S 35 KR 220/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 35 KR 220/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Vergütung der Kosten, die für den Aufenthalt eines Versicherten der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin eines Plankrankenhauses im Sinne von § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). In diesem Krankenhaus wurde der 1961 geborene und 2012 verstorbene ehemalige Versicherte der Beklagten J. Sch. aufgrund einer -jeweiligen- Einweisung durch den Notarzt im Zeitraum vom 30.03.2009 bis 01.07.2009 und erneut vom 24.07. bis 27.10.2009 vollstationär behandelt.

Grund für die Behandlung im Krankenhaus war im ersten Zeitraum ein epileptischer Anfall, wobei der Versicherte aufgrund derselben Erkrankung bereits eine Woche vorher in W. im Krankenhaus behandelt worden war und ab dem 22.02.2009 zunächst eine tagesklinische Behandlung stattgefunden hatte. Bereits am 30.3.2009 wurde der Versicherte erneut in die vollstationäre Krankenhausbehandlung übernommen, da im Rahmen der vorangegangenen tagesklinischen Behandlung keine Abstinenz erreicht werden konnte, die aufgrund der bestehenden Alkoholabhängigkeit mit erheblichen psychischen, somatischen und sozialen Folgeschäden das Behandlungsziel war.

Im Krankenhaus der Klägerin war der Versicherte im Jahr 2007 bereits mit den Diagnosen, Akute Alkoholintoxikation, F10.0, Alkoholabhängigkeitssyndrom, F 10.2, Alkoholbedingte kognitive Störung und hirnorganische Wesensveränderung, F10.7, Ptergyium, H11.0, Alkoholische Fettleber, K70.0 behandelt worden.

Der Versicherte wurde am 01.07.2009 in eine Einrichtung zur Betreuung alkoholkranker Menschen entlassen. Die Klägerin rechnete den Behandlungsfall mit tagesgleichen Pflegesätzen ab, wobei im vorliegenden Verfahren die Teilrechnung vom 05.02.2010 über den Aufenthalt vom 27.05.2009 bis 01.07.2009 streitig ist. Sie beläuft sich auf 35 tagesgleiche Pflegesätze a 52,48 EUR Basispflegesatz vollstationär Psychiatrie und Abteilungspflegesatz Psychiatrie in Höhe von jeweils 158,26 EUR, sowie den Investitionskostenzuschlag von 196,70 EUR, mithin 7.572,60 EUR.

Bereits drei Wochen nach seiner Entlassung am 1.7.2009 musste der Versicherte am 24.07.2009 erneut stationär aufgenommen werden, nachdem seine 88-jährige Mutter den Rettungsdienst gerufen hatte, da der Versicherte nur noch im Bett liege und kaum noch ansprechbar sei. Der Versicherte selber konnte zu der zur Aufnahme führenden Situation kaum etwas berichten. Schließlich konnte festgestellt werden, dass er seinen Aufenthalt in dem Wohnheim, in das er am 1.7.2009 direkt verlegt worden war, nach vier Tagen gekündigt und nach zwei Wochen endgültig abgebrochen hatte und wieder zu seiner Mutter gezogen war.

Der Versicherte wurde am 27.10.2009 in das Wohnheim M. verlegt, bis dahin befand er sich in der vollstationären Behandlung im Krankenhaus der Klägerin.

Für den Aufenthalt ab 24.07.2009 legte die Klägerseite mehrere Rechnungen, von denen hier die Rechnung ebenfalls vom 05.02.2010 streitig ist, die den Zeitraum vom 10.10. bis 26.10.2009 betrifft und 17 tagesgleiche Pflegsätze in der oben genannten Höhe, sowie einen Investitionskostenzuschlag von 95,54 EUR, mithin 3.678,12 EUR ausweist.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Prüfung, ob die Krankenhausbehandlung jeweils für den abgerechneten Zeitraum erforderlich gewesen sei.

