischen dem 26. und 28.06.2015 übersandt. Hieraus sei ersichtlich, dass Unterbringungskosten in Höhe von 74 EUR pro Nacht anfallen würden. Bei Berücksichtigung der Preisschwankungen sei ein Mittelwert von 60 EUR pro Nacht realistisch.
Bei einer Vorsprache beim Bg am 29.06.2015 gab die Bf zu 1) an, dass sie ein Einkommen von etwa 250 EUR aus Selbstständigkeit habe, 500 EUR Kindesunterhalt erhalte und 184 EUR Kindergeld. Zuletzt hat die Bf zu 1) dem Senat telefonisch mitgeteilt, dass sie in einer Notunterkunft in P. lebe.
Die Bf beantragen, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 abzuändern und den Beschwerdeführern höhere Leistungen in Höhe von je 425 EUR für Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Bg beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Bg sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sind zulässig. Die Beschwerde der Bf ist unbegründet. Die Beschwerde des Bg ist teilweise begründet.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO) oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte, ist es von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, Rn. 3, juris). Übernimmt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris).
Ein Anordnungsgrund ist hier glaubhaft gemacht. Der Senat entscheidet aufgrund einer Folgenabwägung, da eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache wegen des weiteren Ermittlungsbedarfs nicht möglich ist. Im Rahmen der Folgenabwägung ist die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Bf gegen das fiskalische Interesse des Bg abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten. Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache muss hier die Folgenabwägung zugunsten der Bf ausgehen, da existenzsichernde Leistungen streitig sind und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen ist, das unverfügbar ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Die Bf zu 1) ist auf existenzsichernde Leistungen angewiesen. Ihr Lebensunterhalt ist derzeit nicht gesichert. Ob die Bf einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, kann der erkennende Senat im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend klären, da insbesondere der Aufenthaltsstatus der Bf zu 1) unklar ist. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist in der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Damit kann nicht abschließend beurteilt werden, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsausspruch ausgenommen sind, einem Leistungsanspruch der Bf entgegensteht. Für den Senat steht allerdings entgegen der Annahme des Bg fest, dass die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zuletzt hat die Bf zu 1) mitgeteilt, dass sie sich in einer Notunterkunft in P. aufhalten würden. Dies ist zur Glaubhaftmachung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausreichend, zumal der Bf zu 2) eine Mittelschule in A-Stadt besucht.
Im Beschwerdeverfahren konnten die Bf allerdings nicht mehr ausreichend einen Bedarf für Kosten für Unterkunft und Heizung glaubhaft machen. Auch wenn sie für den Monat Juni und Juli noch Nachweise zu Übernachtungen in Pensionen und Hotels vorgelegt haben, steht nunmehr fest, dass sie sich derzeit in einer Notunterkunft befinden. Welche Kosten den Bf hierfür entstehen, ist dem Senat nicht bekannt. Da die Bf zu 1) nicht bereit war, die Adresse dieser Notunterkunft bekannt zu geben, waren weitere Ermittlungen hinsichtlich dieser Kosten nicht möglich. Daher geht der Senat davon aus, dass die Bf einen Bedarf in Höhe des Regelbedarfs, der für die Bf zu 1) 399 EUR und für den Bf zu 2) 302 EUR beträgt, ergänzt um den Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 47,88 EUR haben. Da der Bf zu 2) Unterhaltsleistungen seines Vaters erhält, die seinen Bedarf vollständig decken, ist Ziffer III des Beschlusses des Sozialgerichts für die Zeit ab August 2015 aufzuheben. Die Bf zu 1) hat einen ungedeckten Bedarf in Höhe von 142,88 EUR. Dieser Bedarf ergibt sich nach Anrechnung des Kindergeldes und des um die Freibeträge nach § 11a Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 SGB II bereinigten Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit. Daher ist Ziffer II des Beschlusses ab August 2015 aufzuheben und Ziffer I des Beschlusses dahingehend abzuändern, dass der Bf zu 1) eine Regelleistung in Höhe von 142,88 EUR vorläufig gewährt wird.
Ziffer IV des Beschlusses ist aufzuheben, da eine Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II als Voraussetzung für ein Kautionsdarlehen nur im Hinblick auf konkret vorliegende Wohnungsangebote erfolgen kann (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2011, L 11 AS 250/11 B ER, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer I des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 ab dem 1. August 2015 dahingehend abgeändert, dass der Antragstellerin zu 1) eine Regelleistung in Höhe von 142,88 EUR zu gewähren ist.
III. Ziffern II und III des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 werden für die Zeit ab dem 1. August 2015 aufgehoben.
