S 15 R 928/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 928/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 29.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.04.2014 gem. § 6 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit bei der D-Firma GmbH als Clinical Study Manager ab dem 01.02.2013 zu erteilen.

II. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die im Jahr 1960 geborene und als Apothekerin ausgebildete Kl. stellte am 24.04.2012 erstmals Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie arbeitet seit dem 01.04.2012 als Projektmanagerin in der klinischen Forschung und ist seit dem 01.10.1986 gesetzliches Pflichtmitglied in der Apothekerkammer. Seit dieser Zeit ist sie auch Mitglied der C ...

Die Kl. legte ihren Anstellungsvertrag vom 12.12.2011 mit der E.-Firma Deutschland GmbH vor. Danach wurde die Kl. als Senior Project Manager eingestellt. Die Stellenbeschreibung sah vor, dass die Kl. klinische Prüfungen mit Arzneimitteln der Phase I-IV vorbereitet, operativ durchführt und abschließt. Sie hatte sicherzustellen, dass der mitwirkende Patient über die Risiken, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie die sachgerechte Anwendung und Aufbewahrung des geprüften Medikaments aufgeklärt wird. Unerwünschte und schwerwiegende Ereignisse waren an die entsprechenden Behörden zu melden. Zudem waren jährliche Sicherheitsberichte und die Darstellung der Nebenwirkungen zu erstellen und den zuständigen Behörden weiterzuleiten. Weiter wurde die Kl. als Vertreterin der Leitung/Management Pharmakovigilanz (Beurteilung von Arzneimittelnebenwirkungen) eingesetzt. Hierfür waren fundierte pharmakologische und pharmakodynamische Kenntnisse eines Apothekers zu Wirkmechanismen, Absorption, Distribution, Metabolismus und Elimination eines Wirkstoffs erforderlich.

Die Arbeitgeberin bescheinigte der Kl., dass die Durchführung klinischer Prüfungen die Fachkompetenz auf dem Gebiet der Pharmakologie, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik erfordern würde. Diese pharmazeutischen Inhalte könnten nicht von anderen Fachrichtungen (Chemie, Physik, Biologie) abgedeckt werden. Die Bayerische Landesapothekerkammer führte im Schreiben vom 04.03.2013 aus, dass die Tätigkeit der Kl. ohne Zweifel eine apothekerliche sei. Der Beruf des Apothekers werde nicht nur in öffentlichen und Krankenhausapotheken ausgeübt. Das Berufsbild des Apothekers sei interdisziplinär definiert. Die apothekerliche Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie umfasse die Bereiche Forschung und Entwicklung. Eine pharmazeutische Tätigkeit würde selbst dann vorliegen, wenn für diese keine Approbation notwendig sei.

Mit Bescheid vom 22.03.2013 wurde die Kl. für ihre Tätigkeit bei der E-Firma Deutschland GmbH mit Wirkung vom 01.04.2012 befreit.

Die Kl. wechselte zum 01.02.2013 zur D-Firma GmbH (nunmehr ONPG), für die sie als Clinical Study Manager in der klinischen Forschung tätig ist. Der entsprechende Befreiungsantrag ging am 03.04.2013 ein. Gemäß des vertraglichen Tätigkeitsprofils ist die Kl. als Clinical Study Manager für onkologische Studien verantwortlich. Die Kl. plant operative Maßnahmen zur Durchführung von onkologischen Studien und setzt diese um. Sie führt interne und externe Projektteilnehmer zum Erreichen von Meilensteinen (mile stones). Ihre Kernaufgaben umfassen die Planung und Umsetzung aller operativen und studienbezogenen Vorgänge. Sie managed eine laufende Studie umfassend und effizient. Als Sponsor (Partner der Kliniken, die die Phase I-Studien durchführen, aus der Pharmaindustrie, die die Studien (co-) finanzieren, vgl. hierzu auch die Begriffsbestimmung in § 4 Abs. 24 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG)) kontrolliert sie die umfassende Risikoaufklärung der Patienten, die operativen Maßnahmen zur Meldung von unerwünschten und schwerwiegenden Ereignissen und überprüft die Einhaltung definierter Bedingungen für die Prüfsubstanz bzgl. Lagerung, Haltbarkeit und Temperatur.

Für die Position sind gem. dem vertraglichen Tätigkeitsprofil insbesondere ein Hochschulstudium im naturwissenschaftlichen Bereich sowie mindestens drei Jahre Erfahrung in der klinischen Forschung sowie die Befähigung zur Planung und Ausführung einer klinischen Studie aus operativer Sicht erforderlich.

