L 16 R 780/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 R 1295/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 780/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wer eine rumänische Staatsbürgerin, die über keine Arbeitserlaubnis verfügt, als sog. Scheinselbstständige auf freiberuflicher Basis beschäftigt, weil es aufgrund der fehlenden Arbeitserlaubnis keine andere Möglichkeit gegeben hätte, in Deutschland einer Tätigkeit nachzugehen, kann sich regelmäßig nicht darauf berufen, dass er von der Beitragspflicht unverschuldet keine Kenntnis hatte.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 8.983,24 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung in Höhe von 8.983,24 EUR für die Zeit von 07.08.2007 bis zum 03.03.2008 auf Grund einer Betriebsprüfung.

Der 1956 geborene Kläger betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum ein Gebäudereinigungsunternehmen als Subunternehmer für die X Dienstleistungen (Werkvertrag vom 01.10.2004).

Am 02.03.2008 führte das Hauptzollamt A-Stadt im Schloss S. eine Prüfung nach § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) durch. Dort wurden der Kläger und die Beigeladene zu 1) als Reinigungskräfte angetroffen. Die Beigeladene zu 1) ist rumänische Staatsangehörige. Sie legte eine Gewerbeanmeldung vor, verfügte aber über keine gültige Arbeitserlaubnis.

In ihrer Vernehmung am 02.03.2008, die unter Hinzuziehung eines Dolmetschers geführt wurde, gab die Beigeladene zu 1) an, dass sie sich in den Kläger verliebt habe und deswegen nach Deutschland gekommen sei. Weil sie arbeiten müsse, um Geld zu verdienen, habe ihr der Kläger gesagt, dass sie ein Gewerbe anmelden müsse. Sie spreche nur schlecht deutsch und habe selbst keine Kenntnisse über die Rechte und Pflichten eines Gewerbetreibenden. Daher habe ihr Freund alles Erforderliche für sie erledigt (Gewerbeanmeldung, Kontoeröffnung, Steuernummer, Wohnungsanmietung). Dieser erledige auch alle Büroarbeiten und organisiere den gesamten Tagesablauf. Er hole sie morgens in ihrer Wohnung ab und meist würden sie von Montag bis Freitag von 05.00 bis 10.00 Uhr und von 14.00 bis 18.00 Uhr auf verschiedenen Objekten arbeiten, die der Kläger vorgebe. Meist arbeite sie dort gemeinsam mit dem Kläger und zum Teil allein. Sie selbst habe weder Geld noch Arbeitsmittel eingesetzt. Bei den meisten Objekten würden diese von einem Dritten, einem Serben namens D., zur Verfügung gestellt, dessen Beziehung zum Kläger sie nicht kenne. Vertraglich sei nur geregelt, dass sie etwa 2.000 EUR brutto verdiene. Sie führe weder Stundenzettel noch könne sie sagen, wie viel sie insgesamt verdiene. Der Kläger sage ihr auf rumänisch die Summe, die sie dann aufschreibe. Sie wisse auch nicht, wo die Rechnungen hingeschickt würden oder bei welcher Bank sie ein Konto habe, da ihr Freund eine Kontovollmacht habe und alles für sie erledige.

Nach der Vernehmungsniederschrift vom 15.05.2008 bestätigte der Kläger, dass er die Beigeladene zu 1) schon länger kenne und nach der EU-Erweiterung mit ihr vereinbart habe, dass sie nach Deutschland komme und er für sie ein Gewerbe anmelde. Er habe gemeinsam mit ihr eine Wohnung angemietet, die Kaution hinterlegt, ein Konto eröffnet und ihr Reinigungsobjekte zugewiesen sowie die erforderlichen Arbeitsmittel gestellt. Vereinbart gewesen sei ein Stundenlohn von 12 EUR, wobei er die Rechnungen diktiert habe, indem er ihr die Zeiten vorgegeben und sie hieraus ihren Lohn errechnet und aufgeschrieben habe. Den Betrag habe er auf ihr Konto überwiesen, für das er die Verfügungsberechtigung und die Kontoauszüge besitze. Gearbeitet hätte die Beigeladene zu 1) ähnlich wie er zwischen 170 und 190 Stunden (acht Stunden werktags und jedes 2. Wochenende ca. vier Stunden). In der von ihm unterschriebenen Niederschrift erklärte er auch: "Mittlerweise ist mir klar geworden, dass sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mir steht. Mir ist klar geworden, dass ihre Tätigkeit der eines abhängig Beschäftigten entspricht. Allerdings habe ich gedacht, sie ist meine Subunternehmerin, weil ich ihr die Arbeit gegeben habe."