In der gutachterlichen Stellungnahme des MDK für den Behandlungszeitraum vom 30.3.2009 bis 1.7.2009 führt dieser aus, dass als Grunderkrankung eine Alkoholabhängigkeit mit erheblichen psychischen, somatischen und sozialen Folgeschäden vorliegt. Weiter führt die Gutachterin im Gutachten vom 20.09.2009 aus:

"Letztendlich konnte unter teilstationären Bedingungen keine Abstinenzfähigkeit aufrechterhalten werden. Bei massiver kognitiver Beeinträchtigung mit fehlender Einsicht und Kritikfähigkeit blieb nur noch die Einleitung einer Unterbringung in einem Wohnheim für Suchtkranke. Seitens der Behandler wurde frühzeitig dieses Problem erkannt und die erforderlichen Schritte eingeleitet. Obwohl bereits Anfang März der Betreuer über die notwendige Antragstellung beim Sozialamt informiert wurde, reichte dieser die nötigen Unterlagen erst nach mehrfacher Erinnerung durch die Sozialarbeiter des Krankenhauses am 12.6.2009 ein. Nach entsprechender Bearbeitung lag am 30. Juni eine Kostenübernahme vor und die Entlassung erfolgte am 1. Juli eine Heimeinrichtung.

Im Wesentlichen stellt sich in der gesamten Krankenakte ab am Ende Mai eine unauffällige gleich bleibende, dem Krankheitsbild passende Dokumentation dar. Der weitere Aufenthalt war im Wesentlichen durch das Warten auf den Heimplatz gekennzeichnet. Gutachterlicherseits ist die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung gemäß § 39 SGB V unter Berücksichtigung der Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 25.09.2007 lediglich bis zum 26.5.2009 erkennbar. Darüber hinaus lag eine rein sozialorganisatorische Problematik durch verzögerte Antragstellung (durch Betreuer) bei der Sozialagentur vor."

In der Stellungnahme des MDK vom 16.11.2009 zu dem Aufenthalt im Zeitraum vom 24.7.2009 bis 27.10.2009 führt der MDK aus:

"Eine erneute S4- Behandlung war begründet. Aufgrund der Mehrfachschädigungen des Patienten und Wiederaufnahme von Alkohol und Loslösung aus einer betreuten Wohnform kam zu Krankheitssymptomen mit vitaler Bedrohung, die eine erneute Krankenhausbehandlung erforderlich machten. Der Patient nahm dann im Fortgang an Therapien teil. Eine wesentliche Krankheitseinsicht konnte aufgrund der fortgeschrittenen Multimorbidität nicht erzielt werden. Dies war auch aus dem Voraufenthalt bekannt. Es war schon am 4. August 2009 seitens des Krankenhauses an das Amtsgericht geschrieben worden, dass eine geschlossene Unterbringung in einer Langzeiteinrichtung für nötig erachtet wurde. Die Klärung der Kostenübernahme lag bereits vom vor Aufenthalt noch vor. Leider stand konkret kein Platz für den Patienten zur Verfügung. Man wusste dann Ende September 2009, dass am 27.10.2009 ein Platz zur Verfügung in einer neuen Heimeinrichtung stehen würde, die der Patient sich bereits am 10.9.2009 angesehen hatte. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Mittel des Krankenhauses längstens bis zum 09.10.09 begründet waren. Hätte ein Heimplatz zur Verfügung gestanden, hätte der Patient spätestens zu diesem Zeitpunkt nach M. verlegt werden können. Eine am 21.10.09 durchgeführte Anhörung bezüglich der Betreuung über das Gericht erfordert nicht die Verlängerung der Maßnahmen von Krankenhausbehandlung. Weitere Therapieziele waren für den Patienten nicht zu erreichen. Dies war bereits zu einem früheren Zeitpunkt dokumentiert und beschrieben worden. Der Patient war aus dem Krankenhausbereich zurück in die Häuslichkeit nicht entlassbar, da aufgrund des Unvermögens der Alkoholabsicht Abstinenz eine vitale Bedrohung mit Sicherheit aufgetreten wäre. Das Krankenhaus hat sich frühzeitig um eine erneute Heimversorgung für den Patienten gekümmert. Die Sozialagentur konnte aber keinen Platz vermitteln. Zusammenfassend ist die Krankenhausbehandlung bis längstens 9.10.2009 begründet. Die Mittel des Krankenhauses sind vom 10.10.2009 bis 27.10.2009 nicht erforderlich gewesen."