Mit Schreiben vom 04.09.2013 vertrat die Bayerische Landesapothekerkammer die Rechtsauffassung, dass auch die neue Tätigkeit eine apothekerliche sei.

Mit Bescheid vom 29.11.2013 wurde der Antrag der Klägerin abgelehnt, da die Tätigkeit der Kl. für ONPG nicht berufsspezifisch sei. Zur Befreiung berechtigten nur Tätigkeiten, für deren Ausübung gesetzlich eine Mitgliedschaft in einer Apothekenkammer und in einem Versorgungswerk für Apotheker vorgeschrieben sei. Die Tätigkeit müsse dem Berufsbild von Apothekern gem. der Bundesapothekerordnung entsprechen. Eine befreiungsfähige Tätigkeit sei nur zu bejahen, wenn die Tätigkeit objektiv zwingend die Approbation als Apotheker voraussetzen würde und diese dem typischen Berufsbild des Apothekers entsprechen würde. Es müsse sich um eine approbationspflichtige Tätigkeit handeln. Die Tätigkeit der Kl. umfasse nicht überwiegend typische Aufgaben eines Apothekers, da diese nicht objektiv zwingend die Qualifikation als Apotheker voraussetzen würden.

Die Aufgabenschwerpunkte der Kl. würden zwar im Bereich der Forschung und Entwicklung von Medikamenten liegen. Jedoch sei eine Approbation als Apotheker für die Ausübung der Stelle nicht zwingend erforderlich. Nach § 15 AMG könnten auch Chemiker, Biologen und Humanmediziner verantwortliche Funktionen in pharmazeutischen Unternehmen bekleiden.

Nach Widerspruch begründete die Kl. diesen damit, dass Biologen, Chemikern und anderen fachfremden Kollegen in ihren jeweiligen Studiengängen fachspezifisch-pharmazeutische Kenntnisse nicht vermittelt würden, so dass § 15 Abs. 2 AMG vorschreibe, dass diese nach dem abgeschlossenen Studium erworben werden müssen und durch eine Prüfung nachzuweisen sind. Dies gelte aber nicht für approbierte Apotheker. Im Übrigen könne ihre Tätigkeit nur von einem approbierten Apotheker ausgeübt werden. ONPG bestätigte dies mit Schreiben vom 18.02.2014. Die Stellenbeschreibung sei allgemein gehalten gewesen. Die besonderen Anforderungen der Stelle der Kl. würden profunde pharmazeutische Kenntnisse voraussetzen. Weiter wird im einzelnen das Tätigkeitsprofil der Kl. beschrieben, u.a. wird darauf hingewiesen, dass die Herstellung von Phase-I-Prüfpräparaten komplexer als die von zugelassenen Präparaten sei, was umfangreiche pharmazeutische Kenntnisse voraussetze.