Anschließend führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) durch.

Aufgrund der vorgelegten Rechnungen und anhand der Angaben des Klägers ermittelte sie einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer folgende Einkünfte der Beigeladenen zu 1):

August 2007 2.427,60 EUR September 2007 3.570,00 EUR Oktober 2007 2.955,92 EUR November 2007 3.241,52 EUR Dezember 2007 2.798,88 EUR Januar 2008 3.684,24 EUR Februar 2008 3.555,27 EUR 1. bis 3. März 2008 188,00 EUR (16 Std.)

Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte mit Bescheid vom 10.02.2009 Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Beigeladene zu 1) vom 07.08.2007 bis 02.03.2008 in Höhe von 10.578,89 EUR einschließlich darin enthaltener Säumniszuschläge von 1.280 EUR nach. Die Beigeladene zu 1) habe in der für den Kläger ausgeübten Beschäftigung der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und der Rentenversicherung der Arbeiter sowie zur Bundesanstalt für Arbeit unterlegen.

Mit seinem Widerspruch vom 09.03.2009 erklärte der Kläger, er sei in bestem Glauben gewesen, dass er die Beigeladene zu 1) als freiberuflich tätige Mitarbeiterin beschäftigt habe, und legte Rechnungen aus der Zeit vom 07.08.2007 bis 02.03.2008 vor. Die Beigeladene zu 1) habe die eingenommenen Beträge auch ordnungsgemäß versteuert.

Mit Teilabhilfebescheid vom 24.08.2009 reduzierte die Beklagte die Beitragsforderung unter Berücksichtigung der Nettorechnungsbeträge auf einen Betrag von 8.983,24 EUR (einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 1086,50 EUR). Im Übrigen wies sie den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2011 als unbegründet zurück. Die Beigeladene sei vom 07.08.2007 bis 31.03.2008 beim Kläger versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Versicherungspflicht habe mit Aufnahme der Beschäftigung zum 07.08.2007 begonnen. Nach § 24 Abs. 1 SGB IV seien auch Säumniszuschläge zu erheben.

Mit Schriftsatz vom 10.05.2011 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München. In der mündlichen Verhandlung am 14.05.2013 gab er an, im streitgegenständlichen Zeitraum selbst als Subunternehmer für eine Firma tätig gewesen zu sein. Da er und seine Familie diese Arbeit alleine nicht geschafft hätten, habe er die Beigeladene zu 1) als seine Hilfe beschäftigt. Dieser habe er pro Stunde 12 EUR zuzüglich Umsatzsteuer bezahlt, wobei für die jeweilige Putzstelle ein bestimmtes Stundenkontingent vereinbart worden sei. Bei einer Festanstellung hätte die Beigeladene zu 1) einen deutlich geringeren Stundenlohn von ihm erhalten.

Die Beigeladene zu 1) erklärte, sie habe den Kläger schon aus Rumänien gekannt. Sie habe jeden Tag von Montag bis Freitag für den Kläger gearbeitet. Dabei hätte sie drei bis vier Putzstellen zu betreuen gehabt. Manchmal habe sie dort allein oder auch zusammen mit dem Kläger gearbeitet. Sie habe nach einem vom Kläger gestellten feststehenden Plan gearbeitet. Die Putzgeräte und Putzmittel seien ihr vom Auftraggeber des Klägers gestellt worden. Ihre Rechnungen habe sie anhand ihres Arbeitsplanes zusammen mit dem Kläger erstellt. Alleine hätte sie sich nicht genügend ausgekannt.