Die Beklagte schloss sich der Einschätzung des MDK an und glich auch nach Mahnungen die streitigen Rechnungsbeträge der oben genannten Rechnungen nicht aus.

Am 06.08.2012 hat die Klägerin beim Sozialgericht Halle Klage erhoben, mit der sie ihr Zahlungsbegehren weiter verfolgt.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Behandlung des Versicherten sei medizinisch erforderlich gewesen, da es nicht zu verantworten gewesen sei, ihn nach Hause zu entlassen, sondern es dringend erforderlich gewesen sei, ihn nur in eine beschützte Umgebung zu entlassen. Nur dort habe ein Schutz vor lebensbedrohlichen Konsequenzen des erneuten Alkoholkonsums mit möglicherweise letalem Ende ermöglicht werden können. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 10.08.2008 (B 3 KR 19/05 R) sei Krankenhausbehandlung auch dann medizinisch erforderlich, wenn ein Patient in der Zeit bis zu seiner anderweitigen Unterbringung in einem Heim oder einer sonstigen Pflegeeinrichtungen weiterhin behandelt werden müsse, um die Verschlimmerung seiner Krankheit zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und hierfür die besonderen Mitteln des Krankenhauses erforderlich seien. Dies sei etwa dann der Fall, wenn ambulante Alternativen nicht zur Verfügung stünden, weil der für die psychologische Behandlung erforderliche komplexe Behandlungsansatz unter zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams unter fachärztlicher Leitung nach den Regeln der ärztlichen Kunst ambulant überhaupt nicht realisierbar sei oder für den Patienten in Anbetracht seines Gesundheitszustandes in zumutbarer Weise nicht zur Verfügung gestanden habe. Hier habe der Patient weiterbehandelt werden müssen, um die Verschlimmerung seiner Krankheit zu verhüten und hierfür seien auch die besonderen Mitteln des Krankenhauses erforderlich gewesen, anderenfalls habe das Risiko von lebensbedrohlichen Konsequenzen bestanden.

Vorliegend sei auch zu berücksichtigen, dass ein Versicherter, der in der Zeit bis zu seiner anderweitigen Unterbringung weiterhin behandelt werden müsse, um eine Verschlimmerung seiner Krankheit zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, einen Behandlungsanspruch habe, der sich auch auf Krankenhausbehandlung richte, wenn ambulante Alternativen nicht zur Verfügung stünden. Es sei vorliegend so gewesen, dass die Bemühungen zur Findung geeigneter Unterbringungsplätze durch die Sozialbetreuung des Krankenhauses erfolgt seien und dies Bestandteil der psychiatrischen Krankenhausbehandlung sei. Insoweit sei auch die Regelung des § 11 Abs. 4 SGB V in Betracht zu ziehen, die durch das GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 1.4.2007 eingeführt worden sei. Diese Regelung habe zur Entscheidung des Großen Senates noch nicht gegolten. Nach der Regelung habe ein Versicherter Anspruch auf ein sog. "Versorgungsmanagement", das einen nahtlosen Übergang zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen gewährleisten solle. Darüber hinaus sei diese Regelung mit Wirkung vom 1.1.2012 weiter konkretisiert worden, in dem der Gesetzgeber dem § 39 Abs. 1 den Satz 4 hinzugefügt habe, wonach die Krankenhausbehandlung auch das Entlassmanagement zur Lösung von Problemen beim Übergang in die Versorgung nach der Krankenhausbehandlung umfasse. Auch wenn diese gesetzliche Regelung erst nach der stationären Behandlung im vorliegenden Fall in Kraft getreten sei, ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, dass es sich lediglich um eine Konkretisierung des Anspruchs aus § 11 Abs. 4 SGB V handele.

Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen es im Einzelfall schwierig sein könne, eine "geeignete" Unterkunft zu finden. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber gewollt habe, dieses nicht unbeträchtliche Risiko auf die Krankenhäuser abzuwälzen. So verweise insbesondere § 27 SGB V darauf, dass bei der Krankenhausbehandlung den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen sei. Eine Kostentragungspflicht in Fällen wie dem vorliegenden auf Seiten des Krankenhauses sei nicht sachgerecht. Das Krankenhaus müsse aufgrund seines Versorgungsauftrags die Patienten aufnehmen und könne sie nicht zuletzt aus ethischen Gründen erst dann entlassen, wenn sichergestellt sei, dass sie ausreichend weiterversorgt seien. Es liege kein Verschulden durch das Krankenhaus vor, vielmehr habe dieses äußerst zeitnah mit dem Entlassmanagement begonnen. Es seien alle erforderlichen Schritte zur Unterbringung des Patienten in einer geschützten Einrichtung realisiert worden, dennoch sei keine frühere Entlassung möglich gewesen.

Maßgeblich sei aber wiederum auch das in dem streitigen Zeitraum jeweils der Patient nicht lediglich "verwahrt" worden sei, sondern durchaus qualifizierte Behandlung stattgefunden habe.

Für beide Aufenthalte sei es so gewesen, dass der Versicherte habe weiterbehandelt werden müssen. Bis zu einer nahtlosen Verlegung in das Wohnheim habe er nicht entlassen werden können. Im Rahmen der beabsichtigten Verlegung habe im 2. Behandlungsfall zunächst geklärt werden müssen, inwieweit die Unterbringung des Versicherten in einem offen geführten Heim oder in einer geschlossenen Einrichtung vom Gericht, bei dem ein entsprechender Antrag anhängig gemacht worden sei, genehmigt werde. Es sei bis zum 21.10.2009 offen geblieben, ob das Gericht der Empfehlung der behandelnden Ärzte folgen und einen Einwilligungsvorbehalt anordnen oder aber dem Antrag des Betreuers auf geschlossene Unterbringung des Patienten stattgeben werde. Nachdem dies geklärt worden sei, sei der Patient am 27.10.2009 in das Wohnheim M. verlegt worden. Im Verlaufe des Krankenhausaufenthaltes habe der Versicherte im Übrigen durch sein Verhalten bestätigt, dass er nicht abstinent leben könne. Probeweise Tagesbeurlaubungen nach Hause zur Mutter hätten, nachdem er am 4.10.2009 alkoholisiert zurückgekehrt sei, gestrichen werden müssen. Schließlich habe auch die MDK- Gutachterin in ihrem Gutachten vom 16.11.2009 anerkannt, dass es aufgrund der Mehrfachschädigung des Patienten, der Wiederaufnahme von Alkohol und Loslösung aus einer betreuten Wohnform zu Krankheitssymptomen mit vitaler Bedrohung gekommen sei, die eine erneute Krankenhausbehandlung erforderlich gemacht hätten. Aus Risikoerwägungen sei daher eine Entlassung zum 9.10.2009, wie vom MDK angeregt, medizinisch nicht vertretbar gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.250,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus einem Betrag in Höhe von 3.678,12 EUR vom 1.4.2010 bis 1.9.2011 sowie aus einem Betrag in Höhe von 11.250,72 EUR seit dem 02.09.2011 zu zahlen und

die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Klägerin habe keinen weitergehenden Vergütungsanspruch. Eine vollstationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten sei in den streitigen Zeiträumen nicht mehr erforderlich gewesen. Es sei zwar zutreffend, dass es sich um einen schwer kranken Versicherten gehandelt habe, der in ungeschützter Umgebung erneut trinkrückfällig geworden wäre. In der Zusammenschau sei jedoch festzustellen, dass die besonderen Mittel des Krankenhauses lediglich bis zum 26.05.09 bzw. 9.10.2009 medizinisch notwendig gewesen seien. Der weitere Verbleib im Krankenhaus habe lediglich der Überbrückung bis zur Aufnahme in ein Heim gedient. Die Krankenhausbehandlung umfasse im Rahmen des Versorgungsauftrages alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig seien. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des § 12 SGB V müsse die notwendige stationäre Behandlung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden können. Die Leistungen müssten ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürften das Maß des notwendigen nicht übersteigen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien, dürften Leistungserbringer nicht bewirken. Allgemeine soziale, humanitäre oder familiäre Gründe könnten nicht zu einem Anspruch nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V führen, selbst wenn diese für eine stationäre Betreuung des Versicherten sprächen, für eine Behandlung aber nicht die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich seien. Dies treffe auf die Fälle zu, in denen die Unterbringung mangels Platz in einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung nicht nahtlos erfolgen könne.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Facharztes. für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C. B ... Wegen des Ergebnisses dieser Begutachtung wird auf das Gutachten vom 8. August 2013 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Patientenakte des Versicherten Bezug genommen, die dem Gericht vorlagen und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Behandlungskosten.