Die Kl. erläuterte hierzu in der Mündlichen Verhandlung, dass die Phase I die erste Phase in der Medikamentenentwicklung am Patienten sei. Aus der vorherigen nicht-klinischen Forschung könne ein Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil des Medikaments abgeleitet werden. Die Kl. sei verantwortlich für die Aufklärung der Patienten über diese mutmaßten Wirkungen und Risiken. Zudem sei die Substanz noch nicht optimiert, d.h. die Mischung aus Wirksubstanz und Hilfs-/Trägersubstanz, die dem Medikament im Sinne von Lagerbarkeit (Ablaufdatum) und Lagerbedingungen (z.B. Temperatur) entscheidende Eigenschaften vermitteln würden, würde im Laufe der Phase I-Studie ständig angepasst werden. Auch hierfür – z.B. für die ständige Aktualisierung des Verfallsdatums des Medikaments – sei die Kl. zuständig. ONPG müsse zudem aufgrund der europäischen Vorschriften jeden Schritt von der Herstellung, über die Lagerung, den Transport und die Einnahme beim Patienten protokollieren. Hierfür würde die Kl. im Rahmen der Studie verantwortlich zeichnen. So müsste der "Lebenslauf" jeder einzelnen Tablette lückenlos dokumentiert werden ("Drug overall countability") und auch ein ggf. notwendig werdender Rückruf von Medikamenten lückenlos überwacht werden. Für ihre Arbeit sei ihre Ausbildung als Pharmazeutin unabdingbare Voraussetzung, da für ihre Arbeit das Verständnis der Veränderung von Medikamenten, insbesondere auch das Verständnis des Wechselspiels von Wirk- und Hilfssubstanzen unabdingbare Voraussetzung sei. Wirksubstanzen könnten sich durch Licht, Hitze, physikalische Einwirkungen etc. verändern, worauf wiederum Hilfssubstanzen positiv Einfluss nehmen könnten. Eine profunde Kenntnis dieser im eigentlichen Sinne pharmazeutischen Wechselwirkungen sei Voraussetzung für eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Überwachung, Begleitung und Modifikation der Phase I-Studie. Letztlich weise ihre Tätigkeit in Bezug auf die Sicherung der Qualität und Prüfung der Medikamente im Prozessverlauf entscheidende Parallelen zu den Vorgaben der Verordnung über den Betrieb von Apotheken - ApBetrO - auf, die für den Bereich der öffentlichen Apotheken normiert worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2014 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Für die Beschäftigung der Kl. bei der ONPG sei die Approbation als Apothekerin nicht objektiv unabdingbare Voraussetzung. Eine berufsspezifische Tätigkeit sei nicht bereits gegeben, wenn noch Kenntnisse und Fähigkeiten der pharmazeutischen Ausbildung mit verwendet würden, vielmehr müsse es sich um eine approbationspflichtige Tätigkeit handeln. Die Tätigkeit stehe vielmehr auch anderen, nicht verkammerten Berufen offen. Dass ONPG die Kl. wegen ihrer Fachkenntnisse eingestellt habe, sei alleine deren unternehmerische Entscheidung, stelle aber noch keine zwingende Notwendigkeit dar.

Auf die von der Kl. geltend gemachten notwendige Zusatzprüfung nach § 15 Abs. 2 AMG ist die Bekl. nicht weiter eingegangen.

Die Kl. ließ am 23.05.2014 Klage zum Sozialgericht München erheben. Die von der Bekl. angegebene Rechtsprechung würde sich mit der Tätigkeit als Pharmareferent beschäftigen. Die ONPG sei Teil eines weltweit agierenden Konzerns, der die Stellenbeschreibung nicht spezifisch auf deutsche Besonderheiten ausgeben würde. Die Bekl. maße sich an zu beurteilen, welche Qualifikation für die Besetzung der vorhandenen wissenschaftlichen Arbeitsplätze ausreichend ist. Dies sei rechtsirrig, da der Arbeitgeber die Anforderungen an einen Arbeitsplatz definieren würde. Die Kl. arbeite im Rahmen klinischer Studien und sei insbesondere mit Fragen rund um die Kennzeichnungspflicht von Medikamenten betraut. Ausweislich § 14 ApBetrO sei dies eine ausschließlich approbierten Pharmazeuten zugewiesene Tätigkeit. Die Kl. stelle die Kennzeichnung der im Rahmen der Entwicklung hergestellten Arzneimittel gem. den gesetzlichen Anforderungen sicher. Die Approbation sei mithin Voraussetzung für die Ausübung ihrer Tätigkeit.

Die Kl. beantragt:

1. Die Bekl. wird verurteilt, der Kl. unter Aufhebung des Bescheids vom 29.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.04.2014 gem. § 6 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit bei der D-Firma GmbH als Clinical Study Manager ab dem 01.02.2013 zu erteilen. 2. Die Bekl. erstattet der Kl. ihre außergerichtlichen Kosten.

Die Bekl. beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Rechtsprechung zu den Pharmaberatern, wonach für diese Tätigkeit nur eine mittlere Sachkenntnis ausreichend ist und damit die Approbation nicht zwingend Voraussetzung für die Berufsausbildung sei. Sie führt aus, dass der neuen Beschreibung der Tätigkeit kein höherer Beweiswert zukommen würde als der im Arbeitsvertrag enthaltenen, welche klar ausweise, dass auch Nicht-Apotheker diese Tätigkeit ausüben könnten. Die nach außen erkennbaren, objektiven Anhaltspunkte seien bei der Gesamtbeurteilung zur Vorbeugung von Manipulationen in der Tätigkeitsdarstellung heranzuziehen. In der Mündlichen Verhandlung erklärte die Beklagtenvertreterin hierzu, dass diese "objektiven Anhaltspunkte" vorliegend das Tätigkeitsprofil im Arbeitsvertrag sei, wonach auch Nichtpharmazeuten die Tätigkeit ausüben könnten.