Mit Urteil vom 14.05.2013 wies das Sozialgericht München die Klage als unbegründet ab. Die Beklagte habe vom Kläger zu Recht die streitigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Säumniszuschläge gefordert. Die Beigeladene zu 1) habe beim Kläger in einer abhängigen Beschäftigung gestanden. Die für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) sprechenden Kriterien würden gegenüber den für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Kriterien deutlich überwiegen. Die Beigeladene zu 1) habe sich weder eigener Reinigungsgeräte und Reinigungsmittel bedient noch eine eigene Betriebsstätte unterhalten. Sie habe kein Unternehmerrisiko getragen und hinsichtlich Zeit und Ort ihrer Arbeitsleistung den Weisungen des Klägers unterlegen. Dieser habe ihr einen feststehenden Arbeitsplan vorgegeben. Entsprechend dieses Arbeitsplanes habe sie zusammen mit dem Kläger ihre Arbeit in Rechnung gestellt. Sie sei ausschließlich für den Kläger tätig gewesen. Das Urteil wurde dem Kläger am 24.09.2013 zugestellt.

Am 09.08.2013 hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und erneut darauf hingewiesen, dass er im besten Glauben gewesen sei, dass die Beigeladene zu 1) völlig selbstständig gewesen sei.

Im Erörterungstermin am 04.03.2014 hat sich der Kläger dahingehend eingelassen, dass er bis heute nicht verstehe, wieso er die Beiträge bezahlen müsse, zumal die Beigeladene zu 1) ihre Krankenversicherungsbeiträge schon selbst bezahlt habe. Deren Tätigkeit habe sich nicht von seiner Tätigkeit unterschieden. Wenn er gewusst hätte, dass er Beiträge zahlen müsse, hätte er sie natürlich angemeldet, sofern das gegangen wäre. Dann hätte er auch weniger bezahlt. Sehr viele Leute, die er kenne, hätten mit einer Gewerbeanmeldung gearbeitet. Auch sein Steuerberater habe ihm gesagt, dass das in Ordnung sei. Es könne nicht sein, dass man in Deutschland doppelt für die Krankenversicherung bezahlen müsse.

Er hat mit Schriftsatz vom 16.03.2015 die Anmeldung der Beigeladenen zu 1) bei einer privaten Krankenversicherung und die Anmeldung zur Handwerkskammer vorgelegt.

Der Kläger hat beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.05.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.02.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) halten die Forderung einschließlich der Säumniszuschläge weiterhin für berechtigt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Mit Urteil vom 04.06.2009 des Amtsgerichts A-Stadt ist gegenüber dem Kläger eine Geldbuße in Höhe von 3500 EUR festgesetzt worden ( ...).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vom Senat beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und auch fristgerecht eingelegt worden (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist aber nicht begründet.

Der Bescheid vom 10.02.2009 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 24.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.04.2011 ist rechtmäßig ergangen und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Nach § 28p Abs. 1 S. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung - hier die Beklagte - bei den Arbeitgebern u.a. ob diese ihren Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere prüfen sie die Richtigkeit der Beitragszahlungen. In diesem Zusammenhang erlassen sie gemäß § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV Verwaltungsakte zur Beitragshöhe in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern. Die Beklagte hat danach zutreffend festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum vom 01.08.2007 bis 31.03.2008 im Rahmen einer Beschäftigung für den Kläger tätig war. In der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und nach dem Gesetz der Arbeitsförderung sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, SGB VI; § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V; § 25 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch, SGB III). In den Schutz der sozialen Pflegeversicherung sind alle einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (§ 1 Abs. 2 S. 1 SGB XI).