1. Rechtsgrundlage eines Vergütungsanspruchs des Krankenhauses ist allein § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, da in Sachsen-Anhalt keine Landesverträge über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung bestehen. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse besteht danach unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist.

Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert in der Regel mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus und während des Aufenthaltes in dem Krankenhaus grundsätzlich die allgemeinen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie speziell von Krankenhausbehandlung, insbesondere deren Erforderlichkeit, vorliegen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die zur Krankenbehandlung gehörende Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V) wird gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Maßnahmen dürfen daher zum Beispiel nicht lediglich dem Zweck dienen, einem Zustand der Hilflosigkeit zu begegnen; ebenso unterfallen rein pflegerische Maßnahmen nicht der Leistungspflicht der Krankenkassen, vielmehr müssen diese als Teil einer ärztlichen Behandlung dieser Behandlung untergeordnet sein. Besondere Mittel des Krankenhauses sind eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt. Dabei erfordert die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung weder den Einsatz aller dieser Mittel noch ist er stets ausreichend. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 8. Juni 2011 – L 9 KR 504/08 -, zitiert nach Juris). Die vollstationäre Behandlung als intensivste Form der Krankenhausbehandlung ist als ultima ratio normiert. Die notwendige medizinische Behandlung muss in jeder Hinsicht und ausschließlich mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden können (Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Std.: April 2013, K § 39 RdNr. 72). Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlungen einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Die Aufgabe der Krankenversicherung ist es, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 Satz 1 SGB V). Es geht dabei um die Bereitstellung der für diese Zwecke benötigten medizinischen Versorgung.

Zu den Aufgaben der Krankenversicherung gehört es hingegen nicht, die für eine erfolgreiche Krankenbehandlung notwendigen gesellschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen oder diesbezügliche Defizite durch eine Erweiterung des gesetzlichen Leistungsspektrums auszugleichen. Für derartige Risiken haben die Krankenkassen nicht einzustehen. Sie haben auch keine Möglichkeit, strukturelle Mängel außerhalb dieses Zuständigkeitsbereiches zu beheben. Sie tragen dafür weder Verantwortung noch dürfen sie hierfür Geldmittel verwenden. Soweit ausnahmsweise etwas anderes gelten soll, legt das Gesetz dies ausdrücklich fest. Angesichts einer über mehrere Jahrzehnte unveränderten, im krankenversicherungsrechtlichen Schrifttum akzeptieren Rechtsprechung, die durch Fortschreibung des durch sie konkretisierten Rechtszustandes Eingang für das geltende Recht gefunden hat, ist für die Auslegung des Gesetzes, die den Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 SGB V auf andere als medizinisch begründete Behandlungsnotwendigkeiten erweitert, kein Raum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.).

2. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung kommt es auf die medizinischen Erfordernisse im Einzelfall und nicht auf eine abstrakte Betrachtung an. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben hierbei im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist. Dabei haben sie zwar –soweit wie im Nachhinein möglich- von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen, wenn die Krankenkasse im Nachhinein beanstandet, die stationäre Behandlung des Patienten sei nicht gerechtfertigt gewesen. Für eine Einschränkung der Kontrollbefugnisse der Krankenkasse und des Gerichts in der Weise, dass von der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung auszugehen ist, wenn der Krankenhausarzt sie bejaht und seine Einschätzung fachlich vertretbar ist, bietet das Gesetz jedoch keine Grundlage.