Aus den gesetzlichen Vorschriften würde sich – wie § 15 AMG zeige - nicht ergeben, dass ausschließlich approbierte Apotheker Zugang zu den Schlüsselpositionen oder den nachgeordneten Positionen in arzneimittelproduzierenden Unternehmen hätten. Rein theoretisch könnten die Unternehmen ganz ohne approbierte Apotheker auskommen. Zwar gelte die Approbationsordnung der Apotheker als Maßstab für die Beurteilung ausreichender Kenntnisse im Sinne von §§ 14, 15 AMG, aber ein Zugang zur Position als sachkundige Person stehe grundsätzlich auch anderen Hochschulabsolventen der genannten Fächer offen, wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllten.

Die Beigel. war nicht anwesend. Sie unterstützt aber gem. ihren eingereichten Schriftsätzen inhaltlich das Begehren der Kl ... Die Bekl. würde entgegen der Rspr. des BSG eine Befreiung davon abhängig machen, dass die Approbation zwingend Voraussetzung für die Berufsausübung sei. Das BSG habe aber gefordert, dass die Befreiungsfähigkeit anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen sei. Die Beigel. verweist auf § 1 Abs. 1 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer, wonach Apotheker auch in der pharmazeutischen Industrie ihren Beruf ausüben würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Kl. ist durch die angegriffenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - beschwert. Die Bescheide waren aufzuheben und es war die Feststellung zu treffen, dass die Klägerin seit Tätigkeitsbeginn bei der ONPG für die bislang dort ausgeübte Tätigkeit zu befreien ist.

Die Kl. ist von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, wenn sie wegen ihrer Beschäftigung Pflichtmitglied in einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer ist. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 Rn. 34 unter juris). Der Anknüpfungstatbestand ist hierbei die konkrete Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird.

Verfehlt ist die von der Bekl. aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung, dass die Approbation zwingende Voraussetzung für die Tätigkeit in dem Sinne sein müsse, dass diese nur mit Approbation ausgeführt werden könne bzw. dürfe. Dies würde das befreiungsfähige Tätigkeitsprofil eines Apothekers letztlich auf die Tätigkeit in einer öffentlichen oder Krankenhausapotheke verengen, was weder mit § 2 Abs. 2 Bundesapothekerordnung - BApO - noch mit der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) in Einklang zu bringen ist. Sofern die Bekl. meint, sich hierbei auf die Judikatur der Landessozialgerichtsbarkeit, die zum Tätigkeitsprofil der Pharmaberater ergangen ist, stützen zu können, überzeugt auch dies nicht. Zwar wird in diesen Urteilen teilweise der missverständliche Ausdruck gebraucht, dass "die Tätigkeit als Pharmaberater nicht zwingend die Approbation als Arzt, Tierarzt bzw. Apotheker erfordert" (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2009, Az. L 4 R 738/06, Rn. 29, juris; ähnlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09, Rn. 31, juris), andererseits wird aber in der gleichen Judikatur darauf abgestellt, ob die Tätigkeit "berufsspezifisch" (LSG Hessen, Urteil vom 29.03.2007, Az. L 1 KR 344/04, Rn. 24, juris) bzw. "zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehört" (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Da die Approbation im Bereich der pharmazeutischen Industrie als Berufszugangsbedingung von Gesetz wegen nicht existiert, führte der missverständliche Ausdruck der "zwingend erforderlichen Approbation" dazu, dass nur noch für Tätigkeiten im Bereich der öffentlichen und Krankenhaus-Apotheke, für den die Approbation für die Berufsausübung vorausgesetzt wird (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über das Apothekenwesen – ApoG – bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ApoG), nicht aber für Tätigkeiten im pharmazeutisch-industriellen Komplex befreit werden könnte. Dass dies jedoch realitätsfern ist und sich mit den berufsständischen Vorschriften nicht in Einklang bringen lässt, zeigen bereits § 2 Abs. 2 BApO und § 1 Abs. 1 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer, die eine apothekerliche Tätigkeit im Hinblick auf die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten bzw. in der pharmazeutischen Industrie voraussetzen.

Die zitierte Rechtsprechung der Landessozialgerichtsbarkeit ist daher nur unter dem Gesichtspunkt mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang zu bringen, dass die zu beurteilende Tätigkeit zum Kernbereich des apothekerlichen Berufsbilds gehören muss. Dies wiederum ist anhand der einschlägigen kammerrechtlichen Vorschriften, insbesondere unter Beachtung der Berufsordnungen des jeweiligen verkammerten Berufs, zu beurteilen.