IV. Ziffer IV des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16. Juni 2015 wird aufgehoben.
V. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
VI. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 01.05.2015 streitig.
Die 1975 geborene Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin zu 1 (Bf zu 1) besitzt die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Ihr 2000 geborener Sohn, der Antragsteller, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner zu 2 (Bf zu 2) besitzt sowohl die US-amerikanische Staatsangehörigkeit als auch die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs von Großbritannien. Sie lebten bis Februar 2015 in London. Nach eigenen Angaben reisten die Bf am 23.02.2015 nach Deutschland ein und wohnten zunächst in A-Stadt bei einem Freund. Mitte Mai 2015 wurden sie von der Landeshauptstadt A-Stadt in einer Notunterkunft untergebracht, die sie, nach Aktenlage, Anfang Juni wieder verlassen mussten. Zwischenzeitlich lebten sie in verschiedenen Pensionen, zuletzt gab die Bf zu 1) an, dass sie sich in einer Notunterkunft in P. befinde.
Am 27.05.2015 beantragten die Bf Leistungen nach dem SGB II beim Antragsgegner, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Bg). Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 29.05.2015 abgelehnt, da die Bf vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen seien. Mit nicht unterschriebenem Telefax vom 29.05.2015 legte die Bf zu 1) Widerspruch gegen diesen Bescheid ein.
Ebenfalls am 29.05.2015 beantragten die Bf beim Sozialgericht München, den Bg im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihnen umgehend Leistungen zu gewähren. Die Bf zu 1) legte ihre Aufenthaltskarte vor, nach der ihr als Familienangehörige eines EU-Staatsangehörigen gemäß § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/ EU (FreizügG/EU) die Erwerbstätigkeit gestattet ist. Sie gab weiter an, dass ihr Sohn in L. die Mittelschule besuche und dass sie entweder in der Bahnhofsmission oder in einer günstigen Pension übernachte. Sie verfüge über kein Vermögen im In- oder Ausland. Der Bf zu 2) erhalte von seinem Vater monatlich 500 $ Kindesunterhalt. Die Bf zu 1) beziehe noch aus dem Vereinigten Königreich Work and Child Tax Credit in Höhe von wöchentlich 153 £. Diese Leistung könne sie jedoch nicht mehr erhalten, wenn sie dauerhaft in Deutschland bleiben würde. Außerdem erhalte sie für Internetdienstleistungen von einem Kunden monatlich ca. 200 EUR.
Mit Beschluss vom 16.06.2015 verpflichtete das Sozialgericht den Bg, der Bf zu 1) ab dem 15.06.2015 bis zum 31.08.2015 eine Regelleistung in Höhe von monatlich 285,72 EUR sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 300 EUR vorläufig zu gewähren. Der Bg wurde weiter verpflichtet, dem Bf zu 2) für die Zeit vom 15.06.2015 bis zum 31.08.2015 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 129,68 EUR vorläufig zu gewähren. Unter Ziffer IV des Tenors wurde der Bg dem Grunde nach vorläufig verpflichtet, den Bf ein Kautionsdarlehen für eine angemessene Unterkunft zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass die Bf hilfebedürftig seien. Das Vorliegen eines Aufenthaltsrechtes zur Arbeitsuche lasse sich nicht positiv feststellen. Ob den Bf wegen des Schulbesuchs des Bf zu 2) ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zustehe, könne dahin stehen. Da es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um Leistungen zur Existenzsicherung handele, werde der Bg im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II in tenorierter Höhe zu gewähren. Wegen der Kosten der Unterkunft und Heizung ging das Sozialgericht von einem Bedarf in Höhe von monatlich 600 EUR aus, da die Bf zu 1) angegeben habe, dass sie eine Wohnung für 550 EUR anmieten könne. Außerdem sei die Gewährung eines Kautionsdarlehens erforderlich, um die Wohnung anmieten zu können.
Am 24.06.2015 hat der Bg gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bf würden nicht bestritten. Nach Auffassung des Bg sei aber ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch nicht gegeben und der Beschluss des Sozialgerichts daher aufzuheben. Unabhängig von der ausländerrechtlichen Problematik seien die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht gegeben, da der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland fehlen würde. Die Bf seien ohne festen Wohnsitz und ihr derzeitiger Aufenthalt unbekannt. Es fehle an der Hilfebedürftigkeit der Bf. Der Unterkunftsbedarf sei nicht nachgewiesen. Das Sozialgericht habe pauschal einen Betrag in Höhe von 600 EUR als hypothetischen Unterkunftsbedarf zu Grunde gelegt. Außerdem ist der Bg der Meinung, dass die Bf wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.