3. An diesen Maßstäben gemessen hat die Klage der Klägerin keinen Erfolg. Das Gericht kann nicht feststellen, dass der Versicherte der Beklagten in den streitigen Zeiträumen noch in der Art behandlungsbedürftig war, dass es der vollstationären Krankenhausbehandlung bedurfte.

a) Die Klägerin führt dazu aus, es habe noch Behandlung stattgefunden, der Versicherte sei nicht allein verwahrt worden. Der vom Gericht bestellte Gutachter hat dazu ausgeführt, dass in den streitigen Zeiträumen grundsätzlich Behandlungsbedürftigkeit vorlag, wobei er jedoch davon ausgeht, dass in dem Zeitraum die pflegerischen und rehabilitativen Maßnahmen im Vordergrund standen. Die stationäre Behandlung des Versicherten im Krankenhaus sei in der Zeit nicht zwingend medizinisch erforderlich gewesen. Bei Berücksichtigung der Art und Ausprägung der nervenärztlich zu beurteilenden Symptomatik des Versicherten wäre die Entlassung am 27.5.2009 respektive am 10.10.2009 aus der stationären Behandlung in eine nicht geschützte Umgebung mit dem Risiko einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden gewesen. Der Versicherte hätte jedoch entlassen werden können, falls die Unterbringung in einer beschützenden Umgebung, wie zum Beispiel in einem dem Krankheitsbild angemessenen Wohnheim möglich gewesen wäre, eine Entlassung in eigene Wohnung wäre dagegen nicht möglich gewesen.

b) Aus der vom Gutachter zusammengefassten Verlaufsdokumentation ergibt sich im Übrigen, dass in den streitigen Zeiträumen Beschäftigungstherapie und Arbeitstherapie mit dem Versicherten durchgeführt und vorrangig an der weiteren Unterbringung des Versicherten gearbeitet wurde. Die ärztliche Verlaufsdokumentation lässt keine therapeutischen Interventionen erkennen, sondern ebenfalls lediglich Gespräche über die weitere Unterbringung des Versicherten.

c) Das Gericht geht daher mit dem bestellten Gutachter und dem MDK davon aus, dass in den streitigen Zeiträumen keine ärztliche oder andere Behandlung mehr erfolgt ist, die allein in einem vollstationären Behandlungsrahmen stattfinden konnte. Es standen vielmehr -wie der Gutachter ausführt- die pflegerischen und rehabilitativen Maßnahmen im Vordergrund, die den Versicherten stabilisieren und davon abhalten sollten, wieder Alkohol zu sich zu nehmen. Das Gericht geht nach den Ausführungen des Gutachters davon aus, dass dies auch in einer geschützten Umgebung hätte stattfinden können, was letztendlich auch durch die nach Klärung einer Unterbringungsmöglichkeit in beiden Fällen sehr schnell erfolgte Verlegung des Versicherten in die jeweilige Einrichtung belegt wird.

2. Soweit die Klägerseite auf die Regelungen des so genannten Versorgungs- oder Entlassmanagements in § 11 Abs. 4 SGB V Bezug nimmt, ergibt sich daraus ebenfalls kein Anspruch auf die Vergütung von medizinisch nicht erforderlicher Krankenhausbehandlung.

a) Das Versorgungs- oder Entlassmanagement nach Krankenhausbehandlung wird seit der Änderung aufgrund des GKV-VStG ab 2012 in § 39 Abs. 1 Satz 4 SGB V als Teil des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung konkretisiert. Vorher, also auch im Zeitraum der hier streitigen Behandlung im Jahr 2009 fand sich die Regelung lediglich in § 11 Abs 4 SGB V. Es wird davon ausgegangen, dass § 39 Abs 1 Satz 4 SGB V die speziellere Regelung zu § 11 Abs 4 SGB V ist.

Unabhängig vom Standort handelt es sich jedoch um einen Anspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und um eine sich daraus ergebende Verpflichtung der betroffenen Leistungsträger, ein solches Entlassmanagement durchzuführen.

Die Klägerin kann auch unmittelbar aus § 11 Abs. 2 oder Abs. 4 SGB V keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagte herleiten. Sowohl § 11 Abs. 2 SGB V als auch Abs. 4 SGB V legen als Anspruchsberechtigte (unabhängig vom genauen Anspruchsinhalt) die "Versicherten" fest. Zu deren, aber auch nur zu deren Gunsten, sind in dieser Vorschrift im System der gesetzlichen Krankenversicherung Ansprüche (in Form von Haupt- und Nebenleistungen) formuliert. Die Klägerin als Leistungserbringer im System der gesetzlichen Krankenversicherung kann daraus für sich keine eigenen Ansprüche herleiten (Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 27.01.2012 -L 4 R 1296/11-, zitiert nach juris, der Fall ist ähnlich dem vorliegenden gelagert, nur dass zwei Sozialleistungsträger um die Kostentragung streiten; Becker/Kingreen, SGB V, 4. Auflage, 2014, § 14 Rn 34).