Dieses Prüfniveau vorausgesetzt, ist die Aussage der Bekl., dass eine Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie von vorneherein deswegen nicht berufsspezifisch sei, weil dort auch andere akademische Berufe (insbesondere Chemiker, Biochemiker) vertreten sind, ja sogar auf Pharmazeuten gänzlich verzichtet werden könnte, vollständig unverständlich. Mit der gleichen Argumentation ließe sich vertreten, dass die Tätigkeit eines Chemikers in der chemischen Industrie nicht berufsspezifisch sei. Ein Blick in die Approbationsordnung für Apotheker – AAppO - (§§ 17-19) zeigt zudem, dass die Ausbildung der Apotheker interdisziplinär angelegt ist, so dass ein Zusammenarbeiten mit anderen Disziplinen (Chemiker, Biochemiker, ggf. sogar Physiker) bei der Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten im apothekerlichen Berufsbild angelegt ist und daher nicht gegen das Vorliegen einer berufsspezifischen Tätigkeit verwendet werden kann.

In Bezug auf den Pharmazeuten in der pharmazeutischen Industrie hilft auch nicht der Verweis auf § 15 Abs. 1 AMG. Diese Vorschrift steht im Kontext der Erlaubnis der Herstellung von Arzneimitteln (§ 13 ff. AMG), wobei hierfür eine sachkundige Person im Sinne von § 14 AMG erforderlich ist, die die in § 19 AMG beschriebenen Bereiche verantwortet. Danach ist die sachkundige Person dafür verantwortlich, dass jede Charge des Arzneimittels entsprechend den Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln hergestellt und geprüft wurde. Sie hat die Einhaltung dieser Vorschriften für jede Arzneimittelcharge in einem fortlaufenden Register oder einem vergleichbaren Dokument vor deren Inverkehrbringen zu bescheinigen. Der Nachweis der Sachkunde wird mit der Approbation als Apotheker erbracht (in Verbindung mit einer mindestens zweijährigen praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet der qualitativen und quantitativen Analyse sowie sonstiger Qualitätsprüfungen von Arzneimitteln), § 14 Abs. 1 Nr. 1 AMG, so dass es sich hier schon von Gesetzes wegen um ein berufstypisches Betätigungsfeld für Apotheker handelt. Mit anderen Worten, die Tätigkeit als sachkundige Person im Bereich der Herstellung von Medikamenten gehört zum Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit, da die Approbation als Apotheker gesetzlich definierte (hinreichende) Zugangsbedingung ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 14 Abs. 1 Nr. 2 AMG, wonach sachkundige Person auch sein kann, wer das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem Hochschulstudium der Pharmazie, der Chemie, der Biologie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung vorzeigen kann. Denn es ist von der Kl. vollkommen richtig vorgetragen worden, dass § 5 Abs. 2 AMG gerade beweist, dass für die von Gesetzes wegen verlangte Sachkunde ein pharmazeutisches Niveau erforderlich ist, wie es die Ausbildung zum Apotheker gerade vermittelt. Denn wie die Bekl. selbst einräumt, ist die für die anderen Berufsbilder gem. § 5 Abs. 2 AMG erforderliche Zusatzausbildung/-prüfung eng an die Approbationsordnung der Apotheker angelegt, d.h. die anderen Berufe müssen sich von Gesetzes wegen Kenntnisse der Apotheker aneignen. Dies ist aber das Gegenteil von dem, was die Rechtsprechung im Sinne der Pharmaberater-Urteile meinte, wenn noch Kenntnisse und Fähigkeiten der pharmazeutischen Ausbildung mit verwendet werden. Wie dargelegt, werden apothekerliche Kenntnisse nicht "am Rande" ("noch") mit verwendet, sondern sind gesetzlich vorgesehener Kernbestand, wie die enge Anlehnung an die Approbationsordnung für Apotheker beweist. Letztlich kann die erkennende Kammer auch nicht ersehen, weshalb die Bekl. die Tätigkeit der Kl. ein Jahr zuvor für die PFC Deutschland GmbH befreit hat, da die für den streitgegenständlichen Bescheid vorgebrachte Argumentation auch dort gegriffen hätte.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Erwägungen liegt im Hinblick auf eine Tätigkeit eines Pharmazeuten in der pharmazeutischen Industrie im Bereich der Medikamentenentwicklung eine tatsächliche Vermutung vor, dass diese Tätigkeit berufsspezifisch ist. Denn gerade die apothekerliche Aufgabe der Medikamentenentwicklung bzw. -herstellung findet heutzutage nicht mehr in der (öffentlichen) Apotheke, sondern primär in den Kliniken im engen Verbund mit der pharmazeutischen Industrie statt. Nur im Ausnahmefall, der von der Bekl. gesondert zu begründen ist, wird die konkrete Tätigkeit eines Pharmazeuten in der pharmazeutischen Industrie so weit vom Kernbestand der apothekerlichen Tätigkeit entfernt sein, dass eine berufsspezifische Tätigkeit zu verneinen ist. Dem ist für den Bereich der Pharmaberater im Einklang mit der landessozialgerichtlichen Rechtsprechung sicher zuzustimmen.