Die Bf haben am 29.06.2015 ebenfalls Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 eingelegt und beantragt, dass ihnen höhere Leistungen in Höhe von je 425 EUR für Unterkunft und Heizung gewährt werden. Sie hätten bisher noch keine Wohnung finden können. Sie seien auf eine Unterbringung in Hotels/ Pensionen angewiesen. Beispielhaft werde eine Aufstellung der Kosten zwischen dem 26. und 28.06.2015 übersandt. Hieraus sei ersichtlich, dass Unterbringungskosten in Höhe von 74 EUR pro Nacht anfallen würden. Bei Berücksichtigung der Preisschwankungen sei ein Mittelwert von 60 EUR pro Nacht realistisch.
Bei einer Vorsprache beim Bg am 29.06.2015 gab die Bf zu 1) an, dass sie ein Einkommen von etwa 250 EUR aus Selbstständigkeit habe, 500 EUR Kindesunterhalt erhalte und 184 EUR Kindergeld. Zuletzt hat die Bf zu 1) dem Senat telefonisch mitgeteilt, dass sie in einer Notunterkunft in P. lebe.
Die Bf beantragen, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 abzuändern und den Beschwerdeführern höhere Leistungen in Höhe von je 425 EUR für Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Bg beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16.06.2015 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Bg sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sind zulässig. Die Beschwerde der Bf ist unbegründet. Die Beschwerde des Bg ist teilweise begründet.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO) oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte, ist es von Verfassung wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, Rn. 3, juris). Übernimmt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris).
Ein Anordnungsgrund ist hier glaubhaft gemacht. Der Senat entscheidet aufgrund einer Folgenabwägung, da eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache wegen des weiteren Ermittlungsbedarfs nicht möglich ist. Im Rahmen der Folgenabwägung ist die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Bf gegen das fiskalische Interesse des Bg abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten. Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache muss hier die Folgenabwägung zugunsten der Bf ausgehen, da existenzsichernde Leistungen streitig sind und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen ist, das unverfügbar ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Die Bf zu 1) ist auf existenzsichernde Leistungen angewiesen. Ihr Lebensunterhalt ist derzeit nicht gesichert. Ob die Bf einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, kann der erkennende Senat im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend klären, da insbesondere der Aufenthaltsstatus der Bf zu 1) unklar ist. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist in der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Damit kann nicht abschließend beurteilt werden, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsausspruch ausgenommen sind, einem Leistungsanspruch der Bf entgegensteht. Für den Senat steht allerdings entgegen der Annahme des Bg fest, dass die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zuletzt hat die Bf zu 1) mitgeteilt, dass sie sich in einer Notunterkunft in P. aufhalten würden. Dies ist zur Glaubhaftmachung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausreichend, zumal der Bf zu 2) eine Mittelschule in A-Stadt besucht.
Im Beschwerdeverfahren konnten die Bf allerdings nicht mehr ausreichend einen Bedarf für Kosten für Unterkunft und Heizung glaubhaft machen. Auch wenn sie für den Monat Juni und Juli noch Nachweise zu Übernachtungen in Pensionen und Hotels vorgelegt haben, steht nunmehr fest, dass sie sich derzeit in einer Notunterkunft befinden. Welche Kosten den Bf hierfür entstehen, ist dem Senat nicht bekannt. Da die Bf zu 1) nicht bereit war, die Adresse dieser Notunterkunft bekannt zu geben, waren weitere Ermittlungen hinsichtlich dieser Kosten nicht möglich. Daher geht der Senat davon aus, dass die Bf einen Bedarf in Höhe des Regelbedarfs, der für die Bf zu 1) 399 EUR und für den Bf zu 2) 302 EUR beträgt, ergänzt um den Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 47,88 EUR haben. Da der Bf zu 2) Unterhaltsleistungen seines Vaters erhält, die seinen Bedarf vollständig decken, ist Ziffer III des Beschlusses des Sozialgerichts für die Zeit ab August 2015 aufzuheben. Die Bf zu 1) hat einen ungedeckten Bedarf in Höhe von 142,88 EUR. Dieser Bedarf ergibt sich nach Anrechnung des Kindergeldes und des um die Freibeträge nach § 11a Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 SGB II bereinigten Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit. Daher ist Ziffer II des Beschlusses ab August 2015 aufzuheben und Ziffer I des Beschlusses dahingehend abzuändern, dass der Bf zu 1) eine Regelleistung in Höhe von 142,88 EUR vorläufig gewährt wird.
Ziffer IV des Beschlusses ist aufzuheben, da eine Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II als Voraussetzung für ein Kautionsdarlehen nur im Hinblick auf konkret vorliegende Wohnungsangebote erfolgen kann (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2011, L 11 AS 250/11 B ER, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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