Dem schließt sich das Gericht an, da nicht erkennbar ist, dass diesen Regelungen subjektive Rechte der Krankenhäuser fließen sollten, auch nicht dass -wie bei dem Anspruch auf Krankenhausbehandlung- sich aus dem Anspruch des Versicherten quasi gleichsam ein Anspruch auf Vergütung durch die zuständige Krankenkasse ergibt. Vielmehr dürften die Regelungen, die in diesem Bereich zu treffen sind, dem Bereich der integrierten Versorgung nach § 140a SGB V zuzurechnen sein oder auf Absprachen unter den Leistungserbringern beruhen. Ziel ist es gerade solche Probleme, wie hier entstandenen, frühzeitig anzugehen und dadurch zu verhindern. Es ist aber dennoch so, dass auch durch die Planung sich ggf. fehlende Plätze in Einrichtungen beispielsweise für Männer mit Alkoholabhängigkeit und Persönlichkeitsveränderungen nicht beschaffen lassen.

3. Anders als die Klägerseite geht das Gericht jedoch davon aus, dass dieses Risiko nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen ist, sondern im Rahmen von Vereinbarungen zwischen den Krankenhäusern und dem Träger der überörtlichen Sozialhilfe, der die Verträge mit den Einrichtungen schließt und vereinbaren könnte, dass dort ggf. immer eine gewisse Zahl von "Notfallplätzen" vorzuhalten sind.

Wie bereits oben ausgeführt, gehört es nicht zu den Aufgaben der Krankenversicherung, die für eine erfolgreiche Krankenbehandlung notwendigen gesellschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen oder diesbezügliche Defizite durch eine Erweiterung des gesetzlichen Leistungsspektrums auszugleichen oder strukturelle Mängel außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu beheben.

Das Bundessozialgericht verweist in seiner aktuellen Rechtsprechung (vgl BSG vom 10.03.2015 –B 1 KR 3/15 R- "Fallsplitting" oder vom selben Tag B 1 KR 2/15 R, jeweils zitiert nach juris) regelmäßig besonders auf den Aspekt der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung und des sog. wirtschaftlichen Alternativverhaltens, was auf § 12 SGB V gestützt wird und sogar den Wortlaut der Fallpauschalvereinbarung überlagert oder dem Krankenhaus das Risiko der Nichtverfügbarkeit günstigerer Blutprodukte auferlegt.

In diesem Zusammenhang erscheint es der Kammer ausgeschlossen, eine großzügige Risikoverteilung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen und ihr das Risiko, dass ein Versicherter nach Abschluss einer Krankenhausbehandlung nicht ausreichend sicher untergebracht werden kann.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

IV. Das Gericht hat in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens (dazu Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2011, Kap. IX Rdnr. 27; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 161 Rdnr. 6) gem. § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG die Sprungrevision zugelassen.

Die von der Klägerseite sinngemäß formulierte Frage, ob die Kosten für den Verbleib im Krankenhaus bei fehlender anschließender Unterbringungsmöglichkeit im Rahmen des Entlassungsmanagements von der Krankenkasse getragen werden müssen, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Allein im Bereich des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt sind dazu noch zahlreiche Verfahren anhängig. Die Klärung dieser Rechtsfrage ist aus Gründen der Rechtseinheit und der Fortbildung des Rechts erforderlich. Jedenfalls bis zur Einführung von Fallpauschalen auch zur Abrechnung der Krankenhausaufenthalte bei psychischen Erkrankungen sollen nach Aussage der Klägerseite noch weitere streitige Fälle aufgetreten sein.

Damit liegen auch die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor. Die Sprungrevision war gemäß § 161 Abs. 1 SGG zuzulassen, nachdem die Klägerseite dies beantragt und der Beklagte dem zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung zugestimmt hat.
Rechtskraft
Aus
Saved