Ein solcher Ausnahmefall ist hingegen vorliegend nicht gegeben. Die Kl. hat ihre Tätigkeit in der Mündlichen Verhandlung glaubwürdig und nachvollziehbar beschrieben. Danach ist die Kl. für die Aufklärung der Patienten über gemutmaßte Wirkungen und Risiken der neuen Wirksubstanz verantwortlich. Die Substanz ist noch nicht optimiert, d.h. die Mischung aus Wirksubstanz und Hilfs-/Trägersubstanz, die dem Medikament im Sinne von Lagerbarkeit (Ablaufdatum) und Lagerbedingungen (z.B. Temperatur) entscheidende Eigenschaften vermitteln, muss im Laufe der Phase I-Studie ständig angepasst werden. Auch hierfür – z.B. die ständige Aktualisierung des Verfallsdatums des Medikaments – ist die Kl. zuständig (vgl. hierzu für den Bereich der öffentlichen Apotheke § 14 ApBetrO, wonach die Angabe von Verfallsdaten zur Kennzeichnungspflicht eines Apothekers gehört). ONPG muss zudem aufgrund der europäischen Vorschriften jeden Schritt von der Herstellung, über die Lagerung, den Transport und die Einnahme beim Patienten protokollieren. Hierfür zeichnet die Kl. im Rahmen der Studie verantwortlich. So muss sie den "Lebenslauf" jeder einzelnen Tablette lückenlos dokumentieren ("Drug overall countability") und auch einen ggf. notwendig werdenden Rückruf von Medikamenten lückenlos überwachen. Für diese Tätigkeit ist nach der Überzeugung der Kammer ihre Ausbildung als Apothekerin unabdingbare Voraussetzung, da hierfür das Verständnis der Veränderung von Medikamenten, insbesondere auch das Verständnis des Wechselspiels von Wirk- und Hilfssubstanzen unabdingbare Voraussetzung ist. Wirksubstanzen können sich durch Licht, Hitze, physikalische Einwirkungen etc. verändern, worauf wiederum Hilfssubstanzen positiv Einfluss nehmen können. Eine profunde Kenntnis dieser im eigentlichen Sinne pharmazeutischer Wechselwirkungen ist nach der Überzeugung der Kammer aufgrund der Beweisaufnahme, wozu auch die Befragung der Klägerin gehört (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 118 Rn. 8), Voraussetzung für eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Überwachung, Begleitung und Modifikation der Phase I-Studie.

Demgegenüber kann die erkennende Kammer nicht ersehen, dass alleine, weil in der vertraglichen Stellenbeschreibung davon ausgegangen wird, dass ein Hochschulstudium im naturwissenschaftlichen Bereich sowie mindestens drei Jahre Erfahrung in der klinischen Forschung sowie die Befähigung zur Planung und Ausführung einer klinischen Studie aus operativer Sicht ausreichend für die Besetzung der Stelle sei, die Tätigkeit nicht mehr zum Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit gehören würde. Die Bekl. hat sich mit dem Vorbringen der Kl. bzw. von deren Arbeitgeberin nicht ausreichend auseinandergesetzt, sondern vielmehr unterstellt, dass die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 18.02.2014 einen fehlerhaften oder "geschönten" Sachverhalt wiedergeben würde. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die detaillierte Tätigkeitsbeschreibung der Kl. für die Kammer einen höheren Beweiswert hat als die vertragliche Stellenbeschreibung, die von einem internationalen Konzern aus globaler Sicht ohne hinreichende Berücksichtigung der Aufgabe "vor Ort" angefertigt wurde.

Nach allem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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