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach S. 2 dieser Vorschrift sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Die Abgrenzung einer Beschäftigung von einer selbstständig ausgeübten Tätigkeit ist unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Konkretisierung vorzunehmen. Danach setzt eine Beschäftigung voraus, dass ein Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung; vgl. aus jüngerer Zeit BSG, Urteile vom 29.08.2012, B 12 R 7/10 R und B 12 R 25/10 R, sowie vom 05.03.2014, B 12 R 7/12 R; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzungskriterien BVerfG, Beschluss vom 20.05.1996, 1 BvR 21/96 in SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Dabei setzt die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbstständigen Tätigkeit voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (vgl. BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 15 Leitsatz und Rn. 25 ff).

Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse ergeben sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis, wie es sich aus den getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus der gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 29.08.2010, B 12 R 25/10 R).

Schriftliche Vereinbarungen wurden zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) nicht abgeschlossen.

Für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) spricht praktisch nur, dass sie dies mit dem Kläger mündlich vereinbart hat und das Vertragsverhältnis auch entsprechend abgewickelt wurde. Das gilt insbesondere für die Gewerbeanmeldung und den Abschluss einer privaten Krankenversicherung für die Beigeladene zu 1). Auch der vereinbarte Stundenlohn von 12 EUR lag über dem Betrag, der im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses im Reinigungsgewerbe üblicherweise gezahlt wird. Entscheidend ist aber, dass abgesehen davon die Durchführung des Vertragsverhältnisses in praktisch allen zu beurteilenden Punkten einem Beschäftigungsverhältnis entsprach. Dies ergibt sich aus den Feststellungen der Beklagten und des Hauptzollamtes sowie den eigenen Einlassungen des Klägers und der Beigeladenen zu 1).

Die Beigeladene zu 1) ist nicht als Unternehmerin am Markt aufgetreten, sondern hat ausschließlich im Auftrag des Klägers, nach dessen Anweisung und mit Hilfe des von ihm zur Verfügung gestellten Arbeitsmaterials die von ihm vorgegebenen Objekte gereinigt. Dabei war sie zumeist mit ihm zusammen tätig. Im Übrigen wurde sie von ihm zu den Einsatzorten gebracht und wieder abgeholt. Damit steht für den Senat fest, dass sie in den Betrieb des Klägers eingegliedert war. Für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber während der Arbeit durchgehend anwesend ist. Auch soweit die Beigeladene zu 1) alleine tätig war, unterlag sie hinsichtlich Zeit und Ort ihrer Arbeitsausführung einem Weisungsrecht des Klägers. Ein unternehmerisches Risiko ist aufgrund des vereinbarten Stundenlohns nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass die Beigeladene zu 1) die Rechnungen nicht aufgrund eigener Feststellungen, sondern nach Anweisung des Klägers erstellt hat. Über die überwiesenen Beträge konnte sie aufgrund der Kontovollmacht des Klägers selbst nicht uneingeschränkt verfügen.

Auch der Höhe nach besteht die streitige Beitragsforderung zu Recht. Grundlage der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist gemäß §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt, d.h. alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV).

Vorliegend hat die Beklagte als Grundlage für die Beitragsbemessung die tatsächlich in Rechnung gestellten Beträge herangezogen. Lediglich im Teilmonat März erfolgt die Berechnung auf der Grundlage des geschuldeten Lohns unter Berücksichtigung der vom Kläger und der Beigeladenen zu 1) angegebenen Arbeitszeiten. Eine "Hochrechnung" auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt als Beitragsbemessungsgrundlage (vgl. § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV) hat die Beklagte im Ergebnis nicht mehr vorgenommen (vgl. auch Teilabhilfebescheid vom 24.08.2009).

Rechtmäßig ergangen ist auch die Entscheidung über die Erhebung von Säumniszuschlägen.

Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).

Für die Frage, ob bei einer für die Vergangenheit festgestellten Beitragsforderung unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht bestand, genügt es nicht, dass der Beitragsschuldner von der Beitragspflicht keine Kenntnis hatte; die Unkenntnis muss unverschuldet sein. Hierauf beruft sich vorliegend der Kläger, der bis heute bereits das Entstehen dieser Verpflichtung nicht zur Kenntnis nehmen will. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an.

Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob verschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht im Sinne von § 24 Abs. 2 SGB IV erst bei zumindest bedingtem Vorsatz (so der 12. Senat des BSG (Urteile vom 09.11.2011, B 12 R 18/09 R und 26.01.2005, B 12 KR 3/04 R) oder schon bei Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (so der 13. Senat des BSG, Urteil vom 1.7.2010, B 13 R 67/09 R; Segebrecht in jurisPK-SGB IV, § 24 Rdnr. 60 m.w.N.) vorliegt. Denn der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er seine Beitragspflicht nicht vorsätzlich verletzt hat. Vorsätzlich in diesem Sinne handelt nämlich bereits, wer seine Beitragspflicht für möglich hält, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz). Dazu muss das Vorliegen des inneren (subjektiven) Tatbestandes festgestellt, d.h. anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner individuell ermittelt werden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.04.2012, L 8 R 981/12). Zwar sind allgemein geltende Aussagen zum Vorliegen des subjektiven Tatbestandes ausgeschlossen. Jedoch wird Vorsatz regelmäßig vorliegen, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (z.B. bei "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden (BSG, Urteil vom 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R). Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit die Möglichkeit hat, darüber im Einzugsstellen- bzw. Anfrageverfahren (vgl. §§ 7a, 28h SGB IV) Gewissheit durch Herbeiführung der Entscheidung einer fachkundigen Stelle zu erlangen; der Verzicht auf einen entsprechenden Antrag kann auf bedingten Vorsatz schließen lassen (BSG, Urteil vom 09.11.2011, a.a.O.). Ein darauf beruhender Rechtsirrtum ist in der Regel unbeachtlich (Segebrecht a.a.O., Rdnr. 61f.).

Nach Überzeugung des Senats hat der Kläger das Vorliegen einer beitragspflichtigen Beschäftigung mindestens für möglich gehalten und die Nichtabführung von Beiträgen zumindest billigend in Kauf genommen hat. So hat der Kläger selbst mehrfach davon gesprochen, dass er die Beigeladene zu 1) beschäftigt habe, und auch im Übrigen seine dominierende bzw. beherrschende Rolle bei der Begründung und Abwicklung des streitigen Auftragsverhältnisses eingeräumt. Die Arbeitsbedingungen der Beigeladenen zu 1) waren ihm nicht nur bekannt, sondern sind von ihm vorgegeben worden. Er wusste auch von den Unterschieden zu einer Anstellung und hat die streitige Konstruktion mit seinem Steuerberater besprochen. Dass er vor diesem Hintergrund keinerlei Anstrengungen unternahm, auch den sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) klären zu lassen, ist nach seiner Einlassung vor allem darauf zurückzuführen, dass diese aufgrund ihrer fehlenden Arbeitserlaubnis gar keine Möglichkeit gehabt hätte, einer Beschäftigung nachzugehen. Die Entscheidung und Durchführung der Beschäftigung als "freiberufliche" Tätigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht auf die Überzeugung zurück zu führen, dass die Beigeladene zu 1) tatsächlich selbstständig tätig sei, sondern weil es keine andere Möglichkeit für sie gab, in Deutschland erwerbstätig zu sein. Dieser Beurteilung kann der Kläger nicht erfolgreich entgegenhalten, dass das "Tausende" so gemacht hätten und sich für ihn die Arbeitsbedingungen der Beigeladenen zu 1) nicht von seinen eigenen unterschieden hätten.

Die Berechnung der Säumniszuschläge durch die Beklagte ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Festsetzung des Streitwertes ist für die Beteiligten nicht anfechtbar (§ 68 Abs. 1 S. 5 i.Vm